30/09/25

«Mama, warum bist du dort?»

Emotionen, Verletzlichkeiten und die unscharfen Grenzen zwischen Leben und Forschen in der Sozialanthropologie

Paper proposal for the planned handbook “Accompanied Fieldwork in Anthropology”, edited by Julia Koch-Tshirangwana, Judit Tavakoli & Sophia Thubauville, cp. GAA Working Group „Family in the Field” & Handbook Project “Accompanied Fieldwork in Anthropology”

Sozialanthropolog*innen, die für kleine Kinder sorgen, stehen oftmals vor der Herausforderung, ihre Verantwortung als Eltern mit der beruflichen Notwendigkeit ethnographischer (Langzeit-)Forschung zu vereinbaren. Diese Herausforderung ist für Mütter besonders belastend, da in vielen Gesellschaften Frauen die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung zugeschrieben wird. Die Entscheidung, die Familie mit ins Feld zu nehmen oder zurückzulassen, ist nicht selten mit vielfältigen und widersprüchlichen Emotionen und Gefühlen verbunden. Wie existentialistische Perspektiven in der Sozialanthropologie nahelegen, haben die Gefühle und Emotionen von Forschenden einen entscheidenden Einfluss auf ihre Arbeit und ihre Erkenntnisse (Davies und Spencer 2010). Sowohl die Anwesenheit als auch die Abwesenheit der eigenen Kinder und Familie im Feld kann Sozialanthropolog*innen auf eine Reihe emotionaler und existentieller Fragen zurückwerfen. Fragen, die ihre Verletzlichkeiten, ethischen Pflichten, Erwartungen und Privilegien offenbaren und somit eng mit ihren Positionierungen im Feld, in der Wissenschaft und in der Gesellschaft im Allgemeinen verknüpft sind. Dieser Beitrag zeichnet nach, wie Emotionen, Verletzlichkeiten und die unscharfen Grenzen zwischen Leben und Forschen die ethnographische Arbeit von Eltern in der Sozialanthropologie prägen und umgekehrt von dieser Arbeit geprägt werden. Anhand von eigenen Beispielen und Beispielen aus der Literatur diskutiere ich, wie familiäre Verpflichtungen und Bedürfnisse die Forschung von Sozialanthropolog*innen einschränken und erschweren, wie aber Erfahrungen des Elternseins und damit einhergehende Emotionen und Verletzlichkeiten auch neue kritische Perspektiven auf das Feld und die eigene Forschung eröffnen und gleichzeitig sozialanthropologische Praktiken der Fürsorge, Verantwortung und Solidarität jenseits der eigenen Familie inspirieren können.