03/10/17

Wie weiter mit Humboldts Erbe?

Ethnographische Sammlungen neu denken

Das Humboldt Forum, das derzeit in der Mitte Berlins in der Hülle des rekonstruierten preußischen Stadtschlosses entsteht und ab 2018 die Sammlungen des Ethnologischen Museums Berlin neu präsentieren wird, ist zu einem Kristallisationspunkt für Debatten über den Umgang mit ethnographischen Sammlungen in Deutschland geworden.

Mit dem Austritt der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy aus dem internationalen Expertenteam des Humboldt Forums im Sommer 2017 hat die Auseinandersetzung einen neuen, öffentlichkeitswirksamen Höhepunkt erreicht. Bénédicte Savoy sieht im gegenwärtigen Zuschnitt des Humboldt Forums die unkritische Fortschreibung einer über 300-jährigen, kolonial geprägten Sammlungsgeschichte voller „Schweinereien und Hoffnungen“, die nicht zur Sprache und in die Öffentlichkeit gebracht, sondern vielmehr unter einer „Bleidecke“ gehalten würden (Savoy 2017). BefürworterInnen und Verantwortliche für das Humboldt-Forum versprechen dagegen einen demokratischen und kosmopolitischen Debattenort und bringen Konzepte wie „shared heritage“ in Anschlag (Parzinger 2016).

Dabei will nicht nur die Bundeskanzlerin das Humboldt-Forum keinesfalls in der Tradition von Völkerkundemuseen – heute oft umbenannt in „Museen der (Welt)(Kulturen)“ – sehen. Droht der „ethnologische Blick“ in der Debatte auf den „kolonialen Blick“ verkürzt zu werden (s. Zimmerer 2017[1], vgl. Deimel 2017[2])? Die kritische Aufarbeitung der kolonialen Verstrickungen der Ethnologie, die das Fach seit den 80er Jahren geleistet hat, wird dabei offensichtlich ignoriert. In offensichtlicher Unkenntnis der Vielschichtigkeit historischer wie gegenwärtiger Forschungsaktivitäten in den ethnologisch-anthropologischen Wissenschaften wird eine Art „othering“ betrieben, die es erlaubt, das koloniale Erbe und seine bis heute andauernden Gewalteffekte disziplinär auf die Ethnologie, institutionell-räumlich auf die Völkerkundemuseen und zeitlich auf die Vergangenheit zu projizieren (s. Edwards 2016). Wird die Ethnologie zunehmend für institutions- und disziplinenübergreifende Versäumnisse in der Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus in Haftung genommen (vgl. den Blog „Kulturrelativismus und Aufklärung“[3])? Wie steht es um die fachgeschichtliche Selbstreflektion und Dekolonisierung anderer Disziplinen und der verwandten Kunst-, Kunstgewerbe- und Geschichtsmuseen? Gegründet als nationale Institutionen zur Erziehung des Bürgertums müssen auch sie vor dem Hintergrund einer zunehmend pluralen Gesellschaft die Beziehung zwischen Nation und Kultur neu überdenken (Juneja 2017).

Tatsächlich hat sich die universitäre Ethnologie in Deutschland viele Jahrzehnte wenig für Museen interessiert, so wie sich auch die Museen von der Theorieproduktion, etwa in den Material Culture Studies/Museum Studies, entfernt haben. Der Blick auf die Dauerausstellungen ethnologischer Museen in Deutschland zeigt zudem, wie schleppend innovative, insbesondere kollaborative museologische Ansätze, wie sie beispielsweise in den ehemaligen Siedlerstaaten in den letzten Jahrzehnten entwickelt wurden, Einzug in die Museen hierzulande gehalten haben – und vor allem, wie wenig sie oft für das Publikum sichtbar werden.

Zwar suchen ethnographische Sammlungen zunehmend die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, gerade auch wegen ihres (institutionen-) kritischen Potenzials. Aber drängende Fragen nach Teilhabe und Vielstimmigkeit sowie nach dem Umgang mit historischen wie gegenwärtigen Machtasymmetrien betreffen vor allem Individuen und die Gesellschaften, aus denen die gesammelten Objekte stammen. In diesem Zusammenhang bilden „multikulturelle Feiern der Begegnung“ häufig genug keine Lösungen, sondern generieren ihrerseits neue Probleme. Oft beruhen gut gemeinte Foren des Kulturdialogs auf Ideen einer monokulturellen globalen Elite (Hauschild 2009) und können strategischen Instrumentalisierungen von Kultur und Ethnizität Vorschub leisten. Historische und aktuelle Identitätspolitiken und eine zunehmend fragmentierte Öffentlichkeit müssen deshalb umfassender reflektiert werden. Die Frage „Wer spricht für wen?“ hat weit über Europa hinausreichende Dimensionen.

Die Feuilleton-Debatten um die Zukunft ethnographischer Sammlungen werden derzeit vor allem zwischen VertreterInnen der am Humboldt-Forum beteiligten Institutionen, KulturpolitikerInnen und einigen wenigen engagierten WissenschaftlerInnen aus dem universitären Kontext ausgetragen. EthnologInnen haben sich an dieser Debatte bisher selten öffentlich beteiligt –trotz der Bedeutung, die das Humboldt Forum zukünftig für die Wahrnehmung ethnologischer Arbeit und Perspektiven insgesamt haben wird, und trotz der zunehmenden Bedeutung ethnologischen Wissens für den Umgang mit musealen Sammlungen und ihrer Repräsentation in einer pluralisierten Gesellschaft.

[1]http://www.ndr.de/kultur/Ueber-Deutschlands-koloniale-Vergangenheit,journal942.html,

[2]http://gssc.uni-koeln.de/node/1409

[3]http://gssc.uni-koeln.de/node/1363

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Dieser Blog möchte zu einer breiteren Diskussion über das Humboldt-Forum, über die Zukunft ethnographischer Sammlungen im deutschsprachigen Raum und die Rolle von Museen in einer zunehmend pluralen Gesellschaft insgesamt einladen – sowohl innerhalb der Ethnologie/Kultur- und Sozialanthropologie wie auch den benachbarten Disziplinen. Unerlässlich ist dabei eine trans- und internationale Perspektivierung der Debatte. Zu diesem Zweck werden die Blogbeiträge sukzessive ins Englische übersetzt und soweit möglich DiskussionspartnerInnen aus dem globalen Süden, insbesondere aus den Herkunftsländern der ethnographischen Sammlungen, hinzugeladen.

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Redaktion:

Anna Brus (Universität Siegen)

Larissa Förster (Humboldt Universität Berlin)

Michi Knecht (Universität Bremen)

Verena Rodatus (Freie Universität Berlin)

Ehler Voss (Universität Siegen)

Martin Zillinger (Universität zu Köln)

Falls Sie Interesse haben, selbst einen Beitrag zu verfassen, schreiben Sie bitte an Anna Brus (anna.brus@uni-siegen.de) oder Ehler Voss (V.i.S.d.P., Universität Siegen, ehler.voss@uni-siegen.de).