23/02/21

Baden-Baden 1982

Da standen wir nun und der Türsteher ließ uns nicht rein.

Wir, das waren Ziggy XY, Markus Oehlen, Süsskind und ich. Unter dem Namen „Kosmonautentraum“ waren wir als Freie Dilettanten gemeinsam zu temporärem Ruhm gekommen.

Am 4. September 1981 hatte im Berliner Tempodrom „Die große Untergangsshow – Festival Genialer Dilletanten“ (sic!) stattgefunden, auf dem u.a.  „Einstürzende Neubauten“, „Sprung aus den Wolken“ sowie „Die Tödliche Doris“ auftraten. Der „Poptheoretiker“ Diedrich Diederichsen meinte später, es habe sich dabei eher um „die zweite Generation der Fluxusbewegung als die erste Generation Dilettantismus“ gehandelt. Honi soit qui mal y pense.

Im Jahr 2015 kuratierte das Goethe Institut eine Wanderausstellung unter dem Namen „Geniale Dilletanten“, die zuerst im belarussischen Minsk und danach – in logischer Konsequenz – in München gezeigt wurde. Für eine die Ausstellung ergänzende Musik-CD war eines unserer Werke ausgewählt worden, „Kosmonautentraum Nr. 12“, auch bekannt unter dem Titel „Stolze Menschen“. Als Teil der westdeutschen Subkultur der frühen 80er wurden wir also 25 Jahre später, finanziert aus deutschen Steuermitteln, als gesamtdeutsche Kulturbotschafter auf (inter)nationale Mission geschickt. Ein Treppenwitz der deutschen Nachkriegs-Musikgeschichte.

Wir standen also nachts vor der Tür einer Disco in Baden-Baden und der Türsteher ließ uns nicht rein. Das war irgendwann 1982. Der SWR hatte uns nach Baden-Baden zur Aufzeichnung einer Fernseh-Musiksendung eingeladen, in der wir das Werk „Kosmonautentraum Nr. 20“, auch „Deutsche Nacht“ genannt, vortragen sollten. Neben den üblichen Verdächtigen der damals schon unsäglichen „Neuen Deutschen Welle“ wie z.B. Joachim Witt, der seinen „Goldenen Reiter“ darbrachte, waren wir wohl als Vertreter des Dilettantismus ausgewählt worden. Die Redakteurin des SWR war der Ansicht, dass wir nach der Aufzeichnung in diese Disco gehen sollten. Eventuell war es aber auch nur die einzige Disco in Baden-Baden. Egal.

Der Türsteher ließ uns nicht rein. Zugegeben, wir sahen nicht so aus wie das restliche Publikum. Anfang der 80er Jahre war es nicht einfach, nicht schlecht gekleidet zu sein. Breite Schulterpolster und Karottenjeans seien beispielhaft genannt.  Die anderen Besucher standen anscheinend auf diesen „Stil“. Wir sahen jedenfalls anders aus. Teil unseres holistischen Dilettantismus war auch die Zusammenstellung unserer (Be)Kleidung. Wenn ich mich recht erinnere trug ich damals einen blauen Mao-Anzug, um die Waden hatte ich Gamaschen gewickelt, die aus dem Nachlass meines Großvaters stammten, und dazu eine spät-bolschewistische Pelzmütze. Süsskind trug wohl einen sehr eng anliegenden lilafarbenen Samtpullover zu einer früh-kaledonisch anmutenden Stoffhose und darüber einen grau-melierten Mantel mit ultrabreiten Revers im Stil der Adenauer-Zeit. Markus, der Älteste unter uns, immerhin hatte er die Mitte 20 schon überschritten und praktizierte hauptberuflich als Junger Wilder, erfasste die Situation. Er ging zum Türsteher, zeigte auf Süsskind und sagte: „Der Mantel sieht zwar echt Scheiße aus, aber der war richtig teuer!“ Der Türsteher warf einen irritierten Blick auf Süsskind und seinen Mantel, versuchte das Gehörte in einen sinnstiftenden Kontext zu bringen und dann wurden wir von ihm reingelassen.

Wie es drinnen war und wie es weiterging, erinnere ich nicht mehr.

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Viele Jahre später schrieb mir Süsskind: „Du warst gar nicht so ein schlechter Gitarrist wie ich damals immer dachte.“ Er hatte es in Großbuchstaben geschrieben! War es ein Kompliment? Er sagte, er meine es so. Damals war er ein Ironiker. Hatte er sich über die Jahre geändert? Ich habe nicht weiter nachgefragt.

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„Die Welt will betrogen sein, gewiß. Sie wird aber sogar ernstlich böse, wenn Du es nicht tust.“

(Walter Serner, Genf im August 1927)