ANTWORT AUF DEN OFFENEN BRIEF DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR VÖLKERKUNDE AN DIE SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
Anmerkung der Redaktion: Die Stellungnahme von Christian Weber findet sich auf der Homepage der DGSKA (ehem. DGV)
DGV: https://www.dgska.de/offener-brief-an-die-sueddeutsche-zeitung/
Erstaunt habe ich die Stellungnahme zu meinem Artikel ‘Dschungelmärchen’ in der Süddeutschen Zeitung vom 15. Oktober 2016 gelesen. Ihr zugrunde liegt ein Missverständnis. In dem kritisierten Beitrag geht es gar nicht um die Ethnologie als Wissenschaft, deren Theoriegeschichte oder den derzeitigen Stand Ihrer Disziplin. Sondern ich kritisiere anlässlich einer Fotoausstellung in Berlin eine in der Öffentlichkeit – nicht in der Ethnologie – verbreitete Idealisierung indigener Völker. Ich verweise vor allem auf einige dunkle Seiten, insbesondere eine – im Durchschnitt! – höhere Gewalttätigkeit, die mich zweifeln lässt, dass wir uns diese Gesellschaften als Vorbild nehmen sollten. Wie in journalistischen Texten üblich, nenne ich einige typische Beispiele, die ich aus eigenem Erleben kenne. Ich war selbst vor einigen Jahren in Begleitung deutscher Ethnologen im Omo-Tal bei den erwähnten Völkern. Aber natürlich hätte ich auch noch die Literatur zum Thema tribaler Gewalt zitieren können, etwa die Studien von Jared Diamond, Steven Pinker oder Ihres Fachkollegen Jürg Helbling von der Universität Luzern. Allerdings ist der Platz auf einer Zeitungsseite begrenzt.
Schwer erträglich ist, wie ich in der Stellungnahme schlichtweg falsch zitiert wird. Mit keinem Wort steht in meinem Zeitungsbeitrag, was Sie im dritten Absatz behaupten: Ethnologen würden indigene Völker als starke und harmonische Gemeinschaft stolzer Menschen darstellen. Ich schreibe vielmehr, dass die Bilder Jimmy Nelsons diesen Eindruck erwecken – was schwer zu bestreiten ist, wenn man sich diese ansieht.
Wie die Verfasser auf die Idee kommen, ich würde zu einer ‘umfassenden Negativkritik der Disziplin’ ansetzen ist mir völlig unerklärlich. Ich kritisiere lediglich eine kulturrelativistische Haltung, die gar nicht so selten sei in der Öffentlichkeit und nenne in dem Zusammenhang auch die Publikation einer Ethnologin. Der einzige Satz in meinem Text, wo Ihre Kritik vielleicht trifft, findet sich im drittletzten Absatz, in dem ich schreibe, dass es unter Ethnologen immer noch eine ‘verbreitete Haltung’ sei, jede menschliche Gesellschaftsform für bewahrenswert zu halten. Aber ist dieser Satz wirklich falsch?
Gerade habe ich eine ebenfalls erboste Stellungnahme des Fachbereichs Ethnologie der Universität München erhalten, der sogar ausdrücklich den klassischen Kulturrelativismus rechtfertigt – Überschrift: ‘Und Franz Boas hat doch recht’. Eine seltene Ausnahme?