Museumsethnologie. Eine Einführung. Theorien. Debatten. Praktiken.
Eine Rezension von Gesa Grimme
Edenheiser, Iris; Förster, Larissa (Hg.): Museumsethnologie. Eine Einführung. Theorien. Debatten. Praktiken. Reimer, Berlin (2019). ISBN 978-3-496-01614-4.
Viel wurde in den letzten Jahren über ethnologische Museen geschrieben. Im Zuge der Debatte über die deutsche Kolonialgeschichte befassten sich zeitweise fast täglich Beiträge in den deutschen Tages- und Wochenzeitungen mit deren Hinterlassenschaften in Museen und Sammlungen. Gleichzeitig beschäftigten sich wissenschaftliche Publikationen mit Standortbestimmungen[i], Überlegungen zu Neuausrichtungen[ii], untersuchten einzelne Planungsprozesse[iii] und setzten sich mit kuratorischen Praktiken[iv] auseinander. Trotzdem scheinen die Aufgaben der Museen, deren theoretische und praktische Aspekte, außerhalb der Museen selbst und ihres Umfelds weiterhin wenig bekannt zu sein. Tatsächlich fehlte bisher auch eine einführende Überblicksdarstellung, die über die verschiedenen Arbeitsbereiche der Museumsethnologie Auskunft gibt. Diese Leerstelle versucht nun der von Iris Edenheiser und Larissa Förster herausgegebene Band Museumsethnologie. Eine Einführung. zu füllen, der im September 2019 im Reimer-Verlag erschienen ist.
Ein Anliegen, manchen neuen Blick auf Altbekanntes zu werfen
Der Einführungsband soll die Transformationsprozesse reflektieren, die sich, nicht zuletzt bedingt durch die Debatte um die Kolonialität der Museen, derzeit in ethnologischen Museen im deutschsprachigen Raum vollziehen. Es geht darum, „das viel diskutierte Praxis- und Theoriefeld der ‚Museumsethnologie’ neu zu konturieren, [es] breiter, anschlussfähiger, aber auch reflexiv-kritischer zu vermitteln.“[v] Dabei ist es den Herausgeberinnen ein Anliegen, den Blick nicht allein auf die Besonderheiten der deutschen Museumsethnologie zu richten, sondern ihre Entwicklung auch in globale Zusammenhänge einzubetten. Dementsprechend kommen die Autor*innen nicht ausschließlich aus dem deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz), sondern auch aus Nord-und Südamerika (Kanada, Kolumbien, USA), Afrika (Burkina Faso, Kamerun, Südafrika) und Ozeanien (Australien, Hawai‘i, Aotearoa/Neuseeland).
Der Band versammelt auf nicht ganz 400 Seiten 14, zum Teil bebilderte Essays und 26 Objektvorstellungen, die sich jeweils aus einer Textseite und einer Seite mit Abbildungen des Objekts zusammensetzen. Ergänzt werden sie durch fünf Perspektivwechsel und zwei Interviews. In unterschiedlichem Umfang werden die klassischen Bereiche der Museumsarbeit Sammeln, Bewahren, Forschen und Dokumentieren, Ausstellen und Vermitteln adressiert. Daneben finden zur Zeit besonders diskutierte Themen wie „Provenienzforschung“ (Larissa Förster), „Sensible Sammlungen“ (Sarah Fründt) und „Digitalisierung von Museumssammlungen“ (Lars-Christian Koch) Berücksichtigung. Als Einstieg ins Thema liefert der erste Beitrag eine Übersicht zur Entwicklung der ethnologischen Museen (Karoline Noack).
Theorie & Praxis
Ein wesentliches Merkmal des Einführungsbands ist die gelungene Verzahnung von Theorie und Praxis. Die Essays bilden zusammen mit den Textformaten Objekt, Conversation und Perspektivwechsel Themenblöcke. Die kürzeren Texte ergänzen die Ausführungen in den Essays in anschaulicher Weise. Mit den zahlreichen Objektvorstellungen wird einerseits die Vielfalt an Dingen aufgezeigt, die sich im Museum hinter dem Begriff „Objekt“ verbirgt. Neben den üblichen Objektbeispielen aus den Kategorien Schnitzarbeiten, Schmuck, Keramiken, finden sich hier Fotografien, Tonwalzen, Filmaufnahmen, Karteikarten und zeitgenössische Dinge wie ein Hochzeitskleid, Mobiltelefone und zwei Paar Designerschuhe. Andererseits werden mit diesen Kurztexten die unterschiedlichsten Zugänge, im Theoretischen wie Praktischen, zu Objekten anschaulich gemacht. So verdeutlicht ein Text, der „Sibirische Funktionskleidung“ vorstellt (Sandra Gottsmann) nicht allein die Arbeit der Restaurierung, sondern auch die von Mareile Flitsch beschriebene Annäherung an ethnologische Sammlungen über die skills ihrer Hersteller*innen.[vi] Die Formate Perspektivwechsel und Conversation sollen die deutschsprachige Museumslandschaft mit „Positionen vor Ort in den Herkunftsländern und internationale[n] museologische[n] und ethnologische[n] Debatten“[vii] verbinden. Sie kommentieren die in den Essays ausgeführten Debatten, Ansätze und Praktiken, ergänzen diese und fordern zum Weiterdenken auf. Im Anschluss an Anna-Maria Brandstetters Einführung zu (Museums-)Dingen und ethnologischer Theoriebildung kontrastiert beispielsweise Paul Tapsell das Objektverständnis westlicher Museen mit dem Verständnis von Kulturgut in Aotearoa/Neuseeland als taonga, als „wisdom-encoded signposts“[viii], deren Austausch immer auch eine gegenseitige Verantwortung mit sich bringt.
Themenvielfalt
Bei den in der Einführung behandelten Themen handelt es sich nicht nur um häufiger verhandelte Aspekte der Museumsarbeit wie Ausstellungsformen und Vermittlungsansätze. Es wird darüber hinaus nach der Bedeutung von Kunst und künstlerischen Positionen in Ethnologie und ethnologischen Museen gefragt (Thomas Fillitz), es werden transkulturelle Zusammenarbeiten kritisch beleuchtet (Andrea Scholz), der Ansatz des partizipativen Sammelns anhand einer Hochzeitsausstattung aus Bremen vorgestellt (Judith Schühle) und auch die Bedeutung von Verantwortung in der praktischen Museumsarbeit thematisiert (Tina Brüderlin). Berücksichtigt werden zudem Bereiche, die sonst meist weniger Aufmerksamkeit erhalten. Hierzu gehören das Museumsdepot (Martina Griesser-Stermscheg & Johannes Kapeller), das als Ort der Aufbewahrung der Sammlungsbestände für jedes Museum von grundlegender Bedeutung ist, sowie als zentrales Steuerungselement und Schnittstelle zur Politik das Museumsmanagement (Wiebke Arndt & Melanie Kölling).
Beide Essays gehen auf die besonderen Anforderungen ein, die die Arbeit in ethnologische Museen an diese Bereiche stellt. Auch das Museumsarchiv, das lange Zeit mit wenig Beachtung auskommen musste und erst seit wenigen Jahren als Quellenlieferant wieder entdeckt wird, wird mit einem Essay bedacht. Abschließend wird das ethnologische Museum von Larissa Förster im Gespräch mit Sharon Macdonald als Gegenstand kulturanthropologischer Forschungen thematisiert.
Die einzelnen Beiträge bieten allesamt, mal mit größerem theoretischen, mal mit größerem praktischen Bezug anregende Einführungen in das jeweilige Thema und überzeugen mit ausführlichen Angaben zur weiterführender Literatur.
Zusammen gedacht
Erfreulich ist, dass die Herausgeberinnen den Fokus nicht auf ethnologische, außereuropäische Sammlungsbestände beschränken, sondern auch Beispiele aus europäischen Sammlungen miteinbeziehen und so die inhaltliche Nähe von Ethnologie/ Sozial- und Kulturanthropologie und Europäischer Ethnologie/ Kulturanthropologie betonen. Mit der Präsentation von Beständen beider kulturanthropologischen (Teil-)Disziplinen hinterfragt der Sammelband zudem die fortbestehende Trennung ihrer regionalen Aufgabengebiete in Europa und die Welt außerhalb Europas, die für die Disziplinen in der deutschen Fachtradition prägend ist.
Ebenso werden sowohl Ansätze aus der musealen als auch aus der universitären Ethnologie aufgegriffen und, nicht zuletzt durch die geschickte Kombination der verschiedenen Textformate, zusammengebracht. Nach Jahren der Entfremdung zwischen Museum und Universität haben sich in den letzten Jahren beide Bereiche wieder stärker angenähert, was sich im vorliegenden Einführungsband in der Themenwahl und der Zusammensetzung der Autor*innenschaft, die Museumstheoretiker*innen und Museumspraktiker*innen berücksichtigt, widerspiegelt.
Kleine Punktabzüge
Die in dem Einführungsband versammelten Texte setzen sich mit einer Vielzahl von Aspekten der Museumsethnologie auseinander und reflektieren diese, in unterschiedlichem Umfang, kritisch. Wie angekündigt, vermittelt der Band damit reflexiv-kritisch die Arbeitsinhalte ethnologischer Museen. Ein Aspekt, der leider nicht expliziter thematisiert wird, ist die Auseinandersetzung mit öffentlicher Kritik. Ein Essay oder Interview, das die Kernaussagen der Kritik, die in den letzten Jahren geäußert wurde, und ihrer Argumentationsstränge zusammenfasst, hätte das bereits umfängliche Themenspektrum noch gut ergänzt.
Kritische Positionen werden besonders von den Perspektivwechseln bezogen. Verteilt über den Band fungieren sie als Interventionen, mit denen von außen ein Blick auf die deutschsprachige Museumslandschaft geworfen und „tradierte institutionelle und disziplinäre Logiken […] dezentriert“[ix] werden sollen. Tatsächlich liefern sie wichtige Denkanstöße, hinterfragen eingeübte Perspektiven und erweitern sie. Allerdings stellt sich die Frage, ob mit der Markierung dieser Texte als Perspektivwechsel und damit als andere Perspektiven letztlich nicht doch wieder eine Akzentuierung der Dichotomie von eigen/fremd erfolgt.
Etwas irritierend in dieser ansonsten sehr durchdachten Einführung, bei der besonders der Bebilderung der Objektvorstellungen große Bedeutung zukommt, ist der leicht zu übersehende, sehr knappe Tafelteil (Seite 378 bis 382) am Ende des Bandes. Durch Positionierung und Umfang wirkt er wie eine Verlegenheitslösung für überschüssiges Bildmaterial. Man wundert sich, warum für diese wenigen Bilder nicht doch ein Weg gefunden wurde, sie direkt bei den zugehörigen Objekten zu präsentieren.
Abschließend
Mit dem Band Museumsethnologie. Eine Einführung wird die oben beschriebene Leerstelle, das Fehlen einer Überblicksdarstellung zur Museumsethnologie, tatsächlich gefüllt. Zahlreiche alte und neue Aspekte der ethnologischen Museumsarbeit werden aufgegriffen und vorgestellt. Die Institution des Ethnologischen Museum selbst wie auch seine Praktiken im Bereich Sammeln, Ausstellen, Vermitteln und Forschen in Vergangenheit und Gegenwart werden historisch kontextualisiert und kritisch eingeordnet. Daneben richtet der Band den Blick auf Aufgabenfelder, die sich erst in den letzten Jahren in ihrer heutigen Form herausgebildet haben, und auf Arbeitsbereiche, die bisher nur selten öffentlich verhandelt wurden. Dabei schwingen in den einzelnen Texten stets auch die Fragen nach der heutigen Relevanz der Museen und ihren Möglichkeiten, sich in einer postkolonialen, globalisierten Gegenwart (neu) zu positionieren, mit. Der Band zeigt hierzu ein breites Spektrum an möglichen Ansätzen auf und kommentiert diese zugleich auch kritisch.
Einer Einführung entsprechend liefern die in dem Band versammelten Texte wissenschaftlich fundierte, aber nicht komplett erschöpfende Einblicke ins jeweilige Thema, von denen viele bereits an anderer Stelle, wenn auch nicht immer auf den deutschsprachigen Raum zugeschnitten, behandelt wurden. Zu einer tieferen Auseinandersetzung mit ihnen werden die Leser*innen nicht zuletzt durch die meist reichhaltigen Literaturangaben angeregt. Der Sammelband bietet so insgesamt einen guten, sehr lesenswerten Einstieg ins Feld der Museumsethnologie, der für Studierende, angehende Museumswissenschaftler*innen, Wissenschaftler*innen anderer Disziplinen und an den Aufgaben ethnologischer Museen interessierte Personen aufschlussreich ist, und darüber hinaus auch für die Akteur*innen des Felds den ein oder anderen anregenden Text bereithält. Zudem ist der Band deutlich ansprechender gestaltet als andere ethnologische Einführungsbände.
Tatsächlich handelt es sich nicht so sehr um eine Neukonturierung des „Praxis- und Theoriefelds der Museumsethnologie“, sondern um seine erstmalige Konturierung in einem einzigen Band, mit der es gelingt, die unterschiedlichen Bereiche der Museumsarbeit anschaulich im Theoretischen und Praktischen zusammenzubringen.
Gesa Grimme ist Ethnologin und Historikerin. Sie arbeitet zur Zeit an einer Promotion, die sich mit Provenienzforschung zu kolonialen Objekten und den gesellschaftlichen Zusammenhängen, in denen diese stattfindet, auseinandersetzt. Von Oktober 2016 bis März 2018 erarbeitete sie am Linden-Museum Stuttgart im Projekt „Schwieriges Erbe: Zum Umgang mit kolonialzeitlichen Objekten in ethnologischen Museen“ einen Ansatz zur systematischen Provenienzforschung zu Objekten aus kolonialen Kontexten. Zuvor absolvierte sie ihr wissenschaftliches Volontariat am Museum für Völkerkunde Hamburg, dem heutigen MARKK – Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt und arbeitete dort anschließend als wissenschaftliche Mitarbeiterin, u.a. im Projekt „Kolonialismus und Museum“.
[i] Kraus, Michael; Karoline Noack (Hg.): Quo vadis, Völkerkundemuseum? Aktuelle Debatten zu ethnologischen Sammlungen in Museen und Universitäten. Transcript, Bielefeld (2015).[ii] Heller, Martin (Hg.): Prinzip Labor. Museumsexperimente im Humboldt Lab Dahlem. Nicolai Publishing, Berlin (2015).
[iii] Bose, Friedrich von: Das Humboldt-Forum. Eine Ethnografie seiner Planung. Kadmos, Berlin (2016).
[iv] Schorch, Philipp; McCarthy, Conal (Hg.): Curatopia. Museums and the Future of Curatorship. University Press, Manchester (2019).
[v] Edenheiser, Iris; Förster, Larissa: Zum Auftakt: Shifting Grounds. In: Edenheiser, Iris; Förster, Larissa (Hg.): Museumsethnologie. Eine Einführung. Theorien. Debatten. Praktiken. Reimer, Berlin (2019): 13.
[vi]Flitsch, Mareile: Könnerschaft in ethnologischen Sammlungen. Über transprofessionelle Zusammenarbeit im Museumsdepot als Chance. In: Edenheiser, Iris; Förster, Larissa (Hg.): Museumsethnologie. Eine Einführung. Theorien. Debatten. Praktiken. Reimer, Berlin (2019): 228–249.
[vii] Edenheiser, Iris; Förster, Larissa: Zum Auftakt: Shifting Grounds. In: Edenheiser, Iris; Förster, Larissa (Hg.): Museumsethnologie. Eine Einführung. Theorien. Debatten. Praktiken. Reimer, Berlin (2019): 20.
[viii] Tapsell, Paul: Taonga: Time Travelers from the Pacific. In: Edenheiser, Iris; Förster, Larissa (Hg.): Museumsethnologie. Eine Einführung. Theorien. Debatten. Praktiken. Reimer, Berlin (2019): 70.
[ix] Edenheiser, Iris; Förster, Larissa: Zum Auftakt: Shifting Grounds. In: Edenheiser, Iris; Förster, Larissa (Hg.): Museumsethnologie. Eine Einführung. Theorien. Debatten. Praktiken. Reimer, Berlin (2019): 19.