14/11/17

Fragen über das Humboldt-Forum hinaus

Wenn Kultursenator Lederer (Berlin) bemerkt, dass „die Ethnologie gerade anfängt, sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen“ (Viola König im Blogbeitrag vom 3.10.17), dann steht dies für uninformierte Meinungen auch anderer Politiker. Die Wissenschaft aber ist solchen Sprech auch in ihrer historischen Erfahrung gewohnt und nimmt falsche Darstellungen ihrer Geschichte mehr oder weniger gelassen hin, denn sie weiß, dass die Politik mit Abweichungen von der für koloniales Denken und Verhalten zugerüsteten „allgemeinen Meinung“ selten flexibel umgehen kann.

In dem oben geschilderten Fall behält sich die Politik die Deutungsmacht über Vielfältigkeit und unverstandene oder gar unheimliche Gegenentwürfe vor. Bashing von Wissenschaft und Museen ist nicht nur eine von den Medien häufig aufgegriffene Modeerscheinung, sondern ist klischeebehaftete Kompetenz und politischer Hebel. Hinzu kommt Desinteresse, die in der Entstehungsgeschichte des Humboldt-Forums aufgeworfenen Fragen als grundsätzliche gesellschaftliche Fragen zu begreifen, die aber ein größeres Umdenken erfordern, als dass es nur auf ein Forum oder Museum bezogen werden kann. Hierzu an dieser Stelle zunächst nur einige Fragen:

Wo wird, was von der Ethnologie bezüglich ihrer ethnographischen Sammlungen ständig eingefordert wird, in Sammlungen anderer Museumstypen im politischen Dialog dargestellt, oder gar ansatzweise zu lösen versucht? Wo erhalte ich in Berliner Museen (und natürlich nicht nur dort) Auskunft über ihre koloniale Herkunftsgeschichte? Sicherlich, es gab und gibt Ausstellungen über den Kolonialismus. Aber führten sie dazu, unsere Ikonen zu hinterfragen, die uns z. B. aus den Galerien Alter Meister und den Schätzesammlungen entgegenleuchten? Wo ist ein Narrativ zu finden, mit welchem Geld und auf Grundlage von welcher kolonialistischen Gier und Gewalt überhaupt Grundlagen geschaffen werden konnten, um großartige Kunst entstehen zu lassen und in die Museen zu bringen, die, überall sichtbar, historische Erscheinungen der Kolonialzeit sind? Wo wird die Geschichte des Aufstiegs großer europäischer Städte und nicht zuletzt Berlins aufgrund des atlantischen Dreieckshandels, also des Sklavenhandels in den Stadtgeschichten für ein größeres Publikum erzählt? Wo wird im Naturkundemuseum die Geschichte des Raubs von Naturalien und Tieren aus den Ländern des globalen Südens und anderen Regionen erzählt? Wo erfahre ich die Geschichte der Migration als Konsequenz der Kolonialpolitik und ihrer Fortschreibung bis heute? Wo wird außerhalb von Fachzeitschriften die Kolonialzeit reflektiert als Gewalt, die von überall her aus Europa kam? Natürlich ist die deutsche Kolonialzeit nicht unabhängig von Europa beschreibbar. Auch der in Europa sehr unterschiedliche und widersprüchliche „Nationalstolz“ über das koloniale Erbe und seine Steigerung, dem brutalen Nationalismus, wäre ein schwieriges Thema für das Humboldt-Forum. Aber es wäre notwendig. Ob Neil MacGregor das wohl anpackt?

Dass keine Ethnologinnen und Ethnologen an maßgeblicher Stelle sitzen (Viola König im Blogbeitrag vom 3.10.17) und in die zweite oder dritte Reihe gedrängt wurden, hatte auch mit dem selbst verursachten politischen Auftritt dieser Wissenschaft und ihrer Museen zu tun. Inzwischen hat deren Positionierung begonnen und produziert weit mehr Ideologie als gute Ausstellungen. Zudem besagen nicht nur Interna, dass bei der Auswahl der Beratungsgremien kritische Ethnologen nicht erwünscht waren. Dies trug mit dazu bei, die Propaganda gegen ethnologisches Arbeiten zu bestärken und „Künstler und Satiriker“ sprechen zu lassen (vgl. Schüttpelz im Blogbeitrag vom 24.10.17), die, um es auf den emotionalen Punkt zu bringen, bis auf einige Ausnahmen nur peinlichen Murks vorlegen konnten.

Die Entmachtung der Ethnologie und die Missachtung ihres Erfahrungsschatzes geht einher mit der Zunahme der Menge an Positionierungen im Diskurs, der zum ideologischen Organismus schlechthin geworden zu sein scheint. Positionierung gegen die Kritik wird darin als das eigentlich Wichtige präsentiert. Ein gutes Theater, ein guter Song, ein guter Text, eine gute Ausstellung liegen kaum vor! Wir haben aus meiner Sicht eine Situation, die dem entspricht, was Frank Zappa einmal spöttisch vom Quasseln über Musik (resp. Kunst) sagte: „Über Musik zu reden, ist wie über Architektur zu tanzen!“

Die Objekte sprechen lassen, darum soll es gehen (Bernhard Streck 3.10.17). Aber von einer neuen Konzeption des Zeigens konnte bisher nichts Genaues vernommen werden. Gleichzeitig wird der Diskurs die Ansprüche an das Zeigen von ethnographischen Objekten und mit ihm auch das klassische Zeigen von Alten Meistern, Schätzesammlungen usw. verändern. Insofern wird die Debatte über das Humboldt-Forum theoretische und praktische Folgen auch für alle anderen Museumstypen haben.

Im Diskurs und seiner Redundanz scheint aber das Sujet selbst, das Objekt und seine Geschichte, geringer bewertet zu werden als der Diskurs der o.g. „Quassler“ über Musik bzw. Kunst. Mir erscheint das vorliegende Diskursnarrativ subjektiv streckenweise ausgesprochen langweilig und wieder einmal im Bürokratendeutsch zu veröden. Es fehlt an Ideen und an Poesie für die Sache (… das ist natürlich meine subjektive Meinung)!

Aber:  „Sing in me, oh Muse, and through me tell the story!“, möchte ich mit Bob Dylan nach Homer rufen! Fang an zu singen! (Dylan hat dies in seiner Nobelpreisrede am Beispiel der Musikgeschichte ausgeführt). Gesang ist, was Erhard Schüttpelz in seinem Text vom 24.10. zeigen will und wozu er aufruft: In einer Kaskade von Ausstellungsmöglichkeiten mit politisch-ethnologisch aktueller Relevanz skizziert er auf nur einer Textseite, was alles möglich wäre, wenn … ja, wenn alle „Trennungen fallen würden, die deutsche Erinnerungspolitik ausmachen“ (E. Schüttpelz im Blogbeitrag vom 24.10.17).

Dass solche Trennungen, Fach- und Denkgrenzen, jetzt noch fallen könnten, ist schwer vorstellbar, aber vielleicht gelingt es ja doch noch! Seine Chance muss das HUF haben! (Und „irgendwie“ wird es auch entstehen, und was vorher war, ist dann wahrscheinlich Schall und Rauch.)

Doch mit der Kritik schien bis vor Kurzem alles mehr oder weniger abgearbeitet zu sein. Hermann Parzingers Rundfunkgespräch mit Hanno Rauterberg von der ZEIT im SWF 2 am 2.7. 2015 („Schloss für die Welt oder Palast der Verlogenheit?“) zeigt anschaulich (wortwörtlich transkribiert [1]) die übliche Sprechweise in der Intendanz und über sie hinaus. Eine Platte, die immer wieder aufgelegt wurde; es blieb hängen das böse Wort „Verlogenheit“. Bis nun auch das Kreuz noch hinzukam, das die vorläufig letzte Phase vor der Eröffnung des Humboldt-Forums einläuten soll, um die Ausrichtung des Ganzen festzuschreiben. Das Kreuz steht nicht nur für Religion, christliche und nichtchristliche Glaubensauffassungen, preußische Geschichte im Besonderen, es steht auch für christliche Wissenschaft generell [2].  Es könnte als Stempel der Bewahrung des spätkolonialen Kanons missverstanden werden.

Claus Deimel war bis 2013 Direktor der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen und Stellvertreter des Generaldirektors der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Er kuratierte zahlreiche Ausstellungen, arbeitet über die Geschichte des Museums und die Aktualität sog. indigener Gruppen und ist Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften und Beiräte.

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[1] Deimel 2017: 132-150.

[2] Nicht im Sinne von „Christian Science“, einer im 19. Jahrhundert in den USA entwickelten Sektenlehrmeinung, sondern generell „der“ im Schoße der Kirche entstanden Wissenschaft, die auf indigenes Wissen mit seinen sozialen Strukturen traf und zu deren Verdrängung und Zerstörung beitrug (… zeigt die Forschung in großer Mehrheit. – Das muss Thema sein!).

Literatur:

Claus Deimel 2017, „Des Museums neue Kleider. Die Riten im Museum der Menschen“. VWB Verlag Berlin

Claus Deimel 2016, „Wer Wind sät. Rufe aus der ‚letzten bildungsbürgerlichen Bastion rassistischen Denkens’“. In: Paideuma 62: S. 261-274