23/02/21

Elemente einer Soziologie der Nicht-Übersetzung

Die Wüstenheuschrecke, die Bauern des Kajoor und die internationale Gemeinschaft. Oder: Wenn Aktanten sich gegenseitig fressen

Foto: Christian Meyer

 

Erhard Schüttpelz in Freundschaft gewidmet
– zum 60. Geburtstag und darüber hinaus

 

1. Einleitung

In einigen Kreisen der Sozial- und Kulturwissenschaft ist seit geraumer Zeit der Versuch zu beobachten, alles Soziale, insbesondere historische oder sozio-technische Prozesse, radikal unter Berücksichtigung der drei, zuerst von Callon (1986) formulierten und später von Latour (1993) elaborierten Prinzipien des Agnostizismus, der generalisierten Symmetrie und der freien Assoziation zu beschreiben. Diese drei Prinzipien halten erkenntnistheoretische Haltungen der Wissenschafts- und Techniksoziologie fest, die eine gegenstandsangemessene Beschreibung von historischen Prozessen nicht nur im techno-sozialen Zeitalter erlauben sollen:

  1. Die Soziologin solle nicht vorab festlegen, welchen Beteiligten an den Prozessen sie eher glaubt und vertraut, welche Argumente für sie eine höhere Glaubwürdigkeit oder gar Gültigkeit haben und welchen Akteuren ihre Sympathien eher gelten. Keine Perspektive wird privilegiert.
  2. Die Soziologin solle auch ihre Begriffe und Kategorien nicht verändern, wenn sie von der Beschreibung technischer oder natürlicher Phänomene zur Beschreibung sozialer Phänomene übergeht, sondern für all diese Phänomene ein einheitliches Vokabular verwenden, das sie umfassend und nachvollziehbar darstellen kann. Nur so kann gewährleistet werden, dass menschliche oder gar kulturspezifische Perspektiven oder Relevanzen nicht privilegiert werden.
  3. Die Soziologin solle allgemein von einer Vorabunterscheidung zwischen Natürlichem und Sozialen absehen. Eine solche Unterscheidung kann allenfalls Ergebnis, nicht aber Ausgangspunkt der Untersuchung sein. Es gilt, die Perspektiven aller Beteiligter in gleicher Weise einzubeziehen.

Callon selbst hat mit diesen drei Prinzipien gezeigt, dass z.B. auch Muscheln, Boote und Fischernetze aktive, akteurs-artige und durchaus bisweilen widerständige Beteiligte an den von ihm beschriebenen Prozessen sind, da auch sie Interessen generieren und andere Akteure einbinden können.

Im Vorfeld einer Untersuchung ist also noch nicht zu entscheiden, welche Entitäten relevant für das bzw. beteiligt an dem zu untersuchende Phänomen sind. Stattdessen sollten zunächst alle beteiligten Entitäten, so unterschiedlich sie auch sind, als gleich bedeutsam im Forschungsprozess konzeptualisiert und beschrieben werden. Dies erfordert im Umkehrschluss, dass sich die Soziologin zumindest in ihren empirischen Beschreibungen aller Wertungen und Vorannahmen über den Subjekt- oder Objektstatus, den freien Willen, die agency, Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit oder Intentionalitätsbegabung der an den sozialen Prozessen Beteiligten enthalten muss.

In diesem Text möchte ich den Versuch starten, in meiner Beschreibung dessen, was nach menschlichen Relevanzen eine „Heuschreckenplage“ genannt werden kann, ebenfalls diesen Prinzipien zu folgen.

Wie stellt sich die Situation von 2004, die von der internationalen Presse als Katastrophe und Strafe Gottes bezeichnet wurde, als Akteur-Netzwerk mit mehreren heterogenen Beteiligten dar? In Callons Worten: „Was würde geschehen, wenn durch die ganze Analyse hindurch zwischen den Verhandlungen, die über die natürliche und die soziale Welt geführt werden, die Symmetrie aufrechterhalten wird?“ ([1986] 2006: 141-142).

Wie sich zeigen wird, kann der Prozess wahlweise als ein großes Netzwerk an handlungsermöglichenden Elementen – Aktanten – beschrieben werden, wobei dann irrelevant ist, dass einige der Aktanten auf „feindliche“ Weise gegeneinander operieren und manches Handeln die Vernichtung anderer Aktanten impliziert, oder als mehrere kleinere Netzwerke, deren Handeln dann jeweils an den existentiellen Interessen einer dominanten Aktantengruppe ausgerichtet ist und die nur zum Teil im realen Sinn Akteur-Netzwerke sind, da sie zum Teil auch als Patiens-Netzwerke beschrieben werden müssen, da zwar eine Problematisierung vorliegt, aber weder ein obligatorischer Passagepunkt gefunden wurde, noch irgendwer interessiert werden konnte. Im besprochenen Beispiel gelang es den beteiligten Aktanten also nicht immer durchgehend, ein Netzwerk durch die Verbindung sozialer, natürlicher, physischer oder wirtschaftlicher Teilchen aufzubauen und in einer feindlichen und spaltenden Welt zusammenzuhalten (Law 1987: 231). Das Umfeld gleichgültiger und offen feindlicher natürlicher und sozialer Akteure war letztlich zu stark, als dass das Netzwerk so hätte gestaltet werden können, dass es auch sie integriert und domestiziert hätte (Law 1987: 235-237) oder überhaupt zu einer Handlungsinitiative geführt hätte. Im Falle von Laws Beispiel der portugiesischen Galeere gelang es, dass die Kanone, das Schiff, der Kapitän, der Schütze, das Pulver und die Kanonenkugeln einen einigermaßen stabilen Satz von verbundenen Einheiten bildeten, der eine relative Haltbarkeit erreichte, weil er die feindlichen Kräfte, denen er begegnete, fernhalten konnte, ohne sich selbst aufzulösen. Einige dieser feindlichen Kräfte waren natürlich (die Ozeane), andere sozial (die Muslime) (Law 1987: 247).

Im Fall der hier empirisch in den Blick genommenen Wüstenheuschreckeninvasion von 2004 in Westafrika hingegen endete der Prozess mit gewaltigen Zerstörungen. Am Ende des Prozesses wurden sowohl Großteile der erwarteten Hirseernte der westafrikanischen Bauern als auch die Wüstenheuschreckenschwärme vernichtet. Auch für Jakobsmuscheln ist die Natur sicherlich ein „harter Zuchtmeister“, und „Fische, Fischer und die Felsen, an denen sie sich befestigen“, haben sicher andere Ziele als sie (Latour 1988: 167), aber das Ziel des sozio-technischen Netzwerks insgesamt war es immerhin, sie zu erhalten und zu fördern. Ihre Fürsprecher nutzten eine Vielzahl „feindlicher“ Eingriffe wie z.B. die Temperatur der Wasserschichten, unerwartete Strömungen, alle Arten von Raubtieren und Tierseuchen, um die Jakobsmuscheln zu verteidigen und zu erklären, warum ihr Interesse genau darin zu bestehen scheint, „ineffizient“ sein; oder warum sich die Larven vom Projekt der Forscher lösten und von einer Menge anderer Akteure wegtragen ließen; und schließlich warum letztlich einige der Jakobsmuscheln zu „Dissidenten“ wurden und diejenigen verrieten, von denen angenommen wurde, dass sie sie repräsentierten (Callon [1986] 2006: 165). Im Gegensatz zu den Wüstenheuschreckenschwärmen hatten die Jakobsmuscheln also starke Fürsprecher, die viele der Weigerungen, sich in das Netzwerk einspannen zu lassen, großzügig übersahen und ihnen vieles durchgehen ließen. Derart großzügige Fürsprecher zu finden, gelang den Wüstenheuschrecken nicht, und so wurden sie letztlich – zusammen mit der sie umgebenden Umwelt – vernichtet.

Ich beginne meine Beschreibung mit einer zwar auf heterogene Entitäten bezogenen, aber dennoch zunächst moderat anthropischen Perspektive und Beschreibung, indem ich zuerst der internationalen Gemeinschaft, den nationalen Behörden und den Hilfsorganisationen folge. Aus Sicht der globalen und lokalen Medien handelte es sich bei der im Blick stehenden Situation von 2004 um eine Heuschreckenplage, eine Katastrophe, ein Ereignis auf der dunklen Seite der Moderne, einen Rückschlag im Fortschrittsnarrativ. Die selbstgewählten und selbstadressierten Repräsentanten der globalen Humanität, vor allem die westlichen Diskurse in den Medien, aber ebenso Wissenschaft und Politik, sahen sich dem vom Geist der Aufklärung getragenen Projekt der Moderne – ständigem Fortschritt, der durch die Rationalisierung von Wissen und die Domestizierung der Natur erreicht wird, – verpflichtet und bewerteten die Ereignisse aus dieser Perspektive.

Danach werde ich versuchen, den Wüstenheuschrecken (Schistocerca gregaria) zu folgen und die Geschehnisse aus ihrer Sicht zu beschreiben. Dazu muss ich mich auf die Erkenntnisse der zoologischen Verhaltensforschung verlassen. Die Heuschrecken werden also unter Bezugnahme auf naturwissenschaftliche – zoologische – Erkenntnisse „zum Sprechen gebracht“. Wenn wir – wie Merleau-Ponty (1963: 164-165) sagt – „validly attribute to a given animal one or more ‘senses,’ an associated milieu or ‘territory,’ a working relation with its cohort (Chauvin’s study of the migratory locust) and finally a symbolic life (Frisch’s study of language in bees)”, dann setzt dies “from our side a methodical Einfühlung into animal behavior, with the participation of the animal in our perceptive life and the participation of our perceptive life in animality“ voraus, eine Einfühlung in Wesen mit denen wir das Bewohnen und die „facticity“ (ibid.: 161) einer erlebbaren Welt teilen. Ganz entkommen kann ich der anthropischen Perspektive in meiner Beschreibung also auch an dieser Stelle nicht (vgl. Nagel 1974; zu Merleau-Ponty’s Heuschreckenbeispiel vgl. Sheets-Johnstone 2011: 270). Indem Aktanten sich bewegen, und das tun Heuschreckenschwärme in besonders deutlichem Ausmaß, zeigen sie den Beobachterinnen und Beobachtern, welche Elemente ihrer Situation für sie wichtig sind. „Follow the actors!“ heißt, alle Größen“ zu berücksichtigen, „die andere Größen in Aktion treten lassen“, und daher letztlich präziser: „Folge den Mittlern!“ (Schüttpelz 2013: 19)

Während die globalen Humanisten und Experten sich einer auch in Wüstenheuschrecken „einfühlende“, symmetrische und post-anthropische Perspektiven verweigern, haben die Bauern der senegalesischen Region Kajoor die Situation trotz ihrer Gefahr für sie am ehesten entsprechend der Callon’schen Prinzipien agnostisch, symmetrisch und frei assoziativ erörtert und die Wüstenheuschrecken als Aktanten – Akteure gar – ernst genommen. Dies zeigen ihre Gespräche, die mein Team und ich während Feldforschungen in den Jahren 2003 bis 2007 aufgezeichnet haben und die ich im dritten Teil des Textes untersuchen werde. Da mein Datenmaterial dies ermöglicht, werde ich an dieser Stelle am entschlossensten auf Callons Devise zurückkommen können, sich bei der Beschreibung von sozialen Prozessen, an denen Technik und Natur beteiligt sind, der Verwendung eines „vorbestimmten Analyserasters“ zu enthalten und stattdessen die Kategorien, Beschreibungen und Handlungen zu rekonstruieren, mit denen die Akteure selbst die Welt konstruieren und erklären (Callon [1986] 2006: 143; vgl. Law 1987). Wir dürfen nicht – wie Latour (1988: 167) sagt – im Voraus glauben, dass wir bereits wüssten, ob wir über Subjekte oder Objekte, Menschen oder Götter, Tiere, Atome oder Texte sprechen, sondern müssen dies den von uns beobachteten Akteuren überlassen. Genau dies werde ich an dieser Stelle tun.

 

2. Die internationale Gemeinschaft, die Hilfsorganisationen und der senegalesische Staat

Im August 2004 begannen die Medien weltweit über große Heuschreckenschwärme zu berichten, die gerade dabei waren, die Ernten in Westafrika zu zerstören. Die Medien stellten dieses Ereignis als eine typische, unvorhersehbare und unvorhergesehene Naturkatastrophe dar, vergleichbar mit einem Hurrikan oder einem Tsunami. Am 9. Juli 2004 veröffentlichte die französische Tageszeitung Le Monde einen Artikel mit dem Titel „Heuschrecken starten Angriff auf Sahel“. Die englischsprachige Welt reagierte zwei Monate später: Am 2. September 2004 titelte der britische Telegraph mit der Schlagzeile „Westafrika im Terror der Heuschreckenplage“. Das Ereignis wurde als Vorfall charakterisiert, der vollkommen unerwartet eingetreten war und unvorbereitete, hilflose Menschen traf.

Entsprechend dauerte es nicht lange, bis Begriffe wie „Katastrophe“ oder „Desaster“ fielen („Catastrophe“, Libération, 26. Juli 2004; „das Heuschreckendesaster“, Le Monde, 1. September 2004). Auch Verweise auf biblische Dimensionen und apokalyptische Ausmaße ließen nicht lange auf sich warten. „Plage“ und „Eine Sintflut von Heuschrecken überrollt Afrika“ war in der französischen Tageszeitung Libération (26. Juli 2004) zu lesen, die New York Times titelte „Heuschreckenplage bedroht Ernten in Westafrika“ (5. September 2004) und die britische Tageszeitung The Independent brachte die Überschrift „Heuschreckenplage wirft Schatten über Afrika“ (20. August 2004). Später schrieb der Publikationsdienst des UN-Büros für die Koordination humanitärer Angelegenheiten „Die achte Plage ─ Westafrikas Heuschreckeninvasion“ (1. Dezember 2004), während das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen die Überschrift „Mali und Niger: Genügend Heuschrecken, um Hiob in die Knie zu zwingen“ fand. Als sich die Plage über Nordafrika bis zu den Ländern Südeuropas sowie dem Nahen und Mittleren Osten ausweitete, wurde die globale Dimension der Krise unterstrichen. Medien in China und Indien begannen ebenfalls darüber zu berichten.

Die Schwärme waren 2003 in der nördlichen Sahelzone entstanden, dann zunächst nach Norden gezogen, wo sie in den Maghrebstaaten erneut auf vorteilhafte Bedingungen stießen, da es auch hier Anfang des Jahres 2004 ebenfalls viel geregnet hatte. Dies ließ die Anzahl und Größe der Schwärme geradezu explosionsartig ansteigen. Ein Schwarm in Marokko war 230 km lang und 200 Meter breit, und ihm gehörten schätzungsweise 70 Milliarden Heuschrecken an. Eine solche Masse von Insekten konsumiert circa 140.000 Tonnen Pflanzen am Tag. Als die Schwärme auf der Suche nach neuer Nahrung im Sommer 2004 wieder nach Süden in den Sahel migrierten, stürzten sie sich dort direkt auf die gerade heranwachsenden Hirsepflanzen. Sie zerstörten die über drei Monate herangewachsenen, noch nicht reifen Hirsefelder innerhalb von 30 Minuten. Die „gelbe Pest“, wie die Heuschrecken in der lokalen Presse genannt wurden, begann sogar, sich durch die Strohhütten der lokalen Bauern zu fressen. Zudem legten sie erneut Eier in den Boden, die nach einer kurzen Brutzeit von 10 Tagen schlüpften.

Die Konzentration frisch geschlüpfter, hungriger junger Grashüpfer erreichte schnell 10.000 pro Quadratmeter. Bevor diese ausgewachsen sind, bewegen sie sich langsam wie ein sich voran schlängelnder Teppich von mehreren hundert Quadratmeter Fläche vorwärts, der auf seinem Weg alles zerstört. Diese am Boden marschierenden Heuschreckenscharen sind allerdings noch wesentlich einfacher zu bekämpfen als die fliegenden Schwärme voll entwickelter Heuschrecken, die am Tag eine Strecke von über 150 km zurücklegen können. Die Reichweite der erwachsenen Heuschrecken ist also so groß, dass die internationale Zusammenarbeit für eine wirksame Bekämpfung unerlässlich ist. Ein Schwarm kann aus Indien stammen, aber die Ernte in Afrika verheerend schädigen. Ausgewachsene Tiere können nur per Sprühflugzeug aus der Luft oder am frühen Morgen vom Boden aus mit Pestiziden bekämpft werden, bevor sie erneut losfliegen. Alternativ kann ihre Nahrung mit Gift „behandelt“ werden. Wenn Regionen bekannt sind, in die Eier abgelegt wurden, kann die dortige Vegetation mit Insektizid besprüht werden, das die geschlüpften Nymphen bei ihrer ersten Mahlzeit tötet. Die Gefahr bei allen Sprühtechniken ist allerdings, dass die verwendeten Chemikalien auch Menschen und andere Tiere vergiften, insbesondere wenn sie auf Nahrungspflanzen gesprüht werden.

Erst als im Herbst 2004 gewaltige Notfallprogramme ins Leben gerufen und der „Kampf“ (Daily Mail, 2. September 2004) bzw. „Krieg gegen die Heuschrecken“ (Abdoulaye Wade, damaliger Präsident des Senegal), angeführt von Ländern wie Algerien, Libyen, Marokko und Frankreich, zur internationalen Aufgabe erklärt wurde, begann eine intensivere Bekämpfung der Heuschrecken aus der Luft. Diese Maßnahmen waren letztendlich erfolgreich, und die Heuschrecken überlebten entgegen aller Befürchtungen nicht bis in das Jahr 2005 hinein. Als sie Anfang des Jahres 2005 erneut Richtung Norden zogen, waren die nordafrikanischen Staaten vorbereitet und vernichteten sie, indem auch sie Pestizide aus Flugzeugen versprühten. Zudem waren auch der Wind und die niedrige Temperatur für die Heuschrecken unvorteilhaft.

Im Senegal war der Kampf gegen die Heuschrecken nur sehr langsam in Fahrt gekommen. Im August 2004 waren 300.000 Hektar Farmland von Heuschrecken befallen, jedoch war nur ein Drittel dieser Fläche mit Insektiziden behandelt. Am Ende des Jahres waren 1.300.000 Hektar Land behandelt, von denen 700.000 befallen wurden. Der Kampf wurde zu Beginn hauptsächlich manuell geführt, indem Gräben gezogen wurden, um die Heuschrecken im Sand zu ersticken, Äxten, Hacken und improvisierte Rechen verwendet wurden, um sie zu erschlagen, oder Stöcke und Blechdosen eingesetzt wurden, um sie durch Lärm zu vertreiben. Das motorisierte Versprühen von Pestiziden begann effektiv erst im späten September, sogar erst sehr viel später mit Schutzausrüstung.

Auf der anderen Seite waren die Folgen der versprühten Pestizide schwerwiegend. 13 Millionen Liter Pestizide wurden insgesamt versprüht, und mehr als 6,3 Millionen Liter waren am Ende der Kampagne noch übrig. Während zunächst zu wenig Pestizide verfügbar waren, war später, als Ernten und Weideland bereits durch die Heuschrecken zerstört waren, zu viel davon vorhanden, und die Dorfbewohner fragten sich, ob all die Insektizide, die auf die Heuschrecken versprüht worden waren, nicht ihre Viehweiden und ihr Trinkwasser vergiftet hatten. Zudem waren Rinder und Schafe erkrankt, die Heuschrecken gefressen hatten. Übrigens werden Heuschrecken in einigen Teilen Westafrikas, etwa Burkina Faso, auch von Menschen als Nahrung genutzt – gegrillt und verspeist –, was aber angesichts der riesigen Mengen in 2004 keinerlei Effekt auf deren Bestand hatte.

Durch rund ein Dutzend Heuschreckenschwärme pro Tag und Ortschaft, d.h. insgesamt 200 Schwärme allein im August 2004, wurden ungefähr 25 Prozent der Ernten und 40 Prozent der Weideflächen im Senegal zerstört. Dies bedeutete eine ernsthafte Bedrohung für die Ernährungssicherheit im Land, da starke Preisschwankungen am Markt entstanden und nicht genügend Weideland verfügbar war. Das wiederum zog den Verkauf von Tieren zu sehr niedrigen Preisen nach sich, um den Lebensunterhalt der Haushalte zu sichern. In dieser Situation kam es auch zwischen Viehzüchtern (Fulbe) und Bauern (Wolof) zu ernsten Konflikten um Ressourcen. Langfristig löste der Prozess neue Auswanderungswellen in die urbanen Gebiete sowie nach Europa und die USA aus.

Durch die Heuschrecken wurde die langfristige Ernährungssicherheit der lokalen Bevölkerungsgruppen noch unsicherer und die Vulnerabilität der Haushalte, die ohnehin schon unter prekären Bedingungen leben, noch größer, und dies in Regionen ohnehin gegebener struktureller Ernährungsunsicherheit. Einzig der Appell der UN zu Beginn des Jahres 2005, als die Situation in den Medien weltweit nachhaltig als schwere Naturkatastrophe dargestellt worden war, konnte Geldgeber überzeugen und sie allerschlimmste Folgen abmildern.

Das Bild der Katastrophe als einer unvorhersehbaren Naturkatastrophe wurde daher schon bald heftig kritisiert.[1] Tatsächlich hatte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO, dessen Vorsitzender Jacques Diouf selbst Senegalese ist, bereits im September 2003 Warnungen veröffentlicht und um 9 Millionen US-Dollar gebeten, um präventive Maßnahmen zu ergreifen, nachdem im Sommer 2003 außergewöhnlich starke Regenfälle in der gesamten nördlichen Sahelzone zu einer gesteigerten Schlüpfung von bereits länger im Boden vorhandenen Wüstenheuschreckenlarven geführt hatten. In der westlichen Sahara waren in einigen Gebieten Regenmengen von mehr als 100mm gemessen worden, in denen sonst nicht mehr als 1mm Regen im Jahr fällt. Die ökologischen Bedingungen blieben über sechs Monate lang günstig und ermöglichten mehrere aufeinanderfolgende Generationen von Wüstenheuschrecken, was zu einer sehr schnellen Zunahme führte.

Der senegalesische Präsident Wade hatte ebenfalls gegen Ende 2003 einen Hilferuf in den französischen Tageszeitungen Le Figaro und Le Monde platziert. Auf keinen dieser Aufrufe war jedoch reagiert worden, und so hat die Krise am Ende internationale Geber letztlich mehr als 400 Millionen US-Dollar gekostet, und zwar nicht nur für die Bekämpfung der Heuschreckenschwärme selbst, sondern auch der Hungersnot, die durch die späte Reaktion ausgelöst worden war. Die Ernteverluste wurden auf bis zu 2,5 Milliarden US-Dollar geschätzt.

In den Kritiken wurde darüber hinaus betont, dass die Krise anthropogen und nicht rein naturbedingt war. Erstens hatte offenkundig das schon in den frühen 1960er Jahren eingerichtete Warnsystem versagt – die Warnung, dass Heuschrecken gerade kurz davor waren, sich zu Schwärmen zu formieren, wurde zwar ausgelöst, allein es folgte keine institutionelle Reaktion auf diese Entdeckung. Zuvor hatte das Warnsystem stets gut funktioniert, so dass es einzig in den Jahren 1988/89 zu einer Plage gekommen war, während zwischen 1940 und 1963 Heuschreckenschwärme noch jährlich aufgetreten waren. Die Katastrophe im Jahr 2004 war somit kein Problem der mangelnden technisch generierten Problematisierung (Risikoerkennung) gewesen, sondern der unangemessenen weiteren Reaktion: es erfolgte weder ein schnelles Interessement, noch ein Enrolment oder eine Mobilisierung.

Ein zweites Verhängnis bestand in den Strukturanpassungsmaßnahmen, die der Internationale Währungsfond in den 1990er Jahren von ganz Westafrika verlangt hatte. Er hatte den Regierungen verboten, die Getreidepreise zu stabilisieren, da Experten der Meinung waren, dass einzig ein freier Getreidemarkt in der Lage sei, Verluste durch Dürreperioden auszugleichen. Dies führte nach der Heuschreckenkatastrophe 2004 dazu, dass es den reichen südlichen Nachbarn der betroffenen Länder, z.B. Nigeria oder Côte d’Ivoire, möglich war, die knappen Ernten der ganzen Region aufzukaufen, als 2005 die ersten Hungersnöte ausbrachen. Selbst in Regionen, die nicht von Heuschrecken befallen waren, wurde daher das Getreide knapp, und die Menschen mussten durch NGOs unterstützt werden.

Ein dritter menschengemachter Faktor, der zur Entstehung der Plage beitrug, besteht darin, dass Heuschrecken besonders effizient Schwärme bilden, wenn ihre Nahrung knapp ist, so dass Überweidung und die Übernutzung der Böden generell die Möglichkeit von Heuschreckenplagen erhöhen. Sobald der Boden etwa mit Dünger behandelt wird, haben Heuschrecken dagegen weniger vorteilhafte Bedingungen.[2]

Letztlich waren also eine ganze Reihe von unterschiedlichen Faktoren und sehr heterogenen Aktantengruppen an den Ereignissen beteiligt. Neben den Heuschrecken waren dies der Regen, die Vegetation und das Vieh, die Bauern des Kajoor, die lokale und internationale Politik, die lokalen und internationalen Medien, die Hilfsorganisationen und internationalen Geldgeber und nicht zuletzt die Sprühflugzeuge, Pumpen und das Pestizid. Das empirische Beispiel weicht insofern von Callons und anderen Vorlagen an, als ein Teil der Aktanten sich untereinander fraß und vernichtete oder sich gegenseitig die Lebensgrundlage zerstörte. Insofern muss mit Blick auf das hier diskutierte empirische Beispiel der von Star und Griesemer (1989) geleisteten Kritik, dass das Callon’sche Modell einzelne machtvolle Aktantengruppen zu stark betont, zunächst zugestimmt werden.

Der Kampf gegen die Schwärme der Wüstenheuschrecken begann noch nicht, als einzelne Gruppen (die FAO, die lokalen Bauern, die senegalesische Politik) die Heuschrecken problematisierten (Problematisierung) und – neben anderem – die Bekämpfung durch Insektizid als Lösung ins Spiel brachten. Er begann letztlich erst eine ganze Weile später, nachdem als obligatorischer Passagepunkt die internationale Presse über die Zerstörungen südlich der Sahara berichtete, und klar wurde, dass die Schwärme begannen, sich erneut nach Norden zu wenden. Erst jetzt finanzierten die Maghrebstaaten und einige internationale Geldgeber den Kampf gegen sie, der sie am Ende vernichtete.

Dass ein Teil der unterschiedlichen Aktantengruppen mit ihren jeweiligen Interessen für diesen Lösungsweg gewonnen werden konnte (Interessement), führte zugleich zur Exklusion anderer Aktanten – namentlich der Heuschrecken. Hilfsorganisationen, Staaten und die internationalen Geldgeber schlossen sich zusammen, um – so wurde es zumindest dargestellt – für die Bauern und gegen die Heuschrecken zu kämpfen.

Nun lief auch die Maschinerie der Hungerhilfe an, die Überproduktionen in westlichen Ländern auf Kosten internationaler Institutionen nach Westafrika schaffte. Die späte Reaktion erzeugte aber neben dem Hunger noch weitere Kollateralschäden: Tiere erkrankten, Abhängigkeiten wurden erneuert und verstärkt, strukturelle Ungleichheiten zementiert und verschärft. Besonders schwerwiegend war, dass Insektizide, gewissermaßen als sehr reales Boundary Object (Star/Griesemer 1989), eingesetzt wurde, mit dem zwar das Problem (auf Kosten eines Teils der Aktanten) gelöst und die (menschlich-) soziale Situation stabilisiert werden konnte. Allerdings waren die Kosten hoch, da das Gift nicht nur isoliert und zielgerichtet die Heuschrecken traf, sondern insgesamt schwere Umweltschäden produzierte und Probleme mit Rückständen, Resten und am Ende zu großen Beständen entstanden. Der Prozess war also keineswegs so homogen, harmonisch und reibungslos und am Ende erfolgreich wie im Fall der Jakobsmuscheln aus den St. Brieuc-Bucht.

Insgesamt konnten letztlich einige Aktantengruppen von dieser Lösung überzeugt (Enrolment) und auch die Öffentlichkeit mobilisiert (Mobilisierung) werden. Die Heuschrecken wurden letztlich ebenfalls für diese Lösung interessiert und enroled, allerdings auf eine weniger semiotische als vielmehr material-manifeste Art und Weise. Dabei wurde auf Pestizid als boundary object gesetzt, das neben der Vernichtung der Heuschrecken weiteren ungerichteten Schaden anrichtete.

 

 3. Der Schwarm

Folgen wir nun den Wüstenheuschrecken als unterlegener Aktantengruppe und rekonstruieren wir die Ereignisse aus ihrer Sicht. Dabei sei daran erinnert, dass Heuschrecken im europäischen Mittelalter und der frühen Neuzeit als mit Intentionalität und Vernunft ausgestattete Wesen galten, deren böswillige Zerstörung von Feldern auch gerichtlich verfolgt und bestraft wurde. Dies erfolgte in Tierprozessen, in denen Heuschrecken ebenso wie auch Raupen, Käfer oder Mäuse sich vor Gericht (stellvertreten durch „Fürsprecher“) für ihre Missetaten zu verantworten hatten (vgl. Fischer 2005). Schädlingsplagen wie z.B. Heuschreckenschwärme wurden fast immer vor kirchliche Tribunale geladen und zur Strafe exkommuniziert und verflucht (Dinzelbacher 2002: 408).

In unserem Beispiel entstanden die Schwärme der Wüstenheuschrecke, als im Sommer 2003 außergewöhnlich starke Regenfälle in der ganzen nördlichen Sahelzone Westafrikas zu einer gesteigerten Schlüpfung von Nymphen aus Eiern, die dort bereits lange im Boden gelegen hatten, geführt hatten. Nymphen sind die Jugendformen der Heuschrecken, die ihnen – abgesehen von der sehr viel geringeren Größe (ca. 8mm) und den fehlenden Flügeln – äußerlich bereits sehr ähnlich sind. Durch mehrere Wachstumsphasen und Häutungen, bei der die Nymphe jeweils mehr erwachsene Merkmale ausbildet, entsteht schließlich eine voll ausgebildete, ca. 8cm lange erwachsene Heuschrecke.

Die Wüstenheuschrecke ist normalerweise ein eher träger Einzelgänger, der einsam umherhüpft, jeden Kontakt zu anderen Heuschrecken vermeidet und nicht in der Lage ist, zu fliegen.[3] Wenn jedoch die Populationsdichte – sei es nach der Schlüpfung oder bei einer zur Agglomeration erwachsener Tiere führenden Nahrungsknappheit – mehr als 50 Tiere pro Quadratmeter überschreitet, dann wird eine dramatischen Änderung der Morphologie und des Verhaltens in Gang gesetzt.

Morphologisch wandelt sich die Wüstenheuschrecke vom grünen, umherhüpfenden in einen gelb-schwarzen, fliegenden Typus. In Bezug auf das Verhalten wandelt sie sich vom ungeselligen Einzelgänger zum hochgeselligen, sogenannten gregären Schwarmwesen. Wüstenheuschrecken existieren also bei identischer Genausstattung in zwei klar unterscheidbaren Formen (Wang und Kang 2014). Der wichtigste Mechanismus hinter der Transformation von der einen zur anderen Variante ist der taktile Reiz, der durch Kontakt und Kollisionen mit Artgenossen erzeugt wird (Simpson et al. 1999). Die Stimulation durch diese taktilen Reize löst eine Kaskade physiologischer und hormoneller Veränderungen innerhalb der Heuschrecke aus, insbesondere einer stark angekurbelten Serotoninproduktion (Anstey et al. 2009). Innerhalb weniger Stunden nimmt das Tier nun eine aposematische (Warn-) Färbung in Gelb und Schwarz an, was bei Fressfeinden auf eine Ernährung mit toxischen Pflanzen hinweist (Sword et al. 2000). Außerdem wachsen ihm Flügel, es wird aktiver und sozial, bis es schließlich damit beginnt, sich zu koordinieren und Schwärme zu bilden. Gregäre Wüstenheuschrecken haben im Vergleich zur Solitärphase zudem wesentlich größere Gehirne mit veränderten Proportionen (Ott/Rogers 2010). Die veränderten, gregären Heuschrecken suchen nun aktiv weiteren Körperkontakt zu ihren Artgenossen, statt diese zu meiden, was wiederum deren Serotoninproduktion anheizt und sie zu Schwarmtieren werden lässt. Wir haben es also mit einem Rückkopplungseffekt zu tun, der zu exponentiellem Wachstum führt. Wenn die Schwarmreize verschwinden, verwandeln sich die Tiere wieder zurück, was jedoch sehr viel länger dauert. Isolierte Individuen werden wieder zu unauffälligen, harmlosen Heuschrecken.

In der gregären Phase bilden Wüstenheuschrecken extrem große Gruppen. Bereits Scharen noch flugunfähiger jugendlicher Heuschrecken können Milliarden von Individuen umfassen (Uvarov 1977). Ein berüchtigter fliegender Schwarm nahm 1875 in Nordamerika schätzungsweise eine halbe Million Quadratkilometer Fläche ein und umfasste mehrere Billionen Heuschrecken (Piper 2007).

Die Form der marschierenden Scharen variiert, aber bei der Wüstenheuschrecke sind besonders frontalstrukturelle Formen verbreitet, bei denen die Schar ein dichtes, schmales Band bildet, das mehrere Kilometer breit sein kann und sich fressend vorwärts bewegt (Buhl et al. 2011, 2012). Trotz ihrer enormen Größe und Mitgliederzahl werden diese Bodenschwärme durch einfache lokale Interaktionen zwischen den Individuen in einem relativ kleinen Wirkungsbereich von maximal 13,5 cm Durchmesser gesteuert – bei einer Körperlänge der Tiere von unter 1 bis 6 cm (Buhl et al. 2011). Nach der letzten Häutung starten die erwachsenen Heuschrecken nach einigen Tagen kurzer Testflüge ausgedehnte Wanderungsflügen. Die kollektiven Muster der fliegenden Schwärme stehen in Abhängigkeit von der Dichte der Insekten (Buhl et al. 2006). Bei mittlerer Dichte zeigen die Insekten kollektive Bewegungen mit periodischen, selbstorganisierten Richtungswechseln. Bei großer Dichte verschwindet die Tendenz, die Richtung zu wechseln, und die Heuschrecken reißen einander in eine einheitliche Richtung mit, die meist auch von der bestehenden Windrichtung unterstützt wird. Der einfache Mechanismus für diesen Dichteeffekt besteht darin, dass mit zunehmender Dichte die Häufigkeit von Interaktionen und Kollisionen zunimmt, was die Übertragung von Informationen und die Übernahme ausgerichteter Trajektorien begünstigt (Mann et al. 2013). Heuschrecken sind propriozeptiv empfindsam gegenüber den situierten Eigenschaften der Luft und des Windes. Ihr Gesicht ist mit Haaren bedeckt, die stark auf Windrichtungen reagieren. Die optimale ihren Flug unterstützende Windrichtung wird durch den Krümmungswinkel des Haarschafts bestimmt. Die Empfindlichkeit gegenüber Verschiebungen der Gesichtshaare erleichtert auch die Kontrolle des Auftriebs während des Fluges und gibt Auskunft über die Orientierung (Sheets-Johnstone 2011: 55; Laverack 1976: 5-6).

In der Massenmigration von Wüstenheuschrecken spielt bei der Vorwärtsbewegung außerdem Kannibalismus eine wichtige Rolle (Bazazi et al. 2008; Bazazi et al. 2010; Simpson et al. 2006). Individuen, die zurückbleiben, werden von anderen Gruppenmitgliedern angegriffen. Dies führte dazu, dass die kollektive Bewegung des Schwarms von einem Flucht- und Verfolgungsszenario angetrieben wird, bei dem jeder Einzelne versucht, nicht von hinten angegriffen zu werden, während er sich gleichzeitig auf die Verfolgung der Vorderen begibt. Die kollektive Bewegung des Schwarms speist sich intern also aus den Versuchen der Individuen, ihren Artgenossen zu entkommen, die sich von hinten nähern, und ihrerseits Artgenossen vor sich zu verfolgen, analog zu Abstoßung und Anziehung (Romanczuk et al. 2009). Auch wenn lange geglaubt wurde, dass Schwärme eine Form von kooperativem Verhalten sind, ist es im Fall der Wüstenheuschrecke eher das Gegenteil, was die Heuschrecken antreibt: Der größte Feind einer Heuschrecke ist die Artgenossin. Ein Heuschreckenschwarm ist also eher eine große Flucht, bei der die hinteren die vorderen jagen. Die Angst, gefressen zu werden, lässt die Tiere alle in die gleiche Richtung fliegen. Dieses kontextabhängige Sozialverhalten trägt dazu bei, dass Wüstenheuschrecken aus ernährungsarmen Gebieten heraus navigieren. Insekten, die normalerweise pflanzenfressend sind, wenden sich schneller dem Kannibalismus zu, wenn die lokale Vegetation stark erschöpft ist, was wiederum Schwarmbewegungen beschleunigt. Dieser kollektive Effekt führt letztlich dazu, dass Heuschreckenpopulationen karge Gebiete schneller verlassen und so ein weiterer Fitnessvorteil für Kannibalismus erzielt wird. Man kann also in einem gewissen Sinne von einem schwarminternes kollektives Terrorregime sprechen.

Die großen, hunderte von Kilometern langen und aus Dutzenden Milliarden Individuen bestehenden Schwärme bewegen sich also unter großem internen Stress, bis sie auf ausreichende Nahrungsquellen treffen, die sie nach ihrem Flug, der bis zu 150 km weit gehen kann, zu tausenden Tonnen am Tag verzehren. Auf ihrem Weg begegnen die Insekten ständig Artgenossen und verwandeln auch sie in Schwarmtiere. Ein Schwarm ist also buchstäblich ansteckend. Solange die Insekten genug zu essen finden, bleiben sie in Bewegung, fliegen in neue Gebiete, wo sie sich ernähren, paaren und weiter vermehren. Wenn die Temperatur nachts sinkt, klettern sie auf Büsche und Pflanzenstängel und bleiben unbeweglich. Die Weibchen legen während ihrer Reise immer wieder Eier, so dass sie innerhalb weniger Wochen die Grundlage für folgende Schwärme hinterlassen. Die Insekten legen ihre Eier gern in feuchter Erde ab, da die darauf wachsenden Pflanzen Futter liefern. Die Nymphen schlüpfen nach je nach Temperatur nach 10 bis 20 Tagen. Etwa zehn Tagen nach dem Schlüpfen können sie fliegen. Wenn es regnet, erreichen alle Individuen des Schwarms die Geschlechtsreife und das Erwachsenenstadium also gleichzeitig, was die Schwarmbildung weiter befördert. Ist ausreichend Nahrung in der Umgebung vorhanden und sind die Nymphen dementsprechend nicht gezwungen, sich zusammenzudrängen, wenn sie aus den Eiern schlüpfen, leben die Heuschrecken ihr Leben getrennt als grüne, ungesellige Heuschrecken. Bleiben die Nymphen jedoch zusammengedrängt, entsteht die gesellige Form. Da sie sich innerhalb weniger Stunden von Einzelgängern zu Schwärmen entwickeln, es in der entgegengesetzten Richtung aber viel länger dauert, sind Schwärme sehr lange stabil.

Im Sommer 2004 sahen sich die Heuschrecken zunächst mit manuellen Attacken der Bauern konfrontiert: Sie wurden in Gräben im Sand erstickt, mit Äxten, Hacken und improvisierten Rechen erschlagen oder mit dem Lärm von Stöcken und Blechdosen vertrieben. Auf Pestizide trafen sie erst ab August 2004. Ende 2004 waren die ganzen Böden, auf denen sie landeten, vergiftet, und die Schwärme starben ab.

Zunächst haben die Wüstenheuschrecken also ein eigenes Aktanten-Netzwerk produziert, das neben ihnen selbst den Regen, den Wind, eine passende Temperatur und ausreichend pflanzliche Nahrung umfasste (vgl. zum Wind als Aktant auch Law 1987). Zentral für die Entstehung und Stabilisierung ihres Netzwerks war als obligatorischer Passagepunkt die körperliche Nähe der frisch geschlüpften Nymphen nach dem Regen bei passender Temperatur, die zur morphologischen Transformation der Individuen führte und die zur Netzwerkbildung notwendige Sozialität der Artgenossen erzeugte (und sei es eine kannibalische Sozialität). Die Schwarmbildung und Migration diente als Lösung des Problems zu großer Populationsdichte im Verhältnis zur vorhandenen Nahrung. Zur weiteren Stabilisierung des Netzwerks trug das Auffinden von immer wieder neuen Nahrungsquellen bei. Nennenswerte immutable mobiles in diesem Prozess waren – neben der Windrichtung – vor allem die kannibalischen Artgenossen, die den Schwarm antrieben und so zu neuen Nahrungsquellen führten.

Das Interessement der anderen Wüstenheuschreckenindividuen erfolgte über das direkte Auslösen hormoneller Prozesse in deren Körpern mittels Körperkontaktes („Ansteckung“) sowie – im Schwarm – über kannibalisch-körperliche Attacken. Körperkontakt ist also der obligatorische Passagepunkt der Heuschrecken. Die anderen Aktanten des Netzwerks wurden ähnlich repressiv und autoritär in das Netzwerk integriert: die Pflanzen wurden gefressen, und auch die Bauern des Kajoor wurde in gewisser Weise gegen ihren Willen in das Netzwerk inkludiert, indem ihre Lebensgrundlage beschädigt wurden. Es war dieser Schaden, der wiederum die Bauern interessiert und zur Bildung eines Gegennetzwerks motiviert hat. Auch die Festlegung der jeweiligen Rolle der einzelnen Aktanten (-gruppen) im Netzwerk erfolgte entweder über kausal-körperliche Prozesse (Stimulation von Hormonausschüttung, Bedrohung durch Kannibalismus im Fall der Ko-Partizipanten im Schwarm) oder über ihre Definition und Nutzung (bzw. Übersetzung) als vertilgbare Nahrung.

Den Heuschrecken gelang es letztlich auch, eine breitere Öffentlichkeit zu mobilisieren, allerdings in einer Form, die zu ihrer Verurteilung als Plage bzw. Katastrophe und ihrer Vernichtung führte. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass es ihnen zwar gelang, die Beiträge einiger beteiligter Aktanten im Netzwerk in Handlungsmacht zu übersetzen – etwa die Feuchtigkeit des Regens in den Schlüpfprozess, die Temperatur, den Wind und die Nahrung in Aktivitäts- und Bewegungsenergie, weitere Betroffene oder Öffentlichkeiten sich aber einer derartig einseitigen Netzwerk-Integration und Übersetzung verweigerten. So wurden sie schließlich mit dem boundary object „Insektizid“ konfrontiert, das ihrem Aktanten-Netzwerk ein Ende setzte.

 

4. Die Bauern des Kajoor

Der Kajoor ist eine der Regionen des nordwestlichen Senegals, die von den Wolof bewohnt werden. Den eigenen Lebensunterhalt bestreiten die Wolofbauern mit dem Anbau von Hirse, Sorghum und Bohnen, was sie vulnerabel für Insektenplagen macht, die die Vegetation beschädigen. Außerdem bauen die Wolof Erdnüsse für den Verkauf an, züchten Kleinvieh, führen Kleingewerbe und erhalten Überweisungen von verwandten Arbeitsmigranten aus dem Ausland.

Die Gespräche, die hier untersucht werden, wurden während einer zweijährigen Feldforschung von 2004 bis 2006 aufgezeichnet. Es handelt sich um Gespräche auf dem Dorfplatz (Meyer 2018), die technisch aufgezeichnet und anschließend transkribiert wurden. Ich habe zwei Gespräche ausgesucht, die neun Monate nach der Zerstörung ihrer Felder durch die Schwärme geführt wurden (am 20. Juni und am 28. Juni 2005). Kurz zuvor hatte die Regenzeit begonnen und die Dorfbewohner waren gerade dabei zu entscheiden, ob und wann sie mit der Aussaat beginnen sollten und ob die Gefahr besteht, dass erneut Wüstenheuschreckenschwärme in ihre Gegend kommen und die Ernte wieder zerstören. Die Bauern hatten in der Umgebung Heuschrecken beobachtet, aber ob sie so zahlreich werden würden, dass es zu Schwarmbildungen kommen würde, war noch unklar. Ein drittes Gespräch fand fast 2 Jahre nach dem Ereignis ungefähr um die gleiche Jahreszeit (am 4. Juli 2006) statt. Hier lassen die Bauern die Erlebnisse von 2004 noch einmal Revue passieren.[4]

In einem Teil der Gespräche kann man nachvollziehen, wie die lokale dörfliche Bauerngemeinschaft zunächst vor der Herausforderung steht, festzustellen, ob ein Problem wie 2004 vorliegt. Es geht also um Problematisierung und die Ungewissheit, ob eine solche überhaupt nötig und zweckmäßig ist. Wie bewerten die Wolofbauern entsprechende Informationen, wie nehmen sie epistemische Haltungen ein?

Die Wolof ─ in einer Art Wissensverteilung (distributed cognition) ─ beobachten sehr genau ihre Umgebung auf der Suche nach Information über Risiken, die sie anschließend mit den anderen Dorfbewohnern diskutieren. Der Dorfplatz ist der Ort, an dem dieses Wissen zusammengeführt wird und Entscheidungen darüber gefällt werden, ob es sich bei der gegenwärtigen Situation um eine ernsthafte handeln könnte, so dass eventuell staatliche Stellen mobilisiert werden müssen, oder nicht.

Gleich zu Beginn der Unterhaltung vom 20. Juni 2005 beginnt eine Debatte darüber, ob ausgesät werden soll oder nicht, und welches Risiko damit verbunden ist, da im Jahr zuvor Heuschrecken da gewesen waren und möglicherweise Eier gelegt hatten. Laay sagt, dass zu viel Angst vor den Heuschrecken und Unentschlossenheit nur zur Handlungsunfähigkeit führen würden. Saatgut und Arbeitseinsatz sind immutable mobiles, die zum einen Handlungsverpflichtungen in der Zukunft für eine Reihe von Aktanten implizieren: der Regen muss fallen, die Heuschrecke muss ausbleiben, weitere Arbeitskraft muss investiert werden. Zum anderen stellen die geleistete Arbeitskraft und vor allem das eingesetzte Saatgut eine Investition dar, die verloren gehen kann.

 

20. Juni 2005, Exzerpt 1

 

001 Majaw Yibba Jóob hat gesagt, dass er heute beinahe ausgesät hätte. Doch dann sagte er, dass er seinen Sack wieder zugebunden hat. Er sagte: „Ach! So wie diese Burschen auf den Bäumen sitzen und betörend mit den Augen rollen, werden unsere Pflanzen dann wirklich wachsen?“
002 Laay Na ja, was ich weiß, ist, dass jeder aussäen muss, auch wenn er noch nicht weiß, was Gott tun wird.
005 Majaw Kein Feldbesitzer kann das jemals wissen. (lacht)
006 Laay Aber wenn du nicht aussäst, weil du denkst, dass sie sich herumtreiben, wenn du heute nicht aussäst, wirst du niemals aussäen, weil sie weiter hierbleiben und sich herumtreiben werden.
007 Majaw Yibba Jóob hat gesagt: „Diese Burschen sitzen auf den Bäumen und rollen betörend die Augen, während sie sich paaren.“
008 Laay Wenn Gott sie nur von hier vertreiben würde und sie verschwinden würden.

 

Wie man sieht, werden einzelne Themen häufig mit einem Verweis auf das, was andere gesagt oder getan haben, eröffnet, was die enge Verknüpfung der menschlichen Aktanten im Netzwerk der Bauern des Kajoor auch im Bereich des Wissens verdeutlicht.

Majaw etwa bezieht sich auf einen Freund (Yibba), der die Aussaat gestoppt hatte, als er sah, dass wieder Heuschrecken da waren. Er zitiert mit einem offensichtlich ironischen und durchaus heiteren Unterton zweimal Yibba Jóobs Formulierung, dass die „Burschen …. betörend mit den Augen rollen“ (gaa yi … regeju). Der Ausdruck regeju verweist auf das Schönheitsideal, demonstrativ die weiße Sklera des Auges zu präsentieren, was z.B. junge Wolof-Frauen in verführerischer Absicht praktizieren. Jedoch spielt es auch auf die Kastendifferenzierung in der Wolof-Gesellschaft an, nach der die untere Kaste der Griots (Barden) im Gegensatz zu der Kaste der Freien autonomer sind, Gefühle und Lebhaftigkeit zu demonstrieren (vgl. Irvine 1990). Das betörende Rollen der Augen ist eine ihrer typischen Aktivitäten.

Heuschrecken sind also in den Augen Majaws niedrigkastig, was eine größere Nähe zur Natur und Emotionalität und eine geringere Selbstkontrolle impliziert. Laay unterstützt diese Sichtweise in Zeile 006 mit dem Ausdruck „sich herumtreiben“ (wendéelu), der häufig für die Kaste der Holzfäller (lawbé) (ursprünglich Fulbe) verwendet wird (vgl. Meyer 2008), die in der Hierarchie ebenfalls unter der Kaste der Freien angesiedelt ist, zu der die Gesprächspartner gehören. Gleichzeitig verweist Majaw mit seiner Anspielung natürlich vor allem auf das sexuelle Interesse, insbesondere die enorme Fortpflanzungsfähigkeit, der Heuschrecken, die tatsächlich die größte Gefahr für die Bauern darstellt.

Im Folgenden reden die Anwesenden darüber, ob die Heuschrecken sich paaren und so und neue Gefahren bei weiterem Regen produzieren oder nicht.

 

20. Juni 2005, Exzerpt 2

 

010 Jajji Hörst Du? Sie sagten, dass sie sich noch nicht gepaart haben. Sie haben sich noch nicht gepaart. Sie haben sich noch nicht einmal auf dem Boden niedergelassen, um sich zu paaren.
011 Njaga Lassen sie sich erst einmal nieder, wird es böse.
012 Jajji Solange sie hier sind, werden die Menschen nicht zur Ruhe kommen.
013 Majaw Aber zwei Personen haben das gesagt.
014 Jajji Was?
015 Majaw Zwei Personen haben das gesagt.
016 Jajji Nein, es gibt niemanden, der die Paarung gesehen hat. Es hat noch keine Paarung stattgefunden.
017 Yoro Vater Jajji. Ich selbst habe zwei von ihnen bei der Paarung gesehen.
018 Jajji Okay, dann lag ich falsch.

 

Anschließend sprechen sie darüber, ob die Heuschrecken schon Eier legen.

 

20. Juni 2005, Exzerpt 3

 

019 Laay Ich habe sie auf meinem Feld gesehen, als sie sich gerade auf dem Boden niederließen.
020 Jajji Okay, auf dem Boden niederließen, okay.
021 Laay Ich habe nicht gesehen, dass sie sich paaren, nur dass sie sich niedergelassen haben.
022 Yoro Ich habe sie diesen Morgen auf meinem Feld auf dem Boden gefunden.
023 Njaga Wenn sie sich niederlassen, ist es schlimmer.
024 Laay Ich habe auch einige von ihnen auf dem Boden gesehen.
025 Yoro Ich habe sie verscheucht und alle, außer zweien machten frrrum. Ich fing die beiden und trennte sie voneinander. Als ich sie wieder losließ, konnten sie nicht mehr fliegen.
026 Majaw Wenn sie sich paaren, sterben sie.
027 Modu Wenn sie sich paart, kann sie nicht mehr fliegen.
028 Majaw Aber sie stirbt, wenn sie Eier legt.
029 Tapha Ja, wenn sie Eier legt, dann stirbt sie.
030 Njaga Wenn sie Eier legt, stirbt sie, aber sie legt haufenweise Eier.
031 Tapha So viel ist sicher, wenn sie nur Eier legt, stirbt sie.
032 Laay Ich habe sie wirklich auf der Erde sitzen sehen.
033 Majaw Yibba Jóob hat auch gesagt, dass es Leute gibt, die gesagt haben, dass sie es gesehen haben.
034 Modu (lacht ungläubig) Sie paart sich.
035 Tapha Wenn sie Eier legt, dann stirbt sie.
036 Majaw Er hat gesagt, dass sie sie bei der Paarung gesehen haben, aber Yibba hat es nicht selbst gesehen.
037 Tapha Und die Eier, wenn es regnet …
038 Majaw Aber er sagte, dass er es nicht gesehen hat.
039 Laay Aber wenn sie sich auf feuchter Erde befinden, paaren sie sich. Wenn sie sich auf feuchter Erde befinden, paaren sie sich.
040 Majaw Auf bestellten Boden paaren sie sich sogar noch schneller. Du meine Güte, diese Maschinen paaren sich darauf besonders gerne. Das ist wirklich eine Teufelsbrut.

 

Sie suchen also fortwährend Wissen in ihrer Umgebung, das sie dann ständig untereinander abgleichen. So ist es einfacher für sie, das Risiko der Investition in Saatgut und dessen Aussaat einzuschätzen.

Wie ambivalent der Regen als Aktant bzw. immutable mobile ist, zeigt das folgende Gespräch: Er ist notwendig für das Wachstum der Hirse und der anderen Pflanzen, kann aber zugleich auch im Boden liegende Heuschreckeneier zum Schlüpfen bringen.

 

20. Juni 2005, Exzerpt 4

 

039 Laay Aber wenn sie sich auf feuchter Erde befinden, dann paaren sie sich. Wenn sie sich auf feuchter Erde befinden, dann paaren sie sich.
040 Majaw Auf bestelltem Boden paaren sie sich sogar noch schneller. Du meine Güte, diese Maschinen paaren sich darauf besonders gern. Das ist wirklich eine Teufelsbrut.
041 Ngaan Sie bevorzugen feuchten Boden.
042 Njaga Das ist, was sie mögen.
043 Tapha Auf feuchtem Boden, wenn sie sich gepaart haben und wenn es regnet- wenn es regnet-
044 Majaw Dann schlüpfen die Burschen.
045 Tapha Schlüpfen sie.
046 Majaw Weißt du, möge Gott uns vergeben, aber selbst die Raupen, selbst die Raupen haben ihre Grenzen. Aber diese Besitzer, diese Besitzer von Flügeln-
048 Jajji Nein, weißt du, selbst Raupen sind besser als das hier. Raupen sind sicher besser als alles, was fliegt.

 

In Zeile 040 vergleicht Majaw die Heuschrecken mit Maschinen, womit er auf die Apparaturen verweist, welche die Wolof zum Aussäen verwenden. Diese bestehen aus einem Gestell, in dessen Mitte ein Rad mit hohlen Spitzen läuft, die aus einem oben befestigten Behälter ein Samenkorn nach dem anderen tief in die Erde drücken. Auch diese Metapher betont die Reproduktionsfähigkeit, Geschwindigkeit und Unaufhaltsamkeit der Heuschrecken, die erbarmungslos ihre Eier massenhaft in den Boden legen. In derselben Zeile verflucht er sie als „Teufelsbrut“ (doomi raam). Ähnliche Verfluchungen, aber auch rituelle und magische Praktiken der Bannung spezifisch von Heuschrecken wurden auch z.B. von den Kabylen (Bourdieu 1987: 367), den Nuer (Evans-Pritchard 1940: 78) und den Tallensi (Fortes 1987: 35-36) beschrieben. Bei den Tallensi sind zudem spezielle Ahnengruppen für die Abwehr von Heuschrecken zuständig (ibid.: 44).

In Zeile 047 beschreibt Majaw die Heuschrecken metonymisch als „Besitzer von Flügeln“ (boroom naaw yii), was auf eine zentrale Eigenschaft der gregären, schwarmbildenden Heuschrecken abhebt. Sie können fliegen und sich zu Schwärmen formieren, die die Sonne verdunkeln, ohrenbetäubenden Lärm erzeugen und sich so schnell wieder entfernen, dass sie nur schwer zu bekämpfen sind. Jajji nimmt dieses metonymische Bild in Zeile 048 auf, wenn er sagt „alles, was fliegt“ (liy naaw). Die Metonymie sowie die Metapher „Maschinen“ und die höhnisch-ironischen Ausdrücke betonen die physischen Eigenschaften und die Unaufhaltsamkeit der Heuschrecken.

Mit dem Verfluchen und Artikulieren der metonymischen Kausalität und besonderen Gnadenlosigkeit der Wüstenheuschreckenschwärme kommt Majaw auch auf die Zeiten vor deren Invasion zu sprechen. Damals waren ihnen noch die Raupen als die unangenehmsten feindlichen Aktanten erschienen: Wie viel schlimmer aber sind die schwarmbildenden Heuschrecken im Vergleich zu den Raupen! Fast wehmütig stimmt Majaw ein religiöses Lied an, das die Sehnsucht nach und Hoffnung auf Normalität, wie sie vor der Invasion 2004 geherrscht hatte, zum Ausdruck bringt.

 

20. Juni 2005, Exzerpt 5

 

056 Majaw Es ist so, wie es dieser Sänger gesungen hat, weißt Du?
058 Majaw Wie Serin Tuba sang-
060 Majaw Wie Musa Ka für Serin Tuba gesungen hat: (singt) „Wenn Du uns geben würdest, was wir hatten …“
062 Majaw (singt) „… dann wären wir wie wir sind. Hast Du nicht wahrgenommen, dass wir ohne Tadel sind?“
063 Jajji (singt) „Wenn wir es gehabt hätten, hätten wir nicht das getan, was wir getan haben.“
064 Majaw Ja. (lacht)
066 Majaw (singt) „Hast Du nicht wahrgenommen, dass wir ohne Tadel sind?“
068 Jajji Ja.
069 Ngaan Wenn wir es nur hätten, wären wir Gott dankbar.

 

Jajji stimmt in das Lied ein, das allseits bekannt ist. Majaw verflucht im Anschluss erneut die Heuschrecken.

 

20. Juni 2005, Exzerpt 6

 

071 Majaw Aber diese Heuschrecken, möge Gott sie vertreiben. Diese Heuschrecken – furchtbar! Jeder Bauer, wenn er sie nur sieht …

 

Zeile 071 beinhaltet neben der erstmaligen Verwendung der eigentlichen Bezeichnung „Heuschrecken“ (soccet) einen erweitert metonymischen Ausdruck, wenn Majaw das Entsetzen beschwört, das Heuschrecken bei einem Bauern hervorrufen: „wenn er sie nur sieht …“. Weitere Beispiele für diese erweiterten Metonymien stammen von Jajji und finden sich in den Zeilen 012, 072 und 074.

 

20. Juni 2005, Exzerpt 7

 

012 Jajji So lange sie hier sind, werden die Leute nicht zu Ruhe kommen.
072 Jajji Laay, sie sind die einzige Sache, vor der ein Bauer Angst hat.
074 Jajji Sie sind die einzigen, die uns unsere Lebensfreude rauben. Sie sind die einzigen, die unter uns Zwietracht säen.

 

Hier geht Jajji näher auf die Macht ein, die Heuschrecken über die psychische sowie soziale Verfassung der Bauern haben: Sie können Unbehagen, Angst und Verzweiflung in den Individuen ebenso wie Zwietracht und Trostlosigkeit in der sozialen Gruppe hervorrufen. Mit anderen (Law’schen) Worten: Es geht um die Macht feindlicher Aktanten, bestehende Netzwerke zu spalten.

Schließlich diskutieren die Bauern die Möglichkeiten, die sich durch einen Wechsel ihrer Subsistenzstrategien eröffnen würden, sprich, wenn sie von Ackerbau auf Viehzucht umsteigen würden.[5] Anhand dieses Gesprächs können wir beobachten, dass die Heuschreckeninvasion aus dem vorherigen Jahr bereits sozialen Wandel herbeigeführt und gewissermaßen die Initiierung alternativer Akteur-Netzwerke – die verstärkte Inklusion von Vieh (v.a. Schafen) – in das Netzwerk bewirkt hat. Denn wenn das Risiko des Saatverlusts aufgrund feindlicher Aktanten zu hoch ist, müssen alternative Handlungsmöglichkeiten überlegt und diskutiert werden.

 

20. Juni 2005, Exzerpt 8

 

075 Majaw Yibba hat es heute auch gesagt. Er sagte: „Ich wollte aussäen, aber um ehrlich zu sein, hatte ich eine schlechte Vorahnung.“ Und dass er Schafe kaufen und Schafe züchten wolle, er sprach heute von Schafen. (lacht) Wer verkauft seine Erdnusssamen und fängt an, Schafe zu züchten, sage ich.
076 Njaga Vielleicht ist feuchter Boden wirklich gut. Also dieser feuchte Boden …
077 Tapha In der Gegend um das Dorf ist es einfach und bequem, Vieh zu hüten.
078 Njaga Dieser feuchte Boden ist nicht gut.
079 Daur Ach ja?
080 Tapha Um das Dorf herum ist es bequem, Vieh zu hüten.
081 Jajji Gerade in diesem Jahr ist es bequem, Vieh zu hüten.
082 Majaw Pah! Dieses Jahr ist für die Bauern gemacht.
083 Jajji Dieses Jahr ist angenehm.

 

Diese Initiierung alternativer Akteur-Netzwerke würde das bestehende und bewährte, am Feldbau orientierte Akteur-Netzwerk allerdings erweitern, modifizieren und mit neuen Dynamiken ausstatten. Dementsprechend beginnen die Dorfbewohner gegen Ende des Gesprächsausschnitts 8 vom 20. Juni 2005 in einer Diskussion, die zu lange ist, als dass sie hier dargestellt werden könnte, über die Gefahren, die durch weidendes Vieh für die Ernten entstehen, zu diskutieren. Traditionell sind die Wolof Bauern, während die benachbarten Fulbe Viehzucht betreiben; beide tauschen Produkte und Dienste untereinander aus. Mit den Fulbe wäre somit eine weitere Aktantengruppe im bestehenden Netzwerk betroffen, würde dien die Bauern ihre Wirtschaftsweise modifizieren. Daher thematisierten die Bauern auch Auswirkungen dieser Veränderung ihrer Subsistenzstrategie auf die interethnischen Beziehungen in ihrer Region.

Da einige Dorfbewohner bereits angefangen haben, Geld in Viehzucht zu investieren, statt es für Saatgut auszugeben, tauschen sie sich in der Folge über die Möglichkeit aus, Weidetiere auf ihren brachliegenden Flächen zu halten. Während sie über das Brachland nachdenken, kommen sie anschließend auf eine Vereinbarung zu sprechen, die die Dorfbewohner vor einiger Zeit über einen Anteil ihres gemeinsamen Landes getroffen haben. Diesen wollten sie an ein anderes Dorf verkaufen, und sie hatten sich darauf geeinigt, dieses Stück Land von da an brach liegen zu lassen. Diese Abmachung wurde allerdings vom Sohn des Dorfchefs gebrochen, der begonnen hatte, auf einem der Stücke Brachland Erdnüsse anzubauen. Zudem ließen einige der wohlhabenderen Dorfbewohner ihr Vieh auf anderen Stücken weiden. Einige dieser Tiere waren in diesem Zusammenhang in die benachbarten bebauten Getreidefelder eingedrungen und hatten dort Schaden angerichtet.

 

20. Juni 2005, Exzerpt 9

 

191 Majaw Sie sagten, wer auch immer ein Lamm besitzt, könne es doch auch losbinden.
192 Jajji Ja, aber wir- aber wir haben nichts davon gehört. Sie haben sich heimlich abgesprochen und es gemeinsam getan, aber sie- bei der nächsten Auseinandersetzung werden sie sehen, was- sie werden sehen!
193 Daur Ja.
194 Jajji Wir haben nichts davon gehört.
195 Laay So wie es jetzt scheint …
196 Daur Jajji …
197 Laay Wir sollten vorsichtig sein. Der Streit hat noch nicht begonnen.
198 Jajji Ja. Der Streit hat noch nicht begonnen.
199 Laay Lasst uns abwarten und sehen.
200 Jajji Weil sie sich heimlich abgesprochen haben- sie haben sich heimlich abgesprochen und sind so weit gegangen, unsere Vereinbarung zu brechen.

 

Dieser Punkt führt die Diskussionsteilnehmer zum Thema soziale Ungleichheit zwischen den Lineages im Dorf. Die Lineage des Dorfchefs wird konspirativer Machenschaften beschuldigt, die es ihm und seiner Lineage erlauben würden, sich persönliche Vorteile zu erschleichen. Die traditionelle Art und Weise, wie der Dorfchef die Gemeinschaftsfelder aufteilt, wird schließlich ebenfalls in Frage gestellt.

 

20. Juni 2005, Exzerpt 10

 

236 Tapha Aber das ist nicht richtig!
237 Modu Am Nachmittag war dort ein Pferd beim Aussäen.
238 Tapha Was mich betrifft morgen- morgen früh-
239 Daur Hm?
240 Tapha -werde ich mein Feld auch bewirtschaften.

 

Die Beziehungen zwischen den Lineages im Dorf waren plötzlich in Gefahr. Somit hat die Heuschreckeninvasion offenbar letztlich die Bauern dazu motiviert, sich über die gegenwärtigen Existenzverhältnisse zu beklagen und die machthabende Lineage im Dorf zu kritisieren. Die Plage erzeugte somit den Willen zu sozialem Wandel, auch wenn dies soziale Konflikte bedeutet.

 

20. June 2005, Exzerpt 11

 

289 Yoro Solange die Felder nicht freigegeben werden-
290 Jajji Pah!
291 Njaga Ja.
292 Ngan Genauso machen sie es.
293 Majaw Selbst wenn sie freigegeben würden-
294 Ngan Wir müssen zum Dorfchef gehen.
295 Majaw Siehst Du! Siehst Du!
296 Majaw Siehst Du! Selbst wenn sie freigegeben würden!

 

(Auslassung)

 

309 Jajji Das Brachland, sie haben sich heimlich abgesprochen, um ihren Plan auszuführen.
310 Ngan Ach…
311 Jajji Warte- hör einfach zu Mann!
312 Daur Das ist deine Lineage!
313 Jajji Ja, nur deine Lineage!
314 Daur Ngan!
315 Jajji Das ist deine Lineage allein!
316 Daur Ngan, Ngan, Ngan. Ich bin vor dieser Moschee!
317 Ngan Schau, wir sprechen über etwas, auf das wir uns hier alle geeinigt hatten. Hier haben wir uns darauf geeinigt.
318 Jajji Ach, aber das war nur deine Lineage!
319 Daur Im Namen Serin Tubas, nur die aus diesem Teil des Dorfes haben die Vermessung ausgehandelt.

 

(Auslassung)

 

342 Jajji Selbst wenn jeder anbaut, ich brauche kein Feld mehr.
343 Jajji Ich brauche keines. Aber was wir sagen, ist, dass sie heimlich zusammengearbeitet haben.
344 Jajji Ich werde nur dort Land bestellen, wo ich will.
345 Daur Sie haben sich heimlich abgesprochen, sie haben sich heimlich abgesprochen.
346 Ngan Was du sagst, wir alle haben darüber gesprochen, sage ich.
347 Jajji Ihr werdet in Zukunft große Probleme haben!
348 Ngan In diesem Dorf, in Bezug auf das worauf wir uns geeinigt hatten-
349 Jajji Große Probleme!
350 Ngan Alles in diesem Dorf wurde hier offen diskutiert.
351 Jajji Ihr werdet in Zukunft große Probleme haben!
352 Ngan Und erst jetzt beschuldigst du deine Verwandten der geheimen Absprache!
353 Daur Nein, wir beschuldigen deine Verwandten nicht der geheimen Absprache.
354 Ngan Oh, alle von ihnen- alle von ihnen.
355 Daur Sie haben dieser Vermessung zugestimmt.
356 Ngan Alle haben ihr zugestimmt!
357 Daur Sie haben dieser Vermessung zugestimmt.

 

(Auslassung)

 

388 Jajji Sie haben sich heimlich abgesprochen!
389 Jajji Zunächst sprechen sie laut-
390 Daur Sie reden mit zwei Zungen.
391 Jajji Zunächst sprechen sie laut, sprechen sie laut, und dann machen sie etwas anderes.
392 Jajji Möge es ihre Verwandten treffen.
393 Jajji Sie sprechen über ihre Dinge bis zu Ende.
394 Daur Bis sie- sie-
395 Jajji Sie- sie- sie denken, die Leute wären Idioten.
396 Daur Und er sagt, dass sie hier offen darüber gesprochen hätten.
397 Daur Er sagt selbst nicht die Wahrheit!

 

Bemerkenswert ist, dass Ngan in Zeile 352 inklusiv von „deinen Verwandten“ spricht, was die gemeinsame Verwandtschaft aller Lineages im Dorf hervorhebt (laut Ngan ist seine eigene Lineage auch Daurs Lineage), während Daur in Zeile 353 ihre Trennung akzentuiert, indem er betont, dass er nur Ngans Verwandte beschuldigt, die seines Erachtens nicht auch seine Verwandten sind. Die durch die feindlichen Aktanten hervorgerufene Modifikation der Subsistenzform hat also in der Tat das Potenzial, im Dorf für Entzweiung und die Spaltung etablierter Netzwerke zu sorgen.

Es scheint also eine wichtige Strategie im Umgang mit feindlichen Aktanten und den Risiken, die sie bedeuten, zu sein, Handlungsfelder, die interventionsoffen sind, relevant zu machen, während auf unveränderbare andere Elemente ─ in unserem Fall die Heuschrecken selbst ─ aus der Perspektive der Bauern nicht weiter eingegangen wird. Stattdessen wird die nicht beeinflussbare Gewalt der feindlichen Aktanten Situation herangezogen, um Themen aufzugreifen, die offen für Veränderungen sind, z.B. soziale Ungleichheiten, Probleme und Konflikte. So werden Risiken, die durch äußere Faktoren erzeugt werden, domestiziert, indem sich die Bauern mit damit verbundenen Faktoren beschäftigen, die sie manipulieren können und die offen für kulturelle und soziale Modifikationen sind (vgl. Paine 2002).

Nach der Aussaat, die kurz nach dem 20. Juni 2005 erfolgte, spitzen sich der Wille zur Bildung von stabilen Aktanten-Netzwerken und die Hoffnung auf eine Zukunft ohne allzu feindliche Aktanten zu, wie im Gespräch vom 28. Juni 2005 zum Ausdruck kommt.

 

28. Juni 2005, Exzerpt 1

 

001 Majaw Es gibt keinen Ort im Senegal, an dem es nicht geregnet hat.
002 Daur Nur wenige Orte sind nicht beregnet geworden. In der Tat, die Seher haben sich gut geschlagen. Dann wird es in ganz Senegal ausgiebig regnen. Der Regen wird alles bedecken.
003 Serin So haben sie es vorhergesagt.
004 Daur Ja.
005 Serin Am 27.
006 Daur Und alles andere, was sie gesagt haben, dürfte auch so geschehen, wie sie es gesagt haben. Sie sagten, dass jeder, der Land bestellt, viel ernten wird, und sogar diejenigen, die kein Land bestellen, werden ernten. Sie haben eine erfolgreiche Ernte vorausgesagt.
007 Serin Sobald es donnert, wird es fruchtbar sein, solange es keine Raupen gibt und solange es keine Dings- Heuschrecken gibt.
008 Daur Ja, das ist das, was sie gesagt haben.
009 Serin Das ist das, was sie gesagt haben. Aber ich befürchte, dass die Heuschrecken in Massen wiederkommen werden. Sie werden nicht wegbleiben. Sie werden massenhaft zurückkommen, denn ich habe welche unter dem Jojobabaum gesehen, da wo Vater sich früher immer hinlegte.

 

Die Bauern äußern ihre Zuversicht in die guten Prognosen, welche die Aeromanten (Wetter-Divinatoren) am Tag zuvor für das Jahr vorausgesagt hatten. Der Regen als einigermaßen unzuverlässiger Aktant scheint also inkludiert. Hintergrund des Gesprächs ist, dass in jedem Jahr zu Beginn der Regenzeit im Senegal Divinatoren der Volksgruppe der Sereer in einem landesweit per Radio übertragenen Ritual namens xóoy (Wolof: Aufrufung) die Regenzeit und andere Ereignisse im Land vorhersagen. Das Ritual findet in mehreren Gegenden statt, in denen Sereer leben (vgl. Dupire 1976). Das wichtigste und größte, das auch hier angesprochen ist, wird in der Stadt Fatick durchgeführt. Auch diese Divinatoren werden somit von den Wolof-Bauern für das eigene Aktanten-Netzwerk reklamiert.

Wenig später erinnern sich die Gesprächspartner jedoch an das Jahr zuvor, als es zwar ebenfalls viel geregnet hatte, die Heuschrecken aber letztlich einen Großteil der Ernte zerstörten. In Zeile 009 bringt Serin seine Sorge – das Gegenstück von Hoffnung – zum Ausdruck, dass dies eventuell wieder geschehen könnte. Hoffnung macht hingegen, dass die gesichteten Heuschrecken (noch?) nicht der gregären Form angehörten. Nur sie gäben Anlass zur Problematisierung.

 

28. Juni 2005, Exzerpt 2

 

015 Daur Weißt du was das eigentliche Problem ist?
016 Serin Hm?
021 Daur Diejenigen, die in Schwärmen fliegen, die im Norden starten und von außerhalb ins Land kommen.
022 Majaw Von außerhalb ins Land kommen.
023 Serin Diejenigen, die aus den Bergen kommen.
024 Daur Ja, diejenigen, die wie eine Wolke aussehen.
025 Serin Das sind diejenigen, die dem Land Probleme bereitet haben.
026 Daur Sie sind die wahre Gefahr, sie sind die Gefahr, aber-
027 Serin Das sind diejenigen, die hergekommen sind und das Land gestürmt haben.
028 Daur Aber das sind keine gewöhnlichen Grashüpfer, das sind keine gewöhnlichen Grashüpfer.

 

Nun, nachdem ausgesät wurde, wird das ganze Gespräch über immer wieder ein neuer Aktant per Gebet angesprochen: Gott. Das Gebet als Exteriorisierung des Willens bzw. der Hoffnung und Akt der Inklusion Gottes in das Netzwerk ist dialogisch aufgebaut, wie es bei den Wolof meistens der Fall ist.

 

28. Juni 2005, Exzerpt 3

 

014 Serin Möge Gott sie abwehren, möge Gott sie abwehren.
017 Daur Möge Gott-
018 Serin -sie abwehren-
019 Daur -und uns vor ihnen bewahren,-
020 Serin so dass nichts geschehen wird.

 

28. Juni 2005, Exzerpt 4

 

033 Daur Mhm, möge Gott uns helfen, so dass wir gar nicht erst etwas unternehmen müssen.
034 Serin Amen!

 

Mit anderen Worten: Die Wolofbauern versuchen, einen Aktanten für ihre Anliegen zu interessieren und mit einer spezifischen Rolle – der Hilfe, Gefahrenabwehr und des Schutzes – in ihr Netzwerk zu integrieren. Im Gespräch wird der Bösartigkeit der Heuschrecken in einem Antagonismus die Barmherzigkeit Gottes gegenübergestellt.

 

28. Juni 2005, Exzerpt 5

 

030 Daur Diese Riesenschwärme sind wirklich übel.
031 Serin Ja, aber Gott ist barmherzig.

 

Auch ein weiterer Aktant wird ins Spiel gebracht: der Staat bzw. ein Verbund west- und nordwestafrikanischer Staaten, der in diesem Jahr möglicherweise schneller agieren würde als im Jahr zuvor. Die bauern können also auf die Bildung eines effizienten Aktanten-Netzwerks hoffen, das seinerseits die lokalen Bevölkerungen gar nicht einbezog. Da sie nicht beteiligt sind, bleibt ihnen nur, darauf zu hoffen.

 

28. Juni 2005, Exzerpt 6

 

032 Majaw Der algerische Präsident hat gesagt, dass sie etwas dagegen unternehmen werden.
033 Daur Mhm, möge Gott uns helfen, so dass wir gar nicht erst etwas unternehmen müssen.
034 Serin Amen!
035 Majaw Er hat gesagt, dass er etwas dagegen unternehmen wird. Ich weiß nicht mehr genau, mit wem.
036 Daur Das ist, was ich für Maj-, Serin hoffe.
037 Majaw Die Berge, wo sie schlüpfen.
038 Daur Er sagte, dass sich sieben Länder zusammentun würden, um sich eine gemeinsame Strategie zu überlegen. Um sie dort ausfindig zu machen, wo sie schlüpfen. Sie werden eine Lösung finden, die uns Frieden bringt.
039 Serin Du hast Recht. Einfach diese Berge. Wenn sie nur dorthin gingen und ihre Zugänge versperrten oder sie bestreuen, besprühen würden.
040 Daur Ja.
041 Majaw Sie ausräuchern würden.
042 Serin Ja, drinnen, nur das würde sie verschwinden lassen.
043 Majaw Sie können sich dort wirklich gut reproduzieren.
044 Serin Ja.

 

Kurz danach äußern sie nochmal ihre Sorge, dass Heuschreckenschwärme möglicherweise doch bereits in ihrer Region sind.

 

28. Juni 2005, Exzerpt 7

 

045 Daur Aber sie sind schon viel weiter als dort [Marokko].
046 Serin Ja, das sind sie vermutlich.
047 Daur Wenn sie nur dort stoppen würden. Sie sammeln sich von Thies bis hinter Linguère.
048 Serin Ja.

 

Es ist ein Hoffen und Bangen. In den Gesprächen kommt immer wieder die Hoffnung auf Bildung eines Aktanten-Netzwerks zum Ausdruck, das neben dem Regen, das Saatgut für die Hirse und ihre Feldarbeit (als immutable mobiles) sowie die Divinatoren, Gott, eine Reihe nordwest- und westafrikanischer Staaten und vor allem die Abwesenheit von Heuschrecken umfassen sollte. Es gibt viele Größen, die sie nicht beeinflussen können.

Nach einem dritten Gebet äußert Majaw in Zeile 053 wieder Hoffnung und spricht von der Schönheit des sprießenden Grüns, wenn der Regen kommt.

 

28. Juni 2005, Exzerpt 8

 

049 Daur Es sieht aus wie eine Wolke, alles flattert, furchtbar. Möge Gott uns helfen, dass sie einfach nicht anfangen zu fliegen.
050 Serin Amen. (seufzt)
051 Daur Möge Gott uns helfen, dass sie nicht hierherkommen.
052 Serin Amen, möge Gott uns helfen.
053 Majaw Heute war das Gras und alles so wunderschön. Wenn es nur sprießt, wird es so wunderschön sein.

 

Hoffen und Bangen, Zuversicht und Sorge drücken letztlich aus, dass die Bauern des Kajoor nur zu einem geringen Anteil selbst agieren können. Wesentlich größer ist der Anteil, zu dem sie auf andere Akteure und Aktanten, die sie nicht beeinflussen können, angewiesen sind. Gegenüber dem von ihnen angesprochenen Netz an Akteuren sind sie selbst ein passives Element. Sie selbst bilden gewissermaßen ein „Patiens-Netzwerk“, das erzwungene Passivität, Hoffen, Beten und Verfluchen umfasst.

Wichtig für die Bauern war es, in ihrer erzwungenen Passivität, sich vor allem der Vereinnahmung durch das Aktanten-Netzwerk der Heuschrecken zu entziehen und auf die Bildung eines Gegennetzwerks der senegalesischen Behörden und der internationalen Gemeinschaft zu hoffen bzw. dafür zu beten. Die Bauern befanden sich über weite Teile fast wie boundary objects (bzw. boundary subjects) mit nur ausgesprochen geringer Handlungsmacht ausgestattet als erduldende „Patienten“ (als begriffliches Gegenstück zu handlungsmächtigen „Akteuren“) zwischen den beiden in den vorherigen Abschnitten beschriebenen Netzwerken. Diese Hilflosigkeit zeigt sich u.a. durch Ironie und Indirektheit als rhetorische Strategien im Umgang mit den Heuschrecken (vgl. auch Kuipers 2002), aber auch durch Abwertung und Verfluchen.

In einem dritten Gespräch, das zwei Jahre nach der Invasion der Heuschreckenschwärme von 2004 stattfand (am 4. Juli 2006), erzählt Laay mit großer Selbstironie und aus der zeitlichen Distanz, nachdem er und die anderen Bauern ihre Handlungsmacht wieder gewonnen hatten, wie er die Ankunft der Heuschrecken damals persönlich erlebte und wie ihn dabei die Hoffnung verließ.

 

4. Juli 2006, Exzerpt 1

 

001 Majaw Diese Regenzeit, sagte er, ist genauso. Es macht budum, bum-bum, bum-bum-bum [imitiert den Donner], so dass du nur sagst: „Los!“ Nichts hält einen auf und alles scheint wunderbar zu wachsen. Das ist wie in dem Heuschreckenjahr. Serin Modu selbst kommentierte es so. Er sagte, plötzlich, plötzlich verlierst du die Hoffnung in alles und in die Regenzeit.
002 Laay Ach, in jenem Jahr war ich kurz davor, eine Menge Hirse zu ernten. Wirklich in jenem Jahr ein ganzer Eselskarren voll voll voll voll voll von Hirse, die üppig üppig üppig üppig üppig üppig war. (lacht) Damals kam ich von einer Pilgerfahrt nach Daaru Musti zurück. Sie sagten der Osten ist so, der Osten ist so.
003 (Gelächter)
004 Laay Der Osten wird unter Wasser stehen. Ich sagte: „Oh, es ist Mittag.“ Ich sagte, „Lasst uns das Hausfeld anschauen.“ Da waren nur einige wenige. Damals war es so, dass wir planten, am folgenden Tag eine Vorernte der Hirse zu machen. Als wir hinkamen, rannten rannten rannten wir. Jeder einzelne Hirsekolben, den wir berührten, war fünf Minuten später knallgelb [von Heuschrecken].
005 Majaw Ja.
006 Laay Knallgelb!
007 Majaw Sie fangen unten an.
008 Laay Du meine Güte!
009 Majaw Und dann klettern sie hoch zur Spitze.
010 Laay Und meine Hirse war ganz ganz ganz ganz ganz ganz ganz reif. Wirklich.
011 Majaw Wenn du das früher gewusst hättest, hättest Du sie einfach geschnitten und auf die Erde gelegt.
012 Laay Ja, damals, aber Du kannst nicht genießen, was noch nicht dein Glück geworden ist. Keiner kann das genießen. Du meine Güte! Ich hätte eine so gute gute gute Ernte machen können. Ich bin mir sicher, ich hätte zweihundert Zentner reife Hirse gehabt. Zweihundert Zentner reife Hirse! Das ist so viel wie meine Ernte in diesem Jahr. Es ist ein Eselskarren voll voll voll voll voll voll, aber dennoch mag es sein wie es ist. Wenn ein Feld ergiebig sein soll, dann soll es so sein.
013 Njaga Ja.
014 Laay Und wenn es nicht klappt, dann machst du dich kaputt für gar nichts. Ganz ehrlich, ich habe jede Ecke beackert. Im vorletzten Jahr, als ich es zum ersten Mal wieder bewirtschaftet hatte, da es zuvor brach gelegen hatte, brauchte ich drei Pflugklingen. Und dann als Regen kam und ich säte …! (lacht) Wie gut das Leben sein kann, Mensch.
015 Njaga Ja.
016 Laay Meine Güte!

 

Majaws Äußerung und Laays Bericht beginnen mit dem permanenten Problem, dass die Zukunft ungewiss ist. Laay präsentiert in selbstironischer Haltung seine persönliche Geschichte, die in Hyperbeln und dramatischen Wiederholungen formuliert ist, und schließlich, besonders in den Zeilen 012 und 014, unter eher allgemeinen Gesichtspunkten bewertet. Insbesondere seine Formulierung „Du kannst nicht genießen, was noch nicht dein Glück geworden ist“ (ludul wersag meneesu ko lekk) in Zeile 012 verdeutlicht, wie sehr die Bauern in zeitlichen Dimensionen denken und wie sie die Kontingenz und Ungewissheit des Lebens (mit anderen Worten: die Ungewissheit über ihre Inklusion in und Exklusion aus Akteur-Netzwerken) in ihr Denken miteinbeziehen. Zeile 014 verdeutlicht die Arbeitsmoral und vor allem die Genugtuung nach erfolgreicher Arbeit in ihrem Kontrast mit dem erst darauffolgenden (und daher noch unbekannten) Unglück.

Hier zeigt sich noch einmal der Zusammenhang zwischen dem Schritt der Problematisierung und der Zeitlichkeit von Prozessen bzw. dem Handlungszwang, den sie erzeugen: Während die Problematisierung der Wüstenheuschreckenschwärme sich in der internationalen Gemeinschaft erst durch die negative Presse durchsetzte, ist sie im Alltagsleben der Bauern des Kajoors eine permanent mitlaufende, permanent abzuwägende und zu reflektierende Kategorie. Im Gegensatz zu den internationalen, staatlichen und institutionellen Akteuren, die auf wissenschaftliche und technologische Expertise unter der Perspektive des modernen Fortschritts-Narrativs zurückgreifen konnten, versuchen die Bauern des Kajoor, Wege und Ansatzpunkte zu finden, die empfänglich für ihre eigene Reichweite und Einflussnahme sind und ihnen bis zu einem gewissen, allerdings beschränkten Grad die eigenmächtige Initiierung von Akteur-Netzwerken erlauben. Das zeigt, dass nicht nur eine Art von Netzwerk auf die Problematisierung der Heuschrecken folgen konnte, sondern sehr unterschiedliche Netzwerke, die im Falle der Bauern zudem sowohl Akteurs- als auch Patiens-Elemente umfassten.

Das Interessement und Enrolment sowie die Mobilisierung der freundlichen ebenso wir der feindlichen Aktanten erfolgt also im Modus der Überredung und Persuasion, lockend und einladend im Falle der freundlichen, verfluchend und magisch bannend im Falle der feindlichen Aktanten.

 

5. Fazit

Dieser Text hat den Callon‘schen Ansatz zur Untersuchung von Machtverhältnissen – seine „Soziologie der Übersetzung“ – noch einmal anhand des empirischen Gegenstands eines Wüstenheuschreckenschwarms überprüft, der im Jahr 2004 in Westafrika einen großen Teil der Ernte der dortigen Bauern vertilgte. Dazu ist der Text zunächst der Entstehung und Bekämpfung des Schwarms aus Sicht der internationalen Gemeinschaft gefolgt. Ein Netzwerk internationaler politischer Akteure entstand, nachdem als obligatorischer Passagepunkt die globalen Medien über die Schwärme und die von ihnen angerichteten Schäden berichteten. Sie brachten als boundary objects Insektizide in Position, die neben der Vernichtung der Heuschrecken auch die Natur, Menschen und Viehbestände der betroffenen Region schädigten. Als zweites sind wir den Heuschrecken gefolgt, deren netzwerkbildender obligatorischer Passagepunkt der Regen war, der die erforderliche Populationsdichte zur Transformation der Grashüpfer in gregäre Heuschrecken erzeugte. Nahrungsknappheit führte dann zum notwendigen Stress, der die Selbstreproduktion und den Selbsterhalt der Schwärme, die unter anderem auch durch Kannibalismus angetrieben werden, sicherstellte. Den Heuschreckenschwärmen gelang es letztlich nicht, genügend weitere Aktanten für ihr Netzwerk zu gewinnen, so dass am Ende alle Aktanten des eigenen Netzwerks inklusive großer Teile der Vegetation vernichtet wurden. Die lokalen Bauern der Region Kajoor im Nordwestsenegal, denen ich als drittes gefolgt bin, hatten zunächst das schwächste eigene Netzwerk aufzubieten und waren auf Hoffen und Bangen, Appelle und Flüche bei der Gestaltung eigener Netzwerke angewiesen. Ihre obligatorischen Passagepunkte waren permanent unklar und vage, so dass es letztlich gar nicht zur Ausbildung handlungsgenerierender Akteur-Netzwerke kam. Vielmehr mussten ihre verzweifelten Versuche des Selbstschutzes letztlich in einer Patiens-Position verharren.

Ein alternatives Narrativ könnte alle drei Netzwerke zusammenfassen und ein großes Netzwerk zugrundlegen, dass die internationale Gemeinschaft, die Wüstenheuschreckenschwärme und die Bauern des Kajoor umfasst und mit der Vernichtung eines Teils der Aktanten – hier: der Heuschreckenschwärme und der Vegetation – endete. Es hätte ebenso gut die Menschen treffen können, was tatsächlich historisch häufig der Fall war. Da die globalen Medien sehr viel mehr Aktanten inklusive neuartiger boundary objects[6] wie Insektizid aktivieren konnten, waren es aber dieses Mal die Heuschreckenschwärme, die aus dem Netzwerk durch Vernichtung ausgegliedert wurden.

Geht man davon aus, dass sich Aktanten vor allem dann gegenseitig in ein Netzwerk einbinden, wenn sie in der Lage sind, ihre jeweiligen Bedürfnisse füreinander zu übersetzen, dann ist diese Übersetzung im vorliegenden Fall gescheitert, denn die Assoziation dient letztlich der wechselseitigen Verstärkung der Aktanten: „An Actant can gain strength only by associating it with others“ (Latour 1988: 160). Die Grundlagen der Übersetzung werden aber nicht im Vorhinein aus klar identifizierbaren natürlichen Bedürfnissen definiert, sondern emergieren im Verlauf der Übersetzung selbst, bisweilen auf unvorhergesehene Weise. Daher ist auch letztlich nicht abzusehen, was das Resultat der Übersetzungen ist, die der sozialen und natürlichen Welt „fortschreitend“ Form verleihen (Callon [1986] 2006: 170).

Warum fanden die Wüstenheuschrecken im Gegensatz zu den Jakobsmuscheln keine Fürsprecher? Waren sie potenziellen Ko-Aktanten zu unsympathisch in ihrer kannibalischen Schwärmerei?[7]

Ist das Callon-Latour’schen Modell nur anwendbar, wenn es sich um menschlich dominierte, fragile Wesen handelt, Wesen, die wie die Jakobsmuscheln sensibel und evasiv sind und Fürsprecher brauchen, da sie nicht selbst handeln können und eher Patiens-artige Beteiligte am Netzwerk sind? Was aber wenn, wie im diskutierten Fall die Menschen diese Patiens-artigen Netzwerk-Beteiligten sind? Liegt dem Modell also letztlich doch eine anthropozentrische Unterscheidung zwischen guter, schützenswerter und böser, zerstörerischer Natur zugrunde? Sind die Heuschrecken Dissidenten, Verräter am Netzwerk, das aus ethischer Sicht prosozial ausgerichtet sein und der gegenseitigen Unterstützung dienen soll? Bezeichnet der Begriff der Übersetzung unter Berücksichtigung der generalisierten Symmetrie auch Metabolismus – die stoffliche Übersetzung pflanzlicher, tierischer und menschlicher Körper in Energie und neue, lebendige Körper im ökologischen Sinne?

Latour selbst spricht zwar auch von Heuschrecken, kann uns aber nur ansatzweise eine Antwort geben. Für ihn gehört das Unzähmbare, nicht in menschliche Moralvorstellungen Einordenbare zum Wesen der Heuschrecken (Latour 1988: 198). Sie gehören zu den irreduziblen, rebellischen Kräften, die sich selbst auf unvorhersehbare, undomestizierte Weise einbringen, aber nichts planbar Produktives in das Netzwerk hineingeben. Sie haben selbst als unsere besten Freunde, zumal als Feinde unserer Lebendigkeit, nun einmal “other goals and other destinies that cannot be summed up. The moment we turn our back, our closest friends enroll themselves under other banners” (Latour 1988: 198). Das große Netzwerk des Lebens wird sie irgendwann wieder auferstehen lassen.

 


Footnotes

[1] In den folgenden Abschnitten beziehe ich mich hauptsächlich auf die Analysen von Enserink 2004, IRIN 2004, Lecoq 2005 und Thiam/Kuiseu 2005.

[2] Dieser Zusammenhang dürfte zukünftig im Zuge der globalen Erderwärmung noch mehr an Bedeutung gewinnen.

[3] Im folgenden Abschnitt beziehe ich mich neben der direkt referenzierten Literatur auf Despland et al. 2004, Enserink 2004, IRIB 2004, Lecoq 2005, Thiam/Kuiseu 2005, Ceccato et al. 2006, Ceccato et al. 2007, Sánchez-Zapata et al. 2007, Bazazi et al. 2011 und Ma et al. 2011.

[4] Die Gespräche wurden auf Wolof geführt. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit sind sie nur in deutscher Übersetzung wiedergegeben. Bei der Transkription und Übersetzung wurde ich von Malick Faye unterstützt. Dank gilt außerdem der Forschungsgruppe „Communicating Disaster“ (2010-2011; Zentrum für Interdisziplinäre Forschung, Universität Bielefeld), mit der ich Gelegenheit hatte, die Daten zu diskutieren. Besonderer Dank geht an Dieter Neubert (Universität Bayreuth), der Mitglied dieser Forschungsgruppe war und einen Teil der Transkription finanziert hat.

[5] Vgl. auch McCabe 2002 zur Flexibilität der Bauern in der Sahel-Region in Bezug auf ihre Subsistenzstrategien.

[6] Im Falle der Perspektive eines einzigen Netzwerks wären es vermutlich immutable mobiles.

[7] Bereits Ende 2004 kam es weltweit zu einer Art Ästhetisierung der Heuschrecken-Katastrophe in den Medien, als ein Bild von Pierre Holtz (Reuters) den zweiten Preis für das Pressefoto des Jahres (World Press Photo Award) in der Kategorie „Natur“ verliehen bekam. Das Foto zeigt Kinder, die lachend hinter Heuschrecken herrennen und mit ihnen spielen, und versinnbildlicht so die volle Ambivalenz der Katastrophe. Der Telegraph vom 2. September 2004, der das Bild abdruckte, übersah diese der westlichen Rezeption widersprechende Ambivalenz und kommentierte es mit: „Children fled in terror as swarms of ravenous locusts invaded Senegal’s capital, Dakar, yesterday, devouring every patch of greenery in their path.“


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