22/01/19

Warum Ethnologie ? Aus einer Fast-Außenperspektive

Als ich mein Zeugnis mit dem Abschluss „Ethnologie (B.A.)“ in die Hand gedrückt bekommen habe, konnte ich nicht sagen, was ich in vier Jahren Ethnologie eigentlich gelernt habe. Wie in so vielen Geistes- und Sozialwissenschaften ist es eher diffus und sehr individuell, was man aus dem Studium mitnimmt. Aber das heißt auf keinen Fall, dass ich nichts mitgenommen habe.

Ich wollte schon immer Journalistin werden und bin dann irgendwie bei der Ethnologie gelandet. Irgendwas mit Kultur und anderen Ländern fand ich schon interessant, aber mehr davon, warum ich mich vor über fünf Jahren für das Studium entschieden habe, weiß ich nicht mehr. Davon abgehalten, Journalistin zu werden, hat mich das Studium nicht, aber gerade jetzt, wo ich etwas anderes studiere, mehr als Journalistin arbeite und aus der Ethnologieblase raus bin merke ich, wie viel ich aus der Ethnologie mitgenommen habe.

Nach meinem Bachelorstudium in Ethnologie habe ich einen internationalen Master in Journalismus. In vielen Seminardiskussionen fange ich jetzt Sätze an mit: „Also in der Ethnologie…“, und meine Mitstudierenden, Freundinnen und Freunde aus anderen Fächern sind schon genervt, wenn ich sage, „das kommt darauf an, wie man es definiert.“ Ich aber finde diesen für mich typischen Ethnologie-Satz ungeheuer wichtig – gerade auch für andere Disziplinen.

Selbst das Fach Ethnologie würden wir wahrscheinlich alle unterschiedlich definieren.

Ja, als Ethnologiestudentin muss man immer eine Erklärung parat haben, denn die wenigsten wissen, was genau man studiert oder was man dann damit machen kann. Aber das ist auch gut, denn so hinterfragt man das auch selbst, und ist sich viel sicherer, was man macht und warum.

Ich habe es in einem Satz immer als „die Wissenschaft der fremden Kulturen“ erklärt, aber je mehr ich studiert habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass sowohl „Wissenschaft“, als auch das, was als „fremd“ und was als „Kultur“ gilt, andauernd hinterfragt wird. In der Ethnologie lernt man eben, alles zu hinterfragen und kritisch zu betrachten – besonders das traditionelle, alltägliche, das „normale“ und insbesondere sich selbst und die eigene Disziplin.

Nein, die Ethnologie hat keine schöne Geschichte. Sie ist entsprungen aus der Kolonialherschafft mit rassistischen Perspektiven auf „fremde Völker“ und Begründungen, warum weiße Europäer diese schlecht behandeln dürften. Natürlich ist es gerade bei dieser Geschichte besonders wichtig, das Fach immer wieder zu hinterfragen und zu kritisieren. Aber deshalb sollte es sich nicht auflösen. Denn gerade mit dieser selbstkritischen Perspektive kann die Ethnologie viel erreichen.

Man lernt in der Ethnologie nicht nur, das eigene Fach, den eigenen Beruf zu hinterfragen, sondern auch die eigene Rolle darin und was Objektivität überhaupt heißt und bringt: Kann man als Mensch mit eigenen Perspektiven überhaupt komplett objektiv berichten? Wäre es nicht viel wichtiger, wie in Ethnographien mittlerweile üblich, die eigene Rolle darzustellen, damit Leser/innen wissen aus welcher Sichtweise, mit welchem Wissen und etwaigen Vorurteilen man recherchiert und beschreibt?

Und beides hilft nicht nur in der Ethnologie: Auch andere Disziplinen sollten davon lernen, dass die festgefahrene Modernisierungstheorie und die Globalisierungsdefinitionen absolut nicht aktuell oder gut sind. Auch im Journalismus ist es hilfreich, gerade in Zeiten von mangelndem Medienvertrauen die eigene Rolle als Journalistin und den Versuch von Objektivität kritisch zu betrachten.

Ich habe aus der Ethnologie eine Offenheit für alles Unbekannte und einen neuen Blick für alles, was man immer für „normal“ und „traditionell“ gehalten hat, mitgenommen. Familie heißt eben nicht immer, Vater, Mutter, Kind und hieß es auch nie überall. Und manchmal ist mir deutsches Dorfleben sehr viel fremder als das Stadtleben auf einem anderen Kontinent.

Im Journalismus habe ich dadurch ganz konkret über Migrationsthemen, andere Religionen und Sprachen und Ethnologie geschrieben. Aber auch abseits davon habe ich für meine Arbeit  als Journalistin mitgenommen, dass Objektivität nicht gleich Objektivität ist und die eigene Erfahrung, die eigene Beschreibung nicht gleich die von allen ist.

Darum Ethnologie.

Jelena Malkowski hat von 2013 bis 2017 Ethnologie an der Universität Hamburg studiert. Mittlerweile macht sie einen Erasmus Mundus Master in „Journalism, Media and Globalisation“ mit der Spezialisierung in „Journalism across Cultures“ in Aarhus und Hamburg, gemeinsam mit Studierenden aus 40 verschiedenen Ländern. Nebenbei schreibt sie als Journalistin für Print- und Onlinemedien und wenn noch Zeit übrig bleibt, auf ihrem eigenen Blog. Dort will sie in Zukunft noch mehr auf Ethnologie einbringen.