Die Stimme des Predigers
Quasi Vox Omnipotentis Dei*
Dem Anspruch und der Theorie nach galten die Prediger seit dem frühsten Christentum als Medien einer aus dem Jenseits herübertönenden Verlautbarung des Allerhöchsten. In ihnen erkannte das Mittelalter und auch noch die frühe Neuzeit die „Werkzeuge der Stimme Gottes“,[1] sie waren die schallenden Instrumente einer durch sie hindurch wirkenden „causa efficiens principalis“.[2] Wer die Worte eines inspirierten Apostels hörte, hörte gleich auch den Allmächtigen: „Qui audit praedicatorem, audit Deum“.[3] So standen dann im besten Falle zwei Redner vor der Gemeinde: neben dem auf der Kanzel noch der andere „in dem Himmel, der mit einer Hand regiret die Zung dessen, so da redet, mit der anderen aber bewegen muß die Hertzen, deren, so da zuhören“.[4] Der predigende Leib[5] bildete dieser Vorstellung nach den Kanal aus, durch den das immer wahre Rauschen der Erlösung ans Ohr der Gläubigen drang.[6] Da brauchte es keine rhetorische Kunstfertigkeit mehr,[7] sondern vorzüglich Demut[8] – Demut gegenüber der medialen Aufgabe, dem Unerhörten die menschliche Stimme zu leihen. Das Amt des Dolmetschers forderte vom Prediger das uneigentliche Vermögen, das innerlich Vernommene in ein äußerlich Vernehmbares zu übersetzen,[9] Hörer und Sprecher zur gleichen Zeit zu sein.[10] Dabei machte sich der Redner als „Abgesandter des Himmels und Diener der göttlichen Befehle“ im besten Falle selbst vergessen,[11] übernahm die unscheinbare Rolle eines Briefträgers göttlicher Post.[12] Im Gegensatz zur antiken Rhetoriktradition ging es in der geistlichen Beredsamkeit nicht mehr darum einen individuellen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen oder die Position einer Partei zu verteidigen, sondern allein noch um die Verkündigung einer längst schon geoffenbarten Heilsgewissheit. Der Prediger stand in der Aufgabe, aus dem irreduziblen Glaubensschatz der heiligen Schriften mit leicht konvertierbarer Münze auszuzahlen. Weil diese Rede von Gott dem Gläubigen das „objektiv Wahre“ bot, mußte die Frage nach dem Redner und seiner Kunst zu einer Banalität verflachen.[13] Einer kunstvollen Rhetorik und tiefsinnigen Philosophie setzte man nun das vermeintlich einfache und dadurch eingängige Wort Gottes entgegen.[14] Dabei war der Prediger gehalten, die Botschaft, die er in gnädiger Zuwendung erhielt und in sich verwahrte, dem Nächsten ganz uneigennützig weiterzugeben. Wo diese innigste Wahrhaftigkeit ins Sprechen kam, durfte und konnte Falsches nicht sein. Eine zu affektierte und damit künstliche „actio“ des Predigers, das selbstverliebte Vordrängen der Person gegenüber der Sache, kurz die Abgötterei mit der eigenen Hochschätzung, brachte das Andere für die Anderen zum verstummen. „Ein Prediger, der sich selbsten mit hohen Worten flattiret, wird von keinem Geist GOttes angeblasen.“[15] Da war Vorsicht angeraten. Man mahnte dazu, die Mängel und Sünden der Individualität im Licht des göttlichen Wortes zu erkennen und sie unnachsichtig zu kreuzigen.[16] Der erst in solch einer unabdingbar kompromislosen Selbstverkleinerung mögliche Eindruck himmlischer Gnade sollte dann wahrhaftig wieder zum Ausdruck gebracht werden, die Vermittlung und ihre Technik aber in Unsichtbarkeit fallen – Akkomodation hieß die Losung: „Man muß also die Liebe, mit einer süssen, vergnügten, anlockenden, den Haß aber mit einer rauhen, harten, verdrüßlichen Stimme ausdrücken. Der Zorn erfordert eine geschwinde, erhabenere und schreyende Aussprache; so daß die Stimme immer abwechsle, und kaum ein Wort vor dem andern Platz habe. Das Mitleiden hingegen muß, mit einer sanften dabey aber kläglichen, und langsamen Aussprache ausgedrückt werden.“[17] Alle rhetorische Mittel hatten bei solch einer Rede zurückzutreten, die authentischen Ausdrucksformen eigenen Empfindens jedoch nach vorne, denn nicht die Kunst, sondern die Natur machte da mit Begeisterung von sich reden, ganz ursprünglich und – so wurde immer wieder behauptet – radikal ehrlich. Nur jener Prediger gewann über seine Hörer Macht, der die jeweilige Leidenschaft auch wirklich empfand. Nur einer, der selbst innerlich brannte, mochte es verstehen, die Vielen zu entflammen:[18] „Je reiner, je deutlicher, je inniger der Mensch seine eigenen Empfindungen an den Tag legt, desto eher kann und muss es ihm gelingen, das natürliche Mitgefühl anderer in Thätigkeit zu setzen, verwandte und ähnliche Saiten des fremden Gemüthes schnell und kräftig zu berühren, und zum lauten Einklange zu stimmen.“[19] Die Voraussetzung zur erfolgreichen Transmission eingesenkter Gnaden konnte deshalb nur eine ganz und gar echte Rede sein, eine solche, die aus dem Herzen kam und darum auch zu Herzen ging.[20] Die Gaben Gottes verliehen der Stimme und den Worten des Predigers idealerweise „ein solche Krafft“, selbst „aus harten Felsen mitleidige Buß- und Trauer-Zäher“ herauszupressen.[21] Und will man der hagiographischen Überlieferung Glauben schenken, gelang dies immer wieder ganz vorzüglich, so etwa bei dem Kapuzinergeneral Lorenzo da Brindisi: „Er bewegte seine Zuhörer zum Schröcken und Forcht der Sünd, und indeme er selbst auf der Cantzel zu mehrmahlen häuffige Zäher-Perlen liesse herunter fallen, den Verlurst [sic] der so kostbaren Seelen andurch gebührend zu beweinen, sahe er mit grossen Hertzens-Trost, daß auch hingegen seine Zuhörer in Erwegung der begangenen Sünden sich ergüßten in häuffige Buß-Thränen; Ja das auch aus den Felsen, will sagen, aus sündhafft, verstockten Hertzen das Wasser der Buß hervorquellte“.[22] Das befreiende Seufzen und erlösende Schluchzen, das vom Publikum aus gegen einen solch berückenden Redner zurückbrandete, ließ die treffliche Wirkung des Gesagten lautbar werden. Als die sichtbarste „Erfolgskontrolle“[23] der sprachlichen Unterweisungen galten allerdings die Tränen der Gemeinde, sie waren das schönste Lob des Rhetors: „Lachrymae auditorum nominantur laudes oratoris“.[24] In der christlichen Wohlredenheit wurde der innerlichen Rührung der Zuhörer, also dem „movere“ oder „flectere“, der höchste Platz im rhetorischen Dreischritt eingeräumt. „Wenn also der kirchliche Redner eine Pflicht einschärft, dann muß er nicht bloß lehren, um zu unterrichten und darf nicht nur ergötzen, um zu fesseln, sondern er muß auch rühren, um zu siegen.“[25] Da, wo es dem Redner unter dem stürmischen Andrang starker eigener Empfindungen die Stimme verschlug, oder auch da, wo seine rührenden Worte im Rumoren seiner aufgewühlten Hörerschaft untergingen, kam die Beredsamkeit des Körpers zur Hilfe. War der Prediger mit seinem Latein am Ende, wurde vom Schwierigsten mit Händen und Füssen, mit Gesten und Minen und natürlich übernatürlich auch mit den Tränen gesprochen.[26] Dabei nahm das zährentreibende Bemühen um eine ehrliche Affektübertragung stets Bezug auf einen Vers, der der Poetik des Horaz zu entnehmen war und der da lautete: „si vis me flere dolendum est primum ipsi tibi“[27] – hier angeführt einmal in der schöngereimten Verdeutschung des Dichters Johann Christoph Gottsched: „Drum, wenn ich weinen soll; / So zeige du mir Dein Auge thränenvoll“,[28] das andere mal in der pastoralen Wendung des Jesuitengenerals Francisco de Borja: „Der Prediger erfülle sich selbst mit jener Herzensgesinnung, die er den Zuhörern mitteilen möchte; denn unmöglich ist es andere zu bewegen, wenn man nicht selbst zuerst bewegt und entflammt ist. Ganz richtig ist das Wort: Willst du, daß ich weine, dann mußt du selbst zuerst betrübt sein – Si vis me flere, dolendum est primum ipsi tibi (Horat.).“[29] Wenn es nicht gelang, das Auditorium zu Tränen zu rühren, konnte das als Zeichen allzu großer Trockenheit und Kälte der Rede und des Redners gewertet werden.[30] Um solche Mißerfolge zu vermeiden, setzten die Künder des Gotteswortes auf den authentischen Ausdruck des Innersten, modellierten immer wieder neu ihre eigenen Empfindungen und entäußerten sie als geoffenbarte Wahrheitsrede. Die vermeintlich gottgegebenen Affekte drückten sich dabei unmittelbar im Wechsel der Stimme aus. Dies aber nicht selten mit zwanghafter Intensität und oft auch unter mächtiger Verbiegung der lautsprecherischen Begabungen. Wo allein die Wahrheit tönen sollte, hörte man die Prediger häufig schreien wie die „Faßzieher, Schifftrollen oder TriacksKrämmer“.[31] Ein immer wieder begangener Fehler war, „vom tiefsten auf den höchsten, vom gemäßigten auf den heftigen Ton, von der Gelassenheit auf einmal ins größte Feuer“ zu geraten, also die verschiedenen Empfindungen unvermittelt nebeneinander zu stellen. Aus Wien wurde berichtet, daß Leute „wegen des gähen Aufschreyens und Polterns eines gewissen Predigers manchmal die Kirche mit Ohrenschmerzen verlassen“ mußten.[32] Zu starke Kontraste im Ausdruck waren wider den Anstand. Recht tat der, welcher die Natur als eine „adamisch-paradisische Ursprünglichkeit“ ansah, als einen Zustand, der eine unmittelbare Sprechhaltung zeitigte, ohne Affektierung, ohne Zwang und vor allem ohne gesuchte Kunstfertigkeit.[33] Jede Gefühlsäußerung war unnützlich, bei dem das Publikum auf den Verdacht verfallen konnte, sie sei durch die Kunst entstanden.[34] Täuschungsversuche machten den Prediger zu einem „histrio“ und „ioculator“, zu einem Clown oder Possenreißer, der seines Amtes nicht würdig war.[35] Bei der Überzeugungsrede galt immer das oberste Gesetz der Affektübertragung: „Ihr werdet einen Affekt allezeit natürlicher ausdrücken, den ihr in dem Herzen fühlet, als den ihr nur simulieret. Die Leidenschaft wird euch im ersten Fall alle Figuren der Rhetoric auf die Zunge legen, ohne daß ihr sie studieret.“[36] Um die Menge zu erreichen, benötigte die Stimme keine bühnenhafte Verstellung, sondern das wahre Timbre überweltlichen Empfindens, denn erst das eigene durchzittert werden sprach den Gläubigen unmittelbar an.[37] Das Einfachste war auch hier das Schwerste, denn ein solch wahres und authentisches Sprechen hatte mannigfaltigen Anforderungen zu genügen. Einerseits musste die Rede dem Gegenstand genau angemessen sein, andererseits aber immer auch das Publikum pünktlich adressieren – Akkomodation war auch hier die beste Regel: „Ein guter Prediger zeigt, ohne sich zu fürchten, oder der Wahrheit zu schaden, vor dem Hofe und den Großen Ehrerbiethung und Bescheidenheit, mäßigt die Sprache, und schränkt die freyen Gebärden ein; in der Stadt, wo er verschiedene Zuhörer hat, ahmt er einigermaßen den Prediger des Hofes nach; doch erlaubt er sich manchmal zur rechten Zeit bald den vertraulichen, bald den Ton des Ansehens. Nur vor dem Pöbel und auf dem Lande darf er schreyen, schlagen, übertrieben heftige Bewegungen machen: denn nur bey einem solchen Zuhörer gilt das Getümmel soviel als ein Beweis.“[38] Daraus folgte, dass jede Unangemessenheit die Rede um ihren Kredit bringen musste. Und war der erst einmal verspielt, fiel die Menge gleich der Unaufmerksamkeit anheim und womöglich in den sprichwörtlichen Predigtschlaf. Das größte Problem des Kanzelredners war es, seine Mediumität als solche zu akzeptieren und diese Rolle ehrlich auszufüllen. Der geistliche Redner rang immer wieder mit der Anforderung, das Andere im Selbst als uneigentliche Authentizität nicht nur wahrzunehmen, sondern auch vorzustellen und auszugeben. Das hieß nichts anderes, als sich immer wieder als die Stimme jenes anderen Predigers zu begreifen, als mit sich selbst nicht identisch, eben „als lebendiges, persönliches Organ des göttlichen Geistes.“[39] Erst die von irgendwo herkommende Begeisterung qualifizierte die Predigt zum Wunder und gab der Stimme ihre durchdringende Kraft.[40] Wer sich solch einer göttlichen Führung nicht überantwortete, mußte Schaden anrichten oder an seiner Aufgabe Irre werden. Der übernatürliche Charakter der Verkündigung verlangte die paradoxe, ja geradezu schizophrene Befähigung, den Ausdruck so weit als möglich zu entindividualisieren, gleichzeitig aber dem zu vermittelnden Inhalt in radikaler Weise Gestalt zu geben, kurz, die gänzlich uneigentliche Rede als Eigenstes zu verkörpern.[41] Zwischen diesem heiligen Anspruch und dem menschlichen Vermögen taten sich allerdings Abgründe auf, Abgründe der Differenz. Die Prediger hatten es schwer, der gottgefälligen Enteignung der eigenen Sprache immer wieder Stimme zu verleihen. Die Bewältigung des eigentlich Widerstreitenden kam nicht ohne festdefinierte Rahmenbedingungen aus. Der Kanzelredner brauchte den systemgestützten Glauben als Grundlage der wahren Rede. Denn ohne die projektive Kraft einer begehrenden Zuhörerschaft blieb jeder stimmliche Versuch, vom Jenseits zu künden, gänzlich unerhört. Erst in dieser sich immer wieder ereignenden dialektischen Mediatisierung der Glaubensgeheimnisse konnte der Prediger zur „quasi vox omnipotentis Dei“ werden und damit zum Künder christlicher Heilsökonomie. Das Medium war auch hier bestenfalls die Botschaft.
Footnotes
* Für den Redner Erhard Schüttpelz rezykliert.
[1] Schneyer, Johann Baptist: Die Heilsbedeutung der Predigt in der Auffassung katholischer Prediger. Ein historischer Beitrag zur Theologie der Predigt, in: Zeitschrift für katholische Theologie 84 (1962), 152–170, hier 158 mit Verweis auf Seraphim von Vicenza, Quadragesimale. München 1767, 2.
[2] Roth, Dorothea: Die mittelalterliche Predigttheorie und das Manuale Curatorum des Johann Ulrich Surgant. (= Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 58) Basel und Stuttgart: Verlag von Helbing & Lichtenhahn 1956, 88 mit Verweis auf Jacobus de Fusignano, Ars praedicandi: „Wirkursache der Predigt ist einerseits Gott (causa efficiens principalis), andererseits der Prediger (causa efficiens instrumentalis), dessen Zunge von Gott bewegt wird.“
[3] Schneyer (wie Anm. 1), 156 mit Verweis auf einen anonymen Prediger des Cod. Angers 401, f. 172r: „Qui audit praedicatorem, audit Deum.“ Oder eben Christus P. Rudolf Graser’s, weiland Kapitularen des Benediktiner-Stiftes Kremsmünster, Predigten auf alle Sonn- und Festtage des Jahres. Neu herausgegeben von P. Wisintho Hartlaner, Mitglied desselben Stiftes. Mit oberhirtlicher Bewilligung und Erlaubniß der Obern. [2 Bde.] Zweite, sorgfältig durchgesehene und verbesserte Auflage. Linz: M. Quireins’s Verlag 1879, 216.
[4] Herzog, Urs: Geistliche Wohlredenheit. Die katholische Barockpredigt. München: C.H. Beck 1991, 325 mit Verweis auf Franz Hunolt, Christliche Sitten-Lehr uber die Evangelische Wahrheiten. 6 Bde. Augsburg / Würzburg 1751–1754, I, 65 b.
[5] Schneyer (wie Anm. 1), 156 mit Verweis auf eine anonyme Sermonesreihe in der Vaticana (Cod. Vat. Burgh. 24, 39vb): „Vox significativa dum pulsat exteriorem auditum simul cum hoc transit ad intellectum. Vox significativa Christus est, quae prius per prophetas, deinde per seipsum et apostolos suos, novissime vero per praedicatores modernos pulsare non desinit auditus nostros et exinde si fores reseratas invenerit transitum facit ad intellectum, ut ipsum illustret veritatis fulgore. Procedit etiam usque ad affectum, quem dulcorat caritatis amore, et ex his producit actum, quem confirmat securitatis vigore. Haec vox in sacris sollemnitatibus debet auditum pulsare … Vox Dei vox est praedicatoris … Dum enim praedicator loquitur, Deus loquitur, est enim quasi vox omnipotentis Dei loquentis.“
[6] Schneyer, Johann Baptist: Die Hochschätzung der Predigt bei den Predigern des Spätmittelalters (im Hinblick auf die Erneuerung der Predigt bei den Reformatoren), in: Wahrheit und Verkündigung. Michael Schmaus zum 70. Geburtstag. Band 1. Herausgegeben von Leo Scheffczyk, Werner Dettloff, Richard Heinzmann. Paderborn [etc.]: Verlag Ferdinand Schöningh 1967, 579–597, hier 585–586 mit Verweis auf Johannes Tauler, Conciones spirituales …, Köln 1660, 110: „Das ewige Wort fließt aus dem Prediger, wenn er auf der Kanzel steht … Denn gleichwie das Wasser durch einen Kanal fließt, also fließt das Wort Gottes aus dem Prediger. Wir sollen nicht auf den Lehrer sehen, ob er vielleicht mit Sünden (beladen) ist, sondern wir sollen das ewige Wort in seinem Wesen sehen, wie es von Ewigkeit her aus Gottes Mund geflossen ist“.
[7] Müller, Hans Martin: Homiletik, in: Theologische Realenzyklopädie. Band XV. Berlin / New York: Walter de Gruyter 1986, 526–565, hier 528: „Predigt ist getragen nicht von Weisheit und Redekunst, sondern vom Geist Gottes.“
[8] Herzog (wie Anm. 4), 303: „‚Ein vornehmer Prediger ist die Herrin Demut‘ (Aegidius von Assisi).“
[9] Bopp, Linus: Die Heilsmächtigkeit des Gotteswortes nach den Vätern, in: Theologie und Predigt Ein Tagungsbericht. Herausgegeben von Otto Wehner und P. Dr. Michael Frickel OSB. (= Arbeitsgemeinschaft katholischer Homiletiker Deutschlands. Arbeiten und Berichte Heft 1) Würzburg: Bonitas Bauer 1958, 190–224, hier 203 mit Verweis auf Augustinus Sermo 179, 1 (PL 38/39, 966).
[10] Auf Augustinus bezogen Mainberger, Gonsalv K.: Rhetorica I. Reden mit Vernunft. Aristoteles, Cicero, Augustinus. (= problemata 116) Stuttgart-Bad Cannstadt: frommann–holzboog 1987, 360: „Der heidnische Redner war darauf bedacht, daß Wort und Sache übereinstimmten. Das Rednersein des Redners Gottes jedoch konstituiert sich dadurch, daß er sich als Hörer des redenden Gottes versteht und ausbildet.“
[11] [Wurz, Ignaz:] Ignaz Wurz der Gottesgelahrheit Doctors und kaiserl. königl. öffentlichen Lehrers der geistlichen Beredsamkeit an der Universität zu Wien Anleitung zur geistlichen Beredsamkeit. Zweyter Band. Zweyte Auflage. Wien, Verlegts Augustin Bernardi 1776, 314: „Weiters, da der Prediger einen Abgesandten des Himmels und Diener der göttlichen Befehle vorstellet; so muß er in seinem Vortrage jederzeit der Hoheit seiner Würde eingedenk seyn. Alles Leichtsinnige, Gezwungene, Weltliche, alles, was zur Mode gehört, sey von ihm in der Sprache, in den Gebärden, in den Stellungen des Körpers, in der Kleidung entfernet. Ein jeder Fehler, den er sich hierinnen erlaubet, schwächt den Nachdruck des göttlichen Wortes.“
[12] Herzog (wie Anm. 4), 303 mit Verweis auf Pacificus a Cruce, Geistlicher Sittenwald, 89b: „Man siehet nicht viel auff den Brieff-Träger, sondern man betrachtet denjenigen von welchem der Brieff herkommet, und den Inhalt des Brieffs.“
[13] Eybl, Franz M.: Gebrauchsfunktionen barocker Predigtliteratur. Studien zur katholischen Predigtsammlung am Beispiel lateinisch und deutscher Übersetzungen des Pierre de Besse. (= Wiener Arbeiten zur deutschen Literatur 10) Wien: Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagsbuchhandlung 1982, 50.
[14] Herzog (wie Anm. 4), 225 mit Verweis auf Bossuet, Œuvres oratoires. [Band 2] Edition critiques complète par Joseph Lebarq. Lille/Paris: Desclée & de Brouwer 1891, 302: „Le discours de l’Apôtre est simple; mais ses pensées sont toutes divines. S’il ignore la rhétorique, s’il méprise la philosophie, Jésus-Christ lui tient lieu la tout: et son nom qu’il a toujours à la bouche, ses mystères qu’il traite si divinement, rendront sa simplicité toute-puissante.“
[15] Herzog (wie Anm. 4), 260 mit Verweis auf Ignaz Ertl (OESA), Rorantis Coeli et Amantis Dei Deliciae I (Pacis Oliva), Nürnberg 1700, in der „Vorred An den großgünstigen Leser“ (A iii).
[16] [Harnack, Theodosius:] Geschichte und Theorie der Predigt und der Seelsorge. Von Dr. Th. Harnack. (= Praktische Theologie II, 3–4) Erlangen: Verlag von Andreas Deicher 1878, 227.
[17] Herzog (wie Anm. 4), 308 mit Verweis auf Rudolf Graser OSB, Praktische Beredsamkeit der christlichen Kanzel. Augsburg 1769, 671. Siehe auch Wurz (wie Anm. 11), 339: „Die Affecte haben die meisten Veränderungen; er [der Prediger] studire, und beobachte sie genau. Die Liebe hat eine sanfte, freye, lebhafte Stimme; mischet sie sich zu andern Affecten, so nimmt sie den Ton derselben an. Der Haß hat eine heftige, rauhe, verdrüßliche; das Verlangen eine schnelle, dringende, in den letzten Sylben stark abfallende; der Abscheu wie der Haß; ist Verachtung dabey, eine stolze Stimme; wenn sie sehr heftig ist, eine gedrückte, oft unterbrochene; die Zufriedenheit eine erhabene und sich durchaus gleiche; die Traurigkeit eine gedämpfte, klägliche, schmachtende; die Reue nebst dem Tone der Traurigkeit oft langsame, klägliche, sanfte; der Neid die Stimme des Hasses, Zornes, Verlangens; die Nacheiferung eine schnelle, heftige, feste; der Zorn eine starke, heftige, schnelle, schreyende, sehr abwechselnde; der Unwille eine gleiche, aber gemäßigt; Hoffnung, Kühnheit, und Vertrauen eine erhabene und muntere; das Mistrauen wie die Furcht; die Verzweiflung bald wie die Traurigkeit, bald wie [340] Haß und Zorn; die Furcht eine gedämpfte, bebende, verwirrte und schwache; das Schrecken theils eine gleiche mit der Furcht, theils eine heftige und schreyende; die Scham endlich, als eine Art der Furcht, spricht eben so wie diese, wenn sie nicht gar zu groß ist.“
[18] [Erasmus von Rotterdam:] Ecclesiastes, sive de ratione concionandi, édité par Jacques Chomarat. [2 Bde.] (= Opera Omnia V, 4–5) Amerstdam [etc.]: Noth-Holland 1991–1994, II, 82 [III, 982]: „… nihil esse efficacius ad concitandos pios affectus quam si ipse fueris pie affectus, neque quicquam vtilius ad sedandos improbos affectus quam si ipse fueris ab his alienus. Scite dictum est, nihil incendere nisi ignem. Mens ignea linguam facit igneam. Nec ignis aliud potest quam vrere, si proprius accedas. Nemo efficaciter inflammat ad pietatem, nisi qui vere pius est. Nemo potentius reuocat a vitiis quam qui ipse ex animo odit vitia. Per hunc enim Spiritus ipse loquitur, suumque donum transfundit in auditores. Nec id mirum, quando vera pietas in oculis, vultu totoque corporis habitu relucens, etiam si non accedat quasi vehiculum oratio, rapit et afficit intuentes.“
[19] Schott, Heinrich August: Die Theorie der Beredsamkeit mit besonderer Anwendung auf die geistliche Beredsamkeit in ihrem ganzen Umfange. Erster Theil. Leipzig, bei Johann Ambrosius Barth 1815, 30.
[20] Ebd., 100–101 Anm.
[21] [de Rossi, Angelo Maria (OFM CAP.):] Leben, Wandel und Todt, Des Grossen Wunderthätigen Diener Gottes Laurentii von Brundisio, Weiland gewesten Ministri Generalis des gesammten Capuc. Ordens. Ehedessen in Welscher Sprach zum Druck beföredert Von R. P. Angelo Maria de Rossi vormahls gewesten Provincialen der Römischen Capuciner-Provinz, Nunmehro aber Zu grösserer Ehr des Allerhöchsten und Auferbauung des Neben-Menschen In das Teutsche getreulich übersetzt, Von einem erwehnten Ordens Priesteren Tyrolischer Provinz. Mit Genehmigung der Oberen. Augspurg und Ihnsprugg, In Verlag Joseph Wolff, Buchhändlers, Anno 1751, 109: „… da er eintweders auf der Cantzel vor häuffig-versammleter Volcks-Menge, oder in den Clösteren vor seinen geistlichen Söhnen und Mit-Brüderen oder aber vor weltlichen Stands-Personen in einem Privat-Discurs von dem bitteren Leyden und Sterben eine Anred hielte, seine Wort dermaßen eingreiffend und beweglich waren, daß die Hertzen der Anwesenden, ob sie schon verstockt und hartneckig, sich gleichwohl müßten andurch erweichen lassen, weil nehmlich die in LAURENTIO brinnende Liebe zu dem leidenden JESU seinen Worten ein solche Krafft gabe, welche sogar aus harten Felsen mitleidige Buß- und Trauer-Zäher kunten hervor locken.“
[22] Ebd., 17.
[23] Blaicher, Günther: Das Weinen in mittelenglischer Zeit. Studien zur Gebärde des Weinens in historischen Quellen und literarischen Texten. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes. Saarbrücken 1966, 64–72 [Weinen bei der Predigt]. Siehe Föcking, Marc: Rime Sacre und die Genese des barocken Stils. Untersuchungen zur Stilgeschichte geistlicher Lyrik in Italien 1536–1614. (= Text und Kontext 12) Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1994, 41.
[24] Vgl. Caussin, Nicolas (S. J.): De Eloquentia sacra e humana libri XVI. Editio Secunda. Coloniae Agrippinae, Apud Ioannem Kinckivm, sub Monocerote. Anno M. D. CXXVI, [Liber Octavvus De Affectibus, cap. XL. De miserationibus, & lachrymis. De varijs generibus lachrymarum. Capvt XL], 421 (1–2): „Deuenimus ad eum affectum, in quo saepius triumphare solet maximorum. Oratorum industria, siquidem dolore[m] ex alienis praesertim malis imprimere, miserationem concitare, lachrymas elicere grandis [2] est, & felicis eloquentiae, nec immeritò Lachrymae auditorum nominantur laudes oratoris.“ [Auszeichnungen von Caussin.] Auch schon früher nachweisbar. Vgl. Föcking (wie Anm. 23), 41 mit Verweis auf Augustini Valerii Episcopi Veronae De Rhetorica Ecclesiastica Libri Tres, cum Synopsis & Praelectionibus … , Veronae Apud Hieronymum & fratres Stringarios MDLXXXIII., 57v [Dort mit Berufung auf einen Brief des Hieronymus: „Divus Hieronymus ad Nepotianum scribens (…): Laudes (inquit) tuae lacrymae auditores sint“; und J. D. Mansi, Sacrorum Conciliorum nova et amplissima collectio, 1759ff. 60 Bde., Bd. 34a, Sp.11 [dort mit Verweis auf ein Mailänder Synode von 1565]: „pietate, & lacrymas commoveant auditoribus“. Auch Blaicher (wie Anm. 23), 65–66: „Hieronymus schreibt in einem Breif an Nepotian: ‚lachrymae auditorium laudes tuae [66] sint‘.“
[25] Herzog (wie Anm. 4), 222 mit Verweis auf Aurelius Augustinus, Vier Bücher über die christliche Lehre (IV, 12), in: BKV [Bibliothek der Kirchenväter] 49, 187.
[26] a Lapide, Cornelius (S. J.): Commentarii in scripturam sacram. Editio Recens [10 vol.], Apud J. B. Pelagaud, S. S. D. D. Papae Bibliotypographum. Lugduni, Parisis, M. D. CCC. LXV., X, 403–591 [Commentarius in Epistolam Sancti Jacobi], hier 586.
[27] Horaz. Episteln. Lateinisch und Deutsch. Übersetzt und erläutert von Christoph Martin Wieland. Bearbeitet und herausgegeben von Gerhard Wirth. (= Rowohlts Klassiker der Literatur und Wissenschaft. Lateinische Literatur 5) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1963, 232–266, hier 237: „Ein Dichtwerk sei schön, sei fehlerfrei, / dies ist sehr viel, allein noch nicht genug; / um zu gefallen, sei es lieblich auch / und stehle sich ins Herz des Hörers ein, / um, was der Dichter will, aus ihm zu machen. / Ein lachend oder weinend Angesicht / bringt, wie wir’s ansehn, augenblicklich auch / ein Lächeln oder einen traur’gen Zug / in unsers. Willst du, daß dein Unglück mich / zu Tränen rühren soll, mein guter Peleus / und Telephus, so mußt du selbst weinen! / Sind deine Reden deiner Lage nicht / gemäß, so werd’ ich gähnen oder lachen“. Auch 256–257: „Non satis est pulchra esse poëmata, dulcia sunto, / et quocunque volent animum auditoris agunto! / Ut ridentibus arrident, ita flentibus adsunt / humani vultus: si vis me flere, dolendum est / primum ipsi tibi, tunc tua me infortunia laedent / Telephe vel Peleu! Male si mandata loqueris / aut dormitabo aut ridebo.“
[28] Stenzel, Jürgen: „Si vis me flere …“ – „Musa iocosa mea“. Zwei poetologische Argumente in der deutschen Diskussion des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 48 (1974), 650–671, hier 659 mit Verweis auf Johann Christoph Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst. 4. Auflage (1751; Neudruck 1962), 21: „Es ist unmöglich, die Affekten andrer Leute zu rühren, wen man nicht selber derglichen an sich zeiget.“
[29] Borja, Francisco (S. J.): Rhetoricae ecclesiasticae sive De Ratione Componendae Concionis Libri tres. Coloniae, Apud Ioannem Crithium. nno M. D. CXII. Darin: De oratione concionandi. Libellus, 142–188, hier 155. Vgl. Krus, Franz Servatius (S. J.): Fragen der Predigt-Ausarbeitung. Mit einer Übersetzung der Ratio concionandi des hl. Franz Borgias. Innsbruck: Druck und Verlag von Felizian Rauch 1916, 119 [Borja, Anleitung zum Predigen, Kap. III, 5]: „Der Prediger erfülle sich selbst mit jener Herzensgesinnung, die er den Zuhörern mitteilen möchte; denn unmöglich ist es andere zu bewegen, wenn man nicht selbst zuerst bewegt und entflammt ist. Ganz richtig ist das Wort: Willst du, daß ich weine, dann mußt du selbst zuerst betrübt sein – Si vis me flere, dolendum est primum ipsi tibi (Horat.).“
[30] Föcking (wie Anm. 23), 38–39 mit Verweis auf Philippi Diez Lusitani … Summa praedicantium ex omnibus locis communibus locupletiss., Lugduni apud Haered. Caroli Pesnot MDXCII, 178: „Sic quando concionator animos audientem non movet, signum est, quid aut concio eius frigide, inerter, & magna cum negligentia, aut auditores illius duri erant, sicut lapides.“
[31] Herzog (wie Anm. 4), 304 mit Verweis auf Georg Scherer, Etliche Christliche Regeln für die Prediger, in: Postill Georgii Scherers uber die Sontäglichen Evangelia durch das gantze Jahr, Klosterbruck 1603, „Die Neundte Regel“.
[32] Wurz (wie Anm. 11), 317.
[33] Wurz (wie Anm. 11), 332.
[34] Wurz (wie Anm. 11), 446.
[35] Roth, Dorothea: Die mittelalterliche Predigttheorie und das Manuale Curatorum des Johann Ulrich Surgant. (= Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 58) Basel und Stuttgart: Verlag von Helbing & Lichtenhahn 1956, 192 mit Verweis auf Erasmus, Ecclesiastes, [V, 5] III, 86 [983]: „Proinde nihil potentius ad excitandos bonos affectus quam piorum affectuum fontem habere in pectore.“
[36] Zit. nach Stenzel (wie Anm. 28), 657 dort mit Verweis auf Die Discourse der Mahlern. 1721–1722, hrsg. von Th. Vetter, I. Teil, Bibliothek Älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, 2. Serie, 2. Heft (1891), 93.
[37] Schneyer (wie Anm. 1), 154: „Der Prediger rührt nur ans Ohr, Gott wirkt im Herzen.“
[38] Wurz (wie Anm. 11), 313.
[39] Harnack (wie Anm. 16), 246.
[40] Bohren, Rudolf: Predigtlehre. 4., veränderte und erweiterte Auflage. (= Einführung in die evangelischer Theologie 4) München: Chr. Kaiser Verlag 1980, 74: „Die Predigt wird durch den Geist als Wunder qualifiziert.“
[41] Herzog (wie Anm. 4), 247–248: „Indem aber das Wort, um Predigt zu werden, sich seine Form gibt in der Person des Predigers als der gläubigen, ist diese nicht ein blosses Durchgangsstadium; sondern es muss Beides gesagt werden: das Wort gibt sich seine Form in der Person und diese wiederum gibt sie dem Wort. Beide wirken [248] zusammen; doch so, dass das Wort die causa efficiens primaria ist, die Person die secundäre. Denn die Prediger machen nicht das Wort Gottes, auch dürfen sie nicht darüber zu Gericht sitzen, es mehren oder mindern; sondern das Wort macht die Prediger und gibt sich in ihnen seine Form, aber seine freie, persönliche, gemäss den im Geiste des Menschen gegebenen Gesetzen rednerischer Formbildung.“