20/11/18

“Ein menschlicher Schädel als Ware: Geht das noch?”

Unter dem Titel „Wer so was kauft, muss einen kleinen Knall haben“ veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung am 18.10.2018 ein Interview mit dem Geschäftsführer des Auktionshauses Lempertz, Prof. Henrik Hanstein. In dem Gespräch (Autor: Jörg Häntzschel) ging es um eine Auktion am 24.10. in der Brüsseler Filiale des Hauses, bei der auch menschliche Überreste (ein Schrumpfkopf der im Amazonasbecken an der Grenze zwischen Ecuador und Peru lebenden Jívaro und mehrere Ahnenschädel aus Ozeanien) sowie Objekte mit eindeutig kolonialer Provenienz versteigert wurden. Auf der Homepage vom Lempertz konnte man den Katalog und entsprechend Abbilder aller Auktionsartikel einsehen. Nicht nur die Pläne des Auktionshauses, sondern auch viele der im Interview gemachten Äußerungen sorgen angesichts der insbesondere in den letzten Jahren auf nahezu allen Ebenen geführten Diskussion um das koloniale Erbe in ethnologischen Sammlungen für Irritation in Fachkreisen, aber auch einer breiteren Öffentlichkeit.

Hanstein spricht mit scheinbarem Unverständnis über das Interesse möglicher Käufer an menschlichen Überresten und bekräftigt in diesem Zusammenhang, er selbst hätte diese so nicht angeboten, habe aber vorher nichts davon gewusst. Zugleich betont er, man könne gerade Schrumpfköpfe und Ahnenschädel auch als Kunstwerke verstehen und aus diesem Grund, so wird insinuiert, tauchten sie bei Auktionen immer wieder auf. Allerdings sei die Stimmungslage in Belgien und Frankreich eine andere: es handele sich bei Vorbehalten gegenüber dem Handel mit menschlichen Schädeln oder generell sensiblen Objekten eher um deutsche Befindlichkeiten (Belgien und Frankreich gingen offener mit ihrer kolonialen Vergangenheit um; Deutschland sei demgegenüber ja auch nur sehr kurze Zeit überhaupt Kolonialmacht gewesen).

Zumindest letztere Aussage ist so nicht korrekt: Die Ankündigung von Frankreichs Präsident Macron, Objekte kolonialer Provenienz nach Afrika zurückgeben zu wollen und die Gründung eines entsprechenden Expertenrats führte jüngst auch zu einer entsprechenden Debatte im französischsprachigen Parlament (COCOF) in Brüssel. Ob Belgien und Frankreich tatsächlich offener mit ihrer kolonialen Vergangenheit umgehen ist schwer zu bewerten, in jedem Fall spricht beides nicht gerade für eine größere ‚Entspanntheit‘ mit umstrittenen Objekten. Außerdem ist es weder in Deutschland, noch in Frankreich oder Belgien möglich, diese Fragen lediglich auf Grundlage eigener nationaler Befindlichkeiten zu behandeln: Es handelt sich um dabei immer auch um Reaktionen auf Anfragen und Initiativen aus Ländern außerhalb des europäischen Kontinents. Ein Beispiel dafür ist die große Kontroverse, die sich angesichts der geplanten Versteigerung von Kachina Masken der nordamerikanischen Hopi in den Jahren 2013 und 2015 entwickelte. Beide Male ging es übrigens um ein Auktionshaus in Paris, das Hôtel Drouot. Trotz öffentlicher Proteste der Hopi, die, unterstützt durch die US Regierung und Prominente wie den Schauspieler Robert Redford, letztlich sogar zu einer Gerichtsverhandlung in Frankreich führten, wurden die Objekte 2013 versteigert (AP 2013, Ciric 2014). Auch 2015 konnten die Proteste nichts ausrichten (Adamson 2015).

Nach der eindeutig kolonialen Provenienz einer Maske befragt (sie stammte von einem Offizier in Deutsch-Kamerun, der dort 1908 getötet wurde), verwickelt sich Hanstein erneut in Unstimmigkeiten, die eine häufig anzutreffende Doppelbödigkeit im Umgang mit der deutschen Kolonialvergangenheit freilegen: Einerseits betont er die Rolle, die der Kolonialismus beim Anlegen entsprechender Sammlungen spielte („Die Forscher sind ja erst durch Kolonisation dort hingekommen”) und erwähnt deutsche Kolonialverbrechen im heutigen Namibia und Kamerun, andererseits stellt er gleichzeitig die positive Bedeutung einer kolonialen Provenienz als Zeichen von Authentizität heraus – während er behauptet: „Die Dinge in den Museen haben eine andere Herkunft als das, was wir im Handel haben […] Es waren ja auch nicht die Sammler, die in Afrika irgendwelche Leute umgebracht haben, sondern die Regierung.“

Als der gesprächsführende Häntzschel einwirft, der erwähnte Hans Glauning wäre hoher Offizier gewesen, der die Unterwerfung afrikanischer Stämme leitete, so dass sehr wohl davon ausgegangen werden kann, dass er Leute umgebracht habe, äußert sich der Geschäftsführer von Lempertz folgender maßen: „Mmh. Also in der Südsee haben wir eine Superfigur gemacht.” Auch diese Äußerung bezeugt nicht nur ein gehöriges Maß an Unwissenheit über die deutschen Kolonien und kolonialen Unterwerfungsstrategien in Ozeanien, sondern sie steht letztlich stellvertretend für ein verzerrtes Bild der deutschen Kolonialvergangenheit, das sich ungeachtet der aufgeregten Diskussionen in Expertenkreisen hartnäckig in der deutschen Öffentlichkeit hält

Das Interview wird zu einer Zeit geführt und veröffentlicht, in der nicht nur in den meisten ethnologischen Museen keine menschliche Überreste mehr ausgestellt werden, sondern viele Häuser sich auch gezielt mit der Erforschung der Herkunft und den Umständen der Musealisierung entsprechender Sammlungsteile beschäftigen und an eine Rückführung in die jeweiligen Herkunftsregionen denken. Seit etwa zehn Jahren werden diese Fragen auch zunehmend in der Öffentlichkeit diskutiert; in den letzten zwei Jahren interessierte sich auch die Politik stärker für die kolonialen Hintergründe vieler Museumssammlungen im Allgemeinen, und die Sammlung von menschlichen Überresten im Besonderen. Dies belegt unter anderem eine kursorische Durchsicht der medialen Debatte des letzten Jahres.

Im folgenden Gespräch werden wir versuchen, einige der im Interview angesprochenen Themen zu diskutieren und mit Inhalten aus der musealen Praxis zu füllen. Denn obwohl einige Abschnitte des Interviews schon fast grotesk erscheinen, findet sich dort auch eine Reihe von Themen, die häufiger in der Debatte auftauchen. Letztlich geht es sowohl um die Frage des angemessenen Umgangs mit menschlichen Überresten als auch um die Frage, welche Möglichkeiten der Aufarbeitung der (kolonialen) Vergangenheit es eigentlich gibt. Auf beide Fragen gibt es viele Antworten – Verallgemeinerungen oder zu starke Schwarz-Weiß-Malerei hilft dabei kaum weiter. Insofern plädieren wir für mehr Pragmatismus – und dafür, ‚auf dem Boden der Tatsachen‘ zu bleiben.

Sarah Fründt: In dem Interview vertritt Hanstein ja unter anderem die Ansicht, man könne präparierte Köpfe auch als Kunstwerke sehen. Siehst Du das ähnlich?

Oliver Lueb: Nein, ich persönlich nicht, für mich sind es Schädel von Toten, die ich als menschliche Wesen eindeutig erkennen kann, Teile menschlicher Körper. Aber so einfach ist das nicht zu beantworten. Wenn man ‚Kunstwerk‘ im Sinne eines Werkes für den Kunstmarkt versteht, stellt sich die Frage, ob es dann nicht auch ein präparierter menschlicher Schädel sein könnte. Es sind Fälle bekannt, in denen Köpfe für eben diesen Markt ‚hergestellt‘ wurden. Spätestens seit Kopytoffs und Appadurais ‚Biographie der Dinge‘ wissen wir auch, dass sich der Status von Dingen (wozu man dann einen Schädel auch zählen könnte) ändern kann. Zu diesen Kategorisierungen haben viele kluge Menschen veröffentlicht. Ich versuche als Ethnologe die indigenen Sichtweisen zu Dingen zu erfahren und orientiere mich daran. Allein für die Großregion Ozeanien, mit der ich mich beschäftige, sind die Perspektiven, gerade zu menschlichen Überesten, sehr unterschiedlich. Während es etwa für Gesprächspartner aus Papua-Neuguinea oder den Salomonen nicht selten unerheblich ist, ob sich ein Schädel, der einer ihrer Gesellschaften zugeschrieben wird, in einer Sammlung außerhalb ihres Zugriffs befindet oder gar ausgestellt wird, ist der Umgang der Māori in Aotearoa Neuseeland mit menschlichen Überresten ein völlig anderer.

SF: Das könnte dann vielleicht auch für die Ahnenschädel in der Auktion gelten (laut Katalog von den Asmat, Dayak, und generell aus Papua Neu-Guinea). Zumindest im Falle der Jívaro habe ich bisher tatsächlich auch wenig von indigenen Protesten gegen eine prinzipielle Ausstellung gehört. Neuseeland ist ein sehr interessantes Beispiel für diese Komplexitäten. Amber Aranui, die für das Repatriierungsteam des Te Papa in Wellington arbeitet, hat jüngst einen sehr interessanten Artikel dazu veröffentlicht. Sie reflektiert darin über eine Ausstellung in Neuseeland, die zwar keine Toi Moko (mumifzierte, tätowierte Köpfe) zeigt, wohl aber Abbilder davon. Das ist eigentlich in den letzten Jahren in Neuseeland immer ein Tabu gewesen. Im Artikel spricht sie sowohl über unterschiedliche Ansichten innerhalb des Landes, aber auch über ihr eigenes Unbehagen und ihre eigene Einstellung. Und überlegt abschließend, dass diese Abbilder eben auch als „a tohu, a harbinger, for myself and others to talk about them, their history, their trade, and their more recent travels home” gesehen werden könnten. Wie geht denn das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln mit menschlichen Überresten um?

OL: Gerade hier folgen wir indigenen Perspektiven, sofern wir dazu Informationen gewinnen können. Neben wenigen Schädeln bewahren wir in unserer historischen Sammlung wenige südamerikanische Mumien, Schädelschalen, -trommeln und Knochentrompeten, Dolche, Pfeil- oder Speerspitzen und Schmuck aus Fragmenten menschlicher Knochen, Zähne oder Haare. Zu letzteren menschlichen Überresten sind uns bisher meist keine indigenen Forderungen bekannt, diese nicht zu zeigen oder sie nur bestimmten Personenkreisen zugänglich machen zu dürfen. Da wir viel zu wenig wissen, verzichten wir aber in der Regel darauf, derartige Ahnengedenken, Kriegstrophäen oder Artefakte auszustellen. Im Falle menschlicher Überreste aus Ozeanien, etwa Hawai’i oder Aotearoa Neuseeland, zeigt sich eindrücklich, wie sich unser Wissen im zeitlichen Verlauf wandelt. Auch wir hatten bis vor kurzem einen solchen Toi Moko in unserer Sammlung. Er war zu Beginn des 20. Jh. vom damaligen Museumsdirektor Willy Foy von William Oldman, einem britischen Ethnographica-Sammler und -Händler, gekauft und spätestens in den 1970er-Jahren als Teil der ständigen Sammlung ausgestellt worden. 1969 wurde der Toi Moko sogar als Leihgabe nach Nagoya in Japan verschickt. Nach dem Umbau der Ausstellung wurde er aber nicht mehr gezeigt, weil ausgehend von der Ausstellung „Te Māori. Te Hokinga mai. The return home“, die von 1984 – 1986 in verschiedenen Museen in den USA gezeigt wurde, indigene Stimmen laut wurden und einen anderen Umgang mit bestimmten Artefakten und menschlichen Überresten forderten. Genau diese Debatten thematisierte mein Vorgänger Burkhard Fenner schon 1988/89 in der Ausstellung „Der Flug des Bumerang – 40.000 Jahre Australier“ in unserem Haus, in dem er eine leere Wand zeigte und darauf hinwies, dass sogenannte secret-sacred-Artefakte aus der indigenen Perspektive nicht-eingeweihten Personen nicht gezeigt werden dürfen. In den vergangenen 30 Jahren konnte der Wissensaustausch mit vielen Gesellschaften auf Augenhöhe intensiviert werden, so dass wir heute in manchen Fällen indigene Vorstellungen kennen und sie mehr als in der Vergangenheit berücksichtigen können bzw. müssen.

SF: Du sagtest ein Toi Moko sei bis vor kurzem in eurer Sammlung gewesen. Was ist passiert?

OL: Seit der Leihgabe, der Ausstellung bei uns und den damit verbundenen Publikationen war Mitarbeitern des Te Papa dessen Existenz bekannt. Mein Vorgänger stand seit langer Zeit in sporadischem Kontakt zu dem Museum, vor allem um mehr über die mögliche Provenienz des Toi Moko zu erfahren, die über die Erwerbsunterlagen, die uns vorliegen, hinausgingen. Mit Beginn des staatlich geförderten Rückgabeprogramms „Karanga Aotearoa Repatriation Programme“ im Jahre 2003 war uns bewusst, dass wir irgendwann handeln müssten. Nach dem Abschluss unseres Depotumzugs in Köln im Frühjahr dieses Jahres wollte ich mich aktiv des Themas annehmen und hatte schon bei einer Rückgabe des Bremer Überseemuseums im Juni 2017 Kontakt zu der neuseeländischen Māori-Delegation aufgenommen und signalisiert, dass wir soweit seien, den Prozess anzuschieben. In unserem Haus herrschte die einheitliche Absicht, den Toi Moko zurückzugeben. Nach Gesprächen mit dem Kulturdezernat, der Provenienzforschungsstelle und dem Rechtsamt der Stadt Köln wurde klar, dass es dafür zwar keine Gesetzesgrundlage gab, wir aber aus ethischen Überlegungen eine Rückgabeempfehlung an den Kunst- und Kulturausschuss und nachfolgend an den Rat der Stadt Köln richten konnten. In keiner einzigen Sitzung waren Gegenstimmen zu hören, so dass der Empfehlung auf allen Stufen gefolgt wurde und ich sehr schnell die Repatriierungsbeauftragten in Wellington informieren konnte. Das Prozedere und die Übergabezeremonie habe ich dann mit dem durch Māori-Vertreter und das Museum Te Papa beauftragten Koordinatoren Te Herekiekie Herewini abgestimmt. Am 26. Juni, also vor vier Monaten, fand dann die Übergabe in kleinem Kreis, aber offiziell durch die Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, Frau Henriette Reker, statt. Ich glaube alle Anwesenden waren zu tiefst davon berührt, wie die Delegation durch Ansprachen und Gesänge den Toi Moko als ihren Verstorbenen wieder in ihren Kreis aufnahm und auf die lange Reise und die Rückkehr vorbereitete.

SF: Ich fand es in jedem Fall eine sehr gelungene Zeremonie. Gut gefallen hat mir auch, dass es am Nachmittag noch einen zusätzlichen, weniger emotional aufgeladenen Vortrag der Delegation gab, bei dem es für eine breite Öffentlichkeit möglich war, Fragen zum Verfahren, aber beispielsweise auch zu dem weiteren Vorgehen nach der Rückgabe zu stellen. Ich könnte mir vorstellen, dass dadurch auch die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöht wird. Schließlich ist ein Museum ja auch eine öffentliche Einrichtung – von daher finde ich es gut, wenn solche Prozesse nicht hinter verschlossener Tür stattfinden. Außerdem halte ich es in der momentanen Debatte für gut und wichtig zu zeigen, dass deutsche Museen nicht nur mauern. Gab es später irgendwelche Reaktionen auf die Rückgabe, irgendwelche Gegenstimmen von Besuchern?

OL: Nein, Gegenstimmen gab es keine, ganz im Gegenteil. Aufgrund der positiven Pressestimmen zu der Rückgabe und der für unser Museum enorm weiten Berichterstattung sprachen mich einige Mitglieder unseres Fördervereins persönlich an und befürworteten unsere Rückgabe. Es haben sich auch Künstler gemeldet, die anboten, zukünftige Rückgaben künstlerisch zu begleiten. Ich traf die Oberbürgermeisterin am nächsten Tag, die sehr dankbar für die Zeremonie und glücklich über die Rückgabe war.

SF: Nun ist bei einem Toi Moko ja klar, dass er aus Neuseeland kommt, von daher ist zumindest der generelle Empfänger für die Rückgabe unstrittig. Hattet ihr vorher noch zusätzlich die genauere Provenienz erforscht? Hältst Du es für richtig, wie Hanstein sagt, dass 99% der Bestände in den Museen keinen Herkunftsnachweis haben? Oder, dass der Handel seine Objekte aus anderen Quellen bezogen hat als die Museen?

OL: Meines Wissens hatte Burkhard Fenner in den 1990er-Jahren ein oder zwei Besuche von Māori-Vertretern, die den Toi Moko untersucht haben. Neben den Kaufunterlagen gab es nur ihre persönlichen Einschätzungen zu den Tätowierungen. Man hatte erhofft, ihn dadurch einer bestimmten Iwi, oder Region, zuordnen zu können. Heute weiß man, dass es auch Tätowiermeister gab, die durch das Land reisten, aufgrund ihrer Bekanntheit beauftragt wurden und möglicherweise eigene Stilelemente einfließen ließen, so dass eine eindeutige Zuordnung noch schwieriger wird. Ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen im Te Papa mehr herausfinden können. Sie beschäftigen sich schließlich seit Jahren hauptberuflich damit. Für unsere Sammlung würde ich behaupten, wir haben zu weit mehr als 1% des Sammlungsbestands Herkunftsnachweise. Teilweise liegen uns aus der Kolonialzeit Primärquellen wie Tagebücher oder Briefwechsel vor, bei jüngeren Sammlungszugängen der letzten 50 Jahre gibt es auch vollständigere Unterlagen, in Papua-Neuguinea etwa sammelten Ethnologen im Rahmen ihrer Feldforschungen und dokumentierten sorgfältig. Bei der Konzeption und Gestaltung unserer Dauerausstellung haben wir schon vor mehr als zehn Jahren in manchen Bereichen mit Vertreterinnen und Vertretern der Ursprungsgesellschaften zusammengearbeitet. Aber sicherlich ist es richtig, dass noch immer viel zu wenig Informationen vorliegen. Nach meinem Dafürhalten hatten Handel und Museen oft dieselben Quellen beim Erwerb der Artefakte: im Wesentlichen Seefahrts- und Handelsunternehmen, Militärangehörige, den ganzen Kolonialapparat mit den stationären Arbeitern, Missionen, Forschungsreisen und Abenteurer oder Künstler. ‚Unser‘ Toi Moko ist ja auch über den Handel ins Museum gelangt.

SF: Im Interview kommt ja auch die Vorstellung zum Tragen, eine koloniale Provenienz sei gewissermaßen auch eine Form des Authentizitätsnachweises. Später gesammelte Objekte seien in der Regel „Airport-Kunst”. Findest Du das nachvollziehbar?

OL: Aus der Perspektive eines Auktionators? Ja. Der Kunstmarkt schreibt Ethnographica aber auch eine ‚Authentizität‘ zu, wenn sie zum Beispiel im Besitz eines bekannten Künstlers oder Sammlers oder auch eines Museums waren. Als Ethnologe kann ich das nicht nachvollziehen. Was bedeutet denn schon ‚authentisch’, wann und für wen? Handel, Kriegsführung und Migration gab es schon immer, und damit sind Authentizität bzw. Wandel nur eine Frage der Zeitspanne der jeweiligen Betrachtung. In meinen Augen sind gerade die Artefakte besonders spannend, die eben diese Prozesse vermitteln. Unter ‚Airport-Kunst‘ verstehe ich eher (semi-)automatisiert, ausschließlich für den Verkauf hergestellte Massenprodukte jüngeren Datums.

SF: Wenn es um die Rückgabe von Objekten geht, insbesondere auf den afrikanischen Kontinent, trifft man häufig auf die gleichen Argumente, die auch Hanstein erwähnt: Die Korruption sei dort zu groß und die Objekte nicht sicher, zudem gäbe es keine Museen und/oder keine echte Wertschätzung für die Kunstwerke, und früher oder später endeten sie dann erneut auf dem Kunstmarkt oder in den Händen privater Sammler. Wie siehst Du das?

OL: Oh je, in meinen Augen sind das die Ausreden, die als erste ins Feld geführt werden, wenn es darum geht, traditionelle Besitzansprüche zu untermauern und jegliche Verantwortung für die Geschichte auszublenden. Sicherlich kann und wird so etwas vorkommen. Dies aber als Gründe dafür aufzuführen, sich nicht zusammenzusetzen und gemeinsam zu überlegen, wie man es schaffen kann, besonders relevante Artefakte der breiten Öffentlichkeit der Urhebergesellschaften zugänglich zu machen, halte ich für zu kurz gegriffen, pauschalisiert und dem Sachverhalt nicht gerecht werdend.

SF: Was sagst Du zu Hansteins letzten Vorschlag, die EU solle in Afrika (wo auch immer genau) ein Museum bauen, das dann Europa und Afrika gemeinsam gehöre?

OL: Die grundsätzliche Idee der Zusammenarbeit, des Teilens und des Austauschs ist auch in meinen Augen der einzig gangbare Weg. Er gibt bereits erste international zusammengesetzte Gruppen, etwa die Benin-Dialogue-Group, die an diversen Konzepten arbeiten. Es ist gut, dass die Diskussionen endlich beginnen und auch von der Politik zunehmend Verantwortung übernommen wird. Abgesehen von den Sammlungsbeständen an menschlichen Überresten und sensiblen ‚Objekten’ (siehe Australien) geht es meines Erachtens jedoch meist weniger um den bloßen Umgang mit Artefakten – das sind Stellvertreterdebatten. Vielmehr geht es um wirtschaftliche Ermächtigung der Länder des Gobalen Südens, um wirkliche Partizipation auf Augenhöhe, um die Abgabe hegemonialer Deutungshoheiten.

Epilog

Die Ergebnisse der Auktion sind mittlerweile einsehbar. Tatsächlich wurden alle angesprochenen Gegenstände versteigert, fast alle für deutlich höhere Gebote als angesetzt. Gleichzeitig erzielten die menschlichen Überreste zwar hohe Preise, aber nicht die höchsten innerhalb der Gesamtauktion. Natürlich lässt sich über die Motivation der Käufer nur spekulieren. Sahen sie die Köpfe tatsächlich eher als Kunstwerke? Oder spielte doch eine gewisse Faszination für die Tatsache hinein, dass es sich um menschliche Überreste und scheinbar ‚exotische Praktiken‘ handelt? Interessant ist auch, dass sich die koloniale Provenienz der Ekoi-Maske – wie von Hanstein angekündigt – ganz offensichtlich positiv auswirkte: angesetzt auf 4.000–6.000€ im Katalog ging sie letztendlich für etwas über 10.000€ an einen neuen Besitzer über… Ein wichtiges Indiz dafür, dass in der derzeitigen Debatte der Handel mit Ethnographica und der Kunstmarkt nicht vergessen werden dürfen.

Zu den Personen

Sarah Fründt, M.A. ist Ethnologin und Anthropologin und beschäftigt sich seit 2010 mit ‚sensiblen Objekten’ im Museum und nationalen und internationalen Repatriierungsdebatten. 2011 veröffentlichte sie eine Studie („Die Menschen-Sammler”) zur Frage, wie Museen mit menschlichen Überresten umgehen. Seitdem folgten mehrere Publikationen zu verschiedenen Aspekten des Themas.

Dr. Oliver Lueb ist Ozeanienreferent und stellvertretender Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt (RJM) in Köln. Er initiierte die Rückgabe des Toi Moko aus der Kölner Sammlung. 2013 veröffentlichte er zusammen mit Peter Mesenhöller „Made in Oceania: Tapa – Kunst und Lebenswelten“, 2018 „Die Macht der Artefakte“. Ein Aufsatz u.a. zum Umgang mit menschlichen Überresten im Depot des RJM erscheint im kommenden Jahr.

 

Quellen

AP (Associated Press)
2013 Paris Auction House Sells Hopi Masks Despite Tribe’s Objection. In: The Guardian, 12. April, online unter: https://www.theguardian.com/world/2013/apr/12/paris-auction-sells-hopi-masks [02.11.2018].

Anderson, Thomas / AP (Associated Press)
2015 Paris auction house refuses to halt Hopi katsina sales. In: azcentral, 10. Juni, online unter: https://eu.azcentral.com/story/news/local/arizona/2015/06/10/france-hopi-masks-auction/71007636/ [02.11.2018].

Ciric, Pierre
2014 Opinion: Hopi and Navajo Masks Auction Precedent in France Is Dangerous. In: Artnet, 25. Juli, online unter: https://news.artnet.com/market/opinion-hopi-and-navajo-masks-auction-precedent-in-france-is-dangerous-66975 [02.11.2018].