07/04/20

We talk, you listen!

Anregungen zu einer Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit mit Stakeholdern aus Herkunftsgesellschaften

Ilja Labischinski, Provenienzforscher bei den Staatlichen Museen zu Berlin, schildert im folgenden Text seine Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit dem Nebraska Indian Community College anlässlich der Vorbereitungen für eine Ausstellung im Humboldt Forum in Berlin. Er endet mit zehn Fragen zu Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation mit Stakeholdern aus den Herkunftsstaaten und -gesellschaften der musealisierten Objekte.

Wir möchten die Leser*innen dieses Blogs, insbesondere Kustod*innen und Kurator*innen mit eigener Projekterfahrung, anregen, auf seine zehn Fragen zu antworten. Schicken Sie Ihre Antwort, Ihren Kommentar oder Ihren Diskussionsbeitrag bis zum 1.6. an uns – wir veröffentlichen die Antworten in einem Sammelbeitrag. Oder verfassen Sie einen eigenen Blogbeitrag zum Thema! Beides bitte an: larissa.foerster@hu-berlin.de.

 

“We don’t want another white guy to tell our story!” so reagierte Wynema Morris, Dozentin am Nebraska Indian Community College, als wir ihr von unseren Plänen erzählten, eine Ausstellung über Francis La Flesche zu machen und dies gerne gemeinsam mit dem College.

Francis La Flesche gilt heute als erster indigener Ethnologe Nordamerikas. Er wuchs in turbulenten Zeiten auf, in der das kulturelle Leben der Umóⁿhoⁿ sich stark wandelte. Er lebte ein Leben zwischen zwei Welten. Nachdem er seine frühe Kindheit auf der Omaha Reservation verbracht hatte, schickte ihn sein Vater auf die presbyterianische Internatsschule, wo er nicht nur Englisch sprechen und schreiben lernte, sondern auch seine bisherigen Lebensweisen aufgeben musste.

Francis La Flesche, 1857-1932. Dieses Foto ist mit freundlicher Genehmigung der National Anthropological Archives, Smithsonian Institution verfügbar.

Nachdem er in Washington D. C. sein Jurastudium erfolgreich abgeschlossen hatte, unterstützte er den Ponca Chief Standing Bear bei dessen Kampf zur Anerkennung von Bürgerrechten für alle Native Americans in den USA. Diese Erfahrung prägte seine spätere Arbeit als Wissenschaftler und politischer Aktivist. In den 1880er-Jahren lernte Francis La Flesche die Ethnologin und Musikwissenschaftlerin Alice Fletcher kennen, die ihn dazu ermutigte, Ethnologie zu studieren und zunächst als ihr Informant, später als ihr Forschungspartner zu arbeiten. Gemeinsam verfassten sie das Buch „The Omaha Tribe”, das heute noch als ethnologisches Standardwerk zu den Umóⁿhoⁿ gilt (Fletcher und La Flesche 1911). Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit veröffentlichte La Flesche aber auch literarische Kurzgeschichten (1912), ein Buch über seine Erfahrungen auf der Boarding School (1900), und er schrieb eine Oper, die allerdings bis dato nie aufgeführt wurde.

Aber auch andere Mitglieder der Familie La Flesche sind heute noch von herausragender Bedeutung für die Geschichte von Native Americans in den USA. Francis‘ Schwester Susan war die erste indigene weibliche Medizinerin und Gründerin des ersten Krankenhauses auf einer US-amerikanischen Reservation überhaupt. Seine zweite Schwester Susette machte sich als Aktivistin für Bürgerrechte der indigenen Bevölkerung einen Namen, und sein Vater Joseph führte die Verhandlungen mit der US-Regierung über die Umsiedlung der Umóⁿhoⁿ auf die Reservation.

Die Familie La Flesche, insbesondere die Rolle von Francis als Ethnologe und Insider in der Community, ist bis heute nicht unumstritten. Durch seine besondere Stellung hatte La Flesche Zugang zu vielen kulturell sensiblen Bereichen und Daten, die er seinerseits der Wissenschaft und den Museen zugänglich machte. Bis heute strittig ist die Rolle La Flesches besonders durch die Entfernung des Umon’hon’ti, des heiligen Pfahls, den er gemeinsam mit anderen Objekten von der Reservation an das Peabody Museum gab. Ob La Flesche dies damals im Einverständnis mit dem damaligen Keeper des Pfahls tat oder ob er ihn entgegen seinem Willen ins Museum brachte, ist bis heute umstritten (Ridington und Hastings 2000). Tat er das Richtige, indem er die Objekte für spätere Generationen in Sicherheit brachte oder verriet er seine Gemeinschaft, indem er die Objekte zu seinem eigenen Vorteil in ein Museum brachte? Umon’hon’ti wurde 1989 an die Umóⁿhoⁿ restituiert, befindet sich aber nach Informationen unserer Projektparter*innen bis heute nicht wieder auf der Reservation. Weitere kulturell bedeutende und sensible Objekte sind jedoch bis heute in amerikanischen Museumssammlungen.

Doch wie entstand die Beziehung von Francis La Flesche zum heutigen Ethnologischen Museum in Berlin? 1894 reiste Alice Fletcher, Francis La Flesches Förderin und spätere Adoptivmutter, nach Berlin, besuchte das Museum für Völkerkunde und berichtete dort von seiner Arbeit als Ethnologe und Sammler (Mark 1988). Daraufhin beauftragte Adolf Bastian, der Direktor des damaligen Königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin, La Flesche, „eine Sammlung seiner eigenen Kultur“, der Umóⁿhoⁿ, anzulegen. Insofern hat die Sammlung in Berlin in mancher Hinsicht einen anderen Hintergrund als diejenigen in amerikanischen Museumssammlungen: Nicht nur wurde La Flesche beauftragt, sie für das Museum anzulegen, er hatte auch einen Großteil der Objekte dafür neu herstellen lassen, da sie nicht mehr existierten oder in Benutzung waren. Zudem handelt es sich bei den Objekten in der Berliner Sammlung im Gegensatz zu den Objekten z.B. im Peabody Museum nicht um kulturell sensible Objekte. Vielmehr war es das selbsternannte Ziel von La Flesche, „ein möglichst umfangreiches Bild seiner Kultur zu zeigen“. Vor allem Objekte des täglichen Gebrauchs wurden ausgewählt. Neben den Objekten zählt auch ein umfangreicher Katalog zur Sammlung: Neben handkolorierten Fotos der Objekte und ihrer Kontexte enthält dieser umfangreiche Beschreibungen und bietet dadurch einen einmaligen Einblick in die spezifische Perspektive eines indigenen Ethnologen des 19. Jahrhunderts.

Die Sammlung von Francis La Flesche ist heute der Ausgangspunkt eines Forschungs- und Ausstellungsprojektes, das das Ethnologische Museum Berlin gemeinsam mit der Stiftung Humboldt Forum und dem Nebraska Indian Community College realisiert. Die Ausstellung „Gegen den Strom: Francis La Flesche und die Umóⁿhoⁿ“, wird die Biografie und die Sammlung von Francis La Flesche thematisieren und deutlich machen, wie Geschichte und Vergangenheit die Gegenwart und Zukunft der Umóⁿhoⁿ bis heute prägen.

Die Erfahrungen von Rassismus, Gewalt und Landverlust beeinflussen Lebensumstände der Umóⁿhoⁿ Community bis heute. In diesem Kontext ist die Berliner Sammlung von besonderer Bedeutung, denn sie zeugt vom Widerstand gegen Kolonisierung. Sie bietet den Menschen die Möglichkeit, sich mit ihren Vorfahren und Lebensweisen wieder zu verbinden und mit Stolz auf ihre eigene Geschichte zu blicken und diese zu präsentieren. Die gemeinsame Arbeit an der Sammlung zeigt, wie tiefgreifend koloniale Kontexte in die Sammlungen ethnologischer Museen eingeschrieben sind, auch bei vermeintlich „unproblematischen“ Sammlungen.

Um die Zusammenarbeit zwischen den Partnern in Deutschland und den USA, insbesondere den Interessenvertretungen der Umóⁿhoⁿ und den Nachfahren von Francis La Flesche, zu koordinieren, konnten wir Wynema Morris vom NICC gewinnen. Sie war es auch, die die Kommunikation in dem Projekt vorgab: „We talk, you listen!“. Grundbedingung für die Ausstellung war es, dass es den Vertreter*innen der Umóⁿhoⁿ ermöglicht wird, ihre eigene Geschichte zu Francis La Flesche und der Sammlung zu erzählen.

Das 1973 gegründete Nebraska Indian Community College (NICC) bietet postsekundäre Bildung an drei Standorten: auf dem Umóⁿhoⁿ-Reservat, auf dem Santee-Sioux-Reservat und in South Sioux City, Nebraska. Seit 46 Jahren setzt sich das NICC zum Ziel, eine weiterführende Ausbildung durch einzigartige und kulturell relevante Bildungserfahrungen zu ermöglichen. Die Angebote richten sich an alle Umóⁿhoⁿ (Omaha), Isanti (Santee Dakota) und alle Lernenden, die an einem der drei Standorte Kurse belegen.

Ziel der Zusammenarbeit mit den Vertreter*innen des NICC war es von Anfang an, sämtliche Entscheidungen der Ausstellungsplanung gleichberechtigt mit allen Partner*innen zu treffen. Bei mehreren Gastaufenthalten in Nebraska und Berlin wurden alle wichtigen Etappen der Ausstellungskonzeption gemeinsam besprochen, von der Konzeption bis hin zur Gestaltungsplanung. Außerhalb der Gastaufenthalte werden die Diskussionen über die Ausstellung per Videokonferenz geführt.

Die Kooperation mit den Vertreter*innen des NICC gestaltete sich intensiv und emotional. So machte uns Pierre Merrick, ein Nachfahre von Francis La Flesche, gleich auf der ersten Fahrt vom Berliner Flughafen zum Hotel deutlich, dass es bei der Ausstellung nicht nur um die historische Sammlung, sondern um aktuelle politische und soziale Fragen der Umóⁿhoⁿ gehen muss.

Die Sammlung wurde somit zum Bindeglied zwischen Vergangenheit und Gegenwart und ist Ausgangspunkt für ein neues Kapitel der Beziehungen zwischen den Mitarbeiter*innen des Ethnologischen Museum Berlin und Vertreter*innen der Umóⁿhoⁿ. Eine Beziehung, die Ende des 19. Jahrhunderts mit Francis La Flesche begann und aktuell mit dem NICC für eine Ausstellung im Humboldt Forum fortgeführt wird. So wurde es zum zentralen Anliegen der Ausstellung, diese verschiedenen Beziehungen darzustellen. Das Projekt zeigt exemplarisch, welche Bedeutung historische Sammlungen heute haben können und welches Potenzial in gemeinsam konzipierten Ausstellungen liegen kann.

Meine Rolle als Kurator ist dabei hauptsächlich die eines Übersetzers. Ich sehe es als meine Aufgabe, einerseits die Gespräche, Diskussionen und Informationen in das Format einer Ausstellung zu transferieren, und andererseits zwischen den verschiedenen Akteur*innen in allen beteiligten Institutionen zu übersetzen.

Wie man an diesem Beispiel sehen kann, befindet sich die Arbeit in ethnologischen Museen seit einiger Zeit im Wandel, und damit auch die Rolle von Kurator*innen im Prozess der Konzeption von Ausstellungen. Nicht zuletzt die Diskussionen um das Humboldt Forum haben dazu beigetragen. An Kurator*innen in ethnologischen Museen werden Erwartungen ganz unterschiedlicher Art von unterschiedlichen Akteuren gestellt. Doch wie geht man im kuratorischen Prozess mit verschiedenen Interessen zwischen, aber auch innerhalb der beteiligten Institutionen um? Welche Erwartungen werden geweckt und auch enttäuscht?

Ausgehend von den Erfahrungen des Prozesses der Konzeption für die Ausstellung über Francis La Flesche, sollen im Folgenden einige Fragen aufgeworfen werden, ohne den Anspruch zu haben, sie selbst vollumfänglich zu beantworten. Vielmehr sollen sie eine Diskussionsgrundlage bilden, um Kolleg*innen aus ethnologischen Museen ins Gespräch zu bringen, die bereits Erfahrungen in Kooperationsprojekten sammeln konnten.

    1. Die Zusammenarbeit mit sogenannten Herkunftsgesellschaften ist zu einem neuen Paradigma für ethnologische Museen geworden. Der Begriff der “Herkunftsgesellschaften” ist dabei keineswegs unproblematisch, vermittelt er doch den Eindruck einer homogenen Gruppe mit gleichen Zielen und Interessen. Obwohl dieses Problem hinlänglich bekannt ist und diskutiert wird, so wird er weiterhin unkritisch verwendet und kaum problematisiert. Wie vermittelt und kommuniziert man der Öffentlichkeit, dass es bei einem Kooperationspartner um die Perspektive eines bestimmten Akteurs geht und dass andere Akteure möglicherweise ganz andere Sichtweisen auf das Thema haben? Wie geht man mit unterschiedlichen Stimmen und Perspektiven bis hin zu Konflikten innerhalb der Gruppe um, die das Projekt umsetzt? Dürfen bzw. sollen diese Konflikte in der Öffentlichkeit kommuniziert werden?
    2. Wie werden Partnerorganisationen ausgewählt? Wir, größtenteils weiße Museumsmitarbeiter*innen, wählen aus, wer die geeigneten Beteiligten für das jeweilige Projekt sind. „The white walls signified the choices of white people, their agency, their museum collections, and the endeavours of colonialists” fasst Sumaya Kassim treffend zusammen (2017). Die räumlichen Entfernungen zwischen den beteiligten Personen und Institutionen sind oft groß, Entscheidungen sollen oft schnell gefällt werden, aber Abstimmungsprozesse bei den Mitwirkenden brauchen länger. Wie können dennoch die Partner*innen von Anfang an alle Entscheidungen gleichberechtigt treffen? Kann das im Alltag überhaupt praktisch funktionieren und wenn ja, wie?
    3. Ethnologische Museen als Institutionen profitieren von Projekten mit Partner*innen aus „Herkunftsgesellschaften“ auf vielfältige Weise: Kooperationen ermöglichen es, durch den Austausch von Informationen und Wissen, einstige Bedeutungen und Funktionen der Objekte zu rekonstruieren, aktuelle Deutungen und Perspektiven einzubeziehen und damit die Sammlungen neu zu kontextualisieren und zu ordnen. Wie aber profitieren die Projektpartner*innen von der Zusammenarbeit mit ethnologischen Museen? Wer bestimmt, an wen, in welchem Umfang und zu welchem Zweck finanzielle Mittel an Projektpartner*innen fließen können?
    4. Ein Thema, das im Laufe der Arbeit mit den Projektpartner*innen des NICC aufkam, betraf bestimmte Aspekte und Perspektiven auf die Lebensgeschichte von Francis La Flesche, die aus Sicht der Projektpartner*innen als unpassend wahrgenommen wurden und daher nicht in der Ausstellung thematisiert werden sollten. So bestand bei den Projektpartner*innen kein Interesse daran, La Flesche als ambivalente Persönlichkeit darzustellen – vielmehr sollte er als eine historische Figur gezeigt werden, die als Vorbild für heutige Umóⁿhoⁿ gelten könne. Wie geht man mit diesen Wünschen der Projektpartner*innen um? Müssen solche Wünsche akzeptiert werden, auch wenn dadurch bestimmte Perspektiven oder Aspekte der Geschichte nicht präsentiert werden? Oder ist es unter Umständen doch unerlässlich, auch unerwünschte Aspekte zu erzählen?
    5. Die Zusammenarbeit mit Vertreter*innen von Herkunftsgesellschaften basiert vielfach auf Sammlungen und Geschichten, die von Gewalt und Kolonialismus geprägt sind. Dementsprechend können hochemotionale Situationen auftreten, die auf der anderen Seite auf die nüchterne Bürokratie von Institutionen in öffentlicher Hand treffen, für die Emotionalität in der professionellen Arbeitswelt keinen Platz hat. Wie kann es Museen dennoch gelingen, mit den von Projektpartner*innen im Prozess artikulierten Gefühlen angemessen umzugehen?
    6. Die Erwartungen der Projektpartner*innen insbesondere an Ausstellungsprojekte in Museen sind oft enorm groß. Nicht zuletzt deshalb, weil sie ihnen die Möglichkeit bieten, ihre Geschichte(n) einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Wie kann mit diesen hohen Erwartungen umgegangen werden, wenn solche Projekte für Museen oft nur eines von vielen sind?
    7. „Although we were allowed creative freedom within the exhibition and were encouraged to be candid, it often felt like the price of our honesty was any future chance to work with the museum” beschreibt Sumaya Kassim ihre Erfahrungen mit der Birmingham Museum and Art Gallery. Aufgrund großer ökonomischer Ungleichheiten können Kooperationsprojekte dazu führen, dass ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Museum und den Partner*innen entsteht, das offene Kritik erschwert. Kann gegenüber dem Museum und seinen Mitarbeiter*innen überhaupt offen Kritik geäußert werden?
    8. Durch die vielfach in die Sammlungen eingeschriebenen Geschichten von Kolonisierung und Gewalt ist die Zusammenarbeit mit Vertreter*innen von „Herkunftsgesellschaften“ oftmals fragil. Im Laufe der Kooperation bauen die Mitglieder des kuratorischen Teams idealerweise ein Vertrauensverhältnis auf – oftmals basiert darauf der Erfolg eines Projekts. Diese Beziehungsarbeit braucht Respekt, Zeit und viel persönliches Engagement, das oftmals über den Arbeitsalltag hinausgeht. Wie aber gelingt die Zusammenarbeit mit Mitarbeiter*innen in den Institutionen, die nicht dasselbe Vertrauensverhältnis zu den Partner*innen aufbauen konnten oder wollten, aber letztendlich doch ein Teil des Ausstellungs- bzw. Forschungsprojektes sind? Hierzu zählen beispielsweise Kolleg*innen der Museumsverwaltung, der Vermittlung oder Museumspädagogik, aber auch der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Sammlungsverwalter*innen und Restaurator*innen.
    9. Aber nicht nur bei den Beteiligten aus den Herkunftsgesellschaften, auch bei den verschiedenen Akteuren innerhalb ethnologischer Museen gibt es unterschiedliche Interessen an solchen Projekten. Wie geht man mit diesen Konflikten innerhalb der eigenen Institution um und wie transparent macht man diese Konflikte den Projektpartner*innen gegenüber?
    10. Inwieweit verändern kollaborative Museumsprojekte die Museumsarbeit grundlegend und nachhaltig? Sind Kooperationen fester Bestandteil des Museumsalltags geworden? Oder wie Andrea Scholz fragt: vor allem ein Gegenstand des akademischen Diskurses bzw. der kulturpolitischen Öffentlichkeitsarbeit? (2019) Inwieweit besteht durch Projekte der Zusammenarbeit mit Partner*innen aus Herkunftsgesellschaften nicht auch die Gefahr, Institutionen wie ethnologische Museen, deren Geschichte auch durch Gewalt, Imperialismus und Kolonialismus geprägt ist, neu zu legitimieren, ohne dass sie sich durch die kritische Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte und Struktur wirklich verändern?
    11. Das Ziel dieses Beitrages ist es nicht, eine grundsätzliche Kritik an kollaborativen Projekten mit indigenen Stakeholdern in ethnologischen Museen zu üben oder diese generell in Frage zu stellen. Ganz im Gegenteil – ich halte die Einbeziehung und Beteiligung von unterschiedlichen Stakeholdern in Bezug auf die Objekte, insbesondere aus den Herkunftsregionen, in die Arbeit mit ethnologischen Sammlungen für absolut wünschenswert und notwendig. Eine Stärke der Ethnologie als Wissenschaft ist es, sich selbst zu hinterfragen und Machtverhältnisse offenzulegen. Dies darf nicht nur für die Ethnologie in der universitären Forschung, sondern muss auch für ethnologische Museen gelten. Seit der Writing-Culture-Debatte steht die ständige Reflexion der Ethnologen*innen und ihrer Position im Zentrum. Gleiches muss auch für die Position und Rolle von Kurator*innen in ethnologischen Ausstellungen gelten, gerade dann, wenn letztere mit Partner*innen aus Herkunftsländern konzipiert werden.

      Die Zusammenarbeit mit sogenannten Herkunftsgesellschaften darf dabei nicht zu einem leeren Schlagwort und zur Allheillösung der Museen werden. Einzelne Ausstellungsprojekte mit Vertreter*innen aus Herkunftsgesellschaften reichen nicht aus, denn sie können – gewollt oder ungewollt – zu einem Feigenblatt werden. Die Zusammenarbeit mit indigenen Stakeholdern wird sonst nur mit dem Effekt institutionalisiert, dass die Kritik an der Institution vereinnahmt wird und bestehende Machtverhältnisse unangetastet bleiben. Die Institution Ethnologisches Museum und ihre Praxis muss sich nachhaltig auf allen Ebenen verändern (Bose 2016; Sternfeld 2009).

      Ilja Labischinski arbeitet seit November 2019 als Provenienzforscher für die Sammlungen des Ethnologischen Museums am Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin. Zuvor war er als Koordinierender Kurator für das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst im Humboldt Forum bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz tätig. Ilja Labischinski studierte Altamerikanistik, Kulturanthropologie und Geschichte in Bonn, Berlin und Madrid und promoviert an der Universität Bonn zur Provenienzgeschichte der Sammlungen der Firma Umlauff.


      Literatur

      Bose, Friedrich von (2016): Das Humboldt-Fo­rum. Eine Ethnografie seiner Planung. Berlin: Kadmos.

      Kassim, Sumaya (2017): „The museum will not be decolonised”, unter: https://mediadiversified.org/2017/11/15/the-museum-will-not-be-decolonised/, (abgerufen am 26.01.2020).

      La Flesche, Francis (1900): The Middle Five. Indian Boys at School. Boston: Small, Maynard & Co.

      Ders. (1912): Da O Ma. Unveröffentlicht.

      Fletcher, Alice und Francis La Flesche (1911): „The Omaha Tribe.” In: Twenty-Seventh Annual Report of the Bureau of American Ethnology to the Secretary of the Smithsonian Institution, 1905–6, 15–654. Washington, DC: Government Printing Office.

      Mark, Joan (1988): A Stranger in her Native Land. Alice Fletcher and the American Indians, Lincoln: University of Nebraska Press.

      Ridington, Robin und Dennis Hastings (2000): Blessing for a Long Time. The Sacred Pole of the Omaha Tribe, Lincoln: University of Nebraska Press.

      Scholz, Andrea (2019): „Transkulturelle Zusammenarbeit in der Museumspraxis. Symbolpolitik oder epistemologische Pluralisierung?“, In: Förster, Larissa und Iris Edenheiser (Hg.): Museumsethnologie. Eine Einführung, S. 162-179, Berlin: Reimer.

      Sternfeld, Nora (2009): „Erinnerung als Entledigung. Transformismus im Musèe du quai Branly in Paris“, In: Kazeem, Belinda, Charlotte Martinez-Turek und Nora Sternfeld (Hg.):  Das Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien, Wien: Kant+Turek.