Eine Ausstellung für die Zukunft, aber welche Zukunft für die Ausstellung?
Hey Hamburg, kennst du Rudolf Duala Manga Bell? im MARKK
Wer nicht in Hamburg wohnt und die Geschichte von Rudolf Duala Manga Bell bereits kennt, wird sich natürlich fragen, ob sich ein Besuch der Ausstellung am MARKK, Hey Hamburg, kennst du Rudolf Duala Manga Bell?, der Sonderprogramme MARKK in Motion und 360 Grad der Kulturstiftung des Bundes lohnt. Mit ihrem ansprechenden Titel und ihrer schrillen Ästhetik zielt die Ausstellung eher auf ein junges, lokales Publikum ab. Dennoch bietet sie allen Altersgruppen und Publikums-schichten einen brillanten, wenn auch manchmal überladenen Zugang zu kolonialen Verstrickungen und ethnologischen Sammlungen. Ihr vielfältiger Inhalt und origineller Erzählansatz bereitet den Weg für eine vielversprechende Zukunft der musealen Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit, Erinnerungskultur und Geschichten von Eroberung, Migration und Gewalt.
Bevor man den Südflügel des Museums am Rothenbaum betritt, wird man noch mehrfach auf den Titel hingewiesen: auf dem Werbeflyer, auf der Fassade des Museums, auf dem Wegweiser im Gebäude und auf dem Tor, das am Eingang zum Ausstellungsraum steht. Auf diese Weise bleibt das Ziel immer klar: Sie werden etwas über das Leben von Rudolf Duala Manga Bell erfahren. Doch die Struktur der Ausstellung bleibt ein Rätsel. Nur in dem einleitenden Text am Tor erfahren Besucher*innen, dass diese Ausstellung als „Wechselwirkung“ zwischen dem Museum, seinem Team und Künstler*innen aus Kamerun und Hamburg konzipiert wurde. Eine Vielzahl von Perspektiven, die alle auf ihre eigene Weise die zwei Ausstellungsräume besetzen.
Roman in Schwarz-Weiß mit bunten Ecken
Die Komposition des ersten Raumes ist vielleicht etwas verwirrend, aber sie funktioniert sehr gut. Die Geschichten von Rudolf Duala Manga Bell, Maria Mandessi Bell und Adolf Ngoso Din werden in der Mitte mithilfe einer Graphic Novel erzählt. Der von dem Künstler Karo Akpokiere gezeichnete und geschriebene Roman fungiert als roter Faden, als „Weg“, und stellt einen fiktiven Dialog zwischen einer*m (vermutlich Schwarzen) Deutsche*n und einer*m Kameruner*in dar (Abb. 1 & 4). Die Graphic Novel schlängelt sich, ähnlich einer Oral History oder Überlieferung, über die vier Wände in der Mitte des Raumes. Die Erzähler*innen setzen die koloniale Eroberung und Ausbeutung in Kamerun mit der Apartheid in Südafrika in Beziehung. Sie fragen auch, inwieweit die Vergangenheitsbewältigung der nationalsozialistischen Epoche eine Anerkennung der Kolonialzeit verdrängt oder erleichtert hat. Dank scheinbar naiver Fragen spricht der Dialog Komplexitäten an, bricht Tabus und entwirrt Widersprüche, wie etwa das Paradoxon des Widerstands durch Petitionen: „Warum suchst du nach Gerechtigkeit bei Leuten, die sich deine Unterdrückung verschrieben haben?“
Akpokieres Erzählung versucht die Frage zu beantworten, die er selbst zu Beginn des Ausstellungskatalogs stellt: Warum wollten die Deutschen den Tod von Rudolf Duala Manga Bell? Bemerkenswert ist, dass der fiktive Dialog nicht nur die erinnerten historischen „Fakten“ thematisiert, sondern auch darauf eingeht, wie sich Rudolf Duala Manga Bell zu seinen Lebzeiten gefühlt haben könnte und damit Vergessenes anspricht. Obwohl auch Gewalt eine Rolle spielt, wird sie nie leichtfertig reproduziert. Nur das knallende Rot der preußischen Reichsflagge, einzige Farbe der Graphic Novel, steht als Metonymie für Blut.
Um diesen Anker herum geben bunt bemalte Bereiche eine detailliertere Kontextualisierung zu einigen Aspekten der Geschichte, sowie kritische Ansätze zur Verwicklung der Stadt Hamburg in die koloniale Eroberung und Besetzung Kameruns, von den ersten Handelsaktivitäten im Jahr 1880 bis zur Hinrichtung Manga Bells im Jahr 1914. Zwischendurch verweisen die künstlerischen Interventionen, die an einigen Stellen leider etwas deplatziert wirken, immer wieder auf die gegenwärtige Position, aus der die Ausstellung und ihre Besucher*innen zurückblicken. Mehrere Themen werden in den Randecken angesprochen: Rudolfs und Marias Erfahrungen, als sie in Deutschland lebten, die Rolle der Medizin in der kolonialen Segregationspolitik, oder Maria Mandessi Bells Einbindung in transnationale literarische Netzwerke in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Die ausgewählten Artefakte (darunter prächtige Paddel und Tangués, im Deutschen auch Schiffschnabel genannt), Archive, Fotografien und Interviews tragen zu einem Perspektivenwechsel in der Kolonialgeschichtsschreibung bei, indem sie die Stimmen und Erfahrungen der Duala-Elite in den Vordergrund rücken.
Es ist auffällig, wie flexibel die unterschiedlichen „Zeugnisse“ von Geschichte zum Sprechen gebracht werden. Teilweise fügt sich die materielle Kultur in die Narration der Ausstellung ein, wie der Gehstock von König Akwa, der in der Tat als Beweis für den antikolonialen Widerstand gewertet wird. Dieser Stab steht als Symbol für Akwas politische Deutungshoheit und begleitet eine Zeitleiste mit allen von den Duala eingereichten Petitionen. Aber auch Fotos der Elite von Douala sowie Postkarten und Briefe, die von ihnen geschrieben wurden, tragen dazu bei, koloniale rassistische Denkweisen zu dekonstruieren, wie etwa die Dichotomie zwischen „zivilisiert“ und „wild“ oder die angebliche Trennung zwischen afrikanischer mündlicher Überlieferung und europäischen schriftlichen Geschichtsdarstellungen. Das Video-Interview mit Sarah Kala-Lobé, ein Mitglied der Familie, erinnert daran, dass diese Geschichte noch gar nicht so alt ist (siehe Abb. 2). Schließlich zeigen Archivdokumente deutlich, dass der antikoloniale Widerstand zu dieser Zeit nicht in Form eines Aufstandes oder eines Krieges stattfand. Für die Duala war es vielmehr ein legaler Kampf um politische Selbstbestimmung. Diese Kontextualisierung liefert wichtige Hinweise darauf, wie die deutsche Kolonialherrschaft die einheimische Bevölkerung durch Täuschung und Ausgrenzung unterdrückte, was dann dazu führte, dass Manga Bell sich öffentlich für die Missstände der Kolonisierten einsetzte. Durch die Zusammenführung der unterschiedlichen Stimmen aus der Gegenwart und Vergangenheit bekommen Besucher*innen einen Eindruck davon, wie komplex das Verhältnis von Geschichte und Überlieferung ist. Gleichzeitig begegnet die Ausstellung dem Museumsparadigma des „Originals“, indem Hierarchien aufgelöst werden und Artefakte, Archivmaterial, Reproduktion und künstlerische Fiktion alle Teil der Schilderungen sind. Wenn aber die Artefakte nicht mehr allein die zentralen Bezugspunkte der Ausstellung darstellen, bleibt doch die Frage im Raum stehen, was ihre Anwesenheit über die Anwesenheit der Duala-Sammlung im Museum am Rothenbaum aussagt?
Ein Raum der Kontraste:
Statische Porträts, Interaktion, und eine mobile Ausstellung
Trotz der unterschiedlichen Vermittlungsansätze dominieren einige Ästhetiken in der Ausstellung. So wird immer wieder das Genre des Porträts verwendet, um Kolonisierte und Kolonialisten darzustellen. Diese statischen, bürgerlichen Gesichter vermitteln eher das Bild von distanzierten, emotionslosen Protagonisten, ein Kontrast zum Thema der Anerkennung der Menschenrechte und dem zähen Kampf um Anerkennung unter kolonialer Herrschaft. Außerdem wird den Porträts weißer europäische Männer viel Platz eingeräumt, der vielleicht für andere Darstellungsformen hätte genutzt werden können. Nur Hervé Youmbis Kunstwerk bietet eine andere Art von Porträts: Pop-Art-Plakate, die antikoloniale Kameruner ehren und die Debatten über die dekoloniale Umbenennung von Straßen aufgreifen (Abb. 3).
Am Ende des „Weges“ fungiert eine kleine Ecke als Übergangsschleuse zwischen Vergangenheit und Zukunft, die an das literarische und politische Engagement von Maria Mandessi Bell nach der Hinrichtung ihres Cousins anknüpft und fließend in Fragen zur postkolonialen deutschen und kamerunischen Gesellschaft übergeht, die im zweiten Raum behandelt werden. Dort können die Besucher*innen Beats und Zitate auf einem geloopten „Soul Makossa“ hören und spielen, Interviews von Menschen hören, die an der Konzeption der Ausstellung beteiligt waren, sich vor der beschwichtigenden Videoinstallation „The Vault“ von Benson Akuyie ausruhen oder sich über das Ngondo-Festival informieren, ein zeitgenössisches Erbe der kulturellen und politischen Geschichte der Sawa-Gemeinschaften.
Leider scheint all diesen Stationen ein roter Faden zu fehlen, der sie miteinander in Verbindung bringt. Auch hier werden zahlreiche wichtige Themen angesprochen, wie z.B. der Alltagsrassismus in Deutschland oder die Provenienzforschung im Museum, und die Besucher*innen könnten ein Interesse entwickeln, sich in Zukunft tiefer mit diesen Themen zu beschäftigen. Nichtsdestotrotz zeigt das entstandene Patchwork, dass es eine Herausforderung ist, viele verschiedene Stimmen, Zeiträume und Kunstwerke in eine kollaborative kuratorische Arbeit einzubinden, und dass die Szenografie, die aus dieser Dynamik entsteht, an einen vielfältigen, aber auch überfüllten Instagram-Feed erinnert. Dies gilt in gewisser Weise auch für die Vermischung einiger künstlerischer Interventionen innerhalb des Ausstellungsraums. Aber wenn wir von Zukunft sprechen, spiegelt dieses Format vielleicht am besten den heutigen Zeitgeist…
Die Zukunft, die leider unerwähnt bleibt, ist die Zukunft der Ausstellung. Wie Rudolfs Nachfahrin, Prinzessin Marylin Douala Manga Bell, im Katalog ankündigt, wird die Ausstellung nach Kamerun umziehen. Doch wird es ein symmetrisches Diptychon mit dem Titel Hey Douala, du kennst doch Rudolf Duala Manga Bell, oder?, oder eine ganz andere Ausstellung sein? Was wird bleiben, was wird sich ändern, was wird hinzukommen? Eine Reflexion über dieses herausfordernde – aber relevante – Format einer „repatriierten“[1] oder Wanderausstellung und über den Dialog, den es ermöglicht, hätte vielleicht dazu beigetragen, Brücken zwischen all den Themen zu schlagen, die im zweiten Raum angesprochen wurden: Provenienzforschung und Restitution, lokale vs. transnationale Erinnerung und Beziehungen zwischen Afrika und seiner Diaspora. Auf jeden Fall bleibt eine Sache ungesagt: die Position des Museums gegenüber möglichen zukünftigen Restitutionsansprüchen nach der Rückkehr der Tangués nach Douala.
Yann LeGall ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunstwissenschaft der TU Berlin und Mitglied der zivilgesellschaftlichen Initiativen Berlin Postkolonial und Potscolonial Potsdam. Als Teil des DFG-AHRC Forschungsprojekts „The Restitution of Knowledge“ setzt er sich mit der Provenienz und Kontextualisierung von Plünderungen aus sog. „Strafexpeditionen“ auseinander.
Malina Lauterbach ist wissenschaftliche Koordinatorin an der TU Berlin als Teil des von der Berlin University Alliance geförderten Projekts „Koloniale Sammlungen in Berliner Universitäten„. 2020 absolvierte sie ihr Masterstudium „Kuratieren und Kritik” an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Städelschule und der Goethe Universität, Frankfurt am Main.
[1] Die von FlinnWorks kuratierte Ausstellung Mangi Meli Remains über die Geschichte des damaligen Mangi (König) der Wachaga in Ukilima (Kilimanjaro-Gebiet), die 2018-2019 im Berlin Tieranatomischen Theater gezeigt wurde, dient als Beispiel einer „repatriierten“ Ausstellung über die deutsche Kolonialzeit, als sie im März 2019 zu Dauerausstellung in Old Moshi wurde, am Ort wo Meli und andere Wachaga von den deutschen Kolonialisten hingerichtet worden waren. Interessanterweise ist in diesem Fall auch ein Graphic-Novel ähnliches Video fester Bestandteil einer Ausstellung über deutsche koloniale Gewalt auf dem afrikanischen Kontinent.