24/04/18

Warum die Umbenennung der DGV in DGSKA ein Fehler war

Früher Nachmittag des 6. Oktobers 2017, Hörsaal 1a der sog. Rost- und Silberlaube der Freien Universität Berlin: Aus einigen Ecken des Hörsaals ertönen verhaltene Freudenschreie, Menschen haben Tränen in den Augen, manche fallen sich mit einem ‚endlich geschafft‘ in die Arme. Was war passiert? Hatte die Europäische Union gerade in Brüssel bekanntgegeben, aufgrund der bei der Eröffnung der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde (DGV) am Vortag geäußerten fulminanten Kritik ihre Flüchtlingspolitik umzuwerfen und die Vorschläge der in Berlin versammelten Ethnologinnen für eine humanere Flüchtlingspolitik zu übernehmen? Hatten die deutschen Bundesländer beschlossen, Ethnologie als Schulfach einzuführen, sodass die vielen anwesenden jungen Ethnologen jetzt sichere Berufsperspektiven hatten? Hatte die Fußball-Frauenmannschaft der ‚großen‘ DGV (V für Völkerkunde) gerade die der kleinen dgv (V = Volkskunde) zweistellig geschlagen?

Nichts von alledem. Vielmehr hatte sich die ‚große‘ DGV gerade in DGSKA umbenannt – ein Zungenbrecher, der sich in Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie auflöst. Auszusprechen irgendwie wie Degeskáa. Jüngere und sich jung fühlende Menschen verbinden mit dem Kürzel vielleicht eine Gesellschaft, die sich einer besonderen Musikrichtung widmet. Ich assoziiere mit DGSKA eine Sondereinheit der Polizei, oder eine Unterabteilung in der Brüsseler EU-Bürokratie, oder eine deutsche Gesellschaft für Knochenmarkspenden. Und wie soll man das Ding überhaupt aussprechen?

Im ersten Wahlgang (technisch gesehen, wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, nur ein ‚Stimmungsbild‘), in dem mehrere Alternativen zur Abstimmung standen, stimmten 110 Anwesenden (55%) für SKA, 88 für Ethnologie. Berücksichtigt man noch die 15 Stimmen aus diesem ersten Wahlgang, die für die Beibehaltung des Begriffs Völkerkunde abgegeben worden waren, dann war die Entscheidung also denkbar knapp. (Im zweiten Wahlgang, als es nur noch um ein für oder gegen SKA ging, erhielt SKA 167 Stimmen.) Anwesend waren ca. 30 % der DGV-Mitglieder (216 von 731). Mit anderen Worten hatten 15 % der Mitglieder der DGV die Umbenennung herbeigeführt.

Für viele Anwesende war der Vorgang anscheinend höchst bedeutungsvoll. Im Rauschen der Twitter-Nachrichten, die die Abstimmung kommentierten, waren Sätze zu lesen wie ‚endlich die Last der Vergangenheit abgeschüttelt‘, ‚endlich die Voraussetzungen dafür gegeben, dass sich das Fach mit seiner Geschichte auseinandersetzen kann‘, ‚ein längst überfälliger Schritt‘, ‚Glückwünsche zur Ankunft im 21. Jahrhundert‘. Auf Facebook plädierte jemand dafür, das Fach ‚sprachlich an die Zukunft anpassen’. Manche der Twitter-Nachrichten waren auch mit dem Hashtag #Umbenennung versehen, passend dazu, dass Berlin aktuell eine Hochburg von Umbenennungskampagnen ist.

Dass die Umbenennungsdiskussion intensiv per Twitter vorbereitet und begleitet wurde, habe ich allerdings erst im Nachhinein bemerkt. Wie die meisten Fachvertreter, war ich erst kurz vor der Tagung in die Debatte einbezogen. Unser Medium war der Email-Verteiler „alleInstitute“. Über diesen hatte Dieter Haller am 18. September, drei Wochen vor der Berliner DGV-Tagung, mitgeteilt, dass es ihm „nach langen Kämpfen“ gelungen sei, seine Bochumer Professur für Sozialanthropologie in Professur für Ethnologie umzubenennen, und welche Gründe ihn dazu bewogen hatten. In der durch diese Mitteilung losgetretenen Debatte sprach sich die große Mehrheit derer, die sich zu Wort meldeten, für eine Umbenennung der DGV in Gesellschaft für Ethnologie aus. Damit blieben die Fachvertreter aber anscheinend unter sich. Die weniger etablierten Anhänger einer Umbenennung organisierten sich, von den meisten Fachvertretern unbemerkt, eher über Twitter, und riefen dort ihre Anhänger zur Abstimmung auf. “#dgv2017 Breaking News: confidence high that quorum will be reached!”, konnte man da am Mittag des 6. Oktober zum Beispiel lesen.

Zwischen 2015 und 2017 waren 102 neue Mitglieder in die Gesellschaft aufgenommen worden, 83 hatten sie verlassen. Bekanntlich kann man Mitglied der DGV (jetzt DGSKA) werden, wenn man vier Semester Ethnologie studiert hat – ein Studienabschluss ist nicht erforderlich. Noch kurz vor der Tagung wurde diese Zielgruppe vom Berliner Vorstand auf Facebook umworben – dort hatte jemand angefragt, ob er als „als einfacher Student überhaupt Mitglied“ sei und abstimmen dürfe („wenn ja dann komme ich sofort“).

Es ist mir nicht bekannt, wie viele Mitglieder der DGV überhaupt einen Studienabschluss haben, und wie sich das bei den seit 2015 neu hinzugekommenen Mitgliedern darstellt. Die Vermutung drängt sich auf, dass Berliner Studentinnen und Studenten der Ethnologie (jetzt: „Berliner Kultur- und Sozialanthropologen und –anthropologinnen“), die meisten erst seit kurzem Mitglied in der Gesellschaft und wachrscheinlich noch wenig mit dem Fach und seiner Geschichte vertraut, erheblichen Anteil an der Entscheidung hatten.

Ich weiß auch nicht, ob das vom Berliner Vorstand so gewollt war — die Berliner hatten ihr Institut ja erst zwei Jahre zuvor entsprechend umbenannt — oder ob ihnen mangels politischer Erfahrung die Diskussion einfach entglitt.

Dass ‚im Fach‘ zuvor eine breite Diskussion stattgefunden habe – wie vom Vorstand unterstrichen – sehen vielleicht nicht alle so. Nach meiner Wahrnehmung hatte sich diese Diskussion auf zwei vorausgegangene Geschäftsführer-Tagungen beschränkt, an der ja nur wenige Professorinnen teilnehmen, sowie ein Treffen der neuberufenen Professoren. Dabei war die Stimmung eher für ‚Ethnologie‘. Ich hatte dem Vorsitzenden der DGV am 23. September 2017 vorgeschlagen, die im Verteiler ‚alleInstitute‘ bis Anfang Oktober auflaufenden Beiträge über die Homepage der DGV öffentlich zu machen. Das wollte er aber wg. des „damit verbundenen Aufwands“ nicht. Das stattdessen auf der Tagung verteilte, und mit wahrscheinlich mehr Aufwand hergestellte Handout, das die stattgefundene Diskussion zusammenfassen sollte, empfand ich als parteiisch zugunsten DGSKA. In Berlin selbst fand dann überhaupt keine Diskussion mehr statt; das wäre allerdings auch kaum möglich gewesen. Man hätte jedoch durchaus zuvor eine Mitgliederbefragung organisieren können – bei sicher weniger wichtigen Entscheidung über das neue Logo wurde das jüngst auch so gemacht.

Apropos Twitter: es ist anscheinend üblich geworden, bei Tagungen per Twitter hysterische Schnipsel aus Vorträgen und Arbeitsgruppen-Diskussionen der gespannt wartenden Weltöffentlichkeit mitzuteilen, manchmal mit dem Vorspann „breaking news“, oder auch (hoffentlich ironisch gemeint) “live leaks of the latest and hottest stuff from the #dgv2017”.

Hier ein paar Beispiele:

“R. Rottenburg: practices happen in interstitial time-spaces and make the present #DGV2017” (man hört förmlich das mitgedachte ‘wow!!!’)

“C. Lentz: get away from the picture of our interlocutors as victims“

“Michael Schönhuth highlights: check with other professionals to open up your blind spots/young scholars change habitus about ethics #DGV2017”

„Power, war and violence reveal the constructed nature of time and space“

“Roman Loimeier compares disciplinary history with cyclical/generational ancestor worship/deconstruction. Streck: yes, cosmology! #dgv2017”

Drängende Fragen wie:

„Löst ‚Infrastrukturierung‘ das Konzept der Assemblage in den #STS ab? #DGV2017“

blieben allerdings meist unbeantwortet, ebenso wie die ethnologischeTwitter-Gemeinde Menschen mit ihren persönlichen Dilemmata, z. B.:

„I’m still undecided between workshop 9 on #STS and number 4 on embodied belonging #dgv2017“

unverständlicherweise alleine ließ.

Ich war übrigens bei der Recherche zu diesem Text höchst erfreut, mich selbst zitiert zu sehen:

„Th. Bierschenk sees refugee crisis as a windfall for anthropology. And touches (provocatively, hah!) on crisis of representation. #dgv2017“.

Allerdings leider ohne den Zusatz ‚breaking news‘. Ebenso blieb die Zahl der Retweets dieser Sensationsnachricht bescheiden. Ich tröstete mich damit, dass sie bei den anderen Tweets auch meist unter 3 blieb.

Warum halte ich die getroffene Entscheidung für falsch, und warum wäre, wenn schon Umbenennung, eine in ‚Gesellschaft für Ethnologie‘ (also mit gleichzeitiger Streichung des ‚deutsch‘) besser gewesen?

 

Eine essentialistische Namensdebatte kann keine eindeutigen Ergebnisse produzieren

Überraschend war, wie essentialisierend diese Debatte gerade von Anhängern einer Umbenennung geführt wurde. Es wurde so getan, als könne es eine Bezeichnung geben, die das ‚Wesen‘ unseres Faches eindeutig abbildet. Das halte ich für einen bürokratischen Namensfetischismus, wie er sich auch in manchen anderen Umbenennungsdebatten widerspiegelt. Poststrukturalistische Texte werden heute im Ethnologiestudium anscheinend nicht mehr gelesen. Vielmehr wurde so getan, als sei mit der Umbenennung die Geschichte des Faches quasi entsorgt. Manche Befürworter von SKA verstiegen sich sogar zu der Behauptung, erst mit der Umbenennung sei die Voraussetzung dafür gegeben, dass sich das Fach mit seiner Geschichte auseinandersetzen – angesichts der breiten Literatur, die deutsche Ethnologen zur Geschichte des Faches, auch den sehr problematischen Seiten, verfasst haben, entweder Ignoranz oder Unverschämtheit. In Wirklichkeit haben alle drei zur Wahl gestellten Namensvarianten ganz erhebliche Nachteile: Völkerkunde und Ethnologie wegen des Volksbegriffes, Sozial- und Kulturanthropologie dagegen wegen der damit formulierten Unschärfe: untersucht die SKA wirklich ‚den‘ Menschen in seinen sozialen und kulturellen Bezügen‘, wie manche Teilnehmer der Debatte behaupteten? Oder den ‚Menschen an und für sich‘, wie das dann auf einer studentischen Facebook-Seite rezipiert wurde? Dazu werden sicher andere Beiträgerinnen zu diesem Blog noch was zu sagen haben.

Wenn aber eine identitäre Logik in der Namensfrage nicht weiterhilft, dann kann es eigentlich nur zwei Kriterien bei der Entscheidung geben: das der Vermittelbarkeit in die Öffentlichkeit, und das der internen Kohärenz in der Begriffsverwendung – beides spricht für den Begriff Ethnologie.

 

Die Entscheidung ist in der Öffentlichkeit nicht vermittelbar

Für ein Fach, dass sich seit mindestens 50 Jahren den Kopf darüber zerbricht, was eigentlich seine Rolle in der postkolonialen Wissenschaftsgemeinde sein sollte, muss der Gesichtspunkt der Vermittelbarkeit in die Öffentlichkeit der entscheidende Gesichtspunkt sein. Ich erinnere mich daran, wie ich vor einigen Jahren einigen jungen und smarten Bankern der KfW erklärte – ich hatte gerade einige der bahnbrechenden Aufsätze von Han Vermeulen gelesen[1] –, dass der Begriff der Völkerkunde im 18. Jahrhundert von deutschen Wissenschaftlern erfunden worden sei und damals, mit dem Synonym Ethnologie, eine Art vergleichende und nichtnormative historische Soziologie und Weltwissenschaft bezeichnete. Völkerkunde war ein Kind der Göttinger Aufklärung und verstand sich, lange vor den Evolutionisten des 19. Jahrhunderts und lange vor Boas und Malinowski, als Wissenschaft des empiriegestützten diachronen und synchronen Gesellschaftsvergleichs. Die Fachbezeichnung verwies also auf ein Programm, mit dem sicher viele von uns sehr viel anfangen können. Liest man Georg Forsters Reise um die Welt, ein Buch, das diesem Paradigma verpflichtet ist, ist man erstaunt, wie modern, zum Teil fast postmodern, dort vieles formuliert ist. ‚Diesen Schatz (diesen Markennamen Völkerkunde oder Ethnologie, TB) werden Sie doch hoffentlich nicht aufgeben’, war die Reaktion meiner Gesprächspartner. Die Firma Volkswagen würde sich ja auch nicht umbenennen, obwohl bei ihr der Volksbegriff, anders als bei der DGV, tatsächlich aus der Nazizeit stammt. Und was ist eigentlich mit dem altehrwürdigen Kampflied der Arbeiterbewegung – an wen sollen die Signale jetzt gesendet werden, wenn es die Völker nicht mehr sein dürfen?

Die Umbenennung der DGV erfolgte just zu einem Zeitpunkt, zu dem sich in der Öffentlichkeit ein gewisses Verständnis dafür herausgebildet hatte, was unter Ethnologie zu verstehen ist – nicht zuletzt in der sog. Flüchtlingskrise, die ja das Thema der DGV-Tagung darstellte (weshalb der Berliner Senat ja auch nicht den Wissenschaftssenator zur Begrüßung geschickt hatte, wie er es bei den Biologen sicher gemacht hätte, sondern den Ausländerbeauftragen …). Wie selbstverständlich der Begriff der Ethnologie mittlerweile in der Öffentlichkeit ist, zeigte sich noch am gleichen Abend anlässlich der Diskussion zum Humboldt-Forum, die unter dem Titel „Ethnologie im Humboldt Forum“ angekündigt war, und in der es um die „Positionierung der ethnologischen Sammlungen und die Rolle der Ethnologie in der Gestaltung des Humboldt Forums“ ging. Folgerichtig sprach dann auch keine der anwesenden Ethnologinnen, auch nicht der Vorsitzende der DGSKA, von Sozial- und Kulturanthropologie; alle wurden als Ethnologen vorgestellt, und bezeichneten sich auch selbst so. Und die ‚Ethnologie‘ erhielt von Wolfgang Schäffner ein dickes Lob: die Kulturwissenschaften hätten sich in den letzten Jahren sehr ‚ethnologisiert‘ (und nicht ‚sozial- und kulturanthropologisiert‘), was er offensichtlich positiv bewertete. Die TAZ prognostizierte in ihrem Tagungsbericht, was auch schon in der Ankündigung der Tagung vorausgesetzt worden war: dass ‚ethnologische‘ Perspektiven am Humboldt Forum eine wichtige Rolle spielen würden.

Dass die Ethnologie Interessantes zu sagen hat, aber ein Problem damit hat, sich in der Öffentlichkeit darzustellen, fiel allerdings auch der TAZ auf. Bezeichnenderweise missverstand ja auch die Kanzlerin der FU Berlin, die die Tagung eröffnete, in ihrer Begrüßung konsequent deren etwas hochgestochenen Titel – sie machte mehrmals aus den ‚affektiven Praxen‘ solche, die ‚effektiv‘ sind. Es lässt sich voraussagen, dass die Medien weiterhin den Begriff Ethnologie verwenden werden, und dass dieser auch die internen Debatten dominieren wird.

 

Die Umbenennung vergrößert die begriffliche Inkohärenz im Fach

 Eine Umbenennung in DGE hätte auch die Dominanz des Ethnologie-Begriffes innerhalb des Faches widergespiegelt. Der fachinterne Sprachgebrauch wird vom Begriff Ethnologie dominiert, und wird es, so wage ich zu behaupten, noch lange bleiben. Im ersten Newsletter der neu so benannten DGSKA kommen die Begriffe Ethnologie oder ethnologisch über 70 Mal vor, und damit fast dreimal so häufig wie der Begriff Anthropologie. Die von der Gesellschaft herausgegebene Zeitschrift heißt weiterhin „für Ethnologie“; der größere Teil der Institute nennt sich ‚für Ethnologie‘, ebenso die Museen. Alle in den letzten 20 Jahren erschienen deutschsprachigen Einführungswerke ins Fach sprechen von Ethnologie. Und was machen wir in Zukunft in unseren Lehrveranstaltungen mit den Bindestrich-Ethnologien: wie werden stark nachgefragte Teilgebiete wie Organisationsethnologie oder Entwicklungsethnologie, die gerade auf die auch außerakademischen Kompetenzen von Ethnologinnen verweisen, in Zukunft genannt? Heißen unsere Methodenkurse jetzt ‚Sozialanthropographie‘? Das könnte zu Verwechslungen führen, denn unter Anthropographie versteht z. B. der Merriam Medial Dictionary „a branch of anthropology dealing with the distribution of humans as distinguished by physical character“. Dass manchmal auch Tätowierer als Anthropographen bezeichnet werdenb, macht die Sache nicht einfacher. Muss sich jetzt der bfe (Bundesverband freiberuflicher ethnolog_innen e.V./bfe) nicht auch umbenennen? Was ist mit der Facheinheit 106-01 der DFG („Ethnologie/Europäische Ethnologie“). Und wie gehen wir damit um, dass der Begriff der Kulturanthropologie bereits von der ehemaligen Volkskunde angeeignet wurde, und ist es sinnvoll, dass wir jetzt den Begriff der Ethnologie der ‚Europäischen Ethnologie‘ überlassen?

 

Die Umbenennung war inkonsequent

Darüber hinaus war die Umbenennung inkonsequent. Denn während der Volks-Begriff für manche Anhänger der Umbenennung anscheinend ein rotes Tuch darstellte, störte sich niemand an dem Begriff ‚deutsch‘, der – anders als der Volksbegriff – nun tatsächlich ein nationalsozialistisches Erbe darstellt. Bekanntlich wurde die Gesellschaft für Völkerkunde erst 1938 in ‚Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde‘ umbenannt.

Die Gesellschaft in eine für ‚Sozial- und Kulturanthropologie‘ umzubenennen (und nicht entweder Kulturanthropologie oder Sozialanthropologie zu wählen), war dagegen ein Kompromiss, um weiteren identitär geprägten Debatten zu entgehen. Insofern können wir uns also auf zukünftige Umbenennungsdebatten freuen, aufgrund von Anträgen, das K vor das S zu setzen (DGKSA statt DGSKA), oder entweder K oder S zu streichen. Ich werde mich dann auch bei Twitter anmelden.

 

Die Umbenennung löst die ohnehin poröse Grenze zu den Kulturwissenschaften, zur Volkskunde (neudeutsch meist ebenfalls Kulturanthropologie) und zur Soziologie weiter auf

Von Anhängern der Umbenennung in SKA wurde argumentiert, dass Ethnologinnen heute nicht mehr zu kulturell definierten Gruppen forschten. Es gehe um die „Beschreibung des (!) in Gesellschaft lebenden Menschen“, darum, „den Menschen als Menschen zu verstehen“, um „menschliches Sein in all seinen sozialen und kulturellen Bezügen“ (alles Zitate aus der Debatte auf dem Verteiler alleInstitute). Letzteres wurde dann von einer Studentin umformuliert in „das Menschliche in seinen sozialen und kulturellen Dimensionen“.

Ich weiß nicht, ob das ein Alleinstellungsmerkmal der Ethnologie sein kann — versuchen nicht alle Kultur- und Sozialwissenschaften, Menschen (im Plural!) in ihren sozialen und kulturellen Bezügen zu verstehen? Also die Kulturanthropologie, vulgo Volkskunde, die Kulturwissenschaften, die Soziologie, die Geschichtswissenschaften, oder auch die philosophische Anthropologie? Das würde dann weniger für eine Umbenennung als für die Auflösung der DGV/DGSKA und den Anschluss an die Deutsche Gesellschaft für Soziologie sprechen. In der DGS gibt es ja bereits eine Sektion „Entwicklungssoziologie und Sozialanthropologie“, in die könnten doch alle DGSKA-Mitglieder einfach eintreten …. Epistemologisch würde einiges dafür sprechen, universitätspolitisch allerdings weniger.

 

Mit der Umbenennung geht die analytische Leitdifferenz der ‚relativen Fremdheit‘ tendenziell verloren

Einen großen Nachteil der Aufgabe des Ethnos-Begriffes sehe ich darin, dass damit die für eine moderne Ethnologie, auch die der Zukunft, immer noch konstituierende, analytische Leitdifferenz der ‚relativen Fremdheit‘ tendenziell verloren geht. Die langandauernde Feldforschung in fremdkulturellen und fremdsprachlichen Kontexten als Basis einer quasi existentiellen Fremdheitserfahrung ist ohnehin aus verschiedenen Gründen auf dem Rückzug, und es dominieren zunehmend kurzfristige Forschungsformate at home.[2] Als einen Indikator dafür sehe ich den Wandel im Charakter der European Association for Social Anthropology. Einst gegründet als europäisches Gegengewicht zur amerikanischen Kulturanthropologie, ist sie zunehmend zu einer Vereinigung von Ethnologinnen aus aller Welt geworden, die über Europa forschen.

In der Praxis forschen Ethnologen allerdings doch meist über Gruppen, deren jeweilige Lebenswelten, und die Differenz zwischen Innen- und Außenperspektiven – mögen das transhumante Hirten in Westafrika, Migranten in Deutschland, Richter in Benin, Kapverder in Kanada, oder Siedler am Tschadsee sein. Dabei haben Ethnologinnen die anspruchsvolle Aufgabe, Differenzierungsprozesse zu beschreiben und Differenzen zu analysieren, ohne sie zu ‚verandern‘, d. h. ohne sie als grundsätzlich ‚inkommensurable‘ Fremdheit misszuverstehen. Dafür scheint mir ein reflektierter Ethnos-Begriff immer noch geeigneter zu sein als der der Anthropologie.

 

Die Umbenennung stellt eine Verbeugung vor dem anglophonen Ausland dar, und ist damit ein weiterer Schritt in der Selbst-Subalternisierung der deutschsprachigen Ethnologie

Dass die amerikanische cultural anthropology, und die britische social anthropology den Umbenennungswunsch inspirierten, liegt auf der Hand. Eine Teilnehmerin der Debatte auf alleInstitute hoffte, die Umbenennung erlaube dem Fach, „Ansätze aus den USA und GB … zu vereinen“ – was die Frage aufwirft, wie das gehen soll, und bei Teilnehmern der Debatte den Widerspruch produzierte, dass das doch eine sehr enge Sicht auf das globale ethnoscape sei. Hinter dem Umbenennungswunsch stand ganz offensichtlich das Bedürfnis, im Ausland besser lesbar zu werden. Dabei ging es aber keineswegs um die Gesellschaften, in denen sich deutsche Ethnologinnen immer noch vorwiegend bewegen, also die des Globalen Südens. Es ging in erster Linie um die USA. Sich als Kulturanthropologen zu bezeichnen, erspart einem deutschen Ethnologen einen gewissen Erklärungsaufwand gegenüber amerikanischen Kollegen.

Dabei wurde in Bezug auf die USA allerdings etwas missverstanden. Schon vor der Umbenennung hatte sich die DGV auf Englisch irreführend German Anthropological Association genannt, offensichtlich in Analogie zur American Anthropological Assocation (AAA). Eine Übersetzung als German Ethnological Society wäre treffender gewesen. Anders als die DGV ist die AAA ein Fachverband, dem wiederum einzelne gelehrte Gesellschaften angehören können. Neben der cultural anthropology umfasst die AAA, als Ausdruck der Boas’schen Vier-Felder-Lehre, auch die physische Anthropologie sowie die Linguistik und die Vor- und Frühgeschichte. Das Pendant zur deutschen DGV/DGSKA ist also nicht die AAA, sondern die American Ethnological Society, gegründet 1842 und Herausgeberin der hochrangigen Zeitschrift American Ethnologist. Die AES, ihrerseits Mitglied der AAA, behält allerdings wie selbstverständlich und mit großem Selbstbewusstsein ihren historisch überlieferten Namen bei. Wenn die Umbenennung also eine Verbeugung vor dem großen Bruder USA war, dann beruhte das auf einem peinlichen Missverständnis.

In den afrikanischen Ländern, in denen ich mich auskenne, nennt man sich dagegen besser nicht anthropologue, weil der Begriff für viele Gesprächspartner koloniale Assoziationen hat.

Mit anderen Worten, vor die Wahl gestellt, im imperialistischen Zentrum oder in der Peripherie besser lesbar zu werden, hat sich die deutsche Ethnologie gegen die Peripherie entschieden. Auf die Afrikaner kommt es hier ja auch nicht an, die Musik spielt bekanntlich woanders. Hier scheint mir ein offensichtlicher Zusammenhang mit der beruflichen Situation der Generation zu bestehen, die die Umbenennung letztlich getragen hat, und deren Karriereaussichten zunehmend davon abhängen, auf Englisch zu publizieren, vorzugsweise in den großen amerikanischen Zeitschriften.

Dabei ließe sich durchaus die Frage stellen, was in einem Zeitalter uneindeutiger Identitäten eigentlich dagegen spricht, dass sich eine deutsche Ethnologin, um vor Ort ‚lesbar‘ zu sein, in den USA cultural anthropologist, in Großbritannien social anthropologist und in Togo sociologue nennt?

 

Ich muss mit einem persönlichen Bekenntnis enden: in meiner Jugend war ich auch einmal an einer Umbenennungkampagne beteiligt. In der Oberstufe wollten wir unser Trierer Gymnasium, das 1896 nach dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. benannt worden war (seit seiner Gründung im 16. Jahrhundert hatte es zuvor verschiedene Namen getragen), nach seinem berühmtesten Schüler, Karl Marx, benennen. Die Initiative wurde abgeschmettert, aber heute erinnert wenigsten eine Schrifttafel am Schulgebäude an Karl Marx, und die Schule macht gerne mit seinem Namen Werbung, indem sie diesen nämlich auf Etiketten mancher Weine der Lage „Friedrich-Wilhelm-Gymnasium“ verwendet. Der Konflikt wurde also sozusagen nach der Logik des Spätkapitalismus gelöst. Karl Marx war in der Zwischenzeit ja ohnehin etwas aus der Mode gekommen. Möglicherweise wird die rezente Renaissance des Marxismus den Umbenennungskonflikt wiederaufleben lassen. Obwohl ich daran zweifele: Trier ist nicht Berlin. In Mainz bin ich übrigens nicht Professor für Ethnologie, sondern für „Kulturen und Gesellschaften Afrikas“, das haben meine Vorgänger so gewollt. Das hat damit zu tun, dass, historisch gesprochen, meine Professur sozusagen die Soziologie innerhalb der Ethnologie vertritt, die im Mainzer Institut für Soziologie organisierten Soziologen in den 1970er Jahren den Begriff der Soziologie jedoch für sich monopolisieren wollten. „Kulturen und Gesellschaften Afrikas“ ist also eine Art Deckname: ganz à la Parsons gedacht, versteckt sich in der Kultur die Ethnologie, in der Gesellschaft die Soziologie. Darüber könnte man natürlich lange diskutieren. Ich war so respektvoll, an dieser Denomination nur Nuancen zu ändern, nämlich die ursprüngliche Bezeichnung ‚ Kultur und Gesellschaft‘ in den Plural zu setzen. Wenn mich anglophone oder frankophone Ausländer fragen, was ich mache, spreche ich je nach Kontext von anthropology, oder von Modern African Studies, in Afrika gerne auch von sociologie, oder auch mal von socio-anthropologie. Mein Institut heißt ‚für Ethnologie und Afrikastudien‘ Das ‚Institut für Anthropologie‘, das es — mit einer durchaus unrühmlichen Vergangenheit — an meiner Universität auch gab, wurde bei der Neuordnung des Fachbereichs Biologie gerade aufgelöst. Für die Poststelle der Universität hat das den Vorteil, dass sie jetzt weiß, dass bei einer Adresse, in der von anthropology oder anthropologie die Rede ist, nur die Ethnologie gemeint sein kann.

 

Thomas Bierschenk ist Professor für Kulturen und Gesellschaften Afrikas am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; http://www.ifeas.uni-mainz.de/171.php; https://uni-mainz.academia.edu/ThomasBierschenk; https://www.research
gate.net/profile/Thomas_Bierschenk
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[1] Vermeulen, Han F. (2006). The German Invention of Völkerkunde: Ethnological Discourse in Europe and Asia, 1740-1798. In: The German Invention of Race. Eds. S. Eigen and M. Larrimore. Albany, NY, State University of New York Press: 123-145; siehe jetzt ausführlich dazu: Vermeulen, Han F. (2015). Before Boas. The Genesis of Ethnography and Ethnology in the German Enlightenment. Lincoln, NE, Nebraska University Press.

[2] Siehe dazu ausführlicher Bierschenk, T., M. Krings, C. Lentz. (2013). Was ist ethno an der deutschsprachigen Ethnologie der Gegenwart? In: Ethnologie im 21. Jahrhundert, hg. von T. Bierschenk, M. Krings und C. Lentz. Berlin, Reimer: 7-34; auf Englisch auch online abrufbar als Thomas Bierschenk, Matthias Krings and Carola Lentz (2015): Anthropology in the twenty-first century: a view of, and from, Germany. Working Papers of the Department of Anthropology and African Studies of the Johannes Gutenberg University Mainz 160, unter: http://www.ifeas.uni-mainz.de/Dateien/AP_160.pdf.