23/02/21

Marsch der Monster

Lieber Erhard,

einer meiner Lieblingstexte von Dir ist Deine Besprechung von David Wengrows „The Origins of Monsters“ (2013). Ich kannte das Buch, bevor ich Deine Kommentare dazu las, ich hatte es während der Recherche zu einem Vortrag über Tolkiens Monster gefunden und verschlungen. Wenn man sich dieser Arbeit von der Seite einer kulturwissenschaftlichen, bis zum Überdruss von mehr oder minder kreativen Freud-Anwendungen dominierten Monstertheorie her nähert, kann man kaum anders als begeistert zu applaudieren, wie Wengrow hier die Monster vom Kopf auf die Klauen stellt. Statt Unbewusstem: mechanische Reproduktion! Statt bürgerlichem Individuum: Handelsketten! Statt Abomination: Zertifizierungen! Stempel! Siegel!

Du wirst Dir gedacht haben, dass ein tolles Buch eine tolle Rezension verdient, und hast unter dem Titel „The Stamped, Sealed and Delivered Riddle of the Sphinx“ (2016) Wengrows tiefer Mediengeschichte der Kompositwesen Dein Sahnehäubchen einer Zivilisationsgeschichte aufgesetzt, die vom Marsch der Monster aus der Wildnis über die Schwellen in unsere Häuser und unsere Herzen handelt. Und damit hast Du den Rückschluss zu Freud bewerkstelligt, der nach der Wengrow-Lektüre eigentlich ganz alt ausgesehen hatte. Das alles hast Du natürlich nicht ausbuchstabiert, sondern nur in jenen feinen, leichten Pinselstrichen angedeutet, in denen Du Meister bist, und die, gleich einer japanischen Tuschezeichnung, mit ihrer Sparsamkeit eine ganze Welt an Assoziationen eröffnen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass sich darüber sogar die Monster freuen, die sich nun, nach so vielen Jahren mechanistischer Aufklärungs-Untersuchungen, endlich gesehen fühlen dürfen, ohne dabei sogleich verschwinden zu müssen. Sie können, wie die Trickster und die Trophäen, weiter ihrem transgressiven Geschäft nachgehen und dafür sorgen, dass wir uns nie zu sicher fühlen in unseren Städten und unseren Träumen.

Anlässlich eines, nennen wir ihn mal: immergrünen Geburtstages danke ich Dir herzlich für so viele Jahre Freundschaft, Inspiration und Austausch. Möge das noch ewig so weitergehen!

You can’t make old friends.

 

Zur Erinnerung ein Foto von uns, das alles beinhaltet: Mein Mann gaiashkibos hat es gemacht, ich reagiere auf den indigenen Blick, Adam besetzt unbefangen Freundes-Territorium, und Du hältst die Monster, die die Kindheit bewachen (Köln, im April 2019)