„Zurück zum Wesentlichen, das ist der Ruf der Stunde – Doch wie lange werden wir uns daran erinnern?“
Spain, Sitges, 11. March – 23. June 2020
Ich bin unabhängige Ethnologin mit Schwerpunkt Lateinamerika und Amazonien. Obwohl ich nie davon leben konnte, wollte ich die Ethnologie nicht aus den Augen verlieren und als freie Wissenschaftsautorin und Redakteurin verbreite ich, einem Trojanischen Pferd gleich, ethnlogische Themen. Seit 2006 pendele ich zwischen Sitges und München. In Sitges lebe ich zusammen mit meiner Partnerin Mercedes in einer kleinen Dachwohnung mit einer herrlichen Terrasse und keine 100 Meter vom Meer entfernt.
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Mittwoch, 11.03.20 Sitges bei Barcelona
Am Montag waren wir bei Freunden zum Abendessen eingeladen. Es wird getrunken, gelacht, auch über die Leute, die sich nun kein Begrüßungsküsschen mehr geben wollen, man tauscht sich aus… Wir reden über unseren bevorstehenden Umzug. Da ruft meine Schwester aus München an. Sie rät, dass ich mir gut überlegen soll, ob ich am Mittwoch nach München fliege, denn die Corona-Epidemie breitet sich durch die Nähe zu Italien stark aus. Viele Leute sind dort im Skiurlaub gewesen und man überlegt, die Grenzen zu schließen. Ich bin etwas ungläubig, verspreche aber, es zu überlegen.
Ich informiere mich mit dem Podcast der Berliner Charité, den mir mein gut informierter Sohn empfiehlt. Seine Freundin ist schwanger und hat schon seit langem sehr große Angst vor Ansteckung. Wir haben sie kaum ernst genommen. Ich entschließe mich schweren Herzens, die Reise abzusagen, um unnötige Ansteckungsgefahr zu vermeiden. Außerdem bin ich selbst erkältet und habe keine Lust, in Quarantäne zu landen.
Dafür habe ich Zeit, unseren Umzug zu organisieren, Kleidung und unnötiges Zeug zum Roten Kreuz zu bringen, zum Sperrmüll alte Drucker und Patronen abgeben und Kisten besorgen. Vertrag unterschreiben für „pongo“ zum Unterstellen unserer Möbel. In zwei Wochen soll der Umzug stattfinden.
In Sitges sind die Desinfektionsmittel ausverkauft, ebenso das Klopapier, nur der in Plastik verpackte Broccoli liegt noch in den Regalen. Das sorgt für Heiterkeit in den sozialen Netzwerken. Bei den Chinesen finden wir Umzugskartons und Desinfektionsmittel.
Abends gehe ich doch noch in den Katalanisch Unterricht. Immer wieder haben wir über Corona gesprochen – ein dankbares Konversationsthema – und es herrschte die Einschätzung vor, dass die Panik übertrieben ist – siehe Klopapier – überhaupt die Hamsterkäufe. Martín, ein uruguayischer Mitschüler, ist richtig wütend über die Angstmache, es zirkulieren Verschwörungstheorien, das sei alles nur gemacht, um uns zu manipulieren. Das Virus kommt aus den Laboren von D. Trump, um die Chinesen zu schädigen, etc. Und es ist doch auch nur eine Grippe. Doch die Schülerzahl ist schon auf die Hälfte zusammengeschrumpft und rings um mich herum hustet und schnupft es. Verunsicherte Blicke. Nach der Stunde gehen Laura, unsere Katalanisch-Lehrerin und ich gleich Hände waschen. Die Tische des Schulzentrums kommen mir sehr schmutzig vor. Seit ich die Entwicklung in Italien verfolge, wird mir ebenfalls mulmig.
Donnerstag, 12.03.20
Eigentlich sollte ich jetzt in München sein. Ich bin erleichtert, nicht geflogen zu sein. Den Flug konnte ich mit wenig Einbuße canceln. Ich habe hier viel zu erledigen und fühle mich etwas abgeschlagen. Die Nase läuft, fühle mich etwas krank und fiebrig. Habe ich mich angesteckt?
Ich versuche, im Bett zu bleiben. Es tut gut, zuhause zu sein.
Freitag, 13.03.20
Mercedes muss unbedingt ins Kino gehen obwohl die Warnungen schon deutlich sind und die Empfehlungen, daheim zu bleiben auch von Freunden kommen. Aber die Umstellung fällt schwer. Das Nachrichtenbombardement verdichtet sich. In der Infotainment-Sendung „El intermedio – El Grán Wyoming“, die uns die bitteren Nachrichten jeden Abend mit seinen Späßen verdaulich macht, führt Wyoming das erste Interview mit dem Corona-Virus, der sich rühmt, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten, oder die Telearbeit eingeführt zu haben, wer hat es erreicht, dass ihr endlich von zuhause aus arbeiten könnt… Waren es die Masern??? Nein, ich war das! Dann wird er über Ortega Smith, einen rechtsradikalen Politiker befragt, der am Corona-Virus erkrankt ist. „Ortega Smith no tiene anticuerpos, tiene antidisturbios.“ (Ortega Smith hat keine Antikörper, sondern Anti-Randale Kontrollen.) Der Virus hat in den letzten Monaten 3.148 Personen infiziert und 87 getötet.
Samstag, 14.03.2020
Pedro Sánchez ruft den Alarmzustand aus: institutionell, sanitär, sozial und ökonomisch… um den Feind zu besiegen, den Virus: „vencer el enemigo, que es el virus“ (Den Feind zu besiegen, den Virus). Kriegsrhetorik.
Seine Rede schlägt hier ein, wie eine Bombe: „confinamento“ – pero flexible („Ausgangssperre“ – aber flexibel). Eine drastische Maßnahme, die auf die exponentiell steigenden Zahlen der Infizierten und Toten in Madrid und in ganz Spanien reagiert. Es ist die Notbremse, denn das spanische Gesundheitssystem ist durch die brutalen Einschnitte, der von Deutschland und Europa verordneten Kürzungen halb kaputt gespart. Dennoch wird es öffentlich immer noch als eines der besten Europas über den grünen Klee gelobt.
Ich muss das Wort „confinamento“ nachschlagen, obgleich vollkommen klar ist was es meint und dass man das Haus nicht mehr verlassen darf. Ich finde von Isolationshaft bis Bettruhe „confinamento en cama“, die ich gerade einhalte, weitere Bedeutungen: Zwangsaufenthalt, Verbannung, Zwangsunterbringung, Einschließungs- und Schutzmaßnahmen. Aber Sánchez erklärt es ganz gut.
Verunsichert beginne ich mich nun zu informieren, denn zuvor hatte ich mich gegen die tag-tägliche Beschallung und Panikmache abgeschirmt. Ich finde Erklärungen für die schlimmen Zahlen in Italien. Die unterschiedlichen Reaktionen der Länder, das hohe Lob auf die autoritären Chinesen. Der Koreanische Weg des Durchtestens und Informierens. Die unterschiedlichen Reaktionen machen unterschiedliche Statistiken.
Die chinesischen Zwangsmaßnahmen waren sicher nicht falsch, nur sollte man auch nicht verschweigen, dass zuvor die Gefährlichkeit des Virus falsch eingeschätzt wurden und Ärzte zum Schweigen gebracht wurden.
Dieser erste Tag ist wie eine Bremse auf alle Ablenkungsaktivitäten. So viele! Jetzt erscheinen sie mir alle wie ein Davonlaufen vor der Eigentlichkeit – und wenn es auch die Arbeit ist, die immer wartet.
Dafür bricht ein wahrer Sturm in den sozialen Netzwerken los. Witze werden verschickt, ich schicke einige weiter, über die Sache mit dem Klopapier, ein Video von einem verängstigt und besorgt dreinschauendem Hündchen, das auf Husten zu reagieren scheint.
Der Fernseher läuft jetzt ab Mittag den ganzen Tag. Jetzt die volle Breitseite an Informationen. Wie oft darf man seinen Hund ausführen? Darf ich meinen Garten gießen gehen? Wie ansteckend ist dieses Virus überhaupt?
Mercedes ist unruhig. Einsperren lässt sie sich nicht gerne. Ihre Routine ist gestört. Sie darf zwar einkaufen, aber möglichst wenig, nicht jeden Tag, wie sie es gewohnt ist.
Warten, gesund werden. Telefonieren mit meiner Familie. Entschleunigung genießen.
Sonntag, 15.03.20
Langsam sickert die Gewissheit durch: es ist wahr. Wir leben in einem Film, in einer der Dystopien, die in letzter Zeit Mode geworden sind. Wir können krank werden, wir können uns anstecken – mein Immunsystem ist eh am Boden – und wir können sterben. Da möchte man eher davonlaufen. Einkaufen, Leute treffen, reden, reden, reden, sich gegenseitig versichern, dass alles normal ist, que no pasa nada… (nichts passiert…)
Doch: die Ruhe in Sitges ist himmlisch. Die höllische Maschinerie des Vergnügungstourismus vor unserer Haustüre ist von jetzt auf gleich zum Erliegen gekommen. Einfach Ruhe, kein Mensch mehr auf der Straße. Wir waren das Gegröle und das Gewummere der Diskotheken gewohnt, jedes Wochenende und ab Ostern dann bis September durchgängig Party. Das ist auch der Grund, warum wir hier wegziehen. Keine Lust mehr auf die Heerscharen grölender Touristen. Und am Wochenende die reichen Barcelonesen, die auch ganz gut Krach machen, allein schon, wenn sie mit ihren Kindern sprechen.
Jetzt also Ruhe und ein neidvoller Blick auf die Hundebesitzer, die um die Blocks schleichen.
Der Fernseher läuft den ganzen Tag und bombardiert uns mit Geschichten über das Virus. Wir geraten in Streit. Sie will ihre Routine nicht aufgeben. Ich will sie bremsen. Ich liege immer noch im Bett und lese. Woher kommt der COVID-19, warum ist er so ansteckend?
Immer noch die Weigerung der Akzeptanz der Situation bei Mercedes und Marisa. Eine gewisse Portion Hochmut über die anderen, die sich manipulieren lassen und die tun, was die Regierung sagt.
Weniger Witze kommen über WhatsApp, und mehr Verhaltensmaßnahmen und Anweisungen. Das, was mir vorgestern noch pure Hysterie erschien, scheint heute wert zu sein, es sich nochmal genauer zu überlegen.
Abends dann die große Verunsicherung: Was geschieht mit unserem Wohnungsverkauf und dem Umzug? Jetzt ist die Sorge nicht, wie kommen wir an mehr Umzugskisten und wie viele werden wir insgesamt brauchen, sondern werden wir überhaupt jetzt umziehen oder hier zwischen den Kisten abwarten, wie es sich weiterentwickelt?
Die Käufer (Holländer) werden nicht kommen können, wie geplant, aber vielleicht können sie die Befugnis zur Unterzeichnung des Vertrags an ihre Rechtsanwältin weitergeben? Sie schicken eine WhatsApp: „Was für eine besondere Situation leben wir jetzt! Wir sollten uns genauer ansehen, was wir jetzt tun können, weil wir nicht nach Spanien reisen können… Vor allem sicher und gesund bleiben!“
Wahrscheinlich wird sich alles verschieben.
Doch wie sind die Pläne der Regierung? Die Krankheit wird man nicht aufhalten können, es geht um die Verlangsamung. Auf allen Bildschirmen tauchen diese zwei gegeneinander versetzten Kurven auf, damit es auch jeder versteht: die grüne, die hoch ausschlägt und viele Infizierte und Tote auf einmal fordert und die weiße, die sanfter verläuft und die Anzahl der Infizierten und Toten in der Zeitachse streckt. Dabei bleiben wohl die Anzahl der Infizierten und Toten gleich. Warum? Weil das die aktuellen Hochrechnungen sind? Auf was stützen sie sich? Hauptsache man versteht die Zeitverschiebung.
Montag, 16.03.20
Der Umzugsunternehmer, der sich die Wohnung ansehen wollte für den Kostenvoranschlag, kommt nicht. Die Holländer auch nicht. Die Kanzlei hat geschlossen. Keiner arbeitet, nur unser Konstrukteur Roland, der die neue Wohnung renovieren soll, macht weiter.
Sicher ist nur die Ungewissheit der nächsten Tage und vielleicht Monate. Telefonat mit einer Redakteurin vom SRF. Unser Vorschlag einer Sendung über Geschlechtergewalt in Nicaragua ist durch, es kann los gehen. Ich mache mich also an die Arbeit und versuche an nichts anderes zu denken. Auch in der Schweiz wird nun von zuhause aus gearbeitet. Ist das das Zukunftsmodell, wie der Corona-Virus im Interview vom Gran Wyoming sagte? Alles ihm zu verdanken. Privates und Arbeit werden untrennbar. Soziale Kontakte auf ein Minimum reduziert. Ich arbeite seit vielen Jahren so, bin die Einsamkeit des Telearbeiters gewohnt, den fehlenden Austausch mit den KollegInnen. Der Informationsaustausch klappt sehr gut, nur dieser beiläufige Kontakt, das Auffangen von Stimmungen der anderen, sehen und selbst wahrgenommen zu werden, das informelle Gespräch zwischen Tür und Angel, der Trasch und das Kichern. Mit meiner Kollegin der Humboldt-Zeitschrift haben wir unglaublich viel gelacht und gealbert, besonders, wenn es spät wurde und wir vollkommen überarbeitet waren. All das fehlt mir seit geraumer Zeit und es wird jetzt vielen fehlen, schätze ich mal. Keine WhatsApp kann das wettmachen.
Ein Teil einer menschlichen Präsenz wird immer noch im Ton der Stimme transportiert, beim Telefonieren. Und vom Telefonieren ernähren wir uns auch diese Tage des confinamentos. Viel mehr Freunde rufen an, die sich vorher nicht oder nur mal per WhatsApp gemeldet hatten.
Nico, mein Sohn ruft an! Noa geht es gut, sie muss noch zur Arbeit. Sie ist schon im 5. Monat. Ab Mittwoch ist aber dann geschlossen. Er findet diese Entscheidung erst mal gut. Baut sein Nestchen, kann in der Hochschule arbeiten obwohl die geschlossen ist. Ein bisschen hatte Noa mit ihren Ängsten recht.
Ich habe vor allem Angst um meine Mutter, die in einem Pflegeheim lebt und die nur noch durch den direkten Kontakt ansprechbar ist. Schleppt jemand das Virus in die Residenz, dann ist es vorbei.
Habe ich mich von ihr verabschiedet? Das macht wohl keiner freiwillig. Meine Schwester schickt eine Nachricht, dass unsere Mutter plötzlich nach der Zeit gefragt habe, das hatte sie schon seit Jahren nicht mehr wissen wollen. Als sei sie kurz aufgewacht aus ihrem Dornröschen-Schlaf, taucht sie an die Oberfläche des Alltags auf.
Abends um 20h müssen wir auf die Terrasse und Applaus spenden für die Ärztinnen und das Krankenpersonal in den spanischen Einrichtungen. Dann Fernsehen mit Corona-Wahnsinn: der Katalonien-Konflikt. Quim Torra nutzt die Situation, um wieder mal klar zu machen, dass Katalonien ein Land ist, das er abgrenzen will – gegen die verhassten Madrilenen, die jetzt mit 70% am heftigsten von der Krise betroffen sind. Sie machen sich auch nicht beliebt, weil sie nach Valencia in ihre Wochenendresidenzen gefahren sind, um sich dem Eingesperrt-Sein in der Stadt zu entziehen. Torra hat Einspruch erhoben gegen den von Sánchez verhängten Ausnahmezustand, den er als „imposición y confiscación de competencias de Cataluña“ (Auferlegung und Beschlagnahmung der Kompetenzen Kataloniens) betrachtet, also als Beschneidung der Befugnisse Kataloniens. Man hätte diese Entscheidung in die Kompetenz der Autonomien legen müssen. Als ob man den Virus in Madrid hätte einsperren können.
Nicht einmal in diesem globalen Ausnahmezustand kommen die nationalistischen Zänkereien zur Ruhe. Torra will Katalonien abriegeln. Dann fordert er strengere Maßnahmen und Telearbeit und gibt noch einen Schuss Populismus dazu: Wenn der Staat mit 60.000 Millionen Euros die Banken retten konnte, dann sollte er jetzt etwas für die Unternehmen und Freien tun. Mal sehen, was davon umgesetzt wird. Sánchez hatte Hilfsmaßnahmen vor allem für die Kleinunternehmer und die Freien angekündigt. Es gibt aber kaum Reaktionen auf diesen erneuten Fehdehandschuh. Ich denke, die Leute sind es leid, sie haben genug und sind mehr um ihre Gesundheit besorgt, als den Hahnenkämpfen zu folgen. Keiner meiner Bekannten verliert auch nur ein Wort darüber.
Es regnet in Strömen. Ich versuche zu arbeiten.
Unsere Freundin Nuria berichtet, dass ihre Schwester Halsweh und Fieber, Druck auf der Brust habe – aber nicht getestet wird. Auch der Neffe. Das Virus kommt näher, es wird real. Seltsamerweise rückt Nuria nur auf ausdrückliche Nachfrage mit Informationen über ihre Familie heraus.
Meine Schwester meint, ihre Tochter Nellie hätte sich vielleicht mit dem Virus infiziert. Ein Junge, mit dem sie Skifahren war (Corona-Party?), ist positiv getestet. Dass das heraus kam ist der reine Zufall, denn er hatte keinerlei Symptome. Er sollte in der Arztpraxis seiner Eltern mithelfen und zur Sicherheit haben sie ihn getestet. Nellie hat Halsweh und leichtes Fieber. Regina versucht, die Notnummer anzurufen. Stundenlang kein Durchkommen und dann wird sie aus der Leitung geworfen. Sie probiert es über die Hausärztin, die sich bereit erklärt, jemanden vorbei zu schicken, der den Test vor die Haustüre legt. Kein direkter Kontakt. Nellie ist alleine zuhause, verbunden mit ihren Eltern über facetime. Wir wissen nicht, ab wann das Virus ansteckend ist – schon vor Ausbruch der Symptome. Und offenbar braucht es ja gar keine Symptome, um ansteckend zu sein.
Dienstag, 17.03.20
Bei Mercedes ist es nun soweit. Die Geduld ist aufgebraucht und sie muss raus und etwas einkaufen. Die Freundinnen raten: Handschuhe und Gesichtsmaske. Die Straßen sind geisterleer.
Der Verdacht bei Nellie auf Corona ist bestätigt. Sie muss in ihrer Wohnung bleiben und meine Schwester wurde auch von der Arbeit nach Hause geschickt. Die gesamte Familie gilt als positiv, obwohl sie nicht zusammen wohnen. Sie werden auch nicht getestet werden, bis sie Symptome zeigen. Es gibt wohl zu wenig Tests.
Die Nachrichten über Europa als neues Zentrum der Corona-Krise verbreiten sich wie das Virus selbst. Mehrere Freunde aus Lateinamerika erkundigen sich nach meinem Befinden. Von außen sieht das ganze sehr gefährlich aus. Die Zahlen und die Toten in Italien. Ich glaube nur noch der Statistik, die ich selbst gefälscht habe. Ich frage mich, was die veröffentlichten Zahlen eigentlich aussagen sollen? Weder hier noch dort spiegeln sie den wirklichen Verlauf der Pandemie. Solange nicht flächendeckend getestet wird. Trotzdem – die wachsende Zahl der Toten in Italien ist beängstigend.
Inzwischen zirkulieren Anleitungen zur Entspannung im Netz: Yoga, Atmen und so weiter. Victoria schickt Videos mit verzweifelt herum hüpfenden Pinguinen, die sagen: Scheiß Corona-Virus… Sie selbst hat sich ein Springseil besorgt, mit dem sie auf der Terrasse herum hüpfen kann. Seit Jahren ist sie jeden Tag mindestens in einer Versammlung oder auf Reisen für eine NGO. Das Alleine-Sein ist sie nicht gewohnt. Es kommt Panik auf. Ihre Ablenkung heißt: Arbeit, Arbeit, Arbeit und dann Yoga-Non-Stop.
Ich habe den Eindruck, die Spanier haben ein deutlich größeres Problem mit der „ansiedad“, der inneren Unruhe, Ängstlichkeit, als die Deutschen. Lager-Koller heißt das wohl auf Preußisch.
Dann zirkuliert auch mit leicht apokalyptischem Touch die Frage: Welches Gedicht würdest du ins Universum schicken? Die Leitungen sind überlastete, weil die Leute online spielen, Serien gucken und im Netz navigieren. Und natürlich auch die Telearbeit tut ihren Teil dazu.
Um 20 Uhr geht es wieder auf die Terrasse zum Applaudieren.
Mittwoch 18.03.20
Quim Torra wird positiv auf Corona-Virus getestet.
Eine Rund-WhatsApp: 12 Uhr Caçerolada (Topfklappern) für morgen angesagt – gegen den König und die geklauten 100 Millonen Euro aus Saudi-Arabien – sie sollen ins Gesundheitssystem fließen.
Seit den letzten drei Tagen hagelt es natürlich Absagen von Veranstaltungen per E-mail. Aktivitäten werden runtergefahren, das ungeheure tag-tägliche Angebot, von dem ich nicht einen Bruchteil wahrnehmen kann. Dieser ungeheure Kulturapparat, Museen, Stiftungen, Events… auch er bricht zusammen. Wer unterstützt die Künstler und die Kulturschaffenden?
Die Börsenkurse gehen in den Keller.
Immer mehr E-Mails schließen mit dem Wunsch, man möge gesund bleiben.
Währenddessen ruft Sánchez zur Einheit, dem einheitlichen Kampf gegen das Virus auf und wirbt für seinen Staatshaushalt. Seit April 2018 ist Spanien ohne neuen Staatshaushalt. Die Katalanen hatten den der Übergangsregierung von Pedro Sánchez nicht unterstützt und damit erreicht, dass er seinen Staatshaushalt bis heute nicht erneuern konnte. Er beschwört die Einheit.
Ansonsten warnt er, dass das Schlimmste noch bevor steht. Überlaufene Krankenhäuser, Opfer bringen und Einheit. Gabriel Rufián (ERC) unterstützt Sánchez: Die Fahnen (Nationalismus) ernähren uns nicht. Im ganzen Kongress sind nur noch 20 Personen zu sehen, alle mit großem Sicherheitsabstand. Neben Quim Torra hat es auch Irene Montero, die Ministerin für Gleichstellung, erwischt und Santiago Abascal, den Führer der Ultra-Rechten, ebenso, wie Ortega Smith, sein Generalsekretär. Und von der Partido Popular: Ana Pastor.
Pünktlich um 20 Uhr wird wieder applaudiert. Heute sind es deutlich mehr Leute, die klatschen. Zwei Häuser weiter spielen sie: „I will survive“ von Gloria Gaynor.: „Venga vecinos!“ (Auf geht´s Nachbarn!) werden alle aufgefordert. Danach entspinnen sich kleine Dialoge über die Straße hinweg. „Die meisten Leute sind noch nicht bewusst, meint die Nachbarin von gegenüber.“ Ich habe sie noch nie zuvor gesehen. Ich lebe hier schon seit über 13 Jahren und den Großteil der Nachbarn habe ich noch nie gesehen. Nur unsere direkten Nachbarn, mit denen wir befreundet sind.
Es klatschen Personen jeden Alters und Geschlechts, man winkt sich zu. Unten fährt eine Polizeistreife vorbei. Für sie gibt es einen etwas verhaltenen Applaus. Denn wenn hier unten bis 6 Uhr morgens die Partys toben, lassen sie sich nicht blicken.
Donnerstag, 19.03.20
12 Uhr. Es klappert ganz schön laut in unserer kleinen Straße Bonaire, wo wegen des Tourismusgeschäftes nicht mehr viele Anwohner leben. Alles wird im Sommer vermietet. Aber außer Unidas Podemos, Esquerra und Grupo Plural unterstütz niemand den Antrag auf einen Untersuchungsausschuss. Der König ist und bleibt unantastbar in Spanien, nach den Artikeln 56.3 und 65 der Verfassung.
Silvia, eine langjährige Freundin, Argentinierin, ist besonders alarmiert. Ihre Tochter arbeitet im Krankenhaus in Barcelona Hospital del Mar als Gynäkologin. Die ÄrztInnen haben keine sicheren Masken, nur OP Mundschutz. Silvia stuft sich als potentielle Risikopatientin ein. Deshalb will sie ihre Tochter lieber nicht treffen. Sie versorgt uns mit guten Tipps, wie man sich korrekt die Handschuhe auszieht. Zum Einkaufen geht sie nur noch mit Mundschutz und Handschuhen. Sie sucht Informationen und verbreitet sie. Aufregung und Sorge um ihre Tochter, die sie gestern weinend aus dem Krankenhaus anrief: Das Handy, ihre einzige Verbindung zur Welt außerhalb des Krankenhauses, ist hingefallen und kaputt.
Silvia hat schon vor einiger Zeit ihre sozialen Kontakte ins Internet verlegt. Dort informiert sie sich und gibt die Erkenntnisse weiter. Heute ist ihr Geburtstag und wir schreiben ihr zu viert einen kleinen Text und garnieren ihn mit Musik und Fotos.
Ich bin mir langsam auch nicht mehr sicher, was die richtige Haltung ist. Ist Silvia hysterisch oder bin ich zu begriffsstutzig? Muss ich mich reinigen, wenn ich von der Straße komme? Schuhe ausziehen, Kleidung wechseln? Ich bin zwar seit einer geschlagenen Woche nicht mehr draußen gewesen, aber Mercedes geht immer mal wieder Müll runterbringen und Einkaufen.
Die Generalitat de Catalunya schickt eine Applikation, mit der man sich im Gesundheitssystem anmelden kann und sich gleich mit seiner Versicherungskarte oder seinem Ausweis anmeldet. Dann kann man einen virtuellen Test machen und findet Information zu den Symptomen von SARS-COV-2 wie der Virus jetzt offenbar heißt. Neben Castellano und Katalanisch auch auf Französisch, Englisch und Chinesisch.
In der WhatsApp-Gruppe Katalanisch empfange ich den Gesetzestext zum Ausnahmezustand, der offiziell seit dem 14.03.20 gilt. https://www.boe.es/buscar/act.php?id=BOE-A-2020-3692&tn=1&p=20200318
Der Artikel 5 bestimmt, dass die Polizei der autonomen Regionen für die Einhaltung der Regeln und für die Kontrollen zuständig sind.
Am meisten beunruhigt mich, dass die Personen schon – wie lange? – vorher ansteckend sind, bevor sie noch Symptome zeigen. Das heißt, dass es immer schon zu spät ist. Und dass man jeden als potenziell ansteckend betrachten muss. 14 Tage kann es dauern bis zum Ausbruch, meist jedoch fünf Tage. Nellie, geht es besser. Sie langweilt sich alleine.
Das spanische Fernsehen zeigt nun unverantwortliche Menschen, die auf der Straße getanzt haben und nun zerknirscht um Verzeihung bitten. Maßnahmen gegen den allgemeinen Lagerkoller, der sich hier ausbreitet. Aber auch die humorvolle Antwort der Polizei von Murcia auf einen als Dinosaurier verkleideten Passanten. Der Alarmzustand erlaubt den Ausgang von Haustieren, begleitet von einer Person zu einem kurzen Spaziergang. Leute mit Tyrannosaurus-Komplex müssen zuhause bleiben,“ heißt es auf Twitter. https://www.antena3.com/noticias/virales/la-ingeniosa-respuesta-de-la-policia-de-murcia_202003175e70bcdb77b6810001adfe5f.html
Die Rebellion gegen das Zuhause-Bleiben ist aber mittlerweile etwas eingebrochen. Sorge um die Mitmenschen treten in den Vordergrund. Rafael, ein Bekannter aus dem Gemüsegarten, den wir in Santa Barbara, etwas oberhalb von Sitges bewirtschaften, ist an Corona erkrankt. Es geht ihm schlecht.
Nach 5 Tagen „confinamento“ haben wir uns schon daran gewöhnt, verstehen nicht, wie man in Deutschland noch frei herumläuft und im Englischen Garten feiert. Mit der Akzeptanz der Maßnahmen breitet sich auch die Angst vor dem vorausgegangenen Zustand der Freiheit aus. Alles ist eine Frage der Gewohnheit.
„My home is my castle“ und draußen ist das Virus. Hier drinnen sind wir sicher. Wir räumen weiter Bücher in Kisten, aber deutlich entspannter. Wie lange wird sich der Umzug noch hinziehen? Auf welche Szenarien müssen wir uns einstellen? Finanzielle Einbußen werden wir sicherlich alle hinnehmen müssen. Mein kleines Apartment wird diesen Sommer sicherlich leer stehen, doch die Festkosten bleiben. Und wichtiger: Werde ich im Juni zur Geburt meines Enkelkinds nach München reisen können?
El PAIS verkündet: 88 Tote an einem Tag. Tausende Lungenentzündungen älterer Leute in Madrid und 3006 internierte Kranke.
Solange es keine Impfung gibt, werden die heftigen Einschränkungen der sozialen Nähe weitergeführt. In Deutschland hat es lange gedauert vom Händeschütteln und dem preußischen „zwei Meter vom Laib oder ich speib“ bis zur Bussi-Bussi-Gesellschaft.
Was für eine Ironie des Schicksals: Wir verkaufen unsere Wohnung hier in Sitges wegen der Partymeile vor der Haustüre und nun herrscht absolute Stille. Das, was nicht der jahrelange Kampf gegen korrupte Politiker geschafft hat und kein Gesetz vermochte, wird nun durch einen kleinen unsichtbaren Virus zum Erliegen gebracht.
Es ist ein Zurückkehren in die imaginäre Vergangenheit vor dem Touristenboom. Die Strände liegen verlassen. Nur ein paar unermüdliche „guiris“ (Touristen) wollen sich noch in die Sonne legen, werden aber von der Polizei per Lautsprecher nach Hause geschickt.
Freitag, 20.03.20
„Ich habe Dinge gesehen, die du nicht glauben würdest. Die Viren waren schon immer da, doch heute können sie Grenzen schließen, Landesökonomien stürzen und die Zukunft in Frage stellen“ – so heute in der Zeitung zu lesen und ich möchte hinzufügen: Er kann sogar die Tourismus-Maschinerie, die hier das Leben an der Küste bestimmt, zum Erliegen bringen.
Die Zukunft, ein Fragezeichen. Zurzeit sehen die Vorhersagen schlecht aus. Gleichzeitig verändert sich die Landschaft unserer Gegenwart so schnell, wie noch nie. Alles ist offen. Mir ist nicht langweilig, ich schreibe an dem Beitrag, der mich zurück nach Nicaragua transportiert, wo ich im Oktober/ November so viel gesehen und erlebt habe. Der Beitrag zwingt mich, die Dinge zu benennen und auf den Punkt zu bringen. So gehen sie nicht in dem Meer an Informationen in meinem eigenen Kopf unter und können vielleicht die Imagination anderer erreichen.
Mercedes hat die fixe Idee, unbedingt jetzt tanken zu müssen, sie hat gelesen, die Benzinpreise sind gesunken. Ausbruchversuche unter absurden Vorwänden. Ich kann sie davon abhalten. Ich schreibe WhatsApps zur Unterstützung der Kranken.
Telefoniere mit meiner Freundin Natalie, die auf Ibiza vollkommen von der Umwelt abgeschnitten ist. Ohne Internet. Nur ihr Telefon kann sie verbinden. Ihre Reise nach Havanna musste sie absagen, das bedeutet einen hohen finanziellen Verlust, auch die Universität hat geschlossen, wird sie ihren Kurs halten können oder fällt auch diese Einnahme weg? Die Plaza del Parque in Ibiza Stadt, auf der sich zu jeder Jahreszeit Menschen treffen, Kaffee und Bierchen trinken, reden, lachen… ist nun vollkommen verrammelt. Die Situation auf Ibiza ist eine besondere, denn jeder weiß, dass die Krankenhäuser im Ernstfall nie ausreichen würden und die Insel ist abgeriegelt. Ein krasses Gefühl, wie in einem Werk von Camus oder Ionesco. Alle wohnen allein. Von ihren Freunden hat sie sich verabschiedet.
Samstag, 21.3.20
Statt frischer Luft steigt von der Straße der Geruch von Desinfektionsmittel auf. In Spanien sind es heute 21.570 Infizierte und 1.094 Tote. 31.000 Anzeigen gegen Leute, die sich nicht an die Regeln halten und 315 Leute wurden festgenommen.
Es zirkulieren sogar Anleitungen, wie man in Zeiten von Coronavirus gut schläft. Man soll seine Routinen aufrechterhalten und lange Siestas vermeiden. So liebe ich mein Spanien!
Auf der FB-Seite eines Freundes, entspinnt sich eine Diskussion über die Möglichkeiten, Sport zu machen und aus dem Haus zu dürfen. Diese Frage scheint tatsächlich sehr kulturell gefärbt.
Jesús aus Madrid: „Jetzt mal ohne Ironie: kann mir mal jemand erklären, warum man nicht zum Joggen raus darf? Mit dem gebührlichen Abstand, natürlich (wir sind ja nicht doof und auch keine Delinquenten). In Frankreich ist es erlaubt und in Belgien wird es empfohlen. Ich hab nirgendswo lesen können, dass es ansteckend sein kann und die psychischen und physischen Vorteile liegen auf der Hand. Antwortet mir schnell, sonst überkommt mich meine Konspirations-Paranoia, die ich in mir trage..“
Marie G.: la norma se ha hecho a la medida de los inconscientes/irresponsables, supongo. Es la única razón que encuentro como aceptable. Tu sales a pasear y de repente salen multitudes, somos así. (Die Norm hat man gemacht, um den Sorglosen/Verantwortungslosen gerecht zu werden, nehme ich an. Das ist der einzige Grund, den ich irgendwie akzeptabel finde. Man geht spazieren und plötzlich kommen massenhaft alle heraus, so sind wir eben.)
Otro ejemplo, ¿por qué se prohibe salir a un jardín comunitario si todos los vecinos pueden convenir de un horario para no encontrarse (whatsapp)? (Ein weiteres Beispiel: Warum ist es verboten, in einen Gemeinschaftsgarten zu gehen, wenn sich alle Nachbarn auf einen Zeitpunkt einigen können, um nicht aufeinander zu treffen (whatsapp)?)
Mana P. : Jesús cariño míoooo. Vamos a ver: yo tengo día en los que estoy top y otros que estoy cabreado con el mundo. Imagínate La Palma (Canarias), chiquito, tranquilo, poca gente (en comparación con Madrid). Pero es que somos de un abrazo, besos, un eiiiiiiii qué tal?…. tú sabes!!!! (Jesús, mein Schatz. Schau mal: Ich habe Tage, an denen ich super fit bin und andere, an denen ich sauer auf die Welt bin. Stell dir mal La Palma (Kanarische Inseln) vor, klein, ruhig, wenige Menschen (im Vergleich zu Madrid). Aber wir sind eben so Umarmung, Küsse, ein eiiiiiiiiiiii wie geht´s… du weißt schon!!!!)
Yo tengo dos grandes perros que tengo que pasear, pero te juro que hasta ellos están acojinados, no ven a nadie….. en fin, saldremos de esta amigo. Cuídate mucho (Ich hab zwei große Hunde, die ich ausführen muss, aber ich schwöre dir, dass auch sie schon völlig verängstigt sind, sie sehen niemanden… Naja, wir werden es schon überstehen, mein Freund. Pass auf dich auf.)
Jerónimo A.: Creo que hay otra lógica más, dentro de esta ílogica situación… De cara a evitar posibles percances de los runners, ciclistas, etc, que puedan tener accidentes que requieren asistencias sanitarias de urgencias y podrían saturar aún más los hospitales. Está todo planteado por estadísticas, números, curvas, logaritmos: sometidos a la dictadura de la sociedad digital de la hiperinformación. Respecto a los „paseos“ de los ciudadanos, si se abre ese melón, queda muy libre de una interpretación de lo de qué es un paseo (duración, trayecto, paradas,…). Todo esto pensando desde la lógica del Estado, del que gobierna, organiza, gestiona, movidones de este calibre desde los despachos. Que no es que lo defienda yo, ni mucho menos, que estoy más confuso y perdido que otra cosa… (Jerónimo A.: Ich denke, es gibt eine andere Logik in dieser unlogischen Situation… Um mögliche Zwischenfälle für Jogger, Radfahrer usw. zu vermeiden, die Unfälle haben könnten, die eine Notfallversorgung erfordern und die Krankenhäuser noch mehr überlasten könnten. Es ist alles durch Statistiken, Zahlen, Kurven, Logarithmen bestimmt: wir sind der Diktatur der digitalen Gesellschaft der Hyperinformation unterworfen. Was die „Spaziergänge“ der Bürger betrifft, wenn man diese Möglichkeit öffnet, dann ist es sehr frei interpretierbar (ein Fass ohne Boden), was ein Spaziergang ist (Dauer, Route, Stopps). All dieses gedacht von der Logik des Staates aus, der große Bewegungen dieses Kalibers von den Büros aus regiert, organisiert und verwaltet. Nicht, dass ich es verteidige, ganz im Gegenteil, ich bin eher verwirrt und verloren…)
Jesús: nuia, ya, pero entonces por qué en Francia si, y en Bélgica hasta lo recomiendan? Que por cierto son mucho más razonables y racionales para estas cosas. Solo veo una razón: el estado nos trata aquí como menores de edad, que vamos a meternos en el charco si o si, porque somos niños malos siempre y esta vez prohíbe antes de que se produzca el hecho. Es mucho más peligroso andar por los acantilados donde tod@s hemos andado miles de veces. Y no se prohíbe andar por ellos. Se nos quita una responsabilidad de adultos y se nos pone la obligación de los niños. Y yo prefiero siempre la responsabilidad a la obligación, creo que es la única manera de construir sociedad. (Jesus: nuia, ja, aber warum geht es dann in Frankreich und in Belgien empfehlen sie es sogar? Die übrigens für diese Dinge viel vernünftiger und rationeller sind. Ich sehe nur einen Grund: Der Staat behandelt uns hier als Minderjährige, dass wir in die Pfütze geraten, ob oder ob, weil wir immer schlechte Kinder sind und diesmal verbietet er es vorher. Es ist viel gefährlicher, auf den Klippen zu gehen, die wir alle schon tausende Male betreten haben. Und es ist nicht verboten, sie zu betreten. Man nimmt uns als Erwachsene eine Verantwortung ab, und erlegt uns die Verpflichtung der Kinder auf. Und ich ziehe immer Verantwortung der Verpflichtung vor, ich glaube, dass dies der einzige Weg ist, eine Gesellschaft aufzubauen.)
Uli: En España no se ha tenido en cuenta, creo, porque no se valora tanto el salir al aire libre. La gente está en casa con la tele puesta pero eso sí, recomiendan a bailar, aquí en Cataluña … tiempos raros… (Uli: In Spanien hat man es, glaube ich, nicht in Betracht gezogen, weil man sowieso nicht so gerne spazieren geht. Die Leute sind zu Hause vor dem Fernseher, aber sie empfehlen das Tanzen, hier in Katalonien … seltsame Zeiten…)
Fernando: Buenos días a todos!
Creo que la situación de por sí es bastante grave y que la han expuesto con claridad: hay que parar los contagios. No creo que nos estén tratando como a menores de edad, ni que quieran controlarnos ni quitarnos derechos esenciales. Es lógico que en una situación excepcional se nos pida un comportamiento excepcional. Tú que eres un hombre culto mira los ejemplos de la historia. En época de guerra no puedes vivir igual que en época de paz. Y esto es en cierto modo como una guerra: contra un virus. Y no hace falta atormentarse más con oscuras maquinaciones ya que el asunto de por sí es suficientemente grave. Ánimo, bonito! Y aprovecha para escribir sobre otra cosa. Te hará bien y nosotros lo disfrutaremos luego. Love! (Fernando: Guten Morgen, allerseits! Ich denke, dass die Situation an sich schon recht ernst ist und dass Sie es deutlich gemacht haben: Wir müssen die Ansteckung stoppen. Ich glaube nicht, dass sie uns wie Minderjährige behandeln, noch wollen sie uns kontrollieren oder uns wesentliche Rechte wegnehmen. Es ist logisch, dass wir in einer Ausnahmesituation zu einem außergewöhnlichen Verhalten aufgefordert werden. Du, der du ein gebildeter Mensch bist, schau dir die Beispiele in der Geschichte an. In Zeiten des Krieges kann man nicht so gut leben wie in Zeiten des Friedens. Und das ist in gewisser Weise wie ein Krieg: gegen einen Virus. Und es gibt keinen Grund, sich länger mit dunklen Machenschaften zu quälen, denn die Sache selbst ist schon ernst genug. Kopf hoch, meine Schöner und nutz die die Gelegenheit, über etwas anderes zu schreiben. Es wird dir gut tun, und wir werden es später genießen. Love!)Uli P: hola, Fernando! Estoy de acuerdo contigo, pero lo veo desde un punto de vista de diferencias culturales. Porque en Bélgica recomiendan hacer deporte y aquí se prohíbe. no deja de ser una cuestión cultural y por cierto también, lo de hablar de „guerra“ contra el virus, como en Francia Macron también habla de guerra. A mí me gustaría saber más sobre las vías de contagios. Se puede contagiar uno haciendo footing al aire libre? (Uli P: Hallo, Fernando! Ich stimme dir zu, aber ich sehe es unter dem Aspekt der kulturellen Unterschiede. Warum empfiehlt man in Belgien Sport zu treiben, und hier ist es verboten? Es ist immer noch eine kulturelle Frage, und übrigens, man spricht vom „Krieg“ gegen das Virus, so wie in Frankreich Macron auch vom Krieg spricht. Ich würde gerne mehr über die Übertragungswege des Virus erfahren. Kann man ihn sich beim Joggen an der frischen Luft einfangen?)
Fernando: Uli, aquí hemos vivido desde el principio de los tiempos al aire libre, no podemos imaginar otra cosa. Es cierto que salir a hacer deporte con medidas concretas de „seguridad“ sería altamente recomendable pero…¿estamos preparados? Recuerda que somos un poco de pandereta y charanga como decía alguien en el hilo más abajo… Un abrazo fuerte (Fernando: Uli, wir haben wir seit jeher im Freien gelebt, wir können uns nichts anderes vorstellen. Es stimmt, dass es sehr empfehlenswert wäre, mit konkreten „Sicherheitsmaßnahmen“ in den Sport zu gehen, aber… sind wir bereit dazu? Denk daran, dass wir ein bisschen Tamburin und Charanga sind, wie jemand im folgenden Thread sagte… Eine große Umarmung)
Rafael P.: Creo que va por ahí la cosa. Desde tu perspectiva lo entiendo. Pero desde la perspectiva charanga y pandereta, mejor en casa quietos. (Rafael P.: Ich glaube, es geht so in die Richtung. Aus deiner Perspektive verstehe ich das. Aber aus der Perspektive von Charanga- und Tamburin-Perspektive ist es besser ruhig zu Hause zu bleiben.)
Clara G: Hola Jesus, pues aquí en Italia llevamos 13 días aislados, y hasta ayer nos permitían salir a dar un paseo e ir a correr, pero desde hoy ni eso. Eso porque la curva de contagios, sigue subiendo no obstante el aislamiento. Por un lado, he visto que es muy difícil que todos sepamos autocontrolarnos: frente a gente que salía una o dos veces por semana, mucha gente de mi alrededor salía varias veces al día, y así por lo visto los contagios siguen. Por otro lado, según las estadísticas y según los Chinos, o nos aislamos de forma estricta, o no sirve de mucho. En Bélgica y Francia han tardado tanto en reaccionar que sinceramente no los tomaría como ejemplos a seguir. Clare G: Hallo Jesus, also hier in Italien sind wir seit 13 Tagen isoliert, und bis gestern haben sie uns erlaubt, spazieren zu gehen und zu laufen, aber ab heute nicht einmal mehr das. Dies liegt daran, dass die Ansteckungskurve trotz der Isolation weiter ansteigt. Einerseits habe ich gesehen, dass es für uns alle sehr schwierig ist, uns zu beherrschen: Viele Leute gingen ein- oder zweimal pro Woche aus, viele meiner Bekannten mehrmals am Tag aus, und so scheint es, dass die Ansteckungen weiter gehen. Auf der anderen Seite laut Statistik und laut den Chinesen müssen wir uns entweder strikt isolieren oder es hilft nicht viel. In Belgien und Frankreich haben sie so langsam reagiert, dass ich sie ehrlich gesagt nicht als Vorbild nehmen würde.)
Der Tenor der Antworten auf der FB-Seite von Jesús ist: wir dürfen nicht raus, weil wir Spanier dazu neigen, gleich ein Fest draus zu machen. Also die fehlende Disziplin und der Hang zu engem sozialem Kontakt werden als Gründe genannt.
Dann aber auch die Kritik, dass die nördlichen Länder spät reagiert haben und schon noch zu dem Punkt gelangen werden, der jetzt in Spanien erreicht ist: zur strengen Ausgangssperre.
Mein kolumbianischer Freund und Musiker David sagt, das mit der Bewegung und der frischen Luft ist nur für die Deutschen oder nördlichen Länder wichtig, in Spanien oder Lateinamerika sitzt man eh lieber vor dem Fernseher und sieht beim Sporteln zu.
Ich denke, es gibt in Spanien, eher als in Deutschland, einen gewissen Anarchismus und den Hang dazu, die Anordnungen von oben zu ignorieren. So haben findige Spanier ihren Hund über Wallapop zum Ausgehen vermietet. Es zirkuliert auch das Meme des völlig erschöpfen Mopses, der zum x-ten Mal ausgeführt wurde: „der ganze Häuserblock hat mich schon Gassi geführt. Wer zum Teufel ist dieser Covid?“
Man könnte es auch als die typische „Picaresca“ bezeichnen und vielleicht fürchtet die spanische Regierung, dass eine Erlaubnis, Sport zu treiben, dem Missbrauch Tür und Tor öffnet. Oder so, wie es Mana P. beschreibt. Wenn wir uns treffen, dann gibt es Umarmungen, Küsse… Unterhaltung.
Das Diario de Triatlon gibt zu bedenken: Diabetiker und Colesterol-Kranke brauchen Bewegung, auch Patienten mit mentalen Problemen und Depressionen.
Sonntag, 22.03.20
Heute 28.572 Infizierte und 1.725 Tote. 2.575 Entlassene
Der Ausnahmezustand wird um zwei Wochen verlängert, bis zum 11. April.
Viele sind für eine Verschärfung der Maßnahmen, die totale Sperre, so dass auch nicht mehr gearbeitet wird, obwohl man noch nichts über die Dynamik der Ansteckungen sagen kann. Die Angst macht alles möglich.
Auf der Terrasse ist es sonnig und ruhig. Noch nie habe ich das Vogelzwitschern so stark wahrgenommen.
Die spanische Presse fragt sich, warum Deutschland, bei ca. 22.000 Erkrankten nur 84 Tote zu beklagen hat, also 0,4%, während 11% in Italien sterben und 4% in China oder 5% in Spanien.
Es werden mehrere Faktoren benannt, neben der besseren Ausstattung der Krankenhäuser, dem späteren Ausbruch der Krankheit und der Ansteckung vor allem jüngerer Personen, die aber nicht mit ihren Eltern und Großeltern zusammenleben, phantasieren die spanischen Medien auch etwas über die „deutsche Disziplin“ und die größere soziale Distanz der Deutschen.
EL PAIS benennt die Tests. Das Robert Koch Institut kann 160.000 Tests pro Woche ausführen https://elpais.com/sociedad/2020/03/20/actualidad/1584729408_422864.html und eine frühzeitige Erkennung kann die Zahl der Ansteckungen und Toten deutlich senken.
Mit den Erfahrungen meiner Schwester stimmt das jetzt nicht überein. Auch meine Freundin Ingrid und ihr Sohn sind nach dem Skifahren mit einem mittlerweile positiv getesteten Bekannten mit Husten und schwerer Erkältung zu Hause. Man testet sie aber nicht – zu teuer – und sie müssen sowieso zuhause bleiben. Es gilt in Bayern schon die Ausgangssperre. Also von wegen Deutschland testet vorbildlich…
Habe eine Telefonkonferenz mit meinen Geschwistern. Es geht darum, wie wir verfahren wollen, wenn unsere Mutter, die mit Alzheimer in einer Seniorenresidenz südlich von München lebt, an Covid-19 erkrankt. Die letzten Tage hat das Pflegepersonal sie im Rollstuhl vor die Türe gebracht. So konnte meine Schwester sie ein bisschen in der Frühlingssonne spazieren fahren. Nun ist die Residenz hermetisch abgeriegelt. Unsere Mutter hat schon vor vielen Jahren eine Patientenverfügung hinterlegt und wir wollen ihr unnötiges Leiden ersparen, deshalb werden wir der Residenz und der betreuenden Ärztin gegenüber noch einmal bestätigen, dass sie im Falle einer Erkrankung keine lebensverlängernden Aktionen unternehmen sollen. Wir sind uns alle fünf einig.
Heute Abend interviewt der katalanische Journalist Jordi Évole den Pabst in „la sexta“ – ein privater Kanal, der zwar links aber auch unglaublich auf Einschaltquoten aus ist, sensationalistisch. Auch die „Intellektuellen“ sind immer noch auf die Kirche fixiert. Das Programm ist aber gar nicht so schlecht. Jordi ruft ganz unterschiedliche Leute an, berühmte und ganz normale, wie die Reinigungsfrau oder eine Ärztin, die sich mit dem Coronavirus angesteckt hat. Der Papst verbreitet die Botschaft einer solidarischen Gesellschaft und lobt „die Heiligen von Nebenan“, womit er sich auf die Schaar namenloser Helferinnen und Helfer des Gesundheitssystems bezieht. Er bewundere sie für ihr Engagement.
Diese Helfer haben gar keine andere Wahl. Das ist die andere Seite der Medaille.
Auch Pepe Mujica wird über Skype kontaktiert. Er verbreitet die Hoffnung, dass wir alle als Bessere aus der Krise hervorgehen werden. Weniger werden wir sein, denn viele werden auf der Strecke bleiben und das wird hart werden.
Montag, 23.03.20
Mehr als 2.100 Menschen sind inzwischen in Spanien gestorben und 33.000 infiziert vermeldet El PAIS
Bezüglich der wiederholten Betonung, welche Chance auch jede Krise in sich birgt und was wir daraus lernen können. Postet mein Freund Jesús:
Die Schlagzeilen behaupten, dass wir dank des Coronavirus entdeckt haben, dass die Menschen nur über kollektive Hilfe überleben können. Aber ich frage mich, ob wir das bei der AIDS-Pandemie in den 1980er und 1990er Jahren entdeckt haben. Nun, ich sage nein, denn das betraf nur Schwuchteln, Huren und Drogenabhängigen. Haben wir aus der Ebola-Epidemie von 2016 etwas gelernt? Nein, das war was für Schwarze und für diejenigen, die Länder besuchten, die nicht hätten besuchen sollen. Sind wir auf die Balkone hinausgegangen, um für die Betroffenen der Wirtschaftskrise von 2008 zu applaudieren? Wofür? Das waren die Armen. Machen wir uns nichts vor, wir haben die Kollektivität nur entdeckt, weil diese Krankheit die Crème de la Crème des Westens trifft…
Telefonat mit meinem Freund Tom, der gerade noch am Sonntag, 22.3., aus München nach Barcelona kommt. Am Schalter wird er streng befragt, was er in Barcelona verloren hat. Nachdem er ein Haus in den Bergen bei Barcelona hat, darf er in den Flieger steigen. Nur kann auch Lufthansa nicht garantieren, dass Spanien ihn hereingelassen wird.
Gespenstisch der Flughafen, sagt Tom. Es gingen nur noch zwei Flüge. Einer nach Frankfurt und einer nach Barcelona. Die restlichen Maschinen stehen abgedeckt an den Docking-Stationen. Das Flugzeug angenehm leer. Der Flugkapitän hält eine kleine Ansprache, in der er hofft, seine Passagiere in einer neuen „Zeitrichtung“ wiederzusehen. Wir lachen über diesen Ausdruck und spekulieren, ob er Einsteins Relativitätstheorie verstanden hat und vielleicht in der neuen Zeitrichtung ein paar Jahre jünger zurückkommt?
Wir sprechen über die Theorien, die zirkulieren. 10 Punkte – angeblich von Noam Chomsky, die mal wieder zirkulieren. Die Denkweise ist die immer gleiche, ob es sich nun um Aids, Vogelgrippe oder andere virale Bedrohungen handelt. Am meisten ärgert mich, dass diese „10 Chomsky Gebote” im Grunde jede weitere Analyse untersagen, ganz abgesehen davon, dass sie keine einzige ihrer Hypothesen belegen. Erstaunlich ist auch, dass die Menschen keine Beweise sehen wollen. Sie wollen einfach das glauben, was in ihr Weltbild passt.
Andererseits möchte man auch gerne wissen, was in diesen Laboren vor sich geht. Wozu sind sie da und interessant wäre auch, ob eigentlich der Ursprung von SARS aufgeklärt worden ist? In Wuhan gibt es zufälligerweise solche Labore BSL-4 (biosafety level 4), der höchstmöglichen Sicherheitsstufe. Die stellvertretende Leiterin Shi Zhengli schwört bei ihrem „Leben, dass das neue coronavirus nicht aus unserem Labor stammt“. Zurecht wird gefragt, warum man nicht mit Transparenz antwortet anstelle mit Schwüren. Militärische Geheimhaltung dürfte in einer Pandemie-Situation keine Rolle spielen.
Frau Shi Zhengli weiter: „Dieses Virus ist eine Strafe der Natur für die Menschheit, um deren nicht zivilisierten Lebensstil zu bestrafen. Diejenigen unter Ihnen, die Gerüchten oder angeblich wissenschaftlichen Analysen nicht qualifizierter Wissenschaftler glauben, rate ich, ihre verdammten Schnauzen zu halten.“ Na, das klingt jetzt aber auch nicht gerade sehr wissenschaftlich. Daher nochmal nachgefragt – was hat es denn mit dem P4-Labor in Wuhan auf sich?“ http://eurojournalist.eu/coronavirus-man-wird-ja-wohl-mal-nachfragen-duerfen/ (abgerufen am 24.3.20)
Interessant, dass sie die Strafe der Natur – man könnte auch sagen, die Strafe Gottes anspricht. Das ist schon eher ein Parameter, der in Spanien und auch anderswo Verbreitung findet. Über (für meinen Geschmack) kitschige Videos, die zirkulieren. Botschaft: Die Natur rächt sich.
Vor zwei Tagen hat auch El Financiero aus Mexiko eins drauf gesetzt: “COVID-19 es ‚un grito de Dios‘ por culpa del aborto, eutanasia y diversidad sexual: Obispo de Cuernavaca. Dijo que la crisis generada por el coronavirus es un alto que Dios está poniendo a la humanidad, por querer jugar a ser como él.” (https://amp.elfinanciero.com.mx/nacional/pandemia-del-covid-19-es-un-grito-de-dios-por-temas-como-aborto-eutanasia-y-diversidad-sexual-obispo-de-cuernavaca?__twitter_impression=true&fbclid=IwAR2XtZrbexWOrAM2sYTnJ4s2VkF6wl7DnWLFcA4nieCvOz5xun0ZLAUEAv0 abgerufen am 24.3.20) Der COVID-19 ist ein “Schrei Gottes” gegen die Abtreibung, Euthanasie und die sexuelle Vielfalt” sagte der Bischof von Cuernavaca. Die durch das Virus verursachte Krise sei ein Stillstand, den Gott der Menschheit auferlege, weil sie damit spielen, ihm ähnlich zu sein.
Kann man im 21. Jahrhundert noch so etwas denken und es im Brustton der Überzeugung von sich geben? Wie viele Menschen (nicht nur Katholiken) denken noch so?
Sowohl die Verschwörungstheorien, als auch die katholischen Moralzuweisungen scheinen mir vereinfachte shortcuts, um aus einem Nachdenken und Analysieren der Krise schnell heraus zu kommen. Man gibt sich zufrieden mit den vorgegebenen Mustern. Solange das so funktioniert, werden wir nichts aus der Krise lernen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, aber in meinem nicht-akademischen Umfeld hier in Sitges, scheint es mir, als würden die Verschwörungstheorien schneller aufgenommen und weitergegeben. Als gelte hier anstelle des Arguments die Hierarchie oder eine Art von Senioritätsprinzip, denn was angeblich Noam Chomsky gesagt hat, muss ja auch stimmen – auch wenn er keinerlei Beweise liefert. Heute zirkuliert auch das Audio von einem Interview mit einer „vidente“, einer Seherin, die Stimmen aus dem Universum „channelt“. Sie hat angeblich bereits letztes Jahr „vorhergesehen“, dass dieses Jahr 2020 sehr schwierig werden würde. Nein, kein Krieg, aber viele Leute würden sterben… ein Virus? „Das kann ich dir nicht genau sagen, ja könnte ein Virus sein…“ etc. Auch hier wird nicht hinterfragt, ob dieses „Radioprogramm“ von der Seherin selbst lanciert wurde und höchstwahrscheinlich von März 2020 stammt. Und nochmal: In diesen Zeiten der Krise glaubt man, was man glauben will.
Dienstag, 24.03.20
Die Kurve steigt weiter an. In 24 Stunden sind 462 Menschen gestorben.
Die Angst geht ebenso viral. Sie ist ansteckend und kann vor der Haustüre nicht mehr abgestreift werden. Es ist aufgrund der Informationen kaum möglich, die Gefahren realistisch einzuschätzen.
Und das home ist heute kein castle mehr. Ich stelle mir den Virus vor, wie er über die Schuhe in die Wohnung getragen werden kann, wie er überall und nirgends klebt und dass unser Immunsystem ihn sicher schon eine Weile in Schach hält.
Mercedes geht Einkaufen. Ausreichend geschützt, mit Handschuhen und Atemmaske verlässt sie das Haus. Sie geht zum Supermarkt. Hier ist ihr Bericht:
„Ich ging zum Supermarkt mit dem komischen Gefühl, obwohl wir in Frieden leben, dass wir uns im Krieg befinden. Meinen Weg kreuzten nur ein paar Menschen mit ihren Hunden. Alle Betriebe waren geschlossen, außer den Supermärkten eben, Apotheken, Naturkostläden und ähnliche. Ich vermisse den Trubel und die verschiedenen Aktivitäten.
Ich spüre eine soziale Unzufriedenheit, aber die Verletzlichkeit einer bis dahin unbekannten Situation, die uns umgibt, sie erzeugt Angst. Gleichzeitig bringt sie kollektive Aktionen hervor, um uns gegenseitig zu schützen.
Ich beobachte die wenigen Personen, die sich auf der Straße bewegen. Eine Frau geht an mir vorbei, sie hält ein Kind auf ihrem Arm. Die Frau schreit und beschwert sich. Sie sagt: Als ich heute aufgestanden bin, habe ich mir nicht das Gesicht gewaschen. Ich bin diesen Corona-Virus leid!!! Und hinter ihr gingen zwei Jungs, die sie beschimpften: „Du bist böse!“ und so, streitend verschwanden sie aus meinem Blickfeld.
Als ich im Supermarkt ankomme, werde ich angehalten und muss mich in eine lange Schlange einordnen und einen Abstand von einem Meter zwischen den Personen einhalten. Für jeden Kunden, der herauskommt, darf einer herein und an der Türe bietet ein Angestellter den Eintretenden Handschuhe an und desinfiziert mit einem Spray die Hände. Von Zeit zu Zeit wird über die Lautsprecher verkündet, dass die Mitarbeiter des Unternehmens die ausgestellten Produkte ständig reinigen. Vertrauensbildende Maßnahmen.
Warteschlangen beim Reingehen, Warteschlangen beim Rausgehen… Während ich darauf wartete, bezahlen zu können, denke ich an einen Artikel, den ich gelesen hatte. Er bezog sich auf die positive Seite dieser Zwangslage. Darin sagten sie, dass sich die Umweltbelastung durch den Ausfall von Autoverkehr und Flugzeugen rasant gefallen war. Hohe Konzentrationen von Stickstoffdioxid können das Atmungssystem beeinträchtigen und bestimmte Lungenpathologien verschlimmern – genau wie das Virus.“
Silvia meint: jeder Gang in den Supermarkt ist wie eine Lotterie. Sie schwankt zwischen Ruhe und Aufregung, weil die Situation Spaniens gruselig ist. Die Zahlen nähern sich denen Italiens an. Und Katalonien hat mittlerweile Madrid in den Zahlen der Infizierten überholt.
Das spanische Sanitätssystem ist am Zusammenbrechen.
In Madrid sind für die 1500 Betten in der UCI (Intensivstation) 50 Personen zu viel eingeliefert. Sie werden in Rollstühlen notdürftig versorgt. Eine Angehörige beklagt, dass ihre Mutter seit Sonntag dort sitzt.
Paula, die als Gynäkologin im Hospital del Mar in Barcelona arbeitet, macht sich für ihren Einsatz bei den Covid-Infizierten bereit. Dieses Krankenhaus ist spezifisch für Patienten des Corona-Virus habilitiert. Sie gehört der vierten Reihe an. Reihe 1-3 sind sozusagen „gefallen“ im Kampf gegen den Coronavirus. Man spricht auch von „tongadas“ (Etappen). Es ist schneller gegangen, als man dachte. Sie muss diesen Freitag oder nächsten Montag „eintreten“. Sie übernimmt auch noch „guardias“ (Nachtwachen) von anderen Gynäkologen, von OPs, gynäkologischen Notfällen, auch ambulant… Das Personal wird mit einer kleinen Einführung für den Umgang mit Corona-Patienten ausgebildet. Die Ärzte werden nicht als Gynäkologen arbeiten, wenn sie auf die Station der Infizierten kommen, sondern in Aufgaben zur Versorgung der Covid-Erkrankten. Wenn „die vorderen Reihen fallen“ müssen sie nachrücken…
Paula möchte natürlich die notwendige Ausbildung haben, um nützlich zu sein, um helfen zu können. Man hat ihr ein paar Tage gegeben, in denen sie sich vorbereiten wird. Ihre Hunde werden von ihrem Freund übernommen und derweil informiert sie sich über alles, was die Betreuung von Covid-Patienten betrifft, Kardiologie und Pneumologie. Paula glaubt, sie hat die Infektion bereits durchgestanden, vor einer Woche, sie hatte einen „rush“, eine Eruption und Schmerzen auf der Brust und Halsweh und einen bitteren Geschmack im Mund nach Metall und – das ist einer der Indikatoren des Corona-Virus.
Diese Woche und die kommende, werden die schlimmsten sein, schätzt man. Danach, so hofft man, wird die Kurve der Infektionen abflachen, was allerdings nicht bedeutet, dass der Kollaps des Gesundheitssystems beendet ist. Im Hospital del Mar wird ein neuer Flügel eröffnet, ein großer Sportpavillon. Sie versorgen 300 Infizierte mit schweren Symptomen.
Die Tatsache, dass sie Aufgaben zugewiesen bekommt, die nichts mit Gynäkologie zu tun haben, macht Paula ein schlechtes Gefühl, weil sie Verantwortung zugewiesen bekommt, die ihr nicht zusteht und außerdem verliert sie ihr Zusatzgehalt, das sie sich mit ihren Nachtwachen verdiente. Das bedeutet, dass sie von über 3.000 Euro (incl. Nachtwachen) nur noch 1.500 Euro im Monat verdient – mit viel größerem Risiko. Sie wird einen Vertrag über 40 Stunden bekommen, der dann auch extra bezahlt wird, aber zunächst vermutlich in der untersten Stufe.
Kriegsvokabular und -rhetorik
Eine Nachricht aus El PAIS: Katalonien übertrifft Madrid mit Zahlen von Neuinfizierten. Die UME (Unidad Militar de Emergencias) wird angefordert, um vor allem das Krankenhaus von Badalona (Stadt nördlich von Barcelona) zu desinfizieren. Sabadell und Hospitalet fordern ebenfalls die Hilfe der Noteinheit des Militärs an. Das befeuert das Katastrophengefühl. Die Zahl der neu Infizierten explodiert gerade in Katalonien. Das veranlasst den Professor für Medizin und Öffentliche Gesundheit der Universität Valencia, eine seltsame Erklärung abzugeben. Schuld sind seiner Meinung nach die engen Verbindungen Kataloniens zu Italien.
“Este especialista considera esperable el impacto de la epidemia en Cataluña dados los lazos (económicos, sociales, de turismo…) entre esta comunidad y el norte de Italia. ‘Barcelona es un destino muy apreciado para muchos italianos’, recuerda.” (Dieser Spezialist ist der Meinung, dass die Auswirkungen der Epidemie in Katalonien angesichts der Verbindungen (wirtschaftlich, sozial, touristisch…) zwischen dieser Gemeinde und Norditalien zu erwarten sind. „Barcelona ist für viele Italiener ein hoch geschätztes Reiseziel“, erklärt er.)
Eine weitere Erklärung ist die von Daniel López Acuña OMS, der den enormen Anstieg auf die Produktionsstrukturen Kataloniens/Barcelonas zurückführt. Hier seien immer noch viele Zentren geöffnet, was eine bedeutende Zirkulation von Personen zur Folge hat und die Zirkulation des Virus ist besorgniserregend.
“Para Daniel López Acuña, exdirector de Acción Sanitaria en Crisis de la Organización Mundial de la Salud (OMS), “el crecimiento de casos en una comunidad con el peso demográfico y económico de Cataluña tiene una gran trascendencia”. “No es la única comunidad que sufre un aumento importante de la incidencia en los últimos días, pero su estructura productiva le confiere una relevancia especial. Sigue siendo una zona con muchos centros de trabajo abiertos. Esto, a su vez, supone un flujo importante de personas que se trasladan para acudir a sus puestos de trabajo. La circulación del virus en este contexto es un hecho preocupante”, afirma.”
(Für Daniel López Acuña, den ehemaligen Direktor von Health Action in Crisis bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), „ist die Zunahme der Fälle in einer Gemeinde mit dem demographischen und wirtschaftlichen Gewicht Kataloniens von großer Bedeutung“. „Es ist nicht die einzige Gemeinschaft, die in den letzten Tagen einen deutlichen Anstieg der Inzidenz zu verzeichnen hatte, aber ihre produktive Struktur verleiht ihr eine besondere Bedeutung. Es ist immer noch ein Gebiet, wo viele arbeiten gehen. Dies wiederum bedeutet einen erheblichen Strom von Menschen, die zu ihren Arbeitsplätzen gehen. Die Zirkulation des Virus ist in diesem Zusammenhang eine beunruhigende Entwicklung“, sagt er.)
25.03.20 Mittwoch
Ich bin ausgelaugt, kann das Thema Corona-Virus bald nicht mehr hören. Die 24-Stunden Beschallung von allen Seiten.
Die Stimmen, die eine vollständige Abschottung fordern, hier in Katalonien, also die Niederlegung jeder Form von Arbeit – außer die zur Grundversorgung wichtig sind – werden immer lauter. Mir scheinen dahinter die nationalistischen Flaggen zu wehen. Auch hier geht der Krieg auf symbolischer Ebene weiter. Man will Katalonien gegenüber Spanien abgrenzen, unter sanitärem Vorwand.
Wenn wir um 20 Uhr abends auf die Terrassen rausgehen, um dem sanitären Personal zu applaudieren, habe ich das Gefühl, dass wir uns eher selbst ermuntern. Die frische Luft tut auch ganz gut. Allerdings ist heute unsere Nachbarin Salva nicht rausgekommen, wir rufen sie gleich an. Sie ist erkältet, aber sie meint, es sei nicht dieser Virus, sondern einer von vielen anderen oder sie hat einfach die Nase voll…
26.03.20, Donnerstag
Heute keine Lust auf Corona. Nur zwei Whatsapps bringen mich zum Lachen: Eine Freundin teilt ein kleines Video das mit den Verzerrungen aufgenommen wird. Sie befragt Aladins Wunderlampe, die ihr sagt, dass es ihrer Tochter, die sich in der Provence befindet, gut geht. Und ein WhatsApp, das über Kolumbien kommt und kurz zusammenfasst, was die Philosophen zu diesen Corona-Virus-Zeiten sagen würden: So zum Beispiel Platon: Bleiben Sie um Gottes Willen in Ihrer Höhle! Oder Ludwig Wittgenstein: Das, was man sich nicht eingefangen hat, kann man nicht übertragen. Oder Heraklit: Man fängt sich den gleichen Virus nicht zweimal ein, beim zweiten Mal sind Sie und der Virus ein anderer. Oder Jean Paul Satre: Ich korrigiere nichts: die Hölle, das sind die Anderen…. und zum Schluss Judith Butler: Die Tatsache, dass diese Liste zu 95% aus Männern besteht, beweist, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte patriarchalischer Herrschaft ist, die Männer sind der wahre Virus.
Abends videotelefoniere ich mit Jesús, der in Madrid lebt. Wir entdecken, dank des Virus, die Vorteile von Bild und Ton zusammen. Man nähert sich dem Gefühl einer Präsenz an. Die soziale Distanzierung bringt uns einander näher. Das ist die Dialektik des Virus: Man vermisst immer das am meisten, was man nicht haben kann.
Jesús ist vor allem über den autoritären Charakter dieser Ausgangssperre besorgt und wegen des faschistischen Zugs, den sowohl die Regierungen mit ihren strengen Regelungen, als auch Teile der Bevölkerung in dieser Situation an den Tag legen. Die Leute, welche andere, die sich frei und ohne erkennbaren Grund (also Einkaufswagen oder -tasche oder Hund an der Leine) auf der Straße bewegen, von ihren Balkonen aus beschimpfen. Die gegenseitige Bewachung und die Erzeugung von Angst zur Manipulation der Massen. Was die Angst alles in uns auslösen kann. Und natürlich die Schuldzuweisungen. Trumps Rede vom „chinesischen Virus“ und die unkommentierte Schuldzuweisung eines valenzianischen Professors, die Italiener seien für den enormen Anstieg an Infizierten verantwortlich, und das in einer seriösen Zeitung, wie dem El PAIS, ist tatsächlich bedenklich.
Die Dauerbeschallung durch die Massenmedien schüren die Angst und die Aggressionen der Bevölkerung. Wir erleben eine außergewöhnliche Situation, doch kann sie die erste von vielen folgenden sein, sozusagen der Probelauf für eine mögliche Disziplinierung der Bevölkerung, fürchtet Jesús. Es zeugt von einem vollkommen bürgerlichen Verständnis der Situation, dass man zwar die Hündchen ausführen darf, aber eine Familie mit drei Kindern nicht an die frische Luft darf. Wie ist so etwas zu rechtfertigen? Dem Aufruf #quedate en casa (bleib zuhause), ist leicht Folge zu leisten, wenn du eine große Wohnung mit Balkon hast. Wenn du aber in einem Zwischengeschoss mit Fenster zum Lüftungsschacht lebst, von denen es noch so einige in Barcelona und auch in Madrid gibt, dann sieht die Sache schon anders aus. Und wie muss sich wohl ein/e Migrant/in aus dem Kongo fühlen, der nach allem, was er oder sie durchlitten hat, sich jetzt vermutlich in einem winzigen Raum einsperren muss wegen eines lächerlichen Virus?
Das Problem ist weniger das Virus, sondern das kaputtgesparte Gesundheitssystem. Die Hilferufe von überbordenden Intensivstationen und erschöpftem Personal sind seit einigen Tagen im Fernsehen allgegenwärtig. Sie werden zum Ausgleich „Heldinnen und Helden“ genannt, dass ihr Lohn aufgestockt würde, habe ich noch nirgendwo gelesen oder gehört. Die Bezahlung ist eher unterirdisch.
Seit der Finanzkrise hat man das Gesundheitssystem in Spanien kaputtgespart und das, obgleich die Bevölkerung im Schnitt viel älter wird. Eine Maßnahme, die heute fast die gesamte Bevölkerung dazu zwingt, zuhause zu bleiben und damit die Wirtschaft zum Erliegen bringt. Und wie soll man in diesem Zusammenhang die Nachricht verstehen, dass inmitten dieser Krise eine Kette privater Krankenhäuser (HM Hospitales) ihr Personal dazu zwingt für eine Woche frei zu nehmen? (https://www.eldiario.es/galicia/politica/HM-Hospitales-sanitario-presionando-vacaciones_0_1009649892.html abgerufen 26.3.20)
Im Interview von El Gran Wyoming meint Iñaki Gabilondo (ein bekannter spanischer Journalist), es müsse eine prä-ideologische und von allen Parteien geteilte Einsicht geben, dass die öffentlichen Dienstleistungen unabkömmlich sind in einem Staat: das Gesundheitssystem und auch die Wissenschaft – sie sind das Kapital einer Gesellschaft. Sie wurden 2008 um 30 % gekürzt. Das Feilschen um ein Gesundheitssystem, also das Herunterschrauben auf ein Minimum, wie es in den letzten Jahren geschehen ist, ist Selbstmord für die Gesellschaft, sagt Gabilondo.
Heute Abend beim Klatschen fehlen die neuen jungen Nachbarn von gegenüber. Ob sie sich nicht gut fühlen oder einfach nur die Schnauze voll haben, wie ich? Heute bezweifele ich auch am Sinn dieses diary. Ein Armchair-Anthropologist at the Moon!
27.03.20 Freitag
Heute bin ich Office Chair Anthropologist und untersuche mal die Internet-Plattform „Que cal millorar de Sitges, pels Sitgetans?“ (Was können wir Sitgetans zur Verbesserung von Sitges beitragen?“) Eine Seite mit 6.945 Mitgliedern (Sitges hat insgesamt fast 29.000 Einwohner), die gegründet wurde, damit sich die Bürgerinnen und Bürger von Sitges über das austauschen können, was man ihrer Meinung nach in ihrem Städtchen verbessern könnte. Meist wird die Plattform zum Ventil für den Ärger der Bürgerinnen und Bürger über eine nicht funktionierende Gemeindeverwaltung. Im Sommer beschwert man sich über die überquellenden, stinkenden Mülltonnen und die schmutzigen Gassen und eine Gemeinde, die den gesamten öffentlichen Raum (Terrassen und Geschäfte) vermietet und alles tut für die Touristen, aber nichts für seine verärgerten Bürger. https://www.facebook.com/groups/QuenoensagradadeSitges/
Draußen hört man plötzlich laute Stimmen, so wie vor der Ausgangssperre. Ich gehe auf die Terrasse, es ist die Nachbarin Esther, die den Nachbarn von gegenüber berichtet, dass sie zwei Wochen vorsichtshalber nicht bei ihrer alten Mutter war, um sie nicht anzustecken. Aber jetzt kann sie bei ihr sein. Adéu!
Wieder bei meiner Internetseite: Hier zeigt sich leider der kleinbürgerliche Geist der Sitgetans, die Fotos von Menschen posten, die – mit gebührlichem Abstand – draußen frei herumlaufen. Kommentar der Person, die es postet: „Morgendlicher Spaziergang. Auf geht’s, die Sonne scheint!“ Der Post ruft weitgehend Indignation hervor. Beschwerde über die Personen, die sich so egoistisch verhalten, während man selbst sich so vorbildlich verhält und nur einmal in der Woche rausgeht, um einzukaufen. Dann die Verteidigung, die feststellt, dass es sich um drei Frauen handelt, die ihre Hunde ausführen, die man nicht sehen kann, weil sie sie frei laufen lassen (ein weiteres Vergehen!)
Ich finde auch Nachrichten, die Mut machen sollen. Vor allem ein Video, das einen Altenpfleger zeigt, wie er mit einer launigen Flamenco-Einlage die Alten in ihren Rollstühlen etwas aufmuntert. Die darunterliegende Musik ist eine Flamenco-Version des Liedes Resistiré von Dúo Dinámico aus dem Jahr 1988. Die Hymne ans Überleben wurde bekannt durch Almodóvars Film „Átame!“ (Fessle mich) von 1990 ist zum Corona-Hit und zur emotionalen Impfung eines ganzen Landes geworden, wie der PAIS am 18.03. bemerkt (https://elpais.com/cultura/2020-03-17/resistire-la-vacuna-emocional-de-espana-que-urdio-un-pesimista.html abgerufen, 27.03.20). Es wird auch hier manchmal gespielt, wenn die Leute um 20 Uhr auf die Terrassen und Balkone gehen zum Applaudieren und zum Mitsingen: “Resistiré, para seguir viviendo/ Soportaré los golpes y jamás me rendiré/ Y aunque los sueños se me rompan en pedazos/ Resistiré, resistireeeee”. (Ich werde standhalten, um weiter zu leben/ Ich werde die Schläge hinnehmen und niemals aufgeben/ Und selbst wenn meine Träume in Stücke brechen/ Ich werde standhalten, ich werde standhalten!“)
Ein weiteres Video, das eine alte Frau vor ihrer Nähmaschine zeigt, wie sie mit zitternden Händen Mundschutze näht, die überall fehlen. Ein Beispiel der Solidarität, die ein krankes Gesundheitssystem jetzt nötig hat. Ob diese Mundschutze jedoch mehr als einen emotionalen Wert haben, wage ich zu bezweifeln.
Und dann natürlich die Tierfotos! Man sieht einen Fuchs und ein Video von Wildschweinen, die nachts durch die verlassene Stadt spazieren. Sicher haben sie Hunger, meinen die einen. Oder: sie fressen die Ratten, die man natürlich auch herumspringen sieht, sagen die anderen. Und ein japanischer Sitgetà fühlt sich an Tschernobyl erinnert.
Und auch, sehr berührend, der Applaus für eine Reinigungsfrau, die unten am Paseo (an der Strandpromenade) sauber macht und dabei von einer Handy-Kamera gefilmt wird. Als sie bemerkt, dass der Applaus und die Rufe:“guapa“ ihr gelten, muss ist sie so berührt, dass sie weinen muss. Dann gibt sie die Küsse zurück.
Nachrichten, die die eigene Verstörung über die Situation mitteilen
¡Hola a tod@s!
Hace tiempo que no me expreso, ni en un sentido ni en otro, por aquí, mas hoy siento la necesidad de hacerlo…
Son tiempos extraños, difíciles, confusos; llenos de miedo e incertidumbre. Soy consciente, es fácil sucumbir a la queja, la desconfianza y la discordia mas tengo plena confianza en la naturaleza amable y festiva del ser humano, así pues, os pido no decaiga nuestro ánimo, nuestro coraje, nuestro temperamento.
Más temprano que tarde volveremos a pasear por nuestro amado Sitges, con una sonrisa en el rostro y amor en la mirada… y volveremos a los abrazos, los bailes y los besos.
Y volveremos al café, el vermut… volveremos a disfrutar juntos de éste Sitges magnífico y de sus magníficas gentes…
Juntos, siempre juntos!
Un abrazo(Hallo, alle zusammen!
Es ist schon eine Weile her, dass ich mich hier geäußert habe, aber heute habe ich das Bedürfnis, danach…
Dies sind seltsame, schwierige, verwirrende Zeiten; voller Angst und Unsicherheit. Ich bin mir bewusst, dass es leicht ist, Beschwerden, Misstrauen und Zwietracht nachzugeben, aber ich habe volles Vertrauen in die freundliche und fröhliche Natur der Menschen, deshalb bitte ich Euch, unseren Mut, unser Temperament nicht sinken zu lassen.
Früher oder später werden wir wieder durch unser geliebtes Sitges gehen, mit einem Lächeln auf dem Gesicht und Liebe in den Augen… und wir werden uns wieder umarmen, tanzen und küssen.
Und wir gehen wieder gemeinsam Kaffeetrinken, den Apperitif nehmen und gemeinsam dieses Sitges und seine großartigen Menschen genießen…
Gemeinsam, immer gemeinsam!
Eine Umarmung)
und natürlich die Denunzianten, noch dazu zu feige, die Polizei zu rufen, weil die Polizei ihre Daten aufnimmt.
Yolanda D. vom 22.3.20 12.25
Dia, 2, i els veins de segona residencia continuen igual. I a sobre no els podem denunciar perque la propietaria del pis es la presidenta de la comunitat, que te molt mal caracter, i tot pasa per les seves mans, i hem de conviure amb ella. Ara ho acaben de treure tot pq han vist que els estic grabant pero a la tarda o dema i tornaran.
(zweiter Tag, und die Nachbarn die hier ihren zweiten Wohnsitz haben machen genauso weiter. Und noch dazu kann man sie nicht anzeigen, weil die Besitzerin der Wohnung die Präsidentin der Comunidad ist, die einen sehr schlechten Charakter hat, und all das geht über sie, und wir müssen zusammen leben.)
46 indignierte Kommentare, die der Denunziantin raten, zu denunzieren. Auf dem geposteten Videos ist ein junger Vater zu sehen, der auf die leere Straße gegangen ist, um mit seinen Kindern etwas Fußball zu spielen. Unglaubliches Blockwartverhalten.
Jetzt reicht´s mit dem Office-Chair.
Wir bekommen Nachricht von den Holländern, dass sie den Kauf noch Mitte April über ihre Rechtsanwältin durchziehen wollen. Gutes Zeichen. Und weiter geht´s mit dem Einpacken.
Und: zum Thema Umweltverschmutzung: der Himmel über Madrid ist blau. ESA zeigt einen drastischen Rückgang (in etwa 30-40%) der Luftverschmutzung, die das Risiko von Lungenerkrankungen drastisch erhöhen und die Abwehrkräfte reduzieren. https://elpais.com/ciencia/2020-03-27/la-pandemia-provoca-la-mayor-caida-de-contaminacion-observada-en-europa.html Das hatte gestern Jesús gesagt: die vielen Toten durch Luftverschmutzung sind schwer zu zählen, interessieren aber auch nicht.
Spanien verzeichnet heute 769 Todesfälle innerhalb von 24 Stunden – die höchste Zahl seit Beginn der Krise. 4.858 Tote und mehr als 64.000 Infizierte. Und eine schlimme Nachricht: Mehr als die Hälfte aller Altenheime von Barcelona haben eine positiv getestete Person unter ihren „Insassen”. Die Bürgermeisterin Ada Colau hat die Generalität zu einem Aktionsplan aufgefordert, mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
In einer Abstimmung der Zeitung La Vanguardia sind 69.258 (18,91%) der Abstimmenden der Meinung, dass die Regierung richtig handelt im Umgang mit der Krise COVID 19 und 29.6994 (81,09%) teilen diese Ansicht nicht.
28.03.20 Samstag
Über Nacht kam mir der Gedanke, was eigentlich auf diesen Balkonen und Terrassen geschieht? Zum einen werden sie zum Zeichen der Solidarität mit täglichem Applaus und der gegenseitigen Aufmunterung und ehrlich gesagt, war es mir anfangs etwas unangenehm, in Kontakt zu treten mit Menschen, die ich noch nie gesehen habe und die meine Nachbarn sind. Hier in Sitges gibt es wegen des hohen Tourismusaufkommens eine sehr hohe Fluktuation und in unserem Haus leben nur noch zwei alt eingesessene Familien. Eine davon im „entresuelo“ also dem Zwischenpaterre. Dort klirren die Gläser in der Vitrine, wenn die Diskothek darunter ihren Betrieb aufnimmt. Aber das ist ein anderes Thema. Es sind also zum großen Teil uns unbekannte Menschen, mit denen wir nun gemeinsam klatschen – zu wechselnder Musik. Gestern war Freddy Mercury und Queen mit „we are the champions“ dran. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich aneinander, findet einen gewissen Trost im gegenseitigen Austausch, der von Zuwinken bis zu kleineren Konversationen reicht und sich mit der Zeit ein Zusammengehörigkeitsgefühl breit macht. Wir stecken alle in der gleichen Misere, aber wir nehmen es mit Humor. Und noch sind wir alle gesund. Auch das verbreitet sich über die Balkone.
Aber auf der anderen Seite gibt es – und das ist auch Teil dieser neuen Verbundenheit in ihrer hässlichen Form – die „Balkonpolizei“. Sie sehen alles, sie filmen alles und sie klagen an in den Netzwerken und denunzieren bei der Polizei. Das ist die perfekte Überwachung einer Schwarmdummheit. Aus Angst und Paranoia wird jeder frei herumlaufende Mensch als Virenschleuder betrachtet und als gemeingefährlich. Und natürlich stimuliert es auch den Neid auf den oder die da unten frei und ich da oben eingesperrt. Das Beispiel aus „Que cal millorar…“, wo ein Vater mit seinen Kindern kurz mal vor die Haustüre geht, um mit ihnen Ball zu spielen, ist deutlich genug. Diese Blockwarts-Mentalität wird als wichtig empfunden und zur Gemeinschaftspflicht erhoben. Wir erleben die Geburt des überwachten Überwachers. Im Netz finde ich einen Artikel über eine Familie, die einen autistischen Sohn hat, mit dem sie täglich zur selben Zeit einen Spaziergang machen müssen, um eine heftigere Krise zu vermeiden. Sie wurden beschimpft und man hetzte ihnen die Polizei auf den Hals. Abgründe tun sich hier auf und eben diese andere Seite des Gemeinschaftsgefühls, das Gemeinschaftskontrolle heißt. Das kommt doch jedem bekannt vor, der auf dem Dorf aufgewachsen ist, wo jeder jeden kennt und alles, was du tust, in gewisser Weise öffentlich ist und kommentiert werden kann. Im Oberen Xingu, wo ich 2000 eine kleine Feldforschung durchgeführt habe, gehört das Sprechen über andere in den Bereich der Frauen, in den back yard, die Küche. Dieser Diskurs wird als ebenso mächtig eingestuft, wie schamanistische Sprechweisen. In Bayern heißt es: „jemanden ausrichten“. In gewisser Weise kehren wir in die Zusammengehörigkeit zurück – mit seinen positiven und auch negativen Folgen, der Kontrolle. Auch das Voneinander-abhängig-sein bringt die seltsamsten Reaktionen hervor.
29.03.20 Sonntag
Zeitumstellung. Der dazugehörige WhatsApp-Witz darf natürlich nicht fehlen: “Como la cuarentena está siendo difícil para todos, el gobierno va a permitir que podamos salir de casa durante 1 hora. Esta noche a las 2 podéis salir a la calle pero tenéis que estar de vuelta a las 3. Aprovechadlo.“ (Nachdem die Quarantäne für alle schwierig ist, erlaubt uns die Regierung, das Haus für eine Stunde zu verlassen. Heute Nacht um 2h können Sie nach draußen gehen, müssen aber um 3h zurück sein. Nutzen Sie die Gelegenheit.)
Nuria berichtet, dass ihre Schwestern negativ getestet sind und sie heute ihren Vater besuchen können. Sie hat außerdem einen Migranten aus Senegal bei sich zuhause aufgenommen, dem sie in der vielen freien Zeit Spanisch beibringt und Geschichte, etc. Wir beschließen gemeinsam eine kleine Umfrage unter den Freundinnen und Bekannten zu starten, wie sie die Zeit des confinamientos verbringen.
31.03.20 Dienstag
Tagebuch schreiben ist gut und gleichzeitig anstrengend. Was beobachte ich an mir, an anderen? Welche Themen kommen auf, vergehen, sind sie relevant? Und welche Rolle spielen die Emotionen bei der Beobachtung, bei der Arbeit?
Gestern war mir nicht nach Schreiben zumute. Ein Freund, den wir aus dem Gemeinschafts-Garten kennen, ist seit einiger Zeit erkrankt und hat seit einer Woche sein Handy nicht mehr benutzt, zumindest nicht die WhatsApp-Funktion. Wir bekommen heraus, dass er auf der Intensivstation liegt. Er ist 75 Jahre alt, kein Alter zum Sterben. Hilflosigkeit macht sich breit. Die Einschläge kommen näher. Doch heute Morgen erfahren wir, dass er stabil ist. Es gibt also Hoffnung.
01.04.20 Mittwoch
Zoom-Konferenz mit meiner Kusine Maite aus Köln, die ihre Freunde aus Madrid und Familie aus Valencia versammelt hat, um eine Trauma-Tapping Methode zu zeigen, um die „ansiedad“ (Angst) des Eingesperrt-Seins zu überwinden. Während Maite mit der Technik kämpft unterhalten wir uns ein bisschen über die Situation. Marta aus Madrid kann auch nicht verstehen, warum Familien mit Kindern keine Möglichkeit bekommen, an die frische Luft zu gehen. Und Manuel und seine Familie erzählen, dass der Freund einer Freundin gestorben sei. Er war 60 Jahre alt. Seine Frau glaubt, dass sie infiziert sein könnte, weil sie einen anhaltenden Husten hat, allerdings ohne Fieber. Der Tenor ist: wir bleiben zuhause, soviel wir können und sind besorgt über diese Ereignisse. Leider kommen wir mit der Technik nicht zurecht und es vergeht eine Stunde, in der meine Kusine immer wieder versucht, ein Video mit ihren Freunden zu teilen. Dann schmeißt mich ZOOM aus der Konferenz. Ich suche das Video der Methode, die sie mit uns teilen wollte https://youtu.be/i6WjP5G4xLs Japanese Do-In energy massage to yourself in under ten minutes – vitalizing and energizing your body and mind.
2.4.20 Donnerstag
Heute möchte ich mein Feature abschließen. Draußen ist es regnerisch und ungemütlich.
Abends müssen wir gleich zweimal auf die Terrasse: einmal um für die ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen zu klatschen und dann eine Stunde später nochmal um mit einer Taschenlampe für die autistischen Kinder zu leuchten. Denn heute ist der Welt-Autismus-Tag. Mittlerweile entspinnen sich – auch dadurch, dass wir uns nun durch die Zeitumstellung, sehen können – kleine Gespräche über die Straße hinweg. Ein paar Häuser weiter, auf unserer Seite der C. Bonaire, wohnen ein paar jüngere Leute, die immer für die Musikuntermalung sorgen, und die immer besonders exzessiv Winken und Klatschen. Leider können wir uns nicht richtig sehen. Die andere Nachbarin von schräg gegenüber, wir haben schon mitbekommen, dass sie ein Restaurant hier in Sitges führt, macht ein Video für ihre Freunde oder Familie in Uruguay. Alle winken. Sociality mit wildfremden Menschen.
3.4.20 Freitag
Heute gehe ich zum ersten Mal seit vier Wochen wieder auf die Straße. Müll wegbringen und etwas einkaufen. Ich gehe zum Meer hinunter, die Sonne scheint, wie seit Tagen nicht mehr und ich empfinde alles um mich herum als lebendig und farbenfroh. Hier zirkuliert der Witz: „Schatz, ich bring mal den Müll runter, was soll ich anziehen?“ Es ist zum Fest geworden, auf die Straße zu gehen. Ich genieße den Gang zum Meer. Leider ist der Zugang abgesperrt. Ich begegne ein paar Hundebesitzern mit ihren Tieren. Sie gehen meist ohne Mundschutz und scheinen recht unbesorgt, während andere sich vermummt haben und ihnen die Angst ins Gesicht geschrieben steht. Die einen gehen wie immer geradeaus und die anderen machen einen großen Bogen um jede potenzielle menschliche Virenschleuder. Vor den Supermärkten lange Schlangen – immer mit einem Meter Abstand. Ich gehe zu Veritas, dem Biomarkt, wo keine Schlange steht, das ist hier was für die Reichen. Ich kaufe feine Haferflocken, Crispis, Schwarzbrot und rote Linsen. Deutscher geht´s nicht. Und dann gehe ich, jeden Schritt genießend, wieder nach Hause. Die Straßen, das hatte ich schon auf der Blockwart-Facebook-Seite (Que cal millorar…?) gelesen, sind voller Hundekacke und Wegwerfhandschuhe. Also gibt es doch noch unbewachte Momente.
Nachdem ich im Ático wohne, muss ich vier Stockwerke hochsteigen, was mir normalerweise nichts ausmacht. Aber heute komme ich vollkommen erschöpft oben an. Obwohl ich fast jeden Tag Yoga mache, ist das Herz-Kreislauf-System am Boden.
Wie El País berichtet, hat der Run auf Klopapier nachgelassen, dafür steigt der Konsum von Alkoholika an: Im Vergleich zur vorigen Woche 77,65% beim Bier, 62,7% beim Wein und 36,58% andere alkoholische Getränke. In den letzten zwei Wochen sind die Einkäufe von Verbrauchern gesunken und das Volumen der Einkäufe leicht gestiegen, informiert Felipe Medina, Vorstand des spanischen Verbands der Vertriebshändler (ASEDAS). Auch ist einer Mäßigung der großen Käufe zu beobachten, die ihren Höhepunkt zwischen dem 11. und 14. März erreichten, kurz vor der Ausrufung des Ausnahmezustands.
Außerdem werden 93,82% mehr Oliven verkauft, Kartoffelchips (+87,13%), Schokolade (+79,04%), Eis (+76,19%) oder Anchovis (+60%). Auch der Mehlverbrauch ist um 196% angestiegen im Vergleich zur vergangenen Woche. Die Bürger haben sich also die Bar und die Bäckerei nach Hause geholt. Und sie treffen sich über Videokonferenzen zum Aperitif https://elpais.com/espana/madrid/2020-04-01/la-explicacion-psicologica-a-la-lista-estrella-de-la-compra-en-cuarentena-cerveza-anchoas-aceitunas-y-patatas-fritas.html?ssm=FB_CC?prm=ep-app?prm=ep-app?prm=ep-app
Die Erklärung des Psychologen Carmelo Vázquez lautet: das Verhalten ist ähnlich, wie nach dem posttraumatischen Stress nach den Terroranschlägen vom 11 September und dem 11-M (dem Madrider Zuganschlag). Damals wurde ein Stresslevel von 7% erreicht. Heute sind alle alarmiert aber die Leute machen genau das Richtige: Bierchen trinken und Kartoffelchips essen. Das hat therapeutischen Wert und erhöht die Endorphine in Stressmomenten, so der Bericht. Natürlich zirkulieren auch schon die entsprechenden Videos über die Gewichtszunahmen.
Immer mehr trifft man sich in Skype-Konferenzen, um getrennt aber gemeinsam einen Aperitif zu trinken. Man macht sich fein für das Skype-Ereignis.
Ein Video-Anruf von Salvador B., ein Psychologe aus Barcelona, den ich letzten November in Bilwi, Nicaragua, kennen gelernt hatte. Er geht nicht raus, er ist schon 70 Jahre alt und muss aufpassen. Allerdings hat er eine Videokonferenz nach der anderen. Er arbeitet für Psicólogos sin fronteras (Psychologen ohne Grenzen). Die psychische Situation der Ausgangssperre, die er für absolut notwendig hält, schätzt er als schwerwiegend ein. Ich komme auf die Idee, ihn und Nerea M. (27), die auch in Nicaragua als Psychologin gearbeitet hat, dazu einzuladen, entweder selbst Tagebuch zu schreiben und an Curare zu schicken oder ihre Erfahrungen mit mir zu teilen. Nerea, die in der „Frontlinie“ der psychologischen Krankenhausbetreuung arbeitet und verspricht, mir von ihren Erlebnissen zu berichten.
Der erste Ausgang hat mich umgehauen, ich liege den Rest des Tages im verdunkelten Raum mit Migräne. Das hatte ich schon lange nicht mehr. Möglicherweise hat diese Situation doch mehr Auswirkungen auf mich, als gedacht.
4.4.20 Samstag
Ich muss langsam mal die Buchbesprechung für die ZfE fertig bekommen. Doch ich kann mich schlecht konzentrieren in letzter Zeit und der amerindische Perspektivismus und Animismus und alles, was dazwischen liegt, sind mir heute Morgen zu viel. Außerdem sollte ich neben meinen unbezahlten Aktivitäten, wie Tagebuch schreiben und Buchbesprechungen auch ans Geldverdienen denken. Ich habe noch einen Auftrag für radioReisen, den ich fertig machen kann. Also nehme ich mir vor: Vormittags schreiben zum Geld verdienen und Nachmittags/abends unbezahlt. Beides macht mir Freude. Am Montag oder Dienstag habe ich ein Gespräch mit den RiffReportern, ich würde gerne Mitglied werden.
Seit Anfang April sind wir in Katalonien schon bei 25.000 Infizierten durch SARS-CoV2 und mehr als 2.500 Toten durch die Krankheit.
Salvador schickt per WhatsApp einen Psychotest, um die Belastung der Menschen während der Ausgangssperre zu bewerten. https://smatb.typeform.com/to/isyIUT Es ist eine wissenschaftliche Studie zum Stress, den die Epidemie COVID-19 bei der Bevölkerung ausgelöst hat. Nicht nur auf persönlicher Ebene, sondern auch auf der des Gesundheitssystems und auf der ökonomischen Ebene. Sinn ist es, zu verstehen, wie die Epidemie in unsere Leben eingreift und um Maßnahmen zu treffen, um das Leben und emotionale Wohlbefinden der betroffenen Menschen zu verbessern.
„Después de más de 2 meses desde el primer caso notificado en España y 3 semanas de cuarentena y autoaislamiento en Cataluña, la carga emocional de la comunidad ha aumentado“, valora Vilaplana, „gracias a estudios en países en que el virus castigó antes y a otras ocasiones de cuarentenas masivas, sabemos que estas situaciones dejan una huella importante en la salud mental de la gente“.( https://www.germanstrias.org/noticias/196/igtp-researchers-study-the-impact-of-the-covid-19-epidemic-on-people-through-a-citizen-survey aufgerufen 5.4.20)
(„Nach mehr als zwei Monaten seit der Meldung des ersten Falls in Spanien und drei Wochen Quarantäne und Selbstisolation in Katalonien hat die emotionale Belastung der Gemeinschaft zugenommen“, sagt Vilaplana, „dank Studien in Ländern, in denen das Virus schon vorher ausgebrochen ist und aus anderen Situationen von Massenquarantäne wissen wir, dass diese Situation einen wichtigen Einfluss auf die psychische Gesundheit der Menschen haben.“ So heißt es auf der Homepage IGTP zur Studie, die von Dra. Cristina Vilaplana geleitet wird.)
Vor allem ist das Personal des Gesundheitssystems betroffen. Aber auch die ganz normalen Leute. Da fällt mir ein, dass Mercedes gestern erzählte, dass es beim Einkaufen, wo man vor dem Eintreten in den Supermarkt Schlange stehen muss, zu einer Auseinandersetzung kam zwischen einer Frau, die sich an der falschen Seite angestellt hatte und von einem Mann in der Schlange etwas ruppig zurechtgewiesen wurde. Daraufhin weigerte sie sich, in die Schlange einzuordnen und so fort… Die Nerven liegen blank.
Ich nehme mir die Zeit für den Test, der sehr ausführlich ist und es wird mir klar, dass ich, die immer prekär gelebt hat, nun einen großen Vorteil habe vor den Menschen, die sich nun durch den Virus gezwungen sehen, in kürzester Zeit all das zu lernen, was ich mir über die Jahre angeeignet habe: eine gewisse Arbeitsdisziplin, bzw. einen halb-strukturierten Tagesablauf, das Leben mit der Existenzangst, die Zuversicht, das Richtige zu tun, die immer wieder auftauchenden Zweifel bekämpfen, das Leben ohne Luxus, das Vermeiden von unnötigen Ausgaben, etc., etc…
Gleichzeitig weiß ich, dass mein Lebensstil gleichzeitig privilegiert ist. Wenn hier die Menschen zu Tausenden ihre Arbeit verlieren, die auch prekär ist und meist nur über die Sommersaison und den Tourismus gehalten wird, Menschen, die mit drastisch steigenden Mieten oder Hypotheken zu kämpfen haben, dann ist mein Problem ein Luxusproblem.
Dann mache ich eine Online-Session mit Tammy H., meiner Yoga-Lehrerin: Sie sagt uns in ihrer Live-Übertragung: „La vida es cambio. nada está fijo. desapego de las cosas que no queremos que sean…buen momento para hacer este trabajo. conectar con tu fuerza interior…mensajes de miedo…“
(Das Leben ist Wandel, nichts ist fest. Löse dich von den Dinge, die du nicht willst… Das ist ein guter Moment, um diese Arbeit zu machen. Verbinde dich mit deiner inneren Kraft… höre nicht auf die Botschaften der Angst…)
Heute ist Palmsonntag, doch das Ritual muss dieses Jahr ausfallen.
06.04.20 Montag
Heute wieder TTT trauma tipping therapy mit meiner Kusine Maite und ihren Freunden aus Madrid. Gestern wurde der Ausnahmezustand und die Ausgangssperre bis zum 26.04.erweitert. Ich habe schon das Stockholm-Syndrom. Ich passe mich an die Situation an, füge mich, Rebellion ist Luxus. In Katalonien denkt El President, Quim Torra schon über eine Verlängerung bis Juni nach. Ich glaube, hier zeigt sich die Lust an der neuen Macht. Mal sehen, was passiert.
Die Anzahl der Corona-Toten für Spanien geht auf 637 zurück. Es sind 135.000 Infizierte, davon etwa 60.000 in Krankenhäusern und 40.000 haben sich bereits erhöht. Insgesamt sind 13.055 Menschen gestorben bisher.
Gestern wurde eine Freundin dabei „erwischt“, dass sie etwas mehr, als nur zum Müllcontainer gegangen ist. Das ist der Nachteil hier in den kleinen Gemeinden. Alles ist viel besser kontrollierbar. Mein Freund Jesús in Madrid geht für einen älteren Bekannten einkaufen und dreht dabei gemütlich seine Runden. Er wurde aber auch schon mal angehalten und gefragt, wo er wohne und wo er hingehe. Man dürfe kein „schuldiges“ Gesicht machen und auf jeden Fall den Polizisten Recht geben, ohne retintín, also ohne Unterton.
07.04.20 Dienstag
Schon wieder vorbei mit der ruhigen Zeit. Alle haben jetzt auf Online-Formate umgestellt: Ich habe neben Entspannungsangeboten, Schreibworkshops und Online- und Blended Learning Kurse. Ich will einfach nur spazieren gehen. Werde heute mal meine Nachbarin fragen, ob sie mir ihren Hund leiht.
Es hat geklappt, nur will Nalú, das ängstliche Hündchen unserer Nachbarn, nicht mit mir spazieren gehen. Ich brauche sehr viel Geduld und Überredungskünste, damit sie mitkommt runter zum „paseo“ (zur Strandpromenade) am Meer. Dann aber vergisst sie das fremde Frauchen und freut sich über den Ausgang, beobachtet, wie ich, den Kranich, der still und ungestört am sonst so belebten Strand steht. Ich bin glücklich und erst jetzt merke ich, wie stark es mich bedrückt, mich nicht an der frischen Luft bewegen zu können. Ich begegne anderen Hundebesitzern, aber sogar die Hunde gehen mit Abstand aneinander vorbei, sie passen sich an das Verhalten ihrer Herrchen und Frauchen an. Jetzt empfange ich ein paar missgünstige Blicke von den Balkonen, oder vielleicht sind sie nur misstrauisch?
Der Strand ist abgesperrt und sogar der Spielplatz!
Abends nehme ich den Applaus auf. Unten, schräg gegenüber fehlen heute Esther S. und ihre Mutter. Sie haben den Applaus verpasst. Als sie den Rollladen hochziehen werden sie von allen begrüßt und es gibt nochmals einen Extra-Applaus. Wir applaudieren schon lange uns selbst, um uns zu motivieren und um durchzuhalten.
08.04.20 Mittwoch
Habe die Rezension fast fertig. Warte auf Anruf von SRF und von den RiffReportern. Kommt aber nichts, die sind alle mit dem Thema Corona beschäftigt.
Meine neue Freiheit, das Ausführen des Nachbarhündchens macht mir Freude und steigert meine von Handy gezählten Schritte von 35 auf 2951. Heute sehe ich einen Jungen, der vom Strand über die Mole ans Meer läuft, wo er nicht gesehen werden kann. Dort wird er sicherlich in Ruhe seinen Joint rauchen oder einfach nur aufs weite Meer schauen.
Ich finde eine Treppe zum Meer runter, die nicht abgesperrt ist und Nalú ist jetzt gar nicht mehr schüchtern, sondern fetzt um mich herum und fordert mich auf, mitzulaufen, was ich so gut ich kann tue. Sie ist glücklich und ich atme endlich wieder durch. Die Lungen voll frischer Luft. Als ich sie zurückbringe und der Nachbarin von unserem Lauf am Meer erzähle, sagt sie mir, das sei verboten und ihr Mann hätte gesehen, wie die Polizei Strafen verteilt. Ich verstehe nicht, warum man den Strand nicht betreten darf. Mit dem Virus kann das ja nichts zu tun haben. Vielleicht, um nicht noch mehr Neid zu erregen.
09.04.20 Donnerstag
Heute klappt es schon ganz gut mit dem Ausgehen. Wir verlängern auf 4265 Schritte, auch wenn wir nicht an den Strand runtergehen. Sánchez denkt schon laut über eine weitere Verlängerung des Ausnahmezustandes nach bis zum 10. Mai und langsam hat man sich eingerichtet und kleine Freiheiten erschlichen. Eine Freundin, die gerne ihre Marihuana Zigarette zum Einschlafen raucht, erzählt mir von ihrer Odyssee, an das Kraut zu kommen. Seit zwei Wochen hat sie keinen Nachschub. Vorher war es einfach, denn in Spanien gibt es Cannabis Clubs, in denen man legal etwas Gras für den eigenen Gebrauch kaufen kann. Die sind nun aber geschlossen. J., die schon über 60 Jahre auf dem Buckel hat, geht also ihrer Nase nach und schaut, wer auf dem Balkon verdächtigen Rauch macht. Sie spricht ein junges Mädchen an, das raucht mit der ihr eigenen Direktheit und Unschuld. Die weist es weit von sich. Der Typ über ihr würde Gras rauchen. Der gibt wiederum einen Kumpel an, der verkauft und so verbleibt J. morgen um 18h um etwas Maria einzukaufen.
Die Verabredung zum Applaus wird immer gemütlicher, die Leute kommen mit ihrem Bierchen oder Weinglas raus und es entspinnen sich kleine Unterhaltungen. Es dürfen Wünsche für die Musikuntermalung gemeldet werden. Das junge britische Paar von gegenüber hatte Glück mit ihrem Umzug, der am 14.3.20 als letzter durchgeführt wurde. Sie lebten bereits 10 Jahre in Barcelona und kennen Sitges. Noch fühlt es sich an wie Ferien, sagt er. Plötzlich sprechen alles Englisch, aber Mercedes meint, sie würde es zwar sprechen, aber nicht verstehen. Es ist gute Stimmung und man ist froh über ein wenig sozialen Austausch.
10.04.20 Karfreitag
Vom Zählen der Toten bin ich übergegangen, die eigenen Schritte zu zählen, die ich „in Freiheit“ machen darf. Das ist schon eine krasse Situation. Man blendet die bedrohliche Krankheitssituation so gut wie möglich aus, um die Angst nicht an sich rankommen zu lassen und sucht nach Auswegen für sich selbst. Unser Freund liegt immer noch auf der Intensivstation, es scheint aber, als ob sich sein Zustand etwas gebessert hat. Die Tochter einer Freundin kennt einen Pfleger auf der Intensivstation, der uns alle zwei Tage mit Informationen versorgt.
Spanien hat offiziell 152.446 Infizierte, 15.238 Tote und 52.165 sind gesundet (Zahlen vom 9.4.20) Die Zahlen der bestätigten Fälle, die in den letzten Tagen exponentiell angestiegen sind, stabilisieren sich langsam. Gestern telefonierte ich mit meiner Freundin N. die auf Ibiza in ihrem Ferienhaus ohne Internetverbindung eingesperrt ist. Endlich hat sie Zeit zum Schreiben. Ihre Universitätskurse sind nicht abgesagt, sondern gehen weiter – alles über Videokonferenzen, dann im September. Die Umstellung läuft weltweit. Auf der Insel kontrolliert die Guardia Civil sogar die Feldwege. N. darf keine Spaziergänge machen, sonst droht ein Bußgeld von 1.500 Euros. Die Präsidentin der Balearen hat sehr früh reagiert, den Flugverkehr eingestellt und Hotels zu Krankenhäusern umfunktioniert, denn die Bevölkerung auf Ibiza ist im Durchschnitt sehr alt und das Risiko ist hoch durch den Tourismus und die Verbindungen zum Festland der Halbinsel. Sie konnte das Schlimmste verhindern.
Am Nachmittag sind von unserer Terrasse, wo ich mich etwas in die Sonne gelegt habe, verschiedene Konversationen quer über die Straße von Balkon zu Balkon zu verfolgen. Es geht um Blumen, die man angepflanzt hat und wie man sie online bestellen kann. Es haben sich neue Gemeinschaften gebildet. Notgemeinschaften, aus denen vielleicht Freundschaften entstehen werden.
Um 18 wieder ein Spaziergang an der Strandpromenade, heute 6.057 Schritte, sagt mein Handy. Ich treffe heute nur Hundebesitzer. Einer redet auf sein Tier ein, das sich auf der Mauer oberhalb des Meeres niedergelassen hat. Aus der Ferne sieht es aus, wie ein Eisbär. Der Hund sitzt da und ist nicht dazu zu bewegen, spazieren zu gehen. Als ich näher komme und Nalú spielen will, rührt sich der Eisbär kaum. Der Besitzer, dem Dialekt nach ein Argentinier, ist verzweifelt. Seit Tagen will der Hund nicht mehr rausgehen. Er spürt die komische Situation, meint sein Herrchen, die Tiere sind ja oft viel sensibler, als wir Menschen. Auf meine Frage, ob der Hund depressiv sei, antwortet der Besitzer nicht, er schaut nur betrübt drein und wünscht mir noch einen schönen Tag. Weiter hinten kommt ein schwarzer Windhund, der umso mehr Lust auf Bewegung hat, nur hat er keinen Besitzer dabei, er umkreist uns und ich muss auf Nalú aufpassen.
Heute Karfreitag ohne Prozession.
11.04.20 Samstag
Lese einen scheinheiligen Artikel in der ZEIT über die Eurobonos (Eurobonds): Fazit – Eurobonos nein, weil die Deutschen ja so viel leistungsfähiger sind, als der Rest Europas. Das ärgert mich unglaublich.
Ich muss erst mal die ganze Wohnung putzen. Die fehlende Solidarität in Europa wird Europa den Todesstoß versetzen.
„Hoch verschuldete Länder mit einer weniger dynamischen Wirtschaft sollten dagegen mit höheren Zinsen rechnen müssen. Nur auf diese Weise entsteht der Leistungsanreiz, den Europas Länder noch dringend brauchen werden, wenn ihre Volkswirtschaften wieder auf die eigenen Beine kommen müssen. Das soll die Not nicht wegreden. Jede Kaltschnäuzigkeit wäre angesichts des Corona-Horrors in Italien auch fehl am Platz. Tatsächlich brauchen die Italiener unsere Solidarität durch Soforthilfe und Kredite aus der vollen europäischen Notkasse namens ESM, um ihre Gesundheitsversorgung und ihre Firmen zu retten oder Kurzarbeit auszugleichen. Bitte großzügig und ohne Besserwisserei! Und wenn das Geld nicht reicht, müssen die Partner nachschießen. Man darf erwarten, dass Europa sich diese Woche auf alle nötigen Hilfen einigt. Es muss für die Länder da sein, die besonders leiden. Schließlich kann es jeden einmal besonders schlimm treffen, sogar die zur Arroganz neigenden Deutschen.“ https://www.zeit.de/2020/16/coronavirus-wirtschaftskrise-eurobonds-solidaritaet-verschuldung?sort=desc#comments
Der Verfasser des Artikels neigt höchstselbst zu dieser Arroganz, die er den Deutschen im Allgemeinen unterstellt und mit der er auf höheren Zinsen für die EU Länder des Südens besteht. Nur so können sie ja in ihrer subalternen Position gehalten werden. Das Ganze nennt sich dann „soziale Marktwirtschaft“, in der man versucht, die Armen nicht so weit absinken zu lassen, dass sie nicht mehr konsumieren können aber bitte auch keine gleichen Bedingungen für alle. Den „Leistungsfähigen“ eben mehr!
Hier soll ab Montag plötzlich wieder gearbeitet werden, aber nur in der Konstruktion und in der Industrie. Die meisten halten das für verfrüht und unverantwortlich. Gerade wurde auch gemeldet, dass die ab Montag (in Katalonien ab Dienstag) auch diejenigen wieder arbeiten, die nicht vom Home-Office aus arbeiten können. Der Innenminister hat vermeldet, dass man 10 Millionen Mundschutzmasken verteilen wird. Das irritiert etwas und die autonomen Regionen, wie auch der Regierungspartner Unidas Podemos sind nicht damit einverstanden.
Spanien meldet heute “nur” 510 Tote an einem Tag, die kleinste Ziffer seit dem 23. März. Die Zahl der Corona-Positiven ist auf 161.852 angestiegen wobei 16.353 gestorben sind und fast 60.000 etwa 36% als gesund entlassen wurde.
Unabhängig von dieser Nachrichten ist heute die Folklorisierung der Applause zu einem Höhepunkt gelangt, als zwei Nachbarn in ihrem Gay Pride Kostüm auf die Terrasse kommen und eine Show abziehen. Die Gaypride ist jedoch abgesagt für dieses Jahr, sie hätte im Juni stattgefunden und es laufen Gerüchte, dass auch der Strand von Sitges geschlossen und abgeriegelt bleiben soll. Das kann ich mir allerdings nicht vorstellen. Doch der internationale Tourismus wird sicherlich ausbleiben.
In einer Diskussionssendung „la sexta noche“ informiert ein Arzt über die verschiedenen Mundschutzmasken und dass die wenigsten den Träger und seine Umwelt in gleichem Maße schützen. Ein Coronavirus Kranker berichtet über die prekäre Situation, in der das Sanitätspersonal arbeiten muss auf der Intensivstation.
Die Unsicherheit, wie und ob der Virus tatsächlich durch Schmierinfektion übertragen wird und warum die Ansteckungen immer weiter ansteigen, obwohl wir schon seit vier Wochen eingesperrt sind… Ungeklärte Fragen.
12.04.20 Ostersonntag
Der Sonntag verläuft ganz ruhig. Die Nachbarn frühstücken auf der Terrasse, und telefonieren mit ihren Lieben in fernen Ländern oder auch um die Ecke. Das Handy wird nun noch mehr zum Anker und zum treuen Weggefährten, ohne den man allein, verloren und vollkommen aufgeschmissen wäre.
15.04.20 Mittwoch
Keine große Lust zu schreiben. Denn es ist jeden Tag mehr oder weniger das Gleiche. Was mich aber zunehmend besorgt und ich glaube das auch in meinem Umfeld zu spüren, das ist das Szenario danach: Wird nach der Krise wie vor der Krise sein? Dürfen, sollen oder müssen wir zu dem Zustand zurückkehren (wie auch immer wir ihn wahrnehmen – und darauf kommt es jetzt an, auf diese Analyse) oder müssen oder sollen wir etwas verändern. Was müssen wir verändern? Wird es die Politik tun, werden es die Bürger in einer neuen Bürgerbewegung tun? Oder wird uns „business as usual“ überrollen? Denn auch diejenigen, die jetzt einen kritischen Diskurs führen, sind besorgt über die fehlenden Einnahmen, über die verlorenen Chancen. Aber was wird notwendig sein, welcher Verzicht?
In diesem Monat hat sich vieles verändert. Die Luftverschmutzung hat 60-80% abgenommen, die Tiere kehren zurück. Delfine im Hafen von Ibiza und Wildschweine auf der Diagonal von Barcelona. Wir hören die Vögel singen und wenn man ein Flugzeug hört (das kam innerhalb von einem Monat bisher nur zweimal vor), so ist das ein Weltereignis. Die Frage drängt sich auf: was brauchen wir wirklich, aus welchem Konsumtaumel erwachen wir gerade? Und auf was kommt es uns im Leben an? Fast alle Interviewpartner der Sendung El Intermedio mit Gran Wyoming antworten auf die Frage, was sie am Dringendsten nach dem Ausnahmezustand machen werden, sagen: meine Enkel umarmen. Zurück zum Wesentlichen, das ist der Ruf der Stunde und zurück zu den menschlichen Kontakten. Doch wie lange werden wir uns daran erinnern?
Und hier in Spanien: jeden Abend applaudieren wir für die Leute, die im Gesundheitssystem arbeiten, doch wer unterstützte sie, als sie demonstrierten gegen die brutalen Einschnitte unter dem europäischen Spardiktat? Nerea, die momentan als psychologische Beratung für das Personal des Gesundheitssystems arbeitet, empfindet die Freundlichkeit auf der einen Seite und die Unbarmherzigkeit auf der anderen als pure Heuchelei.
„Inevitablemente, tras pensar todo eso, en mí se despertaba una sensación de rechazo hacia la mayoría de esos gestos amables ya que, bajo mi punto de vista, nacen de la hipocresía. ¿Cuántas veces se ha criticado a las personas que tienen que abandonar sus países de origen huyendo de una guerra? Nos cuesta mucho ponernos en su piel, pero nos cuesta poco correr al supermercado y vaciarlo a codazos cuando pensamos que tenemos que estar quince días encerrados en casa. ¿Cuánta gente se sentía tan cerca de las miles de personas que morían en África por el Ébola? Pero eso da igual, porque no nos afectaba a nosotros. Nos hemos vuelto muy humanos en el momento en que el pánico se ha apoderado de las grandes potencias. ¿Cuánta gente aplaudía a los sanitarios cuando se manifestaban por los recortes? Pero cuán maravillosa es ahora la sanidad pública, ¿verdad? Y ellos… simplemente son héroes y heroínas. Resulta que ahora hemos aprendido que el ser humano es un ser social y no puede vivir si no es de manera colectiva. Ahora hemos aprendido lo mucho que necesitamos a los demás, el contacto con ellos. ¿Qué ocupaba antes nuestras cabezas?“
(Unweigerlich begann ich Ablehnung gegenüber den meisten freundlichen Gesten zu fühlen, weil sie meiner Meinung nach Heuchelei sind. Wie oft sind die Menschen, die ihre Ursprungsländer verlassen müssen, um einem Krieg zu entfliehen, kritisiert worden? Es fällt uns sehr schwer, uns in ihre Lage zu versetzen, aber es fällt uns sehr leicht die Supermarktregale zu leeren mit unseren Ellbogen, wenn wir damit rechnen, zwei Wochen zuhause bleiben zu müssen. Wie viele Menschen fühlten sich den Tausenden nahe, die an Ebola starben? Aber das ist uns egal, weil es uns nicht betrifft. Wir werden sehr menschlich, in dem Moment, in dem die Großmächte in Panik geraten sind. Wie viele Menschen applaudierten dem Personal aus dem Gesundheitswesen, als sie gegen die Kürzungen demonstrierten? Aber wie wunderbar ist das öffentliche Gesundheitswesen jetzt, nicht wahr? Und die Leute, die dort arbeiten sind einfach nur Helden und Heldinnen. Es stellt sich heraus, dass wir jetzt gelernt haben, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und dass wir nur kollektiv leben können. Jetzt haben wir gelernt, wie sehr wir andere brauchen, den Kontakt mit ihnen. Was hat unsere Köpfe zuvor beschäftigt?)
Ich hatte Nerea gebeten, ebenfalls ein coronadiary zu schreiben und es direkt mit Curare zu teilen, doch sie möchte lieber sporadisch zum Projekt beitragen. Deshalb werde ich mit ihrer Erlaubnis ein paar ihrer Überlegungen hier teilen.
Nerea ist skeptisch gegenüber dieser neuen Welle von Solidarität und fragt sich, was passieren würde, wenn man ankündigte, dass die Einkäufe rationalisiert werden müssen… Wie wir erlebt haben, wurden die Regale geleert (nur der Broccoli blieb liegen). Solidarität geht nur bis zu dem Punkt, wo es persönlich nicht weh tut, wo wir keine echten Einschnitte machen müssen. Vor allem aber berührt mich ihre Frage: was hat unsere Köpfe zuvor beschäftigt? Die Arbeit, die nächste Reise, was esse ich zu Mittag? Welches Thema next? Oder beschäftigte gar nichts unsere Köpfe?
16.04.20 Donnerstag
Die Woche geht schon wieder so schnell vorbei. Heute sagt Ada Colau, die Bürgermeisterin von Barcelona endlich, dass es jetzt genug ist, „Freiheit für unsere Kinder“. Sie hat selbst zwei Kinder (9 und 3 Jahre alt) und berichtet, dass der jüngere wieder die Windeln braucht. Die Situation des Hausarrests für Kinder hat emotionale und psychologische Folgen. Colau sagt, dass wir in einer Welt leben, die viel zu sehr die Erwachsenen in den Mittelpunkt stellt und weist auf die Kinderrechte hin.
„Si algo me gustaría que pudiéramos extraer de esta terrible crisis es que el nuevo mundo resultante sea más feminista, que ponga a las personas en el centro y eduque en el amor y la corresponsabilidad en lugar del individualismo, el miedo y la guerra. No esperéis más: Liberad a nuestros niños!“
(Wenn wir etwas aus dieser schrecklichen Krise ziehen können, dann ist es, dass die Welt danach feministischer wird, dass sie den Menschen in den Mittelpunkt stellt, mit Liebe und Mitverantwortung erzieht und nicht zum Individualismus, zur Angst und zum Krieg. Wartet nicht länger, Befreit unsere Kinder!)
Der Gesundheitsminister Salvador Illa bestätigt, dass als nächstes die Kinder – geordnet und kontrolliert – raus dürfen. Nur sagt er nicht, ab wann das sein soll. https://www.elconfidencial.com/espana/2020-04-16/salvador-illa-comparecencia-comision-sanidad-congreso_2551939/
Gestern wurde auch klar, dass die offiziellen Zahlen der an Coronavirus gestorbenen Menschen nicht real sind. Denn gerade in den Altenheimen, in denen das Virus gewütet hat, werden diese Proben nicht erhoben. In Katalonien sind bis zum 15.04. offiziell 3666 Menschen gestorben. Nicht mitgezählt wurden mindestens 362 Tote in katalanischen Altenheimen. Ada Colau teilte mit, dass die Bestattungsinstitute der Stadt Barcelona im Monat März 1.300 mehr Todesfälle zählten, als im Durchschnitt in den zehn vorausgegangenen Jahren gemeldet wurden.
Seit Montag wurden die nicht lebensnotwendigen Arbeiten wieder aufgenommen: vor allem die Konstruktion – denn „el ladrillo“ (der Ziegel, also das Bauwesen) gehört neben dem Tourismus zum Hauptgeschäft Spaniens. Das tägliche Wachstum wurde durch die Ausgangssperre von einer Steigerung von 42% auf 3% gedrückt werden. https://elpais.com/sociedad/2020/04/09/actualidad/1586437657_937910.html
Auf der anderen Seite stiegen in den ersten zwei Aprilwochen die Notrufe wegen häuslicher Gewalt um 47,3% an.
Aber die Leute sehen es immer weniger ein, warum sie nicht mal einen Spaziergang machen und frische Luft schnappen dürfen. Seit gestern patrouilliert die Polizei vor allem hier an der Meerespromenade. Wenn du keinen Hund hinter dir her ziehst, wirst du kontrolliert, belehrt oder bekommst eine Anzeige.
17.04.20 Freitag
Ich kopiere hier zwei Abschnitte der Einschätzung von Gero Maaß, der Friedrich Ebert Stiftung, aus Madrid, denn er bestätigt ein paar Informationen, die ich nicht einordnen konnte. Zum einen die privaten Krankenhäuser, die nun dem öffentlichen Gesundheitssystem untergeordnet wurden – etwas, das unter der Rechtsregierung der PP und Co niemals möglich gewesen wäre und auch die hohe Ansteckungsquote des medizinischen Personals, ebenso, wie die Wichtigkeit der Eurobonds für die Länder Spanien und Italien. Für die ESM (Europäische Notkasse) hatte unser scheinheiliger Zeit-Journalist plädiert (siehe 11.04.)
„Vielfach kritisiert wurde die mangelnde Ausstattung des medizinischen Personals – nach Angaben von Gewerkschaften liegt ihre Ansteckungsrate bei 14 Prozent, auch dies trauriger Rekord in Europa während der Pandemie. Die Regierung beschloss rasch, dass auch Privatkliniken ihre Gesundheitseinrichtungen für klinische Diagnosen dem öffentlichen Gesundheitssystem zur Verfügung stellen müssen. Die Zahl der privaten Einrichtungen hatte vor allem nach den Krisenjahren 2009/2010 zugenommen, forciert durch die Politik der damaligen konservativen Regierung. Der öffentliche Sektor blutete gleichzeitig durch jahrelange Sparpolitik aus. So wichtig wie interner Konsens wäre die Unterstützung durch die europäische Ebene. Vor dem Hintergrund der Austeritätserfahrungen mit dem ESM während der Finanzkrise insistiert Spanien zusammen mit Italien auf die Idee gemeinsamer Corona-Bonds.“
Gero Maaß, FES Spanien https://www.ipg-journal.de/regionen/global/artikel/detail/bruechiger-pakt-4270/?utm_campaign=de_40_20200417&utm_medium=email&utm_source=newsletter
Zu den hohen Ansteckungen, ein Armutszeugnis für die Politik und die Versorgung ihrer „Helden“ und „Heldinnen“, geistern jetzt in den sozialen Netzwerken Nachrichten von panischen Nachbarn herum, welche aus Angst vor Ansteckung, diese Leute nicht in ihrem Treppenhaus dulden wollen. Heftige Beschimpfungen „rata contagiosa“ (ansteckende Ratte) musste eine Gynäkologin aus Barcelona auf ihrem Auto vorfinden.
„Aunque la solidaridad se asoma a los balcones, médicos, enfermeros y trabajadores de supermercados son objeto de ataques por ser considerados una amenaza de contagio. Numerosos vecinos se han sumado a colgar carteles en las zonas comunitarias de su edificio pidiendo a estos trabajadores que abandonaran sus casas.” (Auch wenn auf den Balkonen Solidarität gezeigt wird, werden Ärzte, Krankenschwestern und Supermarktangestellte angegriffen, weil sie als Ansteckungsgefahr gelten. Zahlreiche Nachbarn haben sich daran beteiligt, in den Gemeinschaftsbereichen ihres Gebäudes Schilder aufzuhängen, die diese Leute dazu auffordern, ihre Häuser zu verlassen.)
Auf der einen Seite der abendliche Applaus und auf der anderen die widerwärtigen Botschaften an Leute, die dem Virus stärker ausgesetzt sind und deshalb in den Augen der Nachbarn ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten. Viele Nachbarn hängen Nachrichten im Treppenhaus auf, in denen sie diejenigen Leute bitten, solange woanders zu wohnen.
Nach den Witzen, der Welle der Emotion für das Gesundheitspersonal sind wir nun also bei der hirnlosen Panik angelangt, die in Aggression umschlägt. Allerdings charakterisieren diese Reaktionen nur einen winzigen Teil der Bevölkerung. Die Medien, vor allem die social media, bauschen sie auf, und auch hier wird wieder einmal klar, wie toxisch sich diese Aufmerksamkeitsheischerei und das Ausnutzen der allgemeinen Indignationsbereitschaft auswirkt. Die Leute suchen Komplizenschaft mit anderen, um sich besser zu fühlen, um sich über andere erheben zu können. Und ja, es gibt diese dummen und panischen Reaktionen von Nachbarn aber sie stellen einen verschwindenden Teil der Reaktionen dar. Der Virus steckt auch die das Denken und die Emotionen an, gefühlte 90% meiner E-Mails, newsletter, Nachrichten beziehen sich auf den Virus. Ich habe noch nie so einen Medienoverkill erlebt. Mehr noch, man kann keine Artikel mehr anbieten, wenn sie nicht das C-Wort im Titel tragen. Das nenne ich eine echte globale Coronavirus-Hysterie.
Obwohl ich gar keine Zeit dafür habe, mache ich bei einer dieser Rundmails mit: Eine Gedichtekette. Ich beginne, die Leute zu beneiden, die so viel Zeit haben plötzlich. Und bekomme prompt ein Gedicht – ganz ohne Kette von meiner Freundin Katerina geschickt:
Un metro cincuenta
Y, de un momento a otro, nuestros abrazos los empezamos a dar en el aire. Las palabras remplazaron a las caricias, los besos pasaron a ser sólo “volados”. Un metro cincuenta es la medida que nos separa y que a su vez nos une para estar juntos, en esta distancia milimetrada.
Nuestros hogares, hoy respetados aliados, escuchan nuestros pensamientos, entienden nuestras necesidades y protegen nuestros sueños. Ahora mismo, la naturaleza sonríe y abre sus alas. Y el silencio, para unos tranquilizador, para otros desconcertante, llena las ciudades.
Llegarán tiempos mejores y de grandes cambios. Mientras tanto, respiremos.
Ein Meter fünfzig
Und von einem Moment auf den anderen umarmen wir nur noch die Luft. Worte ersetzten die Liebkosungen, die Küsse wurden zu fliegenden. Ein Meter fünfzig ist das Maß, das uns trennt und das uns gleichzeitig vereint, in diesem Millimeterabstand.
Unsere Wohnungen, heute respektierte Verbündete, lesen unsere Gedanken, verstehen unsere Bedürfnisse und beschützen unsere Träume. Gerade eben lächelt die Natur und öffnet ihre Flügel. Und die Stille, für die einen beruhigend, für die anderen verstörend, erfüllt die Städte.
Es werden bessere Zeiten kommen und große Umwälzungen. Währenddessen lasst uns atmen.
18.04.20 Samstag
Ausgeschlafen, Wohnung geputzt, auf der Terrasse nach den Blumen gesehen… ein gutes Wochenende. Mit unserem Wohnungsverkauf kann es nun weiter gehen. Die Holländer haben ihrer Rechtsanwältin eine Vollmacht gegeben. Jetzt könnte alles ganz schnell gehen.
Plötzlich aus dem Winterschlaf erwacht, fällt es schwer, sich in Bewegung zu setzten, draußen ist noch „Krieg“ – wie Sánchez immer wiederholt, gegen den unsichtbaren Feind. Vielleicht ist es möglich, noch solange hier zu bleiben, bis wir die neue Wohnung gekauft und renoviert haben?
Man versteht nicht ganz das Aufrechterhalten der strengen Ausgangssperre für die Bevölkerung und gleichzeitig die Lockerung für die Wirtschaft. Überhaupt wird hier nicht erforscht oder kommuniziert, warum trotz des Monats Ausgangssperre die Ansteckungen weiter steigen. Wer steckt sich an und wie? Das wäre doch die Frage, die uns beschäftigen sollte – wird ein Infizierter effizient zurückverfolgt? Ich habe das Gefühl, es wird dieses unbestimmte Gefühl der Bedrohung weiter geschürt und aufrechterhalten, damit wir uns an die Regeln halten. Der Preis dafür ist aber hoch – siehe die panischen Reaktionen gegenüber Leuten, die im Supermarkt arbeiten oder gegenüber dem Sanitätspersonal.
Heute antwortet mir Paula, die als Gynäkologin im Hospital del Mar arbeitet, das praktisch ganz zum Covid-Zentrum umfunktioniert wurde. Sie sagt, die Situation ist etwas besser, der Höhepunkt der Einlieferungen ist überschritten. Für sie selbst fühlt es sich „irreal“ an. Wenn sie es in einem Wort zusammenfassen müsste: grauenvoll. Denn alle Gewissheiten sind ins Taumeln geraten. Für sie als Gynäkologin musste sie sehen, wie begrenzt ihr Wissen ist, sie fühlte sich superunnütz und auf der anderen Seite war es für sie eine Herausforderung, sich für Neues zu öffnen, Konzepte zu verstehen und Wissen aus anderen Gebieten zu integrieren, vor allem Pneumologie, etc..
Am Anfang war das alles sehr erschreckend aber nun fühlt sie sich langsam etwas sicherer. Sie ist allerdings nicht „eingezogen“ worden. Doch befand sie sich die ganze Woche in einer „intensiven Wartehaltung“ – auch das ist eine sehr starke mentale Belastung und auch diese Schuld zu fühlen, warum die Kollegen schon mit COVID Patienten arbeiten und sie nicht… In ihrer Spezialität kann sie kaum arbeiten, weil die Geburten ins Krankenhaus Sant Juan de Deu verlegt wurden. Alle Facharztrichtungen sind ausgelagert und es werden nur COVID Patienten versorgt im Hospital del Mar, nur die Notfall-Chirurgie wird aufrechterhalten. Das bedeutet, dass das gesamte Personal, das für eine bestimmte Spezialität zuständig war, umverteilt wurde, um COVID Patienten zu versorgen. Ebenso wurde das KH umstrukturiert und Hotels und der Sportpavillon für die leichter erkrankten Patienten eröffnet. Das Schlimme ist, dass viele Krankenschwestern und Pfleger sowie Ärzte in einer Fachrichtung arbeiten, von der die meisten keine oder wenig Ahnung haben.
Paula meint, generell habe das gesamte Gesundheitspersonal einen Panikschub erlebt und während der ersten 2-3 Wochen hätten alle einen sehr kämpferischen Geist an den Tag gelegt – auch durch den Adrenalinausstoß vor der Herausforderung. Jetzt, da auch der Stress-Höhepunkt vorüber ist, seien die Leute sehr erschöpft.
Letztendlich kam es zu keiner „dantesken“ Situation, wie befürchtet, es gab immer ausreichend Plätze im Krankenhaus. Allerdings gab es relative Engpässe bei der therapeutischen Betreuung von Leuten mit sehr schweren Symptomen und bei Leuten mit seniler Demenz. Aber in ihrem Zentrum mussten die Ärzte diese Entscheidung nicht treffen, vor der alle Angst hatten: Wer wird versorgt und darf leben und wer nicht.
Die Situation hat sich etwas entspannt. Die Entlassungen werden mehr, die Einlieferungen weniger und auf der Intensivstation gibt es leere Betten, berichtet Paula.
Von einem Krankenpfleger weiß sie. Es war superhart, nicht nur weil sie mit einem Typ von Patienten arbeiten müssen, bei dem man sich nicht so genau auskennt, sondern auch wegen des physischen Problems, in eine Schutzkleidung eingesperrt zu sein ohne aufs Klo gehen zu können. Man darf sich nur alle 12 Stunden für eine Stunde ausziehen. Verschwitzt mit geschwollenen Beinen, mit alternierenden Arbeitsplänen und die ganze Zeit eingewickelt zu sein in diese Schutzkleidung, die dich nicht atmen lässt… all das ist so erschöpfend. Und deshalb hofft das Personal, dass es zu keiner zweiten Infektionswelle kommt, weil die Kräfte aufgebraucht sind.
Falls das passieren sollte, werden wir es mit einem Personal zu tun haben, das vollkommen fertig ist, meint Paula. Die nicht mehr den Adrenalin-Stoß haben werden, und die – obwohl sie wollen – die Situation nicht mit der gleichen Kraft angehen kann, wie zu Beginn.
Was sind die vielfältigen Desaster, die auf uns zukommen, fragt Paula? Zunächst kommen die gesamten Pathologien auf uns zu, die jetzt verschoben wurden – sogar onkologische OPs wurden verschoben, sie wurden direkt in die Chemotherapie geschickt, um nicht die Reanimations-Einheit zu belegen. All dies gilt es jetzt wieder einzuholen…
Und das obwohl die meisten von uns Ärzten nur partielle Verträge haben. Wie soll man das lösen? Nach all dem, was wir erlebt haben, werden wir noch sehr viel Überstunden machen müssen. Fast alle rechnen damit, dass man uns den Urlaub streichen wird, dieses Jahr… und jetzt sind alle etwas entmutigt. Nachdem alle aus der Not eine Tugend gemacht haben, sind wir nun an dem Punkt angelangt, wo die Erschöpfung zutage kommt und wo nun auch die Wut zum Vorschein kommt.
Danach schickt sie mir einen Chat mit einer Kollegin, die Internistin im Hospital Parc Tauli in Barcelona ist und die COVID-Einheit koordiniert. Ihre Einschätzung der Situation bestätigt, was Paula mir gesagt hatte: Viel Erschöpfung. Die Müdigkeit staut sich an und macht sich sehr bemerkbar. Wenn es jetzt zu einem erneuten Ansteigen der Kurve kommt, wäre das ein harter Schlag gegen die Moral. Und die Kollegin meint, sie weiß nicht wie sie darauf reagieren soll. Physisch und psychisch sind alle sehr erschöpft, wie in diesem Ausschnitt aus dem Chat deutlich wird. Hier wird auch auf die „Anschuldigungen“, dass sie infektiös sein könnten, Bezug genommen. Das könnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.
[13:03, 18.4.2020] Kollegin von Paula (Arbeitet im parc Tauli und koordiniert die Abteilung COVID): Guapeess!! Pues si Paula.. stic bastant cansada ja.. encara que nem descansant alguns dies, el cansament es va acumulant i ara ja es nota molt. Crec q si hi ha un repunt gran serà un cop molt fort a la moral, n se cm reaccionarem els de primera linia…(Ihr Lieben !! Nun ja Paula … ich bin schon ziemlich müde … obwohl wir uns ein paar Tage ausruhen, akkumuliert sich Müdigkeit und das spürt man jetzt sehr. Ich denke, wenn es einen neue Ansteckungswelle gibt, wird dies ein heftiger Schlag gegen die Moral bedeuten, keine Ahnung, wie die an der ersten Front drauf reagieren …)
[13:03, 18.4.2020] Kollegin von Paula: Pq està tothom molt esgotat, física i psicològicament. I visitar amb les EPIs es fa molt més difícil q de normal..tot suma (Alle sind total erledigt, physisch und psychisch. Und in den EPIs Visite zu gehen, ist viel schwieriger als normal…
[13:03, 18.4.2020] PAULA: A veure q passa (Mal sehen, was passiert)
[13:03, 18.4.2020] Kollegin von Paula: Aquesta nit em toca anar-hi i em fa u palàs immens.. aii, q se acabe ya. A més amb el rollo q som els d’infeccioses tothom recorre a tu x tots els dubtes i d vegades és mlt agobiant! Pro bueno.. (heute Nacht bin ich dran und es ist ein echter Angang… aii, ich wünschte, dass es vorbei wäre. Noch dazu mit dem Quatsch, dass wir alle anstecken und jeder will was von dir wissen und all diese Zweifel, all das ist manchmal sehr anstrengend! Aber ok..
Klar, in dieser Realität, die wir uns, wenn wir uns über die Ausgangssperre beschweren, nicht vor Augen halten, erscheint alles, was wir hier so tagtäglich denken und tun, vollkommen unerheblich.
19.04.20 Sonntag
Gestern hat Katalonien, die Generalitat (die autonome Landesregierung Kataloniens) einen Plan vorgelegt, wie Kinder und Jugendliche aus dem Hausarrest entlassen werden sollen. Die konkreten Pläne, die man auf TV3, dem katalanischen Sender verfolgen kann (hier werden Stundenpläne angegeben von 12h – 14h Familien mit Kindern bis 6 Jahren, von 16-18h Kinder von 6-16 Jahren und von 18-20h die Jugendlichen zwischen 16 und 18) und später die Rede von Pedro Sánchez, dass eine stufenweise Entlassung der Kinder aus dem Hausarrest ab 27.04 vorgesehen ist, verwirren. Hatte Torra noch vor kurzem für eine totale Sperre (confinamiento total) plädiert und Sánchez kritisiert, so verwundert sein Vorpreschen in der Sache der Kinder. Es ist klar, dass Quim Torra die Situation mal wieder benutzt, um gegen die Zentralregierung aufzumucken – erinnert ein bisschen an das kleine grüne Männchen Isnogud aus Asterix im Morgenland, der böse Großwesir, der unbedingt den Kalifen entmachten möchte und der jede Gelegenheit nutzt, um Zwietracht zu sähen.
Die ersten psychologischen Studien werden veröffentlicht: „Madrid, 26 de marzo de 2020.- Los profesores de la Facultad de Psicología de la Complutense, Alfredo Rodríguez Muñoz, Mirko Antino, y Paula Ruíz-Zorrilla, en colaboración con Ana Sanz-Vergel, de la Universidad de East Anglia (Inglaterra), están realizando una investigación para evaluar los efectos psicológicos del confinamiento debido al COVID-19. Se trata del primer estudio que evalúa el estado de la salud mental de la población española durante el confinamiento por COVID-19, que alcanza a más de 2.000 personas, en 17 comunidades autónomas del Estado, durante la primera semana de confinamiento en casa, del 15 al 22 de marzo.” (Madrid, 26. März 2020 – Alfredo Rodríguez Muñoz, Mirko Antino und Paula Ruíz-Zorrilla, Professoren der Fakultät für Psychologie der Universidad Complutense de Madrid, führen in Zusammenarbeit mit Ana Sanz-Vergel von der University of East Anglia (England) Forschungen durch, um die psychologischen Auswirkungen der Ausgangssperre aufgrund von COVID-19 zu bewerten. Dies ist die erste Studie zur Bewertung des Zustands der psychischen Gesundheit der spanischen Bevölkerung während der COVID-19-Einweisung, die mehr als 2.000 Menschen in 17 autonomen Gemeinschaften des Staates während der ersten Woche der Heimunterbringung vom 15. bis 22. März erreicht.) https://www.ucm.es/depresion,-estres,-insomnio,-ansiedad%E2%80%A6los-problemas-psicologicos-derivados-del-confinamiento-podrian-perduran-meses-o-anos
Bereits in der ersten Woche wurden erhöhte Level von Angst, Depression, Stress und Schlafstörungen beobachtet. In den folgenden Untersuchungen (der Fragebogen wurde bereits achtmal verschickt) gewöhnte sich die Bevölkerung an die Situation, bis der Alarmzustand ausgeweitet wurde, was zu einer erneuten Zunahme der Symptome führte.
Vor allem sind die Leute über ihre Arbeitssituation besorgt. Unsicherheit auf die Zukunft bezogen, Unbehagen und Schlafstörungen. Dabei wurde auch deutlich, dass Menschen mit Gärten weniger Angst und Depressionen haben. Sie können an die frische Luft – aber auch sind diejenigen, die einen Garten besitzen meist in einer besseren ökonomischen Situation. Nach Rodríguez wurde diese Studie auch deshalb durchgeführt, um zu zeigen, dass es „normal“ ist, sich in dieser Situation schlecht zu fühlen. „
„Hicimos el estudio también para lanzar un mensaje normalizador en cuanto al malestar emocional: que la gente se sienta mal es lo natural, es lo razonable. Hay quien se siente culpable por sentirse mal”. (Wir haben die Studie auch durchgeführt, um eine normalisierende Botschaft über den emotionalen Stress auszusenden: Dass Menschen sich schlecht fühlen, ist ganz natürlich, es ist logisch. Manche Menschen fühlen sich schuldig, weil sie sich schlecht fühlen.)
Es handelt sich um eine erste Studie zur Bewertung des Zustands der psychischen Gesundheit der spanischen Bevölkerung während der Ausgangssperre wegen COVID-19. „Trotz des medizinischen Notfalls, in dem wir uns befinden, sollte die psychische Gesundheit nicht ignoriert werden“, so die Autoren. Dies ist umso wichtiger, als die Quarantänezeit verlängert wurde, so dass sich die psychologischen Folgen verstärken könnten.
20.04.20 Montag
Die Woche beginnt schon mal gut: Quim Torra wird dem privaten Gesundheitssektor 43.000 Euros pro Patient auf Intensivstation zahlen und fordert mehr Geld von der Regierung.
Diese Nachricht wurde sehr unterschiedlich aufgenommen und als Manipulation von Seiten der Sozialisten und der Mediengruppe Prisa hingestellt.
Und natürlich muss man auch und gerade hier alle Nachrichten mit einer Pinzette anfassen, wie meine Freundin Charo sagt. Aber was klar wird ist, dass rechts rechts bleibt, sei es nun im katalanischen Fortschrittsmäntelchen. Die Rechte wird immer in Richtung Privatisierung von öffentlichen Geldern arbeiten.
Ich hoffe nur, die Independentistas wachen mal aus ihrem Schläfchen auf und sehen, dass sie es hier weiterhin (trotz vieler Namensänderungen) mit einer harten Form des Neoliberalismus zu tun haben. Interessant ist auch, dass Quim Torra sagt, die Krise muss “der Staat” zahlen, als ob der Staat nicht immer alle Krisen bezahlen müsste im Sinne dass er – je nachdem, wer regiert entweder die Banken rettet, die korrupten und betrügerischen und andere bekannte Beispiele, oder ob man den öffentlichen Sektor, die Familien in Not, etc. rettet.
Juan Antonio (Ethnologe) antwortet auf den Artikel nur mit Buisness as usual… nichts Neues unter der Sonne.
Aber gerade in der Krise wird für mich deutlich, wie wenig Solidarität unter den politischen Parteien herrscht, welche Grabenkämpfe dort ausgefochten werden, die sich sicher nicht zum Wohle der Bevölkerung auswirken und die Indignation steigern – denn diese scheint die neue Währung der Nachrichten und sozialen Netzwerke zu sein. Wer am meisten Indignation auf Kosten des anderen erzeugen kann, der gewinnt. Und am Ende werden das die extremen Parteien sein. Je mehr hier gezündelt wird, desto katastrophaler wird das Ergebnis sein. Und Spanien befindet sich an einem großen Scheideweg. Der Aufstieg von VOX, der Ultrarechten, ist den katalanischen Independentistas zu verdanken, denn sie wollten den staatlichen Haushaltsplan der Übergangsregierung von Pedro Sánchez nicht unterstützen. Daher die Neuwahlen und die Sehnsucht vieler Spanier nach einer „starken Hand“ und das Erstarken des Nationalismus auf beiden Seiten. Bis heute hat Sánchez keinen neuen Haushaltsplan durchsetzen können. Ein Zeichen seiner Schwäche. Ihm fehlen die notwendigen Mehrheiten im Parlament.
Wie man sieht zieht sich dieser Machtkampf auch in die Corona-Krise hinein und es würde mich nicht wundern, wenn die Kriegsrhetorik Sánchez zum Teil auch dieser unsicheren Position geschuldet ist. Er ist in dieser Zeit jedoch die beste Wahl, denn wie Charo beschreibt, hängt von seiner Regierung ab, wer für die Krise zahlen wird.
Es regnet seit drei Tagen in Strömen und auch wenn die Balkone mit guter Laune dagegenhalten, ist die Stimmung eher gedrückt.
22.04.20 Mittwoch
Nach drei Tagen Regen, drei Tage Sonnenschein – hoffentlich!
In unserer TTT Gruppe, dem Trauma Tapping wird kommentiert, dass die Leute das eingesperrt-Sein nur überleben, weil sie eine Dachterrasse haben. Doch muss man aufpassen und nur mit Mundschutz und Handschuhen und möglichst allein raufgehen, denn die Polizei fliegt mit Hubschraubern über die Stadt (Madrid in diesem Fall, aber hier auch) und es gibt Anzeigen für Feste oder Treffen, die auf den Dachterrassen abgehalten werden. Auf der FB Petzer- und Denunzianten-Webseite „Que cal millorar…“ die ich seit Wochen nicht mehr angesehen habe, wird über zwei Leute berichtet, die an der Playa el Home Mort, am Strand vom Toten Mann, aufgegabelt wurden und die angaben, sie seien zum Holzsammeln gegangen. Diesmal hat sich aber kein Sturm der Entrüstung erhoben, ich glaube, die Leute wollen einfach nur mal wieder raus.
Nach nun schon fast sieben Wochen, liegen die Nerven bei vielen blank. Maite, unsere Anleiterin für das Tapping, spricht von „rabia“, von angestauter Wut.
Beim Ausführen von Nalú sehe ich, dass es ein Boot an Land getrieben hat. Es ist schon von der Guardia Civil abgesperrt und vertäut worden. Vom Besitzer keine Spur. Das Schiff segelte unter holländischer Fahne, der Besitzer war angeblich Franzose. Vermutlich waren deshalb gestern die Hubschrauber zu hören.
Heute nach dem Applaus (zur Musik: Black is Black von Los Bravos!) kommentiert man, dass der Kapitän aus Calafell kam. Dort wollte ihn die Polizei festhalten – wegen der Ausgangssperre, er aber hat einfach die Leinen losgemacht und ist abgehauen.
23.04.20 Donnerstag
Heute ist Sant Jordi, der Tag der Bücher und der Rosen. Eine herrliche katalanische Tradition, in der man das eine oder das andere verschenkt. Nun zirkulieren virtuelle Rosen und Gedichte über WhatsApp und man wünscht sich das Authentische zurück. Schon lange.
Es ist schwer Tagebuch zu führen, wenn nichts passiert.
Heute Morgen „spreche“ ich per Messenger mit Hannah, die in Valencia festsitzt und verzweifelt ist über die Lage und die Unfähigkeit der spanischen Regierung. Ich sage ihr, dass mich das Tagebuchschreiben langweilt, weil einfach nichts passiert. Sie meint: „Gestern kam mir dieselbe Erkenntnis wie dir: Ich habe einen Radar für das Besondere, das Kuriose, das Emotionale in einer Situation, das andere Menschen in der Mehrheit nicht so sehen und der Mangel an Impulsen macht mich krank.“
Die Zeitungen in Deutschland sind auf Teilzeit und kaufen keine Artikel von Freien an, doch wollen die festen Redakteure Informationen aus Spanien absaugen, natürlich ohne dafür zu bezahlen, erklärt Hannah. Deshalb gibt es in Deutschland auch nichts Erhellendes über die spanische Situation zu lesen.
Diese sieht sie im Übrigen sehr viel schwärzer als ich. Ist auch kein Wunder, ich kann mit Einschränkungen überleben. Wenn man aber jetzt in Spanien zur Miete wohnt und Freischaffender ist, sieht es übel aus. Hannah meint, Spanien versiebt es gerade vollkommen:
„Der völlig unerfahrene und brandneu eingesetzte Gesundheitsminister bestellt über einen katalanischen Spezi gegen Vorkasse für einen hohen Millionenbetrag Tests zum Vierfachen des Marktpreises – die dann nicht funktionieren. Und dasselbe wiederholt sich mit Masken, die erstens 40% über Wiederverkaufspreis eingekauft werden und zweitens nicht funktionieren und Krankenhausmitarbeiter dadurch in Lebensgefahr bringen. Allein der wirtschaftliche Schaden beläuft sich aktuell auf 80 Millionen.“
„Was wird denn aktuell für die kleinen Einzelhändler und Arbeiter gemacht?“ fragt Hannah. „Es gibt keine Staatshilfen sofern ich informiert bin. Ich werde mich z.B. abmelden, damit mir wenigstens die 400€ Seguridad Social erspart bleiben. Mehr kann ich nicht tun. Und was die Kredite angeht: Es gibt keine. Es gibt Avale, die ganz normale Kredite von ganz normalen Banken zu 80% absichern, die unter ganz normalen Kriterien vergeben werden. Und keine Bank gibt einem Restaurant einen Kredit, dass 3 Monate lang nicht aufmachen konnte in einer aufkommenden Wirtschaftskrise für die es keine Prognosen gibt. Selbst wenn man einen Kredit bekäme. Man muss den doch zurückzahlen! Wie mach ich das denn als Restaurantbesitzer, dem gerade das Geschäft weggebrochen ist? Die Leute essen doch nicht morgen zwei Schnitzel, weil sie gestern keins gegessen haben. Der Verlust ist real und kann nicht kompensiert werden.“
Ich muss sagen, dass unser Gespräch, das sich per Messenger fast über eine Stunde hinzieht, mich deprimiert. Sie sieht die Forderung nach Eurobonds als Vertuschung des eigenen Unvermögens (der Regierung). Hannah sieht dermaßen schwarz, dass es mir einerseits leidtut und ich versuche, ihr Tipps für Unterstützungen zu geben aber gleichzeitig ist auch eine unterschwellige Aggression zu spüren nach dem Motto: Sag mir bloß nicht, es ist nicht so schlimm oder es wird schon werden.
Die Leute werden langsam panisch. Der Zapatero Juan, der Schuhverkäufer, der mit seinem Schuhladen, wo er hauptsächlich die Mallorquiner Sandalen und Espandrillos verkauft, schon vorher nicht über die Runden kann, ist jetzt vollkommen aufgeschmissen. Kein Tourismus, kein Geschäft. Er meint, die Regierung würde die Autónomos (Freien) vollkommen vergessen.
Soweit ich weiß ist aber ein Mindesteinkommen geplant, ob es schon im Mai kommt, ist fraglich. Pablo Iglesias hatte 1200 Euro gefordert und jetzt ist es auf 500 Euro runtergehandelt worden und es sei eine Sache der Seguridad Social. https://www.eleconomista.es/economia/noticias/10490778/04/20/Los-deseos-de-Iglesias-se-esfuman-su-renta-minima-se-quedara-en-la-mitad.html
Die Nachrichten darüber sind nicht ganz klar. Und diese Panik der anderen ist höchst ansteckend. Ich bin gleich in Sorge, warum die zwei Redaktionen aus dem BR noch nicht geantwortet haben. Für die eine hatte ich einen Auftrag über die Delfine vor der Küste des Garraf zu schreiben und das andere Thema war noch in der Schwebe und Verhandlungsphase, aber auch hier keine Antwort.
25.04.20 Samstag
Hohe Wellen schlägt der Bericht über das Management der spanischen Regierung, die angeblich die schlechteste der Welt sein soll.
El „informe independiente“ que sitúa a España como el peor gestor de la crisis no existe: es un texto del gerente de una asociación de contables australianos
Der Bericht analysiert die Implikationen des Populismus und die fehlende Transparenz bei den Entscheidungen. Auch werden die Fehler in der Zählung der Toten angeführt. Außerdem ist die exakte Zahl der Infizierten auch nicht bekannt. Die Regierung hat außerdem von China Schnelltests gekauft, die nicht funktionieren und auch Masken, die nicht sicher sind und mit denen das Gesundheitssystem gearbeitet hat…
Vermutlich bezog sich Hannah auf diesen Bericht – unter anderem.
Aber nun stellt sich heraus, dass dieser „Unabhängige Bericht“, der VOX und PP die Steilvorlage für ihre Kritik an der Regierung geliefert haben, gar nicht existiert. Es handelt sich anscheinend um einen Text des Managers eines australischen Buchhaltungsverbandes. Alles, was man in Erfahrung bringen kann über diesen Bericht ist die persönliche Analyse eines Leiters einer Organisation, die einen erfundenen Index einsetzt GRID und das von einem Autor, Chris D´Souza gezeichnet ist. Die Stellung Spaniens am Ende seiner Liste kann – je nach Algorithmus – sich auch verändern. Die Methode, wie man zu diesem Algorithmus kam, wird nicht erklärt. Es sind nicht alle Länder in der Liste und die Autoren des Berichts sind nicht ausgewiesen, sich im Gesundheitswesen oder bei Infektionskrankheiten auszukennen, sondern sind ein Management Unternehmen, das versucht Entscheidungsprozesse durch die Nutzung von Finanzdaten zu unterstützen…
eldiario.es nimmt diesen Bericht also nach Strich und Faden auseinander.
Was auf alle Fälle stimmt ist, dass Spanien das Land mit der höchsten Ansteckungsrate unter Leuten im Gesundheitswesen ist. Die Rate liegt bei 20 % Ansteckung während es in Italien 10% sind und in USA 3%. Verantwortlich dafür ist die fehlende Vorsorge und die unzureichenden Schutzmaßnahmen.
“Los profesionales sanitarios fueron a la guerra sin protección”, resume Daniel López Acuña, exdirector de Acción Sanitaria en Crisis de la OMS y actual profesor de la Escuela Andaluza de Salud Pública. “Primero se infectaron ellos y luego, sin saberlo por estar muchas veces asintomáticos, contagiaron a compañeros y enfermos”, añade. (Daniel López Acuña, exdirector de Acción Sanitaria en Crisis de la OMS)”
„Die Gesundheitsexperten zogen ohne Schutz in den Krieg“, fasst Daniel López Acuña, ehemaliger Direktor der WHO-Gesundheitsaktion in Krisenfällen und derzeit Professor an der andalusischen Schule für öffentliche Gesundheit, zusammen. „Zuerst wurden sie infiziert und dann, ohne es zu wissen, weil sie oft asymptomatisch waren, haben sie ihre Kollegen und die Kranken angesteckt“, fügt er hinzu. (Daniel López Acuña, ehemaliger Direktor von Health Action in Crisis bei der WHO)“.
“Para López Acuña, ha sido una “agregación de factores” lo que ha propiciado este enorme impacto del virus en el sector. “En buena parte de las instalaciones sanitarias no había suficientes equipos de protección. Las recomendaciones de uso de mascarillas tampoco fueron uniformes al inicio de la epidemia. Y el número muy limitado de pruebas que se hicieron al principio impidió saber qué proporción de profesionales estaba contagiado. Pero para mí, el factor determinante, el que ha multiplicado y agravado todo lo anterior, ha sido la transmisión asintomática del virus”, concluye este experto.”
“Für López Acuña war es eine `Häufung von Faktoren´, was zu dieser enormen Auswirkung des Virus auf dem Sektor geführt hat. `In einem großen Teil der Gesundheitseinrichtungen gab es nicht genügend Schutzausrüstung. Auch die Empfehlungen für die Masken Verwendung waren zu Beginn der Epidemie uneinheitlich. Und die sehr begrenzte Anzahl von Tests, die anfangs durchgeführt wurden, machte es unmöglich zu wissen, wie viele der Fachleute infiziert waren. Aber meiner Meinung nach war der entscheidende Faktor, der alle oben genannten Faktoren verstärkt und verschlimmert hat, die asymptomatische Übertragung des Virus´, so die Schlussfolgerung dieses Experten.“
Es ist klar, dass die hohe Ansteckungszahl des Personals dazu beigetragen hat, den Virus weiter zu verbreiten. Das macht wirklich wütend.
Ich möchte nicht in den Chor der Kritiker mit einstimmen aber ich glaube zunehmend, dass Spanien ein Land ist, das der Diktatur noch nicht so ganz entwachsen ist. Mein Freund Wolfgang K. erzählte mir gestern am Telefon, dass er Mitte März seinen Forschungsaufenthalt in Manaus abbrechen musste wegen Corona und mit einem der letzten Flieger über Madrid nach München kam. Manaus hatte sich in kurzer Zeit in einen Hotspot des Virus verwandelt. Während in Madrid der Flughafen gespenstisch leer war und ein großes Polizeiaufgebot darauf aufpasste, dass die Leute sich nicht zu nahekamen, war in München nicht einmal von Quarantäne die Rede. Warum geht es in Deutschland so entspannt zu, während hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Klar ist die Situation hier sehr viel bedrohlicher und es gibt so viel mehr infizierte Menschen. Doch die versprochenen Tests, zur Feststellung von Personen, die die Infektion schon durchgemacht haben, von denen Pedro Sánchez noch vor kurzer Zeit spracht, bleiben aus. In Deutschland allerdings auch. Stattdessen werden die Leute inzwischen schon 6 Wochen lang eingesperrt. Ich versteh´s nicht.
Ach und die WHO (hier OMS) sagt, dass der Immunitätsausweis wissenschaftlich nicht unterstützt wird, weil die Antikörper im Blut manchmal nur sehr niedrig sind. Por tanto, “a 24 de abril ningún estudio ha evaluado si la presencia de antivirus al SARS-CoV-2 confiere inmunidad a infecciones posteriores en humanos”, aclara.
Daher stellt er klar, „bis zum 24. April gab es keine Studie, die das Vorhandensein von Antikörpern von SARS-CoV2 ausgewertet hat, die Immunität gegen nachfolgende Infektionen verleiht.
Man kann also keine nachfolgenden Infektionen ausschließen, aber wie in Deutschland schon gezeigt wurde mit der Behandlung mit Blutserum, wird der Verlauf der Krankheit ziemlich sicher nicht lebensbedrohlich sein. Einwand – da hat die WHO recht – sie könnten damit zu Überträgern werden – aber das kann im Grunde genommen jeder. Es scheint alles auf die Impfung als einzige Lösung hinauszulaufen.
Heute waren weniger Polizei und mehr Leute auf der Straße zu sehen. Es soll wohl wieder weiter gehen – langsam und vorsichtig. Noch wird darum gerungen, wie und wann die Kinder raus dürfen.
26.04.20 Sonntag
Ein schöner Anblick, die Kinder – in Begleitung ihrer Eltern – wieder auf der Straße und auf dem Paseo (der Strandpromenade) zu sehen.
Ich freue mich, die Kinder auf der Strandpromenade zu sehen. Einige Eltern halten sich daran, dass nur ein Elternteil begleiten darf. Warum eigentlich? Wieder so eine Vorsichtsmaßnahme, die ich nicht verstehe. Andere kümmern sich nicht darum. Einige tragen Masken, andere nicht. Die meisten halten sich an den Abstand, nur eine Gruppe Jugendlicher nicht. Mein Lächeln wird allerdings nicht erwidert, nicht mal zufällig. Nur Nalú, der Hund meiner Nachbarin, zieht die Aufmerksamkeit eines Mädchens auf sich und wird als Guau Guau bezeichnet. Ich glaube, die jungen Eltern grüßen und beachten sich nicht einmal untereinander, außer, sie kennen sich. Also setze ich mir meinen Mundschutz wieder auf und lasse sie mit meiner Freundlichkeit in Ruhe. So bleibt man also mit den mir mittlerweile schon bekannten Hundebesitzern alleine. Es bilden sich sozusagen „Scapes“: Hundebesitzerscapes und Eltern mit Kinder scapes, die sich nicht mischen. Nur die Balkone der Nachbarschaft sind zusammengeschweißt, Egal, ob sie nun Kinder oder Hunde haben.
Heute schickt Gervasio Sánchez, ein bekannter Fotograf seine Reportage über ein Altenheim in Aragón, das besonders stark vom tödlichen Virus heimgesucht wurde.
Queridas amigas y queridos amigos:
Os envío el pdf del Reportaje Residencias: contener y prevenir a cinco páginas que he publicado hoy en papele Heraldo de Aragón sobre la situación en las residencias. También os invito a leerlo en la web del propio diario (Ich sende Euch das pdf der fünfseitigen Reportage „Residencias“, den ich heute in papele Heraldo de Aragón über die Situation in den Seniorenresidenzen veröffentlicht habe. Ich lade Sie auch ein, es auf der Website der Zeitung anzusehen https://www.heraldo.es/noticias/aragon/2020/04/26/residencias-tratar-contener-y-prevenir-1371526.html?fbclid=IwAR0op0idSrJv_MfFcUTz9LSRCreIkN7Xlpbqdtz7gM2YYsEQTaV9kmqPejo und in 20 minutos https://www.20minutos.es/noticia/4238207/0/residencias-contener-prevenir-gervasio-sanchez/
Durante tres días he acompañados a un equipo de sanitarios que trabaja contrarreloj para tratar, contener y prevenir el contagio del coronavirus en las residencias aragonesas, donde han fallecido medio millar de ancianos. (Während drei Tagen habe ich ein Team von Gesundheitspersonal begleitet, das gegen die Uhr arbeitet, um die Ausbreitung des Coronavirus in aragonischen Heimen zu behandeln, einzudämmen und zu verhindern, in denen ein halbes Tausend älterer Menschen gestorben sind.)
Durante la realización de este reportaje ha habido personas fotografiadas que han fallecido por coronavirus horas después sin despedirse de sus seres queridos. He decidido publicar fotos sin mostrar los rostros de los pacientes para evitar el sufrimiento gratuito a sus familiares.
(Während der Erstellung dieses Berichts wurden Menschen fotografiert, die Stunden später am Coronavirus gestorben sind, ohne sich von ihren Angehörigen zu verabschieden. Ich habe beschlossen, keine Fotos von Gesichtern der Patienten zu veröffentlichen, um ihren Familien das Leid zu ersparen.)
Nunca me perdonaría que alguien se tuviera que enfrentar a la agonía de una persona querida a través de un periódico o de una web. Al final he escrito un emotivo texto titulado Manos Reveladoras en homenaje a todas estas personas que he visto sufrir por culpa de esta brutal pandemia. (Ich würde es mir nie verzeihen, wenn jemand die Agonie eines geliebten Menschen über eine Zeitung oder eine Website sehen müsste. Zum Schluss habe ich einen bewegenden Text mit dem Titel Enthüllende Hände geschrieben, als Hommage an all diese Menschen, die ich wegen dieser brutalen Pandemie habe leiden sehen.)
[…] Buenos días y buena suerte Un abrazo (Guten Tag und viel Glück, eine Umarmung)
Gervasio Sánchez
Gervasio hat als Fotograf drei Tage lang ein Gesundheitspersonal begleitet, das rund um die Uhr arbeite, das Coronavirus in aragonischen Heimen zu behandeln, die Seuche in den Heimen einzudämmen, der bereits 500 ältere Menschen erlegen sind. Er fotografierte Menschen, die kurz darauf starben, ohne sich von ihren Angehörigen verabschieden zu können. Deshalb veröffentlicht er die Gesichter dieser Menschen nicht, um den Familienangehörigen zu ersparen, das Leid eines geliebten Menschen in einer Zeitung oder auf einer Webseite zu sehen. Er schreibt einen Text darüber mit dem Titel „Enthüllende Hände geschrieben“, als Hommage an all diese Menschen, die ich an dieser brutalen Pandemie habe leiden sehen.
Was aus diesen, wie auch aus anderen Reportagen klar wird, ist vor allem die unglaubliche physische, psychische und emotionale Belastung, der das Pflegepersonal ausgesetzt ist. Und trotz allem verteidigen sie ihren Beruf und lieben ihn. Das Unglaublichste dabei ist die unterirdische Bezahlung. Unter 1000 Euro für einen Beruf, der mittlerweile zu den gefährlichsten der Welt zu zählen ist.
Der Abschnitt über die Hände der Alten berührt mich zutiefst.Todas las manos tienen una gota de sangre. Necesaria para el test. Ninguna se parece aunque todas sufren las inclemencias del paso del tiempo. Manos envejecidas, arrugadas, secas, escamosas, temblorosas. Algunas con traumatismos cutáneos, manchadas de rojo o violeta. Manos reveladoras y expresivas. (In jeder Hand befindet sich ein Tropfen Blut. Notwendig für den Test. Keine von ihnen gleicht der anderen, auch wenn sie alle unter der Härte der Zeit gelitten haben. Gealterte, faltige, trockene, schuppige, zitternde Hände. Einige mit Hauttraumatas, rot oder violett gefärbt. Enthüllende und ausdrucksstarke Hände.)Manos de 27 huesos, 29 articulaciones y 123 ligamentos. Manos con pulgares opuestos como los koalas. Manos con historiales de caricias. Manos con dedos que rozaron más rostros que móviles. Manos que acunaron, vistieron y dieron de comer durante años, cocinaron y trabajaron durante décadas. Manos „revestidas de piel de invencible corteza, inagotables y generosas fuentes de vida y riqueza“, como escribió Miguel Hernández. (Hände mit 27 Knochen, 29 Gelenken und 123 Bändern. Hände mit gegenüberliegenden Daumen wie bei den Koalas. Hände mit zärtlicher Geschichte. Hände mit Fingern, die mehr Gesichter gestreift haben, als Handys. Hände, die jahrelang gewiegt, gekleidet und gefüttert, jahrzehntelang gekocht und gearbeitet haben. Hände „bedeckt mit einer Haut aus unbezwingbarer Rinde, unerschöpfliche und großzügige Quellen des Lebens und des Reichtums“, wie Miguel Hernández schrieb.)Manos que fueron jóvenes, suaves, cremosas. Manos „más puras que las rosas“, como describió Juan Ramón Jiménez. Manos o mano „que despacio se mueve, transparente, tangible, atravesada por la luz, hermosa, viva, casi humana en la noche“, como narró Vicente Aleixandre. (Hände, die jung, weich und cremig waren. Hände, die „reiner als Rosen“ waren, wie Juan Ramón Jiménez beschrieb. Hände oder Hand, „die sich langsam bewegt, transparent, greifbar, vom Licht durchdrungen, schön, lebendig, fast menschlich in der Nacht“, wie Vicente Aleixandre schrieb.) Manos con historias ensortijadas y desconocidas. Manos ajenas que se parecen mucho a las manos queridas, aquellas manos que se fueron sin la última caricia. Manos de personas confinadas y confundidas, atrapadas en la violencia de un virus sin compasión que impone el tiempo de vida. (Hände mit krausen, ungewohnten Geschichten. Fremde Hände, die den Händen der Liebe sehr ähnlich sehen, jene Hände, die ohne die letzte Liebkosung gingen. Hände von eingesperrten und verwirrten Menschen, gefangen in der Gewalt eines Virus ohne Mitgefühl, der die Lebenszeit auferlegt.)Um 20h gibt es große Verwirrung, ob wir klatschen dürfen oder nicht. Denn es wurde ein Whatsapp-Video rumgeschickt, in dem ein Pfleger meint, wir sollten heute nicht klatschen, um die Regierung dazu zu bringen, die versprochenen Tests durchzuführen. Tatsächlich werden sie am Montag gemacht. Eine Freundin meint, das Video sei ein „bulo“, ein fake, der Ultra-Rechten Partei VOX.So klatschen einige, die anderen rufen: Nein, nein, heute nicht….! und die Holländer unten im Erdgeschoss fordern uns auf, morgen alle Orange zu erscheinen, weil der Nationalfeiertag ist… Wenn das keine Folklorisierung ist, dann weiß ich nicht…
27.04.20 Montag
Heute antwortet Nerea, sie hat sich entschieden, wieder Tagebuch zu führen! Ich freue mich sehr, denn ihre Überlegungen und auch ihre Erfahrungen als Katastrophen-Psychologin aber ebenso als Person finde ich interessant und wichtig zu teilen. Ich habe ihr meine Tagebücher geschickt und in der Woche 6 liest sie die üblen Reaktionen von ein paar Leuten, die Angst haben, sich in ihrem Treppenhaus anzustecken, weil Gesundheitspersonal oder Leute, die im Supermarkt arbeiten dort den Virus mitschleppen könnten. Während ich ungläubig bin, wird Nerea richtig wütend und sie fragt sich, woher diese Wut kommt.Manos reveladoras
“[Unas respiraciones profundas y algo de buena música más tarde…] Creo que, más allá de lo injusto que me parecen esos comportamientos —y ya sabes que lo único que saca el diablo que hay en mí son las injusticias—, estoy identificándome con esa situación porque yo también estoy trabajando. Sí, soy de esa gente que sale a la calle, que se expone y expone a las personas con las que convive por el bien de los demás. Soy psicóloga experta en emergencias y catástrofes. Tengo la suerte, me encanta mi trabajo, de poder trabajar atendiendo las emergencias y urgencias sociales. Cuando alguien me pregunta qué significa eso suelo contestar que, explicado mal y rápido, somos los servicios sociales de urgencias, puesto que estamos trabajando 24/7.” ([Nach ein paar tiefen Atemzügen und guter Musik…] Ich glaube, dass darüber hinaus, dass mir dieses Verhalten als ungerecht erscheint – und du weißt ja, das ist das Einzige, was mich wirklich richtig wütend macht, sind die Ungerechtigkeiten –, identifiziere ich mich mit dieser Situation weil ich auch arbeite. Ja, ich gehöre zu diesen Leuten, die raus gehen, die sich exponieren und ich exponiere die Menschen, mit denen ich zusammenlebe. Ich bin Psychologin, mit Schwerpunkt auf Notfälle und Katastrophen. Ich habe das Glück, dass meine Arbeit mir viel Freude macht, und dass ich mich um Notfälle und soziale Dringlichkeiten kümmere. Wenn mich jemand fragt, was das bedeutet, antworte ich normalerweise, schnell und schlecht erklärt, dass wir die sozialen Notdienste sind, da wir rund um die Uhr arbeiten“.
Nerea arbeitet im sozialen Notdienst rund um die Uhr. Um sich an die aktuelle Situation anzupassen, mussten neue Arbeitsweisen entwickelt werden. Arbeitsgruppen wurden geschaffen mit 12-Stunden-Schichten. Ständige Veränderungen in der Arbeitssituation. Intensive Tage. Bildung eines neuen Arbeitsteams.
Da ist die persönliche Betroffenheit, die auftaucht, auch wenn der Tod nur als eine Information, als ein rot markiertes exitus in einer Excel Liste erscheint.
“Se me encoge el corazón al ver que la bandeja de entrada del correo, llamado COVID-19, no para de llenarse. Cada correo es una solicitud de comida a domicilio para un núcleo familiar —formado por una o más personas—. Tengo que reconocer que incluso se me llenan los ojos de lágrimas al abrir los documentos Excel en los que los servicios de asistencia domiciliaria o los equipamientos de la tercera edad nos mandan con los exitus resaltados en rojo. Escalofriante. Detrás de cada rojo hay una persona. Una persona que se ha ido sola. Detrás de cada rojo hay una familia destrozada. Detrás de cada rojo hay una pérdida que, probablemente, no ha podido ser llorada como corresponde, no ha podido ser despedida. Lo vivo en casa, mi compañero de piso ha perdido a su abuela, así, en la distancia, sin despedidas, sin saber nada de ella durante las dos semanas previas al fallecimiento, sin derecho a entierro y sabiendo que su abuela murió sola.” (Es tut mir im Herzen weh, wenn ich sehe, wie sich der E-Mail Posteingang mit dem Betreff COVID-19 ständig füllt. Jede E-Mail ist eine Bitte um eine Mahlzeit zu Hause für einen Haushalt – bestehend aus einer oder mehreren Personen. Ich muss sagen, dass mir die Tränen kommen, wenn ich die Excel-Dokumente öffne, in denen uns die häuslichen Pflegedienste oder die Senioreneinrichtungen die rot markierten „Exitus“ schicken. Gänsehaut. Hinter jeder roten Markierung steht eine Person. Eine Person, die allein gestorben ist. Hinter jeder roten Markierung steht eine gebrochene Familie. Hinter jedem Rot steht ein Verlust, der wahrscheinlich nicht richtig betrauert, nicht verabschiedet werden konnte. Ich erlebe es zu Hause, mein Mitbewohner hat seine Großmutter verloren, also in der Ferne, ohne Abschied, ohne in den zwei Wochen vor ihrem Tod etwas über sie zu wissen, ohne das Recht auf eine Beerdigung und im Wissen, dass seine Großmutter allein gestorben ist.)
Hinter jeder Information, ein Leben, eine Lebensgeschichte, eine Familie… hinter jedem Rot steht dieser Verlust, den Nerea und ihre Kolleginnen mitfühlen. Die Einsamkeit der Sterbenden… das ganze Drama. Tausende von E-mails jeden Tag, die beantwortet werden müssen. Die Mitarbeiterinnen müssen sich selbst Mut machen, sich selbst beglückwünschen für ihre gute Arbeit, weil es sonst keiner tut. Oder selten jemand tut.
Miles y miles de correos diarios y llamadas telefónicas para coordinarnos con diferentes trabajadores y trabajadoras sociales de centros de servicios sociales y de hospitales. En todos ellos nos despedimos dándonos ánimos y felicitándonos por nuestra gran labor. Sí. Lo hacemos nosotros mismos. «Seguim!». Porque a nosotros y nosotras nadie nos aplaude. «Força!». Pero nos lo merecemos igual. «¡Ánimo!» No necesitamos los aplausos. «Gracias por vuestro incansable trabajo»”. (Tausende und Abertausende E-Mails jeden Tag und Telefonanrufe zur Koordination mit verschiedenen Sozialarbeitern in Sozialdienstzentren und Krankenhäusern. In allen verabschieden wir uns, ermutigen und beglückwünschen uns zu unserer großartigen Arbeit. Ja. Wir machen es selbst. „Weiter geht´s!“. Weil uns niemand applaudiert. „Kraft!“. Aber wir haben es trotzdem verdient. „Nur Mut!“ Wir brauchen den Applaus nicht. „Ich danke Ihnen für Ihre unermüdliche Arbeit.“
“Los servicios sociales son muy necesarios, si nosotros no hubiéramos estado detrás de todos esos correos, habría mucha gente sin comida, te lo aseguro. «¡Saldremos de esta!». No pasa nada, no lo hacemos por el reconocimiento. «Gracias por vuestra dedicación». Nuestro trabajo es vocacional, creo que todos los que estamos en el mundo social tenemos la necesidad de ayudar a los demás y así es como nos sentimos bien. Quizá demasiado en algunas ocasiones y, por eso, nos acabamos descuidando a nosotros y nosotras; pero eso es otro tema —y entrar a analizar eso puede dar lugar a un ensayo bastante largo—.” (Soziale Dienste sind sehr notwendig, wenn wir nicht all diesen E-Mails beantwortet hätten, gäbe es viele Menschen ohne Essen, das kannst du glauben. „Wir werden das überstehen!“ Es ist okay, wir tun es nicht für die Anerkennung. „Vielen Dank für Ihr Engagement.“ Unsere Arbeit ist Berufung, ich denke, alle, die in den sozialen Diensten arbeiten haben das Bedürfnis, anderen zu helfen, und so fühlen wir uns gut. Vielleicht manchmal zu viel, und deshalb vernachlässigen wir uns am Ende selbst; aber das ist eine andere Sache – und sich damit zu auseinanderzusetzen, das könnte zu einer längeren Abhandlung führen.)
Auch Nerea macht sich Sorgen, wie diese Menschen, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind, die keine Bleibe haben, keine Arbeit oder ein anderes Problem, werden sich an die Sozialdienste wenden und auf ihr Recht pochen… Man wird sehen, und gleichzeitig macht es ihr Angst, welche „neue Normalität“ da auf uns wartet.
Veremos qué pasa cuando todo esto empiece a encaminarse hacia una —supongo que nueva y distinta— normalidad. Toda la gente que tiene dificultades económicas, que no tiene donde alojarse, que no tiene trabajo o cualquier otro tipo de problemática a nivel social acudirá a servicios sociales. Y entonces todo serán exigencias. «Tengo derecho a…». «Me merezco…». «Necesito…». Pero bueno, me estoy adelantando. Tengo mucha curiosidad, a la par que algo de miedo, por saber qué nos depara esta nueva normalidad. (Schauen wir mal, was passiert, wenn all dies auf eine – ich nehme an, eine neue und andere – Normalität zusteuert. Alle Menschen, die wirtschaftliche Schwierigkeiten haben, die keine Bleibe haben, die keine Arbeit oder irgendein anderes Problem auf sozialer Ebene haben, werden zu Sozialdiensten gehen. Und dann wird es Forderungen geben. „Ich habe das Recht…“ „Ich verdiene…“ „Ich brauche…“ Nun, ich bin etwas voreilig. Ich bin sehr neugierig, aber auch ein wenig ängstlich, was für eine neue Normalität da auf uns zukommt.)
Während der letzten Arbeitstage bemerkt Nerea, dass es leichter wird, viele Leute melden sich ab. Das ist ein gutes Zeichen, oder? Hoffentlich befinden wir uns nicht im Auge des „Huracáns“ (Hurrikans). Und hoffentlich ist das nicht die Ruhe vor dem Sturm.
Als ich um 18 Uhr mit Nalú spazieren gehe, lasse ich sie am Strand von der Leine. Sie rast wie verrückt vor Freude, dreht ihre wilden Kreise und will dann, weil sie natürlich nicht auf mich hört, zur Strandpromenade hinauf abhauen. Dort steht eine Frau mit zwei Hunden, die mich gleich belehrt, wenn sie jetzt ein Foto gemacht hätte, könnte sie mich anzeigen. Ich lache aus Verlegenheit. Sie meint, das sei nicht zum Lachen, das kostet zwischen 300 und 3000 Euro und dann nennt sie noch horrendere Summen. Und ich hätte Glück, dass ich nur auf sie getroffen sei. Tatsächlich hatte ich heute auch gelesen, dass schon über 740.000 Sanktionen verhängt wurden seit dem Alarmzustand. https://elpais.com/espana/2020-04-25/tantas-multas-propuestas-en-el-confinamiento-como-impuestas-en-cuatro-anos-de-ley-mordaza.html?ssm=FB_CC
Im Artikel heißt es, dass es so viele sind, wie in vier Jahren ‘ley mordaza’, das Knebelgesetz, das Verstöße gegen Freiheiten, wie Meinungs-, Informations- oder Demonstrationsfreiheit betrifft. In etwa 40 Tagen wurden also 741.407 Strafen verteilt. Dieses Gesetz, was von den Sozialisten bei seiner Einführung stark kritisiert wurde, wird nun ziemlich hart zum Einsatz gebracht. Der Minister Fernando Grande-Marlaska antwortet dahingehend befragt: „Wenn der Beamte jemanden beim Grillen erwischt, was soll er demjenigen sagen?“
Tatsächlich sieht der Befehl von Marlaska eine Strafe von 601 Euro für jeden vor, der sich ohne Grund auf der Straße aufhält, aber sie kann bis zu 2.000 Euro betragen, wenn der Beamte der Ansicht ist, dass der Bürger ihn „missachtet“ hat. Virginia Alvarez von Amnesty International kritisiert: „Das Gesetz gibt den Agenten viel Macht und es gibt keinen Mechanismus der Kontrolle und Rechenschaftspflicht. Sie fühlen sich ungestraft, weil ihre Version mehr wert ist als die des Bürgers“, Sie hofft, dass „viele der Sanktionen letztendlich nicht realisiert werden“, obwohl sie befürchtet, dass „die Leute es vorziehen werden, die Sanktion zu zahlen, anstatt Berufung einzulegen, um in den Genuss der Reduzierung der Geldstrafe zu kommen“, die bei sofortiger Bezahlung bis zu 50 Prozent betragen kann.
In Spanien wird viel mehr sanktioniert, als in anderen Ländern, was mich wieder auf meine These zurückbringt, dass die Diktatur irgendwie noch nicht so richtig überwunden ist.
Zu den Strafzetteln meint Santi, ein Bekannter: „Das ist ein Wahnsinn. Einen Verwandten von mir haben sie eine Strafe aufgebrummt, weil er sein Brot zu weit von zuhause weg gekauft hat. Der Mehrheit der Polizisten fehlt es an Empathie, sie sind sehr engstirnig.“
Mein Sohn ruft mich an, vor zwei Tagen ist seine Freundin mit dem Fahrrad gestürzt, sie ist hochschwanger. Mir wird schwindelig und ich fühle mich 25 Jahre zurückversetzt, als ich mit dem Fahrrad noch schnell eine Kopie machen fahre und meine Fruchtblase platzt. Ich vermute, so funktioniert ein kleines oder mittleres Trauma, mit einem Trigger, der so unmittelbar und körperlich funktioniert, dass man nichts dagegen tun kann. Obwohl ich weiß, dass alles nochmal gut gegangen ist, habe ich einen Schrecken. „Susto“ heißt es ja auf Spanisch und es wird in vielen Gesellschaften als Krankheit betrachtet. Es ist eine emotionale Krankheit (wie vielleicht alle Krankheiten) und wenn man darüber hinweg geht, kann es somatische Konsequenzen haben. Ich erinnere mich an Eduardo „El Tuno“, ein peruanischer Schamane, der mir im bayerischen Biergarten erzählte, wie er seine Susto-Patienten heilt: mit Gegensusto. Fakt ist, dass ich den Rest des Tages vollkommen erledigt bin. Auf eine Gegensusto-Therapie möchte ich lieber verzichten.
28.04.20 Dienstag
Unweigerlich kommen wir immer wieder auf die gleichen Themen zurück: 1. Warum sterben in Deutschland so viel weniger Menschen als in Spanien? Die Spanier erklären das gerne kulturell, also mit ihrer Vorliebe für Umarmungen und Küsse und 2. mit ihrer fehlenden Effizienz, mit Selbstbeschuldigungen, die auf einen Minderwertigkeitskomplex schließen lassen. Die Deutschen sind so effizient und haben ein tolles Gesundheitssystem. Ich glaube vielmehr, es ist tatsächlich ein Versagen in der Versorgung des Gesundheitspersonals mit Schutzkleidung, etc. – und die zuständigen Organe reagieren nicht, wie Isabel DíazAyusu in Madrid, wo das Altenwohnheim Monte Hermoso per E-Mail vor einer „extremen Situation“ gewarnt hatte und die Madrider Politik einfach nicht reagiert. Das Schreiben der Altenpfleger zeigt deren Verzweiflung, nachdem sie tagelang versucht hatten, Hilfe von der Comunidad de Madrid zu erhalten. Ohne Erfolg. https://www.eldiario.es/madrid/residencia-ancianos-Madrid-Consejeria-Sanidad_0_1021548186.html
Ayusu verkündet in einem Interview einfach, dass sie nichts davon wusste. Seit dem 8. März starben in den Madrider Altenheimen mehr als 5.600 alte Menschen mit Symptomen, die auf Coronavirus schließen lassen.
Santi, wie die meisten meiner Bekannten, empfinden die Maßnahmen ebenfalls unlogisch: dass die Leute nicht mal in den Bergen und ländlichen Gegenden raus dürfen und ihre Gärten nicht bestellen dürfen (inzwischen dürfen sie allerdings, soviel ich weiß. Ein Freund wurde 3x auf dem Weg in den Garten von Polizisten kontrolliert und jedes Mal war es ok, in den Garten zu gehen.) Abstand halten
wäre ja ausreichend und der Mundschutz ist nicht obligatorisch – all das ist widersprüchlich. Auch, dass nur ein Elternteil die Kinder begleiten darf…
[19:41, 29.4.2020] Santi: Claro, aquí no son lógicos, no dejan ni correr por la montaña, ni trabajar en los huertos, ni caminar por la playa… Yo creo que con obligar a mantener una cierta distancia sería más que suficiente. En cambio las mascarillas no son obligatorias. Parece que la semana que viene ya van a rebajar un poco las medidas…. (Natürlich sind sie hier unlogisch, sie lassen einen nicht in den Bergen joggen, oder in den Gärten arbeiten, oder am Strand spazieren gehen… Ich denke, eine gewisse Distanz einzuhalten, wäre mehr als genug. Andererseits sind Masken nicht obligatorisch. Es sieht so aus, als würden sie nächste Woche die Maßnahmen ein wenig senken…)
[19:42, 29.4.2020] Santi: No dejan acompañar a los niños por los dos padres, y en cambio duermen juntos en casa… Es todo un sin sentido…. (Sie lassen die Kinder nicht von beiden Elternteilen begleiten, aber sie schlafen zu Hause zusammen… Das ist alles Unsinn…)
Heute habe ich auf der Strandpromenade beobachtet, dass einige Leute ohne Kinder oder Hunde unterwegs sind und auffällig viele Väter sind mit ihren Kindern draußen. Dann gab es einen heftigen Streit zwischen einem jungen katalanischen Paar, das sich gegenseitig beschuldigte, dass das kleine Mädchen hingefallen war… Obwohl ich das Gefühl habe, dass die Nerven sich insgesamt etwas entspannt haben. Heute sieht man ein paar Leute wieder lächeln.
30.04.20 Donnerstag
Ich bin nach zwei Tagen intensiven Arbeitens vollkommen erschöpft. Hinzu kommt ein Streit mit Mercedes. Heute Nachmittag müssen wir zum „pongo“, einem Zwischenlager, wo wir unsere Möbel und Kisten unterstellen wollten, um die Zeit vom Verkauf der Wohnung und dem Kauf der Neuen und deren Renovierung zu überbrücken. Weil die neuen Besitzer aus Holland nicht kommen können, dürfen wir noch etwas in der alten Wohnung bleiben und können unseren Umzug direkt in die neue Wohnung machen. Maria, die uns das Zwischenlager vermietet hatte meint, wir sollten vorsichtshalber vorher bei Lidl einkaufen gehen, der auf dem Weg liegt, und das Ticket aufheben. Es werden Strafen verhängt s.o. Aber alles verläuft ohne Probleme. In Lidl gibt es sogar ganz gute Handschuhe.
2.5.20 Samstag
Heute ist ein weiterer Schritt im desconfinamiento, also in der Öffnung des „Hausarrests“: Nuria berichtet schon aus Vilanova, dass sich die Leute sehr dran halten. Um 10 Uhr machen die Sportler die Bahn frei für die Alten, die nun von 10-12 Ausgang haben und dann nochmal von 19-20 Uhr. In meiner TTT Gruppe sind alle erleichtert, sie sind in der Mehrzahl schon über 60 Jahre alt. Doch war noch niemand draußen.
Wir dürfen Spaziergänge machen, aber uns nicht mehr als 1 km von zuhause entfernen. Schon werden die ersten Verabredungen getroffen für nach 20 Uhr. Freunde darf man allerdings nicht in ihren Häusern besuchen, ob man sie draußen treffen darf, ist mir nicht klar.
Die Grenzen der Provinz darf man noch nicht überschreiten. An den Strand, den wir hier 100 Meter vor der Haustüre haben, darf man immer noch nicht, obgleich in Valencia die Leute dazu ermuntert werden, Sport am Strand zu machen. Hier darf man noch nicht mal seine Füße reinstecken. Das ist erst ab Stufe 3 vorgesehen. Wir befinden uns in Stufe 1. Bei Cádiz, in Zahara de los Atunes, wurde der Strand mit Seife oder Desinfektionsmittel besprüht.
Abb. 8: Horarios en la primera fase de la desescalada / Quelle: https://todosalud.site/uncategorized/fases-de-la-desescalada/.
Abb. 9: Strandpromenade von Sitges / Quelle: www.sitgesactiu.co.
Das Tragen von Masken ist weiterhin freiwillig.
Inzwischen sind wir in Spanien bei 213.435 Infizierten angelangt, davon sind 24.543 gestorben, 268 mehr als gestern.
Spanien macht sich bereit für die „neue Normalität“, das wird bis Ende Juni, bis zum 22. Juni dauern. Offiziell heißt es: „plan para la transición hacia una nueva normalidad” (Plan zum Übergang in die neue Normalität). Manchen geht es zu schnell, den anderen zu langsam. Salvador schickt ein meme, in dem es heißt: „Wie man der Deeskalation von Sánchez in vier einfachen Bewegungen begegnet“. Diese vier Bewegungen ergeben das Zeichen des Sich-Bekreuzigens vor dem Plan Sánchez.
Wir befinden uns in der Phase 0, auf die in zwei Wochen dann die Phase 1 folgen soll, in der soziale Aktivitäten erlaubt sein sollen, wie Treffen zuhause, die Öffnung kleiner Geschäfte und der Terrassen, mit 30% Besetzung. Auch Hotels und Tourismusunterkünfte sollen geöffnet werden… Die Gemeinde Sitges teilt mit:
Ajuntament de Sitges
Amb qui?
Es pot passejar individualment o acompanyat d’una persona amb qui es conviu al domicili o de la persona cuidadora (Man darf alleine spazieren gehen oder mit einer Begleitperson, die im gleichen Haushalt lebt oder einer BetreuerIn).
L’exercici físic únicament es pot fer de forma individual. En el cas de persones que ho necessitin, poden sortir acompanyades de la persona que les cuida (Physische Übungen darf man nur individuell ausführen. Personen, die Hilfe benötigen, dürfen begleitet werden).
Passejades
Passejos com a màxim a 1km de distància del domicili i en les franges determinades. (Spaziergänge von max. 1km von zuhause entfernt und in bestimmten Zeiträumen)
Es pot utilitzar l’espai de les platges de Sitges a partir de dilluns per als passejos, però es mantenen actualment tancades actualment per al bany i l’activitat esportiva. (Man darf die Strände von Sitges ab Sonntag zum Spazieren gehen betreten, aber Schwimmen und sportliche Aktivitäten sind noch nicht erlaubt.)
Sitges öffnet den Strand zumindest zum Spazieren gehen. In der Sonne liegen und Baden ist immer noch verboten. Teilweise werden die Strände ab dem 4. Mai wieder geöffnet. Sie haben mit den Unwettern viel Sand verloren und man befürchtet anscheinend, dass sich die Leute dort tummeln werden und sie anstecken.
Auch in den Artikeln wird nur davon gesprochen, dass dies eine Maßnahme sei, um Ansteckungen zu verhindern. Keine Erklärung, schon gar keine wissenschaftliche.
Mir werden immer stärker die Unterschiede zwischen den Ländern bewußt: das Vertrauen auf die Vernunft der Bürger in den nördlichen Ländern, wie Deutschland und Schweden oder Holland und auf der anderen Seite die südlichen Länder, wo viel verboten und wenig erklärt wird. Keine Transparenz. Das ärgert mich langsam. Es wird zwar angeführt: es ist eine Sicherheitsmaßnahme, aber diese ist unhinterfragbar.
Die Kinder bis 14 Jahre dürfen raus in Begleitung eines Elternteils. Aber nur eines – das andere bleibt zuhause. (???)
Ab Montag darf man unten am Strand entlang gehen und die Füße ins Meer strecken. Aber eben nicht baden und die Sonne genießen.
Ich frage meine FB Freunde, ob mir jemand erklären kann, warum es in Spanien keine Erklärungen für die Maßnahmen braucht, sondern Befehle und Strafen bei Nichteinhaltung.
Horacio meint: vielleicht damit man die Maßnahmen versteht (die Strafen)
und Jesús: Ejpaña es asín…. (Spanien is halt sooo)
und Wolfgang: Du musst das mit Foucault sehen: es geht um die Sozialdisziplinierung an sich. Man darf auf die Strandpromenade, nicht aber auf die Mole … und das üben wir jetzt 😉
„Les platges de Sitges reobriran parcialment el 4 de maig per a uns usos delimitats” (die Strände von Sitges werden teilweise vom 4. Mai an geöffnet für einen begrenzten Gebrauch)
„Tots els accessos a les platges del municipi han estat tancats des que es va decretar el confinament com a mesura per evitar la propagació del coronavirus.” (Alle Zugänge zum Strand der Stadt wurden während der Ausgangssperre geschlossen, um die Verbreitung des coronavirus zu vermeiden.)
„A partir del proper dilluns es podrà anar a passejar però es manté prohibit el bany i asseure’s a la platja com a mesura preventiva i de seguretat per evitar concentracions de persones i garantir la distància mínima necessària.” (Vom nächsten Montag an darf man spazieren gehen aber noch nicht Baden gehen als vorbeugende Maßnahme und zur Sicherheit um Konzentrationen von Personen zu vermeiden und den Mindestabstand einzuhalten.)
Ah ja, da ist ein Ansatz einer Erklärung: man darf sich nicht setzen, zur eigenen Sicherheit, um Konzentrationen von Personen zu vermeiden und das Einhalten des Mindestabstandes zu garantieren. Nur auf der Strandpromenade ist davon nichts zu merken, die Kinder treffen sich und spielen miteinander. Ganz normal. Auch die Freundinnen gehen mit ihren Kindern gemeinsam raus und der Mindestabstand ist in etwa der gleiche, wie vom Gesicht zur Fläche des Mobiltelefons.
Així, a partir de dilluns vinent estarà permès fer esport de manera individual, passejar per la sorra i mullar-se els peus als següents grups de població: infants acompanyats d’un adult, persones grans o membres del mateix nucli de convivència, sempre mantenint les distàncies de seguretat i la resta de mesures preventives. Per contra, no es permetrà romandre a la platja ni fer-hi activitats, com pícnics o trobades d’amics. (Ab dem kommenden Montag ist es daher gestattet, individuell Sport zu treiben, den Strand zu betreten und die Füße nass zu machen: Kinder in Begleitung eines Erwachsenen, ältere Menschen oder Mitglieder desselben Haushalts, mit stets aufrechterhaltenem Sicherheitsabstand und andere vorbeugende Maßnahmen. Es ist jedoch nicht erlaubt am Strand zu verweilen oder Picknicks oder Treffen mit Freunden durchführen.)
In Deutschland sind die Virologen gefragt und erklären, wenn auch manchmal sehr widersprüchlich, den Stand der Forschung. Hier spielen sie im öffentlichen Diskurs keine Rolle. Aufgrund von welchem Modell der Übertragung (Tröpfchenübertragung – wie lange sind sie infektiös? Welche Bedeutung hat die Schmierübertragung?) werden diese Entscheidungen getroffen?
Es schreibt eine Freundin aus Uruguay. Auch sie sieht kulturelle Unterschiede zwischen den Ländern. Sie selbst ist Argentinierin und natürlich Ethnologin:
„Ahora sí veo las diferencias entre la gente de las dos orillas: aquí el Gobierno no quiere imponer el aislamiento obligatorio (ojalá les dé resultado), sino que se expresa en términos como „exhortar“, “convencer”. Los que andan por la calle sin motivo vivirán el „estigma social“ – algo que aquí tiene mucho peso. Creen, evidentemente, en la vieja idea de Sarmiento de „educar al soberano“?” (Jetzt sehe ich die Unterschiede zwischen den Menschen auf beiden Seiten des Ufers (des Rio de la Plata): Hier will die Regierung die obligatorische Isolation nicht erzwingen (hoffentlich funktioniert es), sondern drückt sich mit Begriffen wie ‚ermahnen‘, ‚überzeugen‘ aus. Wer grundlos auf der Straße geht, wird das „soziale Stigma“ erleben – etwas, das hier sehr viel Gewicht hat. Glauben Sie tatsächlich an Sarmientos alte Idee der „Erziehung des Souveräns“?
Uruguay will keine Zwangsisolierung durchsetzen, sondern setzt auf die Ermahnung und Überzeugung der Bürger. Wer ohne triftigen Grund durch die Straßen geht, wird das „soziale Stigma“ erleben – etwas, das hier sehr viel Gewicht hat. Glauben sie offensichtlich an Domingo Faustino Sarmientos (ehemaliger Präsident Argentiniens (1868-74) alte Idee der „Erziehung des Souveräns“?
Meine Frage auf FB und mein Ärger darüber, dass hier nur Maßgaben und Strafen verteilt werden, aber man sich mit Erklärungen zurückhält, löst verschiedene Reaktionen aus. Zuerst verstehen die Leute gar nicht, was ich meine, sie vermissen die Erklärungen nicht.
Carmen und Horacio, ein paar Argentinische Freunde, die schon ihr halbes Leben hier in Sitges leben, sind indigniert darüber, dass die Spanier sich nicht an die Vorgaben halten. Zumindest könnten sie sich die Maske aufsetzen, oder?
“estamos viendo fotos de lo que es Sitges en este momento. Lo puedes ver en Visit-Sitges. Lo más importante de las instrucciones del gobierno es lo de la distancia entre las personas. Nadie lo respeta. Y está bien que las mascarillas son solo obligatorias en el transporte público, pero si no puedes respetar la distancia en la calle, ponte una mascarilla, no?” (Wir sehen die aktuellen Fotos von Sitges. Was man auf Visit-Sitges sehen kann. Die wichtigste Anweisung der Regierung ist es, Abstand zu halten zwischen den Personen. Keiner hält sich dran. Und es ist gut, wenn der Mundschutz im öffentlichen Transport obligatorisch ist, aber wenn du den Abstand auf der Straße nicht halten kannst, setz einen Mundschutz auf, oder?)
Auch sie sind der Meinung, dass es ohne Strafen und Anordnungen nicht geht.
Interessanterweise finden die Spanier, dass sie gut informiert sind. Und ich komme jetzt erst darauf, dass „explicar“ im Spanischen unterschiedlich verstanden werden kann: einmal als informieren, erzählen, und zum anderen als Erklärung. Die Erklärung, was zu den Maßnahmen führt, sind meiner Meinung nach sehr rar und auch der Direktor des Centro de Coordinación de Alertas y Emergencias Sanitarias Fernando Simón gibt meiner Meinung nach auch keine wirklich tiefgreifenden Erklärungen ab. Er informiert schlicht und einfach. Das genügt den Spaniern. Hier zum Beispiel meint er, dass der Gebrauch von Mundschutz nicht für jede Person möglich ist, deshalb wird sie nicht obligatorisch gefordert – nur in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Sieht man aber den Paseo (die Strandpromenade) von Sitges oder von Barcelona, sollte ein Mundschutz das Mindeste sein. https://cadenaser.com/ser/2020/04/29/sociedad/1588155636_682576.html
Hier die Fotos aus Visitsitges:
Gemma E.: i molta gent sentada, en principi no es pot (Viele sitzende Leute, das ist eigentlich nicht erlaubt)
Pawel J.: Gemma E. buena observación, pero por desgracia la gente hace, lo que les de la gana, a pesar de advertencias durante semanas…. (Eine gute Beobachtung, aber leider machen die Leute, was sie wollen, trotz wochenlanger Warnungen …)
Gemma E. Pawel J. sí, sí como en todos los sitios. La verdad que es una pena con el esfuerzo que estamos haciendo todos….salud y ánimos! (Ja, wie überall. Ehrlich gesagt ist es schlimm, nach dieser großen Anstrengung, die wir alle unternommen haben… Gesundheit und Mut!)
Es herrscht eben doch eine große Verunsicherung und da sind Befehle und Strafmaßnahmen klarer, als Aufklärung und Eigenverantwortung.
Und auch die Wissenschaft ist sich nicht so ganz eins, wie Werner Bartens in der SZ vom 30.04. so schön schreibt:
„Das Virus mag Kälte. Außer bei Hitze“
Eine Sammlung von Gewissheiten, die völlig ungewiss sind.
- Wer die Infektion überstanden hat, ist für lange Zeit immun, zumindest bis er sich wieder ansteckt, was aber unwahrscheinlich ist, es sei denn, es kommt zu einer neuen Infektion. In der Zwischenzeit besteht lebenslange Immunität.
- Gesundheit geht vor, außer es geht um die Wirtschaft, Friseure, Fahrradläden, Autohäuser und die Fußball-Bundesliga.
- Solidarität lernen wir jetzt ganz neu, außer unsere Interessen sind in Gefahr.
- Das Virus mag feuchte Umgebung lieber, es hält sich aber auch in trockener Luft ganz gut.
- Das Virus sinkt schnell zu Boden, außer wenn es manchmal ganz schön lange in der Luft stehen bleibt. Das gilt besonders für geschlossene Räume, aber wir sollten Haus und Wohnung besser nicht verlassen, außer um nach draußen zu gehen.
- Schmierinfektionen sind eigentlich ausgeschlossen. Es ist allerdings nicht sicher, ob das Virus eventuell auch über andere Wege als per Tröpfcheninfektion übertragen werden kann…
04.05.20 Montag
Gestern war der erste Tag, an dem wir hier in Spanien nach den bestimmten Zeitfenstern wieder an die Luft durften. Die Phase 0 des „desconfinamiento“ hat begonnen. Von den neuen Freiheiten machen gefühlt fast alle Gebrauch und es kommt zu einer ziemlich vollen Strandpromenade, die am Montag durch ein Flatterband in der Mitte abgetrennt wird, um so den Fluss der Menschen zu steuern. Rechts läuft man Richtung Terramar (Südwesten) und links wieder zurück. Etwa die Hälfte der Leute tragen keinen Mundschutz, weil er von der spanischen Regierung nicht als notwendig angesehen wird. Horacio und Carmen, die beide schon im Rentenalter sind und damit zur „gefährdeten“ Bevölkerungsschicht gehören, sind entsetzt. An diesem Sonntag ist eine angestaute Energie zu spüren. Die Leute rennen bereits morgens früh und holen ihre Fahrräder heraus. Auch die Geschäfts- und Restaurantbesitzer konzentrieren sich nun auf die Wiedereröffnung ihrer Geschäfte. Ein bisschen mit Respekt, manche mit Angst aber insgesamt mit dem Mut der Verzweiflung werden hier die Räder wieder in Bewegung gesetzt.
Dina, die eine Cafetería hier in der C. Bonaire führt, ist verzweifelt. Ihre Familie ist in Kuba und nach der Schließung ihres Geschäfts durch die Pandemie kann sie weder die Miete für ihre Wohnung, noch die für das Geschäft zahlen. Selbst wenn die Leute jetzt wiederkommen und Kaffee trinken, werden sie nicht die nicht getrunkenen Kaffees aufholen.
Auch Salva, unsere Nachbarin und Dinas Vermieterin ist verzweifelt, ihr fehlen die Einkünfte sowohl der Ladenmiete als auch durch die Absagen der Reservierungen ihres Apartments, das sie über Airbnb vermietet.
Mir ist es etwas unheimlich, dass wir jetzt auf diese „neun Normalität“ zusteuern. Ich bin mir sicher, dass wir in Kürze ein rebrote, ein Wiederausbruch, und ein Ansteigen der Kurve der Infizierten haben werden, denn ein großer Teil der Bevölkerung geht relativ sorglos mit der Situation um.
Abends spielen die Nachbarn am Balkon: „The show must go on…“ von Queen. Das ist in besonderer Weise für Sitges zutreffend, das sich nun für den innerspanischen Tourismus rüstet. Nachdem Sitges auf Gay-Tourismus spezialisiert ist und das Städtchen von dieser Community beherrscht wird (ca 28 Bars und Diskotheken sind in der Hand eines Besitzers), bin ich gespannt, was sie sich ausgedacht haben. Denn während der Fasching hier noch heftig gefeiert wurde, obgleich das Virus schon umging, wurden Gay Pride und das Bears-Treffen abgesagt. Die Informatik-Messe in Barcelona war abgesagt worden, aber den Karneval, für den Sitges berühmt sein will, ließ man sich hier nicht nehmen.
06.05.20 Mittwoch
Heute wird der Kauf unserer Wohnung durchgeführt. Dazu treffen wir uns in der Kanzlei, wo man fröhlich am Telefon antwortet: „Das Virus mag uns nicht“. Es werden allerdings auch die Abstände eingehalten, alle tragen Masken, bis auf unseren Assessor, Dani, der die Krankheit bereits hinter sich hat. Seine ganze Familie und auch seine MitarbeiterInnen, wie er bestätigt. Von sechs Leuten waren fünf auf einmal krank. Cami, eine dieser Mitarbeiterinnen war mit mir im Katalanisch-Kurs. Mir war ihr trockener Husten aufgefallen. In einer der letzten Unterrichtsstunden saß sie neben mir. Vielleicht war meine Erkältung Mitte Februar auch schon Corona? Das wollen wir momentan alle glauben, dass wir diese Krankheit schon hinter uns gebracht haben und dass wir immun sind. Denn was uns bevorsteht, diese „neue Normalität“ ist keineswegs verlockend. Sie bedeutet, dass wir lernen müssen, mit dem Virus, mit der Angst vor Ansteckung und mit den Einschränkungen zu leben.
Da sitzen nun alle mit Mundschutz um den Tisch. Dabei fällt mir auf, wie stark die Augen sprechen. Und wie wenig wir unsere Blicke unter Kontrolle haben. Allerdings fällt mir das exakte Verstehen schwerer, weil ich die Münder nicht sehen kann und zumeist auf Katalanisch gesprochen wird und es natürlich juristische Begriffe sind, die hier gewechselt werden. Der Typ von der Bank (BS) wird erst gegen Ende munter, als er über die Caixa herziehen kann, die überall Kommissionen einstreicht. Es ist aber auch lustig, hinter einer Maske halb verborgen zu sein. Die Notarin fordert uns auf, die Maske zu lüften, als sie unsere Identität feststellen will. So wie die Passkontrolle einen auffordert, die Brille abzunehmen.
Die Maske – erst kurz vor Corona hatte ich einen Artikel gelesen über die Vorliebe der Japaner für Masken. Dort gehören die Hygienemasken schon so zum Alltag, dass sie auch ohne Grund getragen werden. Einigen Menschen zufolge haben sie beruhigende Funktion. Mal sehen, ob wir uns auch so an sie gewöhnen. Bisher stört mich, dass man sehr schnell schwitzt und das kann bei den Sommertemperaturen nur schlimmer werden. Auch meine Sonnenbrille beschlägt. Aber heute Vormittag habe ich schon ein wenig den Vorteil einer Maske entdeckt, beim Zusammentreffen mit fremden Menschen, mit denen man ein Geschäft abwickeln muss. Da tut ein wenig Anonymität schon ganz gut. Wie ein Niquab. Und plötzlich gilt das Argument gegen Gesichtsbedeckung bei arabischen Frauen, als Kommunikationsbarriere nicht mehr. Nun sind wir alle zu Niquab-TrägerInnen geworden. Gleichzeitig erinnert uns das Tragen der Maske daran, dass wir uns in unsicheren Zeiten befinden, denn mit dem Virus ist nicht zu spaßen.
Gestern Nereas Beitrag zum Tagebuch
NEREA
Día 01 previo a la fase 0 —02/05/2020— ANUNCIO DECATHLON
“08:12. Me levanto mucho más tarde de lo habitual. Aun así, sigo con mi rutina: me preparo el té, el yogur con fruta y frutos secos y salgo a disfrutarlo en el balcón. Mirada perdida. ¡Qué diferente se ve hoy! Hay mucha gente en las calles y me resulta extraño… Creo que me había acostumbrado a verlas prácticamente vacías. Sigo desayunando. Con cada cucharada, incrementan mis ganas de unirme a ellos. No tenía intención de bajar a caminar hoy, porque esta noche voy a trabajar y ya iré caminando, no quería abusar. Pero no puedo resistirlo. Acabo de desayunar, me visto y bajo a la calle.” (Ich stehe etwas später, als gewohnt auf. Trotzdem mache ich mit meiner Routine weiter: ich mach mir einen Tee, Joghurt mit Obst und Nüssen und gehe auf den Balkon, um es zu genießen. Verlorener Blick. Wie anders sieht heute alles aus! Viele Leute auf den Straßen, das erscheint mir seltsam… Ich glaube, ich hatte mich daran gewöhnt, sie praktisch leer zu sehen. Ich frühstücke weiter. Mit jedem Löffel habe ich mehr Lust, mich ihnen anzuschließen. Ich hatte nicht vor heute auf die Straße zu gehen, weil ich diese Nacht arbeiten werde und dann eh auf die Straße muss und ich nicht mehr als nötig rausgehen wollte. Aber jetzt kann ich mich nicht zurückhalten. Ich beende mein Frühstück, ziehe mich an und gehe auf die Straße.)
Auch sie empfindet das Sich-Füllen der Straßen als etwas Besonderes. Und sie stellt fest, dass einige sich an die Maßnahmen halten, andere nicht. Sie beobachtet die Vorübergehenden, die ihr alle glücklich erscheinen und sie kann nicht anders, als zu glauben, dass sie in einer Werbung von Decathlon spazieren geht, fast alle tragen die Hausmarken Kalenji oder Domyos.
“Hoy la gente me sonríe. Bueno, en realidad, me devuelven la sonrisa. Aparentemente todo el mundo está feliz. Empezamos a sentirnos un poco más cerca de la nueva normalidad. Me atrevería a decir que empezamos a sentirnos algo más libres. Eso me alegra y, a la vez, me preocupa. ¿Derivará esto en un relajamiento del cumplimiento de las medidas preventivas? Solo con lo que estoy viendo hoy, podría afirmarlo en un 95%. Esta falsa sensación de seguridad que nos ha invadido, ahora que las cosas van poco a poco mejorando, ¿tendrá como consecuencia un incremento de nuevos contagios? Esperemos que no, pero no lo tengo del todo claro. Me preocupa que en 15-21 días vuelvan a decir que nos confinan otra vez, por tontos. Por no respetar. Por tener prisa. Hago un esfuerzo por apartar todos estos pensamientos de mi mente. El sol guía mi camino: decido que voy a pasear por las calles en que más dé el sol. Como si fuera una planta.“ (Heute lächeln die Menschen mich an. Naja, eigentlich lächeln sie zurück… Wir beginnen uns, etwas freier zu fühlen. Das freut mich und macht mir Sorgen. Wird dies zu einer Lockerung der Einhaltung der Präventivmaßnahmen führen? Allein mit dem, was ich heute sehe, könnte ich sagen: 95%. Wird dieses falsche Gefühl der Sicherheit, das jetzt eingetreten ist, da sich die Dinge allmählich bessern, zu einer Zunahme der Neuinfektionen führen? Hoffen wir es nicht, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Ich mache mir Sorgen, dass sie in 15-21 Tagen sagen werden, dass wir wieder eingesperrt werden, aus Dummheit. Weil wir uns nicht daran halten. Weil wir es zu eilig haben. Ich bemühe mich, mir all diese Gedanken aus dem Kopf zu schlagen. Die Sonne weist mir den Weg: Ich entscheide mich dafür, dass ich den Straßen folge, wo am meisten die Sonne scheint. Als ob ich eine Pflanze wäre.
Und tatsächlich lese ich zu meiner Trauer aber gleichzeitigen Beruhigung, dass die Generalitat von Katalonien schon mal ausschließt, dass Barcelona bereits am nächsten Montag in die Phase 1 eintreten kann. Sie wird sich an den epidemiologischen und sozialen Indikatoren orientieren. https://www.elperiodico.com/es/sociedad/20200506/generalitat-decide-fase-1-desescalada-coronavirus-barcelona-7952500
„Según ha explicado Joan Guix, secretario de Salut Pública, la situación de cada región sanitaria se ha evaluado en una escala del 0 a más de 100, siendo este último valor el que refleja el riesgo más alto de presentar una nueva ola de contagios. Esta medida asigna al Alt Pirineu una puntuación de 8, las Terres de l’Ebre de 18 y Tarragona de 21, que dejaría a estos territorios en riesgo bajo de rebrote. La ciudad de Barcelona, por el contrario, sumaría 91 puntos, por lo que se situaría en la franja de riesgo moderado alto.” (Laut Joan Guix, Gesundheitsministerin, wurde die Situation in jeder sanitären Region auf einer Skala von 0 bis über 100 bewertet, wobei der letztgenannte Wert das höchste Risiko für eine neue Infektionswelle widerspiegelt. Diese Maßnahme weist Alt Pirineu eine Punktzahl von 8, Terres de l’Ebre 18 und Tarragona 21 zu, womit diese Gebiete einem geringen Risiko eines erneuten Ausbruchs ausgesetzt wären. Die Stadt Barcelona hingegen würde 91 Punkte addieren und läge damit im moderat-hohen Risikobereich.)
Da heißt es, dass sich die Situation jeder Region nach einer Skala von 0 bis 100 bemisst. Barcelona kommt auf 91 von 100 Punkten und befindet sich in einer mäßig hohen Risikostufe. Leider werden die Hintergründe und Kriterien dieser Bewertung nicht erläutert.
Nerea:
„Minutos antes de las 10 h. De vuelta a casa paso por delante de dos supermercados. Hay mucha cola. ¡Qué raro! —nótese la ironía—. Rectifico lo que decía unas líneas más arriba. No todo el mundo está contento y feliz. La gente que hace cola no sonríe. No me devuelven la sonrisa. Pienso que, quizá, es mejor que a ellos no les sonría ya que podría interpretarse como una burla o qué sé yo.” (Minuten vor 10 Uhr. Auf dem Heimweg komme ich an zwei Supermärkten vorbei. Die Schlange ist lang. Wie seltsam! – Welch Ironie. Ich korrigiere das, was ich ein paar Zeilen weiter oben gesagt habe. Nicht alle sind glücklich und zufrieden. Menschen in der Schlange lächeln nicht. Sie lächeln nicht zurück. Ich denke, vielleicht ist es besser, wenn ich sie nicht anlächle, denn das könnten sie als Spott oder als sonst noch was verstehen.)
Später vor dem Supermarkt in der Schlange lächeln die Leute nicht mehr.
„Llego a casa llena de energía. Me resulta muy curioso observar mis emociones. Creo que estoy tan feliz como si fuera realmente la primera vez que salgo a la calle en los 50 días de confinamiento que llevamos ya. Pero no es así, yo he sido de las afortunadas que salía para trabajar y, además, podía ir caminando. Hoy se siente diferente. Libertad de poder caminar sin tener que justificarme.” (Ich komme voller Energie nach Hause. Ich werde mir meiner seltsamen Emotionen bewusst. Ich glaube, ich bin so glücklich, als wäre es wirklich das erste Mal in den 50 Tagen der Ausgangssperre, dass ich auf der Straße war. Aber so ist es nicht, ich gehörte zu den Glücklichen, die zur Arbeit rauskamen und rumlaufen konnten. Heute fühlt es sich anders an. Die Freiheit, herumlaufen zu können, ohne mich rechtfertigen zu müssen.)
Nerea fühlt sich so glücklich, nicht weil sie das erste Mal raus darf, sondern weil sie sich frei bewegen kann, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Und ohne die Angst zu haben, kontrolliert zu werden!
Genauso ist es! Und das ist wohl der Unterschied zwischen einem Überwachungsstaat und einer freien Demokratie. Es wird ja jetzt schon laut über die Gefahren der Tracking-Apps nachgedacht – einerseits würden sie uns mehr Freiheit gewähren, andererseits sind der Überwachung Tür und Tor geöffnet. Und auf FB machen größere „Influencers“ dieses Nachdenken mundtot, weil es ja schließlich um die Rettung von Leben geht. Überhaupt scheint mir der Ton und die Debatten auf FB in den letzten Tagen ziemlich unentspannt und gereizt.
07.05.20 Donnerstag
Auf meinem Spaziergang auf der Strandpromenade wimmelt es von Eltern mit Kindern. Sie spielen Ball, sie sitzen am Strand, alles, was eigentlich nicht erlaubt ist, was man aber einfach nicht verbieten kann und was zum Teil auch widersinnig erscheint. Dementsprechend werden sie auch nicht gerügt. Etwas störend empfinde ich die spanische Art, den Weg zu versperren und es nicht zu bemerken. Das war natürlich auch schon vor COVID-19 so. Sie bleiben mitten auf dem Weg stehen, zu zweit, zu dritt, fangen an sich zu unterhalten und blockieren dabei die Straße und kommen gar nicht auf die Idee, Platz zu machen. Das ist aber unter COVID-19 ein Problem, weil man so die Abstände nicht einhalten kann.
Die Kinder werden den Frühling 2020 sicher in Erinnerung behalten als das Jahr, an dem ihre Väter mit ihnen gespielt haben.
Abends treffen wir uns in einem Park von Pinien, im Poble Sec von Sitges, also oberhalb der Bahnlinie. Es ist Marisas Geburtstag und wir haben einen Kuchen und eine Kerze mitgebracht und sie etwas Rum, um mit Abstand zu feiern. Das Ganze wird zu einer absurden Veranstaltung. Wir breiten alles auf einer Tischtennisplatte aus, immer mit der Angst, die Polizei könnte vorbeikommen und Marisa hat Sorge, es könnten sich Viren auf der Platte befinden. Sie ist furchtbar schmutzig und sie versucht sie mit dem Alkoholgel zu reinigen. Es ist nicht erlaubt im Freien zu Essen und man darf auch nur mit den Personen zusammen gehen – nicht stehen – mit denen man in einem Haushalt lebt. Weiter hinten im Park treffen sich die Hundebesitzer, die kein Problem haben, sich zu treffen, auch wenn sie mehr als 5 sind.
Es kommt keine Polizei und wir begleiten noch Blanca auf ihrem Weg nach Vallpineda, einer Wohnsiedlung am Berg, ganz in der Nähe, wo wir unseren Garten haben. Am Wochenende will ich ihn vom Unkrautbewuchs befreien.
08.05.20 Freitag
Ich entdecke den Blog von
Carlos Prieto in El Confidencial https://blogs.elconfidencial.com/espana/diario-de-la-pandemia/ Er schreibt über die Pandemie und alle seine Einträge beginnen mit „Ich bin … – und Sie sind es nicht“ Am 08/05/2020 05:00 schreibt er:
„Yo soy la nueva normalidad, y usted no lo es. Lo dice Pedro Sánchez: las fases de la desescalada nos llevarán a „la nueva normalidad“. Vale. ¿Y eso qué es exactamente? ¿Qué nos encontraremos cuando lleguemos a Nueva Normalilandia? Cositas raras. Muy raras.“ (Ich bin die “neue Normalität” – und Sie sind es nicht. Das sagt Pedro Sánchez: Die Phasen der Deeskalation werden uns zur “neuen Normalität” führen. Okay. Und was erwartet uns, wenn wir nach Neu Normiland kommen? Komische Dinge, sehr komische.)
Así será la nueva normalidad (So wird die neue Normalität aussehen)
La nueva normalidad es tener que estudiar una ingeniería para entender las fases de la desescalada. (Die neue Normalität bedeutet, einen Ingenieurstudiengang zu belegen, um die Phasen der Deeskalierung zu verstehen.)
La nueva normalidad es que hay más ‚runners‘ que españoles en España. (Die neue Normalität ist, dass es mehr Jogger, als Spanier in Spanien gibt…)
Die “neue Normalität” beschreibt Prieto als Ansammlung von Frivolitäten: Sie besteht darin, die Kinder zuhause zu unterrichten. Die neue Normalität ist, dass die Kinder Latein-, Violin- und Ponyreitunterricht vom französischen Privatlehrer namens Jean-Marie Roland de la Platière erhalten. Die neue Normalität besteht darin, dass Eltern, die sich keinen Französischlehrer leisten können, … eine Schrotflinte nehmen und aus dem Fenster schießen.
Die neue Normalität sind demonstrierende Gringos, die den Hausarrest brechen wollen… um wieder Golf zu spielen (kein Scherz).
Die neue Normalität sind Influencers, die Covid-19-Tests in sozialen Netzwerken verkaufen (auch das ist kein Scherz). Jeden Tag wird ein Influencer eine Herztransplantation auf Instagram durchführen. Leichtfertigkeit ist sehr teuer geworden.
Ein bisschen übertrieben aber – wie auch in den meisten seiner weiteren Blogeinträge – klagt Prieto die Ungerechtigkeit der Klassenunterschiede an, die sich mit der Krise stärker bemerkbar machen. Er rührt an den tief sitzenden Sozialneid, das Gefühl: die anderen haben alles – nur ich nicht, indem er es ihnen klar vor Augen führt: Ich bin der Marqués de Condemor, und Sie sind es nicht.
Mercedes ist verzweifelt, weil sie am 12.5. und am 25.5. Termine in einer privaten Klinik in Barcelona hat und die sie verlegen muss, weil wir am 25.5. den Kaufvertrag unterschreiben müssen. Vor drei Tagen sagte man ihr am Telefon, sie könne die Termine zusammenlegen. Sie würden am nächsten Tag anrufen. Aber keiner ruft an, der AB sagt, sie solle ab Freitag anrufen. Aber wieder nur der AB mit Instruktionen, Wegen COVID verspäten sich die Antworten und dann die Empfehlungen: Mit Mundschutz kommen und nicht vor der bestimmten Urzeit kommen. Außerdem darf man nicht in Begleitung erscheinen. Alles Vorsichtsmaßnahmen, die vernünftig klingen. Nur ist es unmöglich, die Termine zusammenzulegen, weil einfach keiner an den Apparat geht.
Ausgerechnet den Tag, an dem der Gesundheitsminister die Autonomen Comunidades informieren soll, ob sie in die Phase 1 eintreten dürfen, verschlechtern sich die Ansteckungszahlen. Diesen Freitag gibt es mehr positive Fälle, mehr Sterbefälle und mehr Einlieferungen in Krankenhäuser. Es war zu erwarten. Die Ansteckungen steigen von zwischen 700 und 800 Neuansteckungen während des Hausarrests auf 1.095. Die Hälfte der neuen Fälle ereignen sich in Katalonien, danach Madrid. K. hatte schon angekündigt, dass es nicht die neue Phase beantragen wird. Es wird ein großer Anstieg der Einlieferungen auf die Intensivstationen gemeldet: 85, 58 davon in Katalonien. Fernando Simón, der Direktor und Koordinator der Alertas y Emergencias Sanitarias, hat dem keine größere Bedeutung beigemessen und hat die Zahlen als „dentro de las tendencias“ innerhalb der Tendenz verortet. Allerdings wird klar, dass es zwei deutlich unterschiedene Geschwindigkeiten im Voranschreiten der Epidemie gibt: Madrid und Katalonien. Es sind die kommerziellen Zentren.
Simón meint, dass man seit Donnerstag bemerkt, dass die Kinder nach draußen dürfen, seit fast zwei Wochen. Die Entwicklung der nächsten Tage wird zeigen, inwieweit die ersten Maßnahmen zur Lockerung der Quarantäne zu einem Aufschwung der Ausbreitung des Coronavirus geführt haben. Simon hat die Bevölkerung aufgefordert, die Verantwortung für die Einhaltung der Distanzierungs- und Hygienemaßnahmen zu übernehmen: „Wir können nicht zulassen, dass einige wenige Menschen alle bisherigen Anstrengungen zunichtemachen“. https://elpais.com/sociedad/2020-05-08/los-datos-de-la-pandemia-empeoran-a-las-puertas-del-cambio-de-fase.html
09.05.20 Samstag
Heute gehe ich seit Februar zum ersten Mal wieder, hoch in den Gemüsegarten. Das ist eine halbe Stunde zu laufen. Offiziell darf man schon seit drei Wochen wieder rauf und die übrigen Gärten sehen einigermaßen gepflegt aus. Unserer ist heftig mit Unkraut überwuchert. Im Februar hatten wir hier gemeinsam mit Rafael ein Picknick gemacht. Er erkrankte an Corona. Wir wissen nicht den genauen Zeitpunkt aber er liegt immer noch auf der Intensivstation. Die künstliche Beatmung konnte gottseidank abgestellt werden. Er bekam eine Tracheotomie. Die Nachbarn oben im Garten haben seinen vom Unkraut befreit. Hier oben scheint sonst alles normal. Jeder gartelt vor sich hin.
In Madrid gibt es einen Skandal. Die Präsidentin der Comunidad Madrid, Isabel Díaz Ayuso will für Madrid den Übergang in die Phase 1 erzwingen. Wie sie selbst angibt, war sie zu der Auffassung gekommen, dass Madrid bereit sei für die Phase 1, nachdem sie sich mit verschiedenen ökonomischen Sektoren ausgetauscht hatte. https://elpais.com/espana/madrid/2020-05-08/ayuso-un-criterio-medico-siempre-es-mas-precavido-nos-tendriamos-que-quedar-eternamente-en-casa.html .
Am Donnerstag war die Chefin des Gesundheitsamtes Yolanda Fuentes zurückgetreten, weil sie der Ansicht war, dass es nicht empfehlenswert sei, in Madrid die Phase zu wechseln. Der Grund: Madrid hat weder Material noch ausreichend Betten auf den Intensivstationen für einen erneuten Ausbruch der Epidemie. Auch der Gesundheitsminister der Gemeinde Madrid, Enrique Ruiz Escudero, räumt ein, dass die Region das vom Gesundheitsministerium geforderte Verhältnis von Betten pro Einwohner nicht erfüllt. Trotzdem hatte er den offiziellen Antrag ohne die Zustimmung eines Experten oder eines Arztes unterzeichnet.
https://cadenaser00.epimg.net/descargables/2020/05/08/407268dbcbde1a6f675fe2d38229afbc.pdf
Ayuso vermeidet, Erklärungen wegen des Rücktritts von Fuentes anzugeben. Der Sprecher der Partei Más Madrid, Pablo Perpinyá, hat angekündigt Ayuso bei der Staatsanwaltschaft wegen möglicher prevaricación anzuzeigen und der Einflussnahme („…wegen möglichen Vergehens, wegen illegaler Ernennung und Einflussnahme auf den Handel.“)
„Es ist sehr ernst, dass die Direktorin des Gesundheitsamtes zurücktreten muss, weil sie sich weigert, den Plan für den Übergang zu Phase 1 zu unterzeichnen. Das bedeutet, dass Ayuso, weit davon entfernt ist, auf die Experten zu hören und sie entlässt, wenn sie nicht unterschreiben, was sie will,“ sagte Perpinyá auf Twitter. https://www.publico.es/politica/dimite-directora-general-salud-comunidad-madrid-desacuerdo-ayuso.html
Die schrittweise Öffnung wird nach Provinzen und Sanitärgemeinden vorangetrieben. Etwas weiter südlich, in Tarragona beginnt die Phase 1. Aber hier in Barcelona und Umgebung bleiben wir in der Phase 0.
In Sitges wurden innerhalb der letzten 24 Stunden 12 neue Fälle von COVID19 gemeldet. Die Stadt hat nun 159 Infizierte (603 Verdachtsfälle) und Sant Pere de Ribes 188 (533 Verdachtsfälle). Trotz des signifikativen Anstiegs vom Wochenende hat Sitges immer noch weniger Positive gemessen pro 1000 Einwohner: 5,43. Ribes hat 6,12 und insgesamt Katalonien 7,72 oder die Provinz von Barcelona mit 8,76.
Die Fälle von Positiven sind durch Test festgestellt worden und die verdächtigen Fälle sind Personen, die Symptome aufweisen aber keinen Test gemacht haben und von einer Person aus dem Gesundheitswesen als mögliche Fälle klassifiziert wurden. Alles sind Fälle, die von der epidemiologischen Aufsicht gemeldet wurden. Allerdings fehlen weiterhin verlässliche Tests. http://lecodesitges.cat/dotze-casos-nous-a-sitges-en-nomes-24-hores/
11.05.20 Montag
Die spanische Regierung gibt grünes Licht für einen Ingreso Mínimo Vital (IMV), una prestación no contributiva – eine Zahlung, die dazu beitragen soll, die schlimmsten Folgen und Härtefälle, durch den wirtschaftlichen Lockdown hervorgerufen, abzufedern. Sie wird sich wahrscheinlich etwa um 500 Euro herum bewegen. Pablo Iglesias hatte von einem “Ingreso Básico Garantizado” (Bedingungslosem Grundeinkommen) gesprochen: „Se trata de una prestación de suficiencia de ingresos que tendrá una cuantía inicial garantizada por adulto de 600 euros al mes, que se incrementará en función del número de miembros del hogar hasta los 1200 euros.” (Dabei geht es um eine Leistung, die abhängig von der Bedürftigkeit mit einem garantierten Betrag von 600 Euro pro Erwachsener/ Monat, je nach Anzahl der Haushaltsmitglieder auf 1.200 Euro gesteigert wird.) https://www.infolibre.es/noticias/economia/2020/03/24/el_impacto_economico_por_coronavirus_vuelve_poner_sobre_mesa_renta_minima_garantizada_105229_1011.html Diese Hilfen sind vor allem auch für die Arbeiter gedacht, deren Einkommen, die 900 Euro nicht übersteigt. Und davon gibt es in Spanien eine ganze Menge. Insgesamt sind 20% der spanischen Bevölkerung vor extremer Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen.
Der durchschnittliche Lohn im Gesundheitswesen bewegt sich zwischen 1.100 und 1.500 Euro. Es herrscht weitgehende Übereinstimmung, dass man nicht den gleichen Fehler der Krise 2008 wiederholen darf: die Banken mit öffentlichen Geldern zu retten. Seitdem hat sich die spanische Gesellschaft – wie auch andere – weiterhin gepalten und das Kapital hat sich auf weniger Köpfen verteilt.
Sogar der konservative PP und Vizepräsident der Europäischen Zentralbank Luis de Guindos ist der Ansicht, dass die Sozialversicherung für die Grundbedürfnisse der Familien mit niedrigem Einkommen decken muss und diese nicht an eine Gegenleistung des Empfängers gebunden sein soll. Ziel dieser Maßnahme ist schlicht und einfach die Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung, die sich schon diese Tage in den endlosen Schlangen vor den Essensausgaben des Roten Kreuzes und von Nachbarschaftsorganisationen bemerkbar macht.
“En este sentido el ministro de Inclusión, Seguridad Social y Migraciones, José Luis Escrivá, confía en que la prestación eliminará “casi completamente” la pobreza extrema que, según sostiene, sufre un 20% de los hogares españoles. Por su parte, el vicepresidente de Derechos Sociales del Gobierno, Pablo Iglesias, defendía este viernes en un artículo elaborado junto a las ministras de Trabajo de Italia y Portugal la necesidad de crear desde un marco común prestaciones de ingreso mínimo vital para todos los estados miembros de la Unión Europea (UE).” (In diesem Sinne zeigt sich der Minister für Inklusion, soziale Sicherheit und Migration, José Luis Escrivá, zuversichtlich, dass diese Leistung „fast vollständig“ die extreme Armut beseitigen wird, unter der 20% der spanischen Haushalte leiden. In einem gemeinsam mit den Arbeitsministern Italiens und Portugals erarbeiteten Artikel verteidigte der Vizepräsident für soziale Rechte, Pablo Iglesias, die Notwendigkeit, von einem gemeinsamen Rahmen ausgehend, Leistungen des Existenzminimums für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) zu schaffen.)
Die Zahlung soll ab Juni zur Verfügung stehen.
Deutschland öffnet seine Restaurants und Hotels für einen inländischen Tourismus. Das gleiche wird hier in der Phase 1 möglich sein. Das Kriterium für jede Zone ist: in 7 Tagen 50 Ansteckungen/1.000 Einwohner. Das Ganze ist natürlich auf deutsche Verhältnisse und Intensivstationen bezogen und nicht auf die Kapazitäten, die zumindest hier, im Hospital del Mar in Barcelona, sich schon wieder füllen.
Die Einwohnerzahlen der Region Katalonien und ihrer Provinzen gemäß den letzten Volkszählungen und neuesten amtlichen Schätzungen. Die Provinz Barcelona (Zensus 2011) 46.815.916 und 2019 (geschätzt) 47.026.208. Die Region Barcelona laut Zensus 2011 7.519.838 und laut Schätzung 2019 7.675.217 Einwohner (Instituto Nacional de Estadística, Madrid).
Die Zahl der Neuansteckungen liegt am 7.5.20 bei 820 Personen bei abnehmender Tendenz – 14.5.20 bei 503 Personen https://cincodias.elpais.com/cincodias/2020/03/31/economia/1585644054_656831.html In Katalonien sind es, nach deutschen Kriterien, 3782 Infektionen in einer Woche. In der letzten Woche waren es 2875. In Madrid 1483, während das Limit bei 3320 liegen würde.
Estreno en EL PAÍS | ‘Madrid, interior’, una película de Juan Cavestany
https://elpais.com/especiales/2020/madrid-interior/
https://elpais.com/sociedad/2020/05/07/actualidad/1588852756_386639.html
12.05.20 Dienstag
Alle Welt, also Europa besser gesagt, ist mit Lockerung beschäftigt. Hier sind verschiedene Phasen eingerichtet worden, die nach bestimmten Kriterien (Grad der Übertragung, die Bewertung des Schweregrades und die Erkennungs- und Reaktionsfähigkeit der Gesundheitssysteme der Autonomen Gemeinschaften angesichts der Covid-19-Coronavirus-Epidemie.) https://www.redaccionmedica.com/contenido/images/CUADRO%20DE%20CRITERIOS.pdf.pdf
14.05.20 Donnerstag
Heute regnete es wieder. Es ist seltsam, wie das Wetter meine Laune und meinen Zustand bestimmt. Ich bin traurig, habe Angst, dass ich keine Aufträge akquirieren kann, dass sich überhaupt hier alles noch hinzieht mit dem Umzug. Der Besitzer und Verkäufer der neuen Wohnung kommt irgendwie nicht so richtig in die Puschen. Wir wissen aber nicht warum. Ich kann immer besser mit der Wahrheit leben, als mit „mentiras piedosas“, den frommen Lügen, die man hier bevorzugt, die einem letztendlich das Leben viel schwerer machen, weil man sich nicht auf das einstellen kann, was wirklich Sache ist, weil es verheimlicht wird bis zum Schluss. Wir wissen also nicht, warum A. den Verkauf hinauszögert. Zuerst meinte er, seine Frau sei Risikoperson und deshalb wollten sie die Unterschrift bis zum 25.05. heraus zögern. Auf alle Angebote und Möglichkeiten, ihre Präsenz zu umgehen, hat er gar nicht reagiert.
Die politische Situation spitzt sich hier zu. Die Leute sind es leid, eingesperrt zu sein und die Koalition, zur Verlängerung des Ausnahmezustands, wird immer dünner. Gestern kam es über die Balkone zu einer absurden Gesprächsrunde, die vielleicht typisch ist, für die katalanische Situation. Der Nachbar, der immer die Musik auflegt, meint, ab Sonntag sei Schluss damit. Irgendwann müsse mal Schluss sein. Er gehört anscheinend zu denen, die es eilig haben, aus der Quarantäne raus zu kommen, denn Sitges lebt vom Tourismus. Er beginnt in der Kürze der Zeit alle möglichen Dinge zusammen zu mengen: den letzten Skandal um Isabel Diáz Ayuso. Nachdem Drama in den Madrider Altenheimen, denen sie die Hilfe verweigert hat, über die „Party“ zur Schließung des Ifema-Krankenhauses, die allen Sicherheitsvorschriften zuwider lief (https://www.eldiario.es/madrid/Ayuso-Almeida-oficializan-Ifema-aglomeraciones_0_1022598057.html) bis zu den Zuschüssen auf Telepizza oder auf ihrem Beharren auf dem Übergang Madrids zur Phase 1 und dem damit verbundenen Rücktritt ihrer Gesundheitsbeauftragten, geht die aktuelle Kontroverse um das Luxus-Aparthotel, in dem sie seit Wochen wohnt und das zunächst von einem Freund und dem Hotelbesitzer bezahlt wurde. Dies wirft den Schatten der Korruption über ihre Partei PP.
Aber, um es kurz zu machen: Der Name Ayuso, steht hier für manche einfach für Madrid und die Zentralregierung, gegen die man natürlich protestiert. Dass Madrid von der rechten PP geführt wird und Ayuso ein Schützling des Expräsidenten Aznar ist, wird hier zumeist vernachlässigt. Es reicht schon Madrid & Ayuso zu sagen und alle regen sich über die Regierung auf – die ja letztendlich mit der von der PP geführten Comunidad nichts zu tun hat.
Ich konnte es mir nicht mit anhören und habe mich lieber nach drinnen verzogen. Aber es macht mir etwas aus, denn mit der Corona-Krise habe ich auch meine Nachbarn etwas besser kennen gelernt. Es ist ein wenig so, wie in der alten Sowjetunion: sogar wenn es regnet, machte man die Regierung (im Scherz – oder im Ernst) dafür verantwortlich. Hier ist es ähnlich. Differenzierung auf beiden Seiten ausgeschlossen. Natürlich auch bei den Gegnern der Unabhängigkeitsbewegung. Keine Möglichkeit zu hinterfragen, warum Amnesty International die beiden Jordis (Jordi Cuixart and Jordi Sànchez) unterstützt. Neun Jahre Gefängnisstrafen für die beiden Aktivisten – das ist nicht nur nach Amnesty International – mit den Menschenrechten nicht zu vereinbaren.
Ich telefoniere mit Salvador, der für Psychologen ohne Grenzen arbeitet. Seiner Meinung nach ist die Situation verheerend. Er betreut unterschiedliche Fälle: ein Paar, das sich getrennt hat, aber er kann nicht ausziehen und sie müssen es aushalten. Auch Fälle von häuslicher Gewalt aus der es nun kein Entfliehen gibt oder es zumindest noch schwerer zu ertragen wird. Verzweifelte Menschen, die Halt suchen und zu wenige Psychologen, die ihnen helfen können.
Auch ist er weiterhin im Projekt von Nicaragua, Biwi engagiert. Hier wird geleugnet, dass es eine Gesundheitskrise gibt und die Menschen müssen sich selbst schützen, so gut, wie sie können. Das Zentrum für Saldud Mental konnte im November nicht mehr eröffnet werden und ist in Warteposition.
Abends die Zoom-Konferenz mit Giò-Talk, der das kollektive Unterbewusste und die Archetypen (die kollektiven Reaktionen auf die Pandemie in Verbindung bringt. Angst und die Hoffnung auf Erlösung – der in der archetypischen Form des Retters erwartet wird. Ich bin etwas irritiert über die Verbindung, die er zur Corona-Krise zieht. Aber ja, Angst ist natürlich eine Grund-Emotion, die sich unterschiedlich kanalisiert. Doch wie sagte Hans Blumenberg so schön: „Denn zweifellos ist es eine der elementaren und bewährten Methoden, in der Finsternis nicht nur zu zittern, sondern auch zu singen.“ Und er ist auch der Meinung, dass „die Idee der kollektiven Erfindung von Mythen […] eine individuelle Erfindung der Romantiker“ ist. Giò findet, dass es um Energie geht, die eine Zelle in sich trägt und die in Geschichten typologisch sichtbar wird. Nun ja.
15.05.20 Freitag
Ich warte auf den Anruf von der Vereinigung der RiffReporter. Aber der hat einen Covid-Overkill und keine Zeit für Gespräche und Neuaufnahmen.
Heute verkünden unsere Nachbarn, dass am Sonntag zum letzten Mal geklatscht und applaudiert wird. Sitges macht sich für den lokalen Tourismus bereit. Es ist eine Geschäftigkeit wahrzunehmen und auf der Straße wird wieder laut geredet, man kehrt zur „neuen Realität“ zurück. Passend spielen sie wieder „The show must go on“ von Queen. Es muss ja weitergehen. Und die Vorbereitungen für das Ende der Phase 0 sind deutlich spürbar und hörbar.
16.05.20 Samstag
Lange ausschlafen und Putzen.
Rafael, unser Freund aus dem Gemeinschafts-Garten, ist aus der Intensivstation entlassen – sozusagen auferstanden. Er war im künstlichen Koma und künstlich beatmet. Es geht ihm recht gut. Er hatte seine Frau ins Krankenhaus begleitet und sich vermutlich im Wartezimmer angesteckt. Das war Ende Februar. Er sagt Silvia, sie hätte ihn aus dem Sarg geholt. Er habe geträumt aber sie habe er sehr deutlich gesehen. Tatsächlich haben wir uns jeden Abend um 21h verabredet und an ihn gedacht und ihm Energie geschickt, ohne zu wissen, ob es etwas helfen würde. Wir hatten ihm aber nichts davon erzählt. Es war er, der sagte, Silvia habe ihn aus dem Grab geholt.
Ich habe mal wieder ein Problem mit dem Abrufen meiner Mails über mein veraltetes Mailprogramm und beschließe ein neues zu kaufen, womit ein anderes Problem auftritt, nämlich, dass ich auf Windows 10 aufrüsten muss. Der Spaß kostet mich den ganzen Tag mit Hilfe eines Computerspezialisten… Draußen ist es nass und kalt. Ich gehe kurz mit Nalú raus.
Während des Applaus´ verkündet eine Nachbarin, dass wir in der Phase 1 sind! Alle jubeln. Es geht voran. Während der letzten Tage war schon eine erhöhte Bewegung auf den Balkonen sichtbar. Die Nachbarin von nebenan winkte plötzlich von gegenüber oder die Holländer von unten sind auf einem der Balkone zu sehen. Die Regeln werden schon seit Tagen munter unterlaufen.
17.05.20 Sonntag
Der Kampf gegen die neue Technik geht weiter und beschäftigt mich den ganzen Tag.
Und immer hörbarer werden die Proteste aus dem Madrider Viertel Salamanca, das berühmt-berüchtigt für seine reichen Anwohner ist, die in der Mehrzahl dem rechten politischen Spektrum angehören. Seit dem 10.05.2020 und während der Pandemie demonstrieren sie lautstark mit „caceroladas“ – indem sie auf Töpfe und Pfannen schlagen. Im reichsten Viertel Madrids, in dem die drei rechten Parteien: PP, Vox und Ciudadanos 90% der Wählerstimmen vereinen konnten, regt sich der Widerstand.
Proteste: Auch die Reichen weinen. Die Proteste der „pijos“ (Vornehme, Schickeria)
Umfragen zum politischen Spektrum zeigen einen leichten Rückgang der Stimmen von Unidas Podemos bei der Linken und einen Rückgang auch bei der Ultra-Rechten VOX, gleichzeitig kann Ciudadanos (Rechtsliberale) unter Inés Arrimadas aufholen. Insgesamt erreicht das linke Spektrum momentan 42,6%, während die Rechten PP, Ciudadanos und Vox 42,1% erreichen. Das Land ist gespalten.
Die Umfrage des CIS (Centro de investigaciones sociológicas) zeigen, dass die Mehrzahl der Bürger wenig oder kein Vertrauen in die Politik der Regierung haben 48,4% – auf der anderen Seite haben 46% viel oder einiges Vertrauen. 10,8% haben „viel” Vertrauen, 35,2% haben „ziemlich viel” während 28,6% „wenig” und 19,8% „gar kein” Vertrauen haben.
Ich fürchte, das ist auch (nicht nur) ein Ergebnis der vielen „bulos“ und Falschmeldungen, die so kursieren und die hier die wenigsten so richtig hinterfragen.
18.05.20 Montag
Barcelona ist noch nicht in der Phase 1, aber Sitges schon! Und das merkt man. Am paseo geht jetzt alles durcheinander. Denn obgleich die gleichen Zeitfenster gelten für Eltern mit Kindern und für ältere Menschen, gibt es nun zusätzlich die Möglichkeit, einen Kaffee oder ein Bierchen auf einer der Terrassen zu trinken. Das „Chiringuito“ am Strand von Sitges ist gleich voll, die espigones, also die Molen, die ins Meer ragen auch. Dort treffen sich die Jugendlichen und von einem Abstand ist hier nichts zu sehen.
18.05.20 Montag
Barcelona ist noch nicht in der Phase 1, aber Sitges schon! Und das merkt man. Am paseo geht jetzt alles durcheinander. Denn obgleich die gleichen Zeitfenster gelten für Eltern mit Kindern und für ältere Menschen, gibt es nun zusätzlich die Möglichkeit, einen Kaffee oder ein Bierchen auf einer der Terrassen zu trinken. Das „Chiringuito“ am Strand von Sitges ist gleich voll, die espigones, also die Molen, die ins Meer ragen auch. Dort treffen sich die Jugendlichen und von einem Abstand ist hier nichts zu sehen.
Die Proteste der Rechten dauern an. Sie fordern Freiheit! Und der politische Ton wird härter je weiter die Aufhebung der Quarantäne voranschreitet.
Madrid ist in der Phase 0,5 – die Konservativen haben so viel Druck gemacht, dass man sich eine Zwischenlösung hat einfallen lassen.
In unserer TTT (Trauma Tapping Technique) Gruppe, die sich über Skype jeden Tag um 12h trifft, berichtet Maisu, dass sie gestern beinahe in eine der Proteste mit Kochtöpfen und Pfannen geraten ist und es ihr richtig Angst gemacht hat, die aggressive Stimmung und natürlich auch das unverantwortliche Verhalten der Demonstranten, die keinen Abstand einhalten.
Nach der Bedrohung durch das Virus tobt jetzt der Wahnsinn in Madrid.
Juan Antonio (Ethnologe, Madrid) fragt auf FB: Die PP Madrid ist empört und fordert von der Regierung Transparenz und droht vor Gericht zu gehen. Befinden wir uns in einem dystopischen Alptraum?
„Rote, Schwuchteln und jüdische Hunde“ – so lauten die Beleidigungen der „Cayetanos“ (Anhänger von Cayetana Álvarez de Toledo y Peralta-Ramos, 13. Marquise von Casa Fuerte, ist eine spanische Journalistin, Historikerin und Politikerin – Abgeordnete im Kongress für PP) für diejenigen, sie daran erinnern, den Sicherheitsabstand einzuhalten.
Auf FB wird auch ein Video der Proteste veröffentlicht www.facebook.com/100000024336310/videos/3286495131361266/ auf dem die reichen Protestler zu sehen sind, wie sie an einer armen Frau vorbeiziehen, die im Müll nach Essbarem sucht.
Dazu bemerkt Marcier G.: Beides ist heute Realität. Das Überleben – und die Unzufriedenheit. Beide existieren nebeneinander und sind gleichermaßen wichtig. Die Realität der Armut ist immer häufiger anzutreffen in einer Stadt, wie Madrid. Bis zum heutigen Zeitpunkt beschränken sich die Verteilung von Lebensmitteln auf private Initiativen und auf die Caritas, die seit Beginn der Pandemie hilft. Maricier meint, dass die ganzen Versprechen und das Zusammenhalten in den kritischen Zeiten der Pandemie jetzt verwässert werden durch die Notlage der ökonomischen Krise, die bereits da ist. Solidarität ist jetzt sehr wichtig – egal woher sie kommt. In Spanien gibt es immer mehr Menschen, die nicht genug zu essen haben und dieses Grundrecht muss jede Regierung – egal welcher Couleur- einhalten.
19.05.20 Dienstag
Auch in „El Intermedio“, dem Programm von El Gran Wyoming bringt Andrea Ropero ein wichtiges Interview mit Ana del Rincón, von der Nachbarschaftshilfe des Viertels Aluche, einem prekären Viertel Madrids.
Ana berichtet, dass die versprochene staatliche Hilfe noch nicht angekommen ist und sich die Nachbarschaft selbst organisiert. Letztes Wochenende verteilten sie 697 Taschen mit Lebensmitteln. Sie klagt, dass die Behörden nicht auf die Notlage der Menschen reagieren, denn hier handelt es sich nicht um eine Konsumkrise, sondern um eine Hungerkrise. Trotz der dramatischen Situation hat sich niemand aus dem Bürgermeisteramt von Madrid mit ihnen in Verbindung gesetzt. Die Nachbarschaftshilfe wollte eine Turnhalle einer nahe gelegenen Schule für die Essenslieferungen haben. Das wurde ihnen verweigert mit der Begründung, dass dort Theaterstücke aufgeführt werden sollten. Die grausame Überheblichkeit der PP, der spanischen Rechten.
„Nos enfrentamos a un problema muy serio. Hay una realidad social que habrá que cubrir. ¿Qué hará la gente cuando salga a la calle sin trabajo ni recursos? Nos vamos a encontrar con un mundo desconocido y la responsabilidad es de nuestros políticos” (Wir stehen vor einem sehr ernsten Problem. Die soziale Realität muss abgedeckt werden. Was werden die Menschen tun, wenn sie ohne Arbeit und finanzielle Mittel auf der Straße stehen? Wir werden mit einer noch unbekannten Welt zu tun haben und die Verantwortung liegt bei unseren Politikern, sagt Ana del Rincón.)
Das Thema der ausbleibenden Unterstützungen bei wachsender Notlage seitens der Regierung höre ich auch aus meinem nächsten Freundeskreis.
Was man auf der Seite der Generalitat de Catalunya liest, sieht zunächst einmal sehr gut aus: die Maßnahmen, mit denen man der Krise beikommen will: https://web.gencat.cat/ca/coronavirus/ajuts-per-palliar-la-crisi/. Da findet man Nachlässe in der Stromrechnung und beim Wasser und auch ein Moratorium für Telefon- und Internetdienste, die während des Ausnahmezustands nicht abgeschaltet werde dürfen. Es gibt Hilfen für Künstler von etwa 776 Euro während 6 Monaten, Unterstützung für Hausangestellte (Monatliche finanzielle Unterstützung für Hausangestellte, deren Arbeitszeit verkürzt wurde oder die keine Dienstleistungen mehr in einem der Häuser, in denen sie arbeiten, oder in allen von ihnen erbringen), Unterstützungen für Arbeitslose, die Personen, die von einem ERTO (Temporary Employment Regulation) betroffen sind – sie müssen sich nicht für die Arbeitslosigkeit registrieren lassen. Es gibt auch eine einmalige Zahlung von 430 Euro für Arbeitnehmer, deren befristeter Vertrag während des Alarmzustands beendet wurde. Anpassung und / oder Verkürzung der Arbeitszeit für die Pflege für Menschen, die sich um ein Familienmitglied kümmern müssen. Und es werden eine ganze Menge Hilfen für die Wohnsituation angeboten. Eine Unterstützung zur Mietzahlung, Vertagung der Mieten in öffentlichen Gebäuden, Microkredite, etc. und last but not least Unterstützungen für die Freien und die Unternehmer.
Das macht einen guten Eindruck. Doch die Praxis ist anders. S. hat versucht, Unterstützung zu ihrer Miete zu beantragen. Es stellte sich als echte Odyssee heraus. Sie arbeitet für eine Stiftung für Schwerbehinderte in Sitges und verdient zwischen 700 und 800 Euro netto (14 Zahlungen), was auf einen Stundenlohn von etwa 6 Euro hinausläuft, weil sie die Wochenenden und ein paar Wochentage arbeitet. Ein Normallohn in diesem Sektor liegt bei 1.200 Euro netto monatlich und das, weil sie Educación, also dem Bildungssektor, untergeordnet sind. Im Gesundheitswesen zahlt man noch weniger. Fertig ausgebildete Ärzte verdienen nicht viel mehr. Ihre Basisbezahlung liegt bei 1000 Euros, dazu kommen dann die Nachtwachen und Schichten, die aber wegen COVID-19 weggefallen sind. Stattdessen hat man ihnen begrenzte Verträge angeboten.
Weil S. zu dem Personenkreis mit hohem Risiko gehört und eine Kollegin mit starken Covid-Symptomen zur Arbeit erschien, meldet sie sich krank. Zunächst hieß es, dass diejenigen, die wegen Covid-19 freigestellt würden, 100% Lohnausgleich bekämen, denn COVID würde wie ein Arbeitsunfall behandelt. Das wurde aber tatsächlich nicht so gehandhabt. Man leitete sie an eine Rückversicherung weiter und sie wurde über die Sozialversicherung freigestellt, was bedeutet, dass sie 4 Tage gar nicht bezahlt wurde, danach wird der Lohn während eines Monats bis zum Maximum von 75% gesteigert.
S. verbringt zwei Tage und eine Nacht bis 3 Uhr morgens damit zu, den Antrag zu stellen. Entgegen der Ankündigung ist dies ist ausschließlich übers Internet möglich.
S. findet das recht surrealistisch, denn die Mehrzahl, die diese Hilfen in Anspruch nehmen müssen, sind zumeist älter und nicht so gewandt im Internet. In der OAC (Oficina d´Atenció Ciutadana) – genauer gesagt in der Oficina de información al Consumidor de Sitges weigert man sich, den Leuten persönlich weiterzuhelfen und S. wird roh per Telefon abgefertigt und – aufgrund ihres lateinamerikanischen Akzents – unfreundlich behandelt und gefragt, ob sie überhaupt gemeldet sei.
Auch muss man sagen, dass die offiziellen spanischen Internet-Seiten, durch die ich mich bisher kämpfen musste – begonnen beim Katalanisch lernen bis hin zur Beantragung eines NIE (Ausländeridentitätsnummer) – reine Zeitvernichtungsmaschinen sind. Über meine Versuche, den NIE zu verlängern könnte ich einen Roman schreiben, denn man bekommt in letzter Zeit keine Termine mehr, die werden nämlich unter der Hand verkauft. Und wenn man sich auf spanische Art einen erkämpft hat – nämlich indem man einfach hingeht und darauf besteht, dann heißt es, die Verlängerung würde nur ausgestellt, wenn eine offizielle Stelle diesen NIE einfordern würde. Naja, aber das Jammern über die bürokratische und vermutlich auch korrupte spanische Bürokratie gehört jetzt nicht hier her.
Die Spanier selbst reagieren auf ihre eigen Art auf die verschlungenen Wege der Bürokratie: Selbsthilfe in den Vierteln – denn sie sind sehr solidarisch – und Mieten für Lokale werden einfach nicht gezahlt. So vermindern sie das Gefühl der Machtlosigkeit, das einen hier im Umgang mit den Behörden beschleicht.
Nach ihrer Odyssee des Antrags auf Mietzuschuss meint S., es scheine ihr mehr eine politische Propaganda, mehr als eine schnelle, unbürokratische Hilfe zu sein. Die Mehrzahl der Menschen, die es brauchen, haben nicht die Medien und Kenntnisse, die Hilfe zu beantragen, weil es sehr kompliziert ist. Sie versteht auch, dass es mit der außergewöhnlichen Situation zu tun hat, aber ihre persönliche Erfahrung ist negativ. Die einzigen, die sie über Mail sehr gut behandelt haben und versuchten, weiterzuhelfen, sind von der Oficina de Habitage, die im Grunde aber für das Thema nicht zuständig sind.
Unglaublich, dass eine Hilfe angeboten wird, während ein Großteil dieser Menschen nicht die Mittel und Kenntnisse haben, an diese Hilfen zu gelangen. Ohne Computer ist ein Antrag auf Unterstützung unmöglich. Mal sehen, ob S. es schafft, diese Hilfe zu erhalten. Es gibt ein paar Einschränkungen, wie z.B. Einkommensuntergrenzen. Die Anleitungen sind konfus und das Formular dient gleichzeitig für die Anträge zur Unterstützungszahlungen von 2019 – das Ganze ist eine Mischung aus zwei Formularen, aber das einzige gültige.
Darüber hinaus treffen viele der versprochenen Hilfen nicht ein. Beispiel ERTEs (Hilfe für die Unternehmen) die Bekannten von S. die in eine zeitlich begrenzte Arbeitslosigkeit fielen, haben das Geld nicht bekommen. Die Bezahlung wird proportional zu den normalen Einkünften berechnet, als wäre es eine ITT, eine Krankschreibung.
Die Verantwortung für die verspäteten Zahlungen oder für deren Ausbleiben liegen zum Teil beim Staat, im Falle der ERTES hängen sie von der Sozialversicherung ab. Daneben gibt es Hilfen von der Generalitat und dann die Mietzuschüsse, die von den Gemeinden bezahlt werden.
20.05.20 Mittwoch
Seit wir in der Phase 1 sind, gibt es hier in Sitges kein Halten mehr. Wer eine Terrasse hat, öffnet sie mit etwas mehr Abstand zwischen den Tischen. Aber die Leute sind so begeistert von der neuen Freiheit, dass sie ohne Mundschutz (klar, weil sonst kann man ja kein Bier oder Kaffee trinken) wieder zusammensitzen können. Was ich beobachten kann, so werden die Abstände nicht eingehalten. Es ist eine unglaubliche Euphorie zu spüren. Im Fernsehen TV3 werden die zwei wichtigsten Unternehmer von Sitges interviewt. Luis Enriquez, der seit nunmehr etwa 8-9 Jahren das Gay-Nachtleben von Sitges kontrolliert, sagt, man habe Angst! Aber natürlich nicht vor dem Virus, sondern davor, dass die Saison gelaufen ist, denn es werden kaum ausländischen Touristen kommen.
Und dann die Diskussion über die Öffnung der Strände. Es soll eine APP geben, mit der man sich ein Zeitfenster für einen Strandabschnitt reservieren kann. Auch die öffentlichen Schwimmbäder werden so funktionieren. Nur was soll mit den kleinen Schwimmbädern geschehen, die hier vor jedem zweiten Häuserblock liegen? Großes Rätselraten.
Wieder fühle ich mich bestätigt darin, dass es hier Regeln braucht und man auf den gesunden Menschenverstand nicht zählen kann. Ich denke, die Schwimmbäder werden uns in den nächsten Tagen noch länger beschäftigen.
Und wieder kann ich nicht so richtig nachvollziehen, warum es jetzt, wo es noch wenige Personen hier am Strand gibt, nicht erlaubt ist, ins Wasser zu gehen und sich die Lust zu Baden unglaublich aufstauen wird und es vermutlich zu einem ähnlichen Dammbruch kommen wird, wie bei jedem Wechsel in eine neue Phase.
22.05.20 Freitag
Einkaufen von Tomaten, Auberginen und Paprika-Stauden in Vilanova. Es ist fast alles ausverkauft. Wir müssen im Auto die Masken tragen. Ich fahre und Silvia sitzt hinten um den maximalen Abstand zu gewährleisten. Mir kommen diese Maßnahmen vollkommen übertrieben vor. Und wieder ist der Zweifel da: war es angemessen, diese 8 Wochen Quarantäne? Hätte man das Virus nicht auch mit etwas mehr Hirn besiegen können? Und was wird in den kommenden Tagen geschehen?
Wir pflanzen die Stecklinge ein. Der Boden ist steinhart und das Unkraut im Garten gewuchert. Eine Hundearbeit, bis die Pflanzen alle gesetzt sind. Außerdem ist es außergewöhnlich heiß.
Erstes Freundestreffen zuhause. Nach 10 Wochen treffen wir uns mal wieder bei uns zuhause. Gleichzeitig ist es als Abschied von dieser Wohnung und unserer schönen Terrasse gedacht. Aber der Kauf der neuen Wohnung verkompliziert sich. Besitzer, ein Ehepaar, das sich nach 36 Jahren trennt, kommt nicht überein, wer wieviel Geld bekommt. Sie ruft Mercedes an und erzählt ihr das ganze Ehedrama. Er sei Alkoholiker (könnte zutreffen) und ein maltratador (Misshandler). Er genießt es, wenn man Angst vor ihm habe, sagt seine Ex-Frau. Wir haben ihn als einen schwerhörigen Typen kennen gelernt, er besitzt selbst ein Immobiliengeschäft und ist mit allen Wassern gewaschen. Alles, was er bisher im Brustton der Überzeugung gesagt hat, war gelogen. Mal sehen, was am Montag passiert. Die Nerven liegen bloß.
Wir nehmen Kontakt zum Verwalter der neuen Wohnung auf. Er bestätigt, dass die Schulden der Vorbesitzer noch nicht beglichen sind.
24.05.20 Sonntag
Endlich kommt die Einigung des zerstrittenen Ehepaars. Die Unterlagen sind leider nicht ganz vollständig. Unser Assessor rät uns je 1000 Euro zurückzuhalten, um etwaige Schulden (Gas, Wasser, Strom und IBI) begleichen zu können.
25.05.20 Montag
Der Verwalter berichtet und zertifiziert, dass nun beide ihren Anteil der Schulden beglichen haben. Sie hatte noch versucht, das Zertifikat zu bekommen, ohne bezahlt zu haben. Endlich wissen wir die Höhe der Schecks. Es müssen drei Schecks ausgestellt werden zwei für die jeweiligen Besitzer und einen für die Bank, um die Hypothek zu canceln. Für den Termin bei der Bank brauchen wir eine Voranmeldung und der Bankangestellte empfängt uns an seinem Arbeitsplatz, wo er mit großer Sorgfalt die Schecks ausstellt und beglaubigt. Das Ganze dauert fast eine Stunde. In der Caixa-Bank arbeiten nur zwei Angestellte. Der Personenverkehr ist auf ein Minimum reduziert, obgleich die BS Banco Sabadell neben dran einen relativ normalen Publikumsverkehr aufrecht erhält. Das Ausstellen der Schecks kostet 60 Euro pro Stück.
Termin beim Notar. Es gibt Aufregung wegen dem Rückbehalt des Geldes und weil Mercedes sich mit dem Verwalter in Kontakt gesetzt hatte. Der Besitzer A. droht, unseren Assessor wegen Datenschutz zu verklagen. Dieser behält die Nerven und wiegelt ab. Wegen Corona sollen nur die Käufer und Verkäufer zum Notar vorgelassen werden. Nun ist es Mercedes, die nicht unterschreiben will, wenn ihr Assessor nicht mit dabei ist. Nach einem kurzen Drama, dürfen dann doch alle rein. Drinnen läuft alles glatt. Nur konnte der Notar aufgrund der Krise und der Zeitnot, die durch das Zurückhalten der Dokumente durch die Vorbesitzer entstand, bestimmte Dinge nicht nachprüfen, ob sie den IBI bezahlt haben oder ihre Strom-, Gas- und Wasserrechnungen.
Der Scheck für die Begleichung der Hypothek ist auf den Namen der Deutschen Bank ausgestellt, was nicht ganz korrekt ist. Wir fahren gemeinsam mit den Vorbesitzern nach V. um dort den Scheck einzulösen. Hier sitzt eine Deutsche namens Heike an der Rezeption aber die zuständige Betreuerin, Miriam ist im Home-Office und hat ihr Handy ausgeschaltet. Man erreicht sie über E-Mail und nach langem Hin- und Her wird der Scheck eingezahlt, muss aber in der Filiale in Barcelona bearbeitet werden und dann über interne Post wieder nach V. geschickt werden, um schließlich in einer Kanzlei von V. die Hypothek endgültig aufzuheben. Wieder befinden wir uns in einem bürokratischen Schnörkel der Zeitvernichtungsmaschine. Immer dieselbe Erfahrung: zuerst wird gesagt: es ist falsch, so geht es nicht, dann wird telefoniert, hin- und her und schließlich findet man eine Lösung, die aber für alle besonders umständlich ist. Natürlich ist dies Umständlichkeit auch der Tatsache geschuldet, dass keiner keinem über den Weg traut. Aus gutem Grund.
26.05.20 Dienstag
Heute hat Mercedes die fällige Abschlagszahlung über die BS veranlasst. Da sie selbst bei der Caixa ist und für jede Überweisung, wenn sie nicht die gleiche Bank betrifft, horrende Überweisungszinsen anfallen, hebt sie das Geld bei der Caixa ab und bringt es zur Banco Sabadell, wo sie in einer langen Schlange steht. Als sie schließlich an der Reihe ist, gerät sie an eine verzweifelte Mutter, die andauernd mit ihrem dreijährigen (!) Kind whatsappt, denn nach dem Homeoffice, wo sie nebenher ihre zwei Kinder betreute (drei und ein Jahr alt), muss sie nun wieder im Publikumsverkehr arbeiten, was aber aufgrund fehlender Kinderbetreuung ein Unding ist. Der dreijährige Sohn ist bei seinem Vater, von dem die junge Frau getrennt ist und braucht ständig seine Mutter.
Viele Mütter und einige Väter befinden sich in einer schwierigen Situation, wegen der fehlenden Kinderbetreuung. Auch die Großeltern fallen in diesem Fall aus, wegen der Gefahr der Ansteckung.
Mittags ruft Nico an. Sie hatten einen Termin in der Klinik, um das Baby zu drehen. Es sitzt aber ziemlich fest und dreht sich nicht. Die beiden sind besorgt. Noa will unbedingt das Kind auf natürlichem Weg zur Welt bringen.
Am Strand darf man spazieren gehen. Weil man auch Sport treiben darf, kommen ein paar Leute mit ihren Stand-up Paddels und ein paar Schwimmer ziehen ihre Bahnen. Hundebesitzer lassen ihre Tiere am Strand laufen, obgleich das verboten ist. Aber die Polizei, die in den letzten Wochen so allgegenwärtig war, ist nicht zu sehen und hält sich zurück. Auch bei den „botellones“, den Treffen der Jugendlichen mit den Alkoholflaschen in der Hand und am Mund, an der Mole, von wo die Marihuana-Schwaden herüberwehen, werden natürlich keine Abstände eingehalten. Ich höre, wie sich einige darüber unterhalten, dass man momentan ganz gut schwarzfahren könnte, weil es keine Kontrollen in den Regionalzügen gäbe.
Abends im „Intermedio“ berichtet über die Ultrarechte VOX, die die während des Ausnahmezustandes stark angestiegene häusliche Gewalt „marxistische Propaganda“ nennt. Seit Beginn der Quarantäne aufgrund der Coronavirus-Krise ist die Zahl der Hilfsersuchen wegen häuslicher Gewalt in die Höhe geschossen. Insbesondere die Online-Konsultationen durch misshandelte Frauen haben um 460 % zugenommen, während die Anrufe bei 016 im gleichen Zeitraum im Jahr 2019 um 44 % zugenommen haben. Für die Frauen ist es schwierig, Hilfe zu erbitten, da sie 24 Stunden mit ihrem Aggressor zusammengesperrt sind und dieser die volle Kontrolle ausüben kann (was mir schon Salvador berichtet hatte). Man befürchtet besonders jetzt, in der langsamen Lockerung des Ausnahmezustandes um das Leben von vielen Frauen, wenn die 100% Kontrolle der Männer über ihre Frauen sich auflöst. In einem Interview hebt die Regierungsbeauftragte für Geschlechtergewalt, Victoria Rosell, hervor: Wenn sie behaupten, dass man zuhause sicher ist, dann denken sie nicht an die Frauen und wenn alle Botschaften auf Spanisch und schriftlich verfasst sind – denken sie an die ausländischen Frauen? Besonders wichtig sei es, dass Dritte häusliche Gewalt anzeigen, denn die Frauen selbst können es oft nicht tun. Die Geschlechtergewalt ist eine Pandemie, die zur Corona-Pandemie dazu kommt.
27.05.20 Mittwoch
Termine beim Ayuntamiento bekommt man nur mit Voranmeldung. Die Auskunft über den IBI können wir sogar telefonisch beantragen. Ein echter Fortschritt. Es geht richtig schnell, innerhalb von einer Stunde hat Mercedes die E-Mail, in der die Wahrheit ans Tageslicht kommt: Es stellt sich heraus, dass es da gut 2.500.- Euro Schulden zu begleichen gibt. Der Notar hatte sich die Hände in Unschuld gewaschen, er hätte es nicht nachprüfen können und so mussten wir es unterschreiben.
Auch ein Thema, das mir immer wieder begegnet: Es geht nicht darum, wer Recht hat, sondern darum, wer am Unverschämtesten ist und der kommt meistens damit durch.
Mittlerweile hat sich hier schon wieder eine gewisse Normalität eingestellt. Die Leute sind nicht zu bremsen und mittags hört man die Bierfässer der Lieferungen auf den Asphalt knallen. Die Tourismus-Maschine Sitges läuft langsam wieder an. Nur fehlen noch die Touristen und das Baden ist immer noch nicht erlaubt. Ich vermute, weil die Gemeinden sich etwas einfallen lassen müssen, damit die Leute sich am Strand nicht zu nahekommen. In Sitges, das nur künstlich aufgeschüttete Strände hat, wird das ein Problem sein. Normalerweise wird der Ort im Sommer mit Touristen geflutet, drei bis viermal so hoch, wie die Einwohnerzahl. Seit neuestem hat es sich den Titel der Biosphäre gekauft. In keinem der Punkte entspricht es den Anforderungen. Sitges ist voll, laut und schmutzig. Momentan ist es, so sagen unsere Freunde, wie seit vielen, vielen Jahren nicht mehr. Ruhig, sauber, entspannt und ohne Nachtleben. Die Ausgangssperre wegen Coronavirus haben Sitges und die Nachbargemeinde San Pere de Ribes dazu genutzt, einen der letzten Anbaugebiete für den Malvasía, einen Dessertwein, der nur in Sitges hergestellt wird, und Bio-korridor in eine Betonwüste zu verwandeln. Also so sieht es zumindest das Projekt des französischen Investors vor: Drei riesige Hotels und einen Parkplatz für 3.000 Autos. Eine schöne Biosphäre ist das. Paula hatte einen engagierten Artikel geschrieben und für den Schutz der Natur plädiert
https://www.elperiodico.com/es/entre-todos/participacion/la-importancia-de-cuidar-la-naturaleza-no-al-proyecto-urbanistico-autodromo-de-terramar-200884 und eine Aktion auf change.org gestartet, die fast 15.000 Unterschriften vereint hat. Das entspricht der Hälfte der Einwohnerzahl von Ribes. Das Projekt des Autodromo Terramar, dessen Wert auf mehr als 20 Millionen Euro geschätzt wird, umfasst die Zuweisung von mehr als 600.000 m² Land, von denen ein Teil zum Netz „Natura 2000“ gehört und als wichtiges Gebiet für die Natur erklärt wurde, weil es als natürliches Verbindungsglied (Korridor) zu anderen Bio-Zonen am Meer fungiert und die Riera de Ribes, els Colls Miralpeix und der Naturpark Garraf verbindet. Dieser Korridor würde durch die Bebauung unterbrochen und die biologische Vielfalt dezimiert werden. https://www.change.org/p/comissi%C3%B3-territorial-d-urbanisme-de-la-generalitat-defensem-la-natura-a-l-aut%C3%B2drom-del-terramar?recruiter=20440969&utm_source=share_petition&utm_medium=facebook&utm_campaign=share_petition&recruited_by_id=b26b2c50-bf29-11e4-b631-b7a0972b9f9e
Aber hier regiert das Geld und auch deshalb bin ich froh, aus Sitges wegzukommen.
28.05.20 Donnerstag
Der Tag ist voll mit Kistenpacken und Vorbereitungen für den Umzug. Mittags ruft C. an und sagt, dass meine Schwiegermutter gestorben ist. Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis. Eine Generation tritt ab. Es macht mich so traurig.
Mercedes war in Vilanova und hat es geschafft, Strom, Gas und Wasser auf ihren Namen umzumelden. Überall hat man Vorkehrungen getroffen, wegen Corona: eigentlich darf man nur nach Voranmeldung eintreten, aber es geht manchmal trotzdem, weil man sich telefonisch anmelden kann. Bei Naturgy wird sogar die Temperatur gemessen. Auch bei den Versorgern haben die Vorbesitzer Schulden hinterlassen. Doch bis auf die 25.- Euro Wasser müssen wir diese Schulden nicht übernehmen.
Bleibt nur noch das Problem mit dem Scheck und der Begleichung der Hypothek zu lösen. Den Vorbesitzern ist nicht zu trauen. Wenn sie den Scheck bei der Deutschen Bank nicht gültig machen, bleibt die Hypothek auf der Wohnung. Doch ist es sehr unwahrscheinlich.
29.05.20 Freitag
Letzter Tag vor dem Umzug. Wir packen Kisten. Immer bleibt noch etwas übrig und der Kistenstapel wächst und wächst.
30.05.20 Samstag
Umzug. Die Straße muss gesperrt werden wegen des Aufzugs des Umzugsunternehmens. Vier starke Jungs stemmen unsere Kisten. Möbel haben wir nicht viel. Es ist sehr heiß und der Umzug dauert länger, als erwartet. Als ich unser Auto holen will, sehe ich, dass uns jemand die Heckscheibe eingeschlagen hat. Alles ist voll mit den winzigen Glassplittern. In der neuen Wohnung wird alles in zwei Zimmern gestapelt solange noch umgebaut wird. Endlich, abends um 20 Uhr sind wir fertig und müssen noch zu den Mossos d´Equadra, um Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten. Hier herrschen die höchsten Sicherheitsvorkehrungen – fast so wie auf einer Corona-Krankenstation. Man kann nur durch eine Sprechanlage sprechen und dann kommt ein Mosso mit Maske, Brille und Handschuhen heraus, sagt uns, wo wir das Auto vorfahren sollen und besieht sich den Schaden. Dann nimmt er ihn auf und 20 Min später sind wir mit der Anzeige fertig. Die starken Sicherheitsvorkehrungen der Polizei wirken etwas befremdlich, wenn man das Bild vom Paseo, von der Strandpromenade, gewöhnt ist, wo man schon wieder fröhlich zusammen Bier trinkt.
01.06.20 Montag
Schlüssel von C. Bonaire abgegeben, nachmittags nach Vilanova zur Besprechung der Renovierung. Die Elektrizität muss ganz erneuert werden. Wir übernachten bei einer Freundin.
02.06.20 Dienstag
Endlich ist das Baden im Meer erlaubt. Bisher hat die Polizei immer wieder die Badenden von la Barceloneta herausgepfiffen. In Sitges haben sich nur die Sportler ins Wasser begeben und ein paar Kinder. Die Polizei hat hier nicht eingegriffen. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt und kontrolliert natürlich auch die Terrassen nicht und nicht die „botellones“ (Trinken in Gruppen unter freiem Himmel). Viele meiner Freunde und Bekannte befürchten ein „repunte“, ein wiederansteigen der Kurve der Infizierten. Nachdem wir uns in meinem 13m² kleinen Apartment einrichten, gehe ich heute noch nicht zum Meer runter. Aber nach so langer Abstinenz ist die Lust auf Meer enorm angestiegen. Auch mein Rücken ist nach dem Umzug ziemlich angeschlagen. Der Direktor des Koordinationszentrums für Gesundheitsalarm und Notfälle, Fernando Simón, gibt eine Pressekonferenz, um die neuesten Daten über die Zahl der Infizierten und Toten in Spanien zu bewerten.
Pedro Sánchez wird eine Verlängerung des Alarmzustands beantragen, darüber gibt es schon seit Tagen eine heftige Auseinandersetzung. Die Rechte boykottiert mit allen Mitteln die schwache Regierung. Seit zwei Tagen gibt es keine Corona-Toten zu beklagen. Insgesamt hat Spanien bisher insgesamt 27.127 Todesfälle. In den letzten 7 Tagen sind 35 Menschen am Virus gestorben und es gibt 137 Neuinfektionen. https://www.lavanguardia.com/vida/20200602/481576010667/ultima-hora-coronavirus-espana-fernando-simon-contagiados-fallecidos-estado-de-alarma-video-seo-ext.html
Deshalb ist die Mobilität innerhalb der autonomen Gemeinden erlaubt, die sich in derselben Phase der „deescalada“ befinden. Erlaubt ist auch – bei Beachtung der jeweiligen Kapazität – die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel und die Möglichkeit der Bereitstellung von Service in den Bars, vorausgesetzt der Abstand von zwei Metern zwischen den Kunden kann beibehalten werden. Galizien und das Baskenland, ‚Asturien, La Rioja, Murcia und Andalusien werden für den 8.6. den Eintritt in die Phase 3 beantragen, welche die Mobilität zwischen den Provinzen erlaubt. Der Druck von den Fußballklubs scheint auch in Spanien stark zu sein. Fernando Simón schließt nicht aus, dass in der Phase 3 die Stadien wieder besucht werden können – allerdings hinge das noch von den Entwicklungen ab.
Inzwischen gibt es aber eine neue Zahl zu verfolgen: die der Arbeitslosen. Sie ist auf 26.573 Personen angestiegen – liegt also in etwa mit der der Verstorbenen gleich. Darin sind nicht die vielen Menschen inbegriffen, die einen Erto oder Erte haben.
03.06.20 Mittwoch
Endlich kann ich mich an meinen Artikel über Coronavirus in Amazonien machen. Ich wollte zunächst den offenen Brief und die Unterschriftenaktion des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado zum Aufhänger nehmen, doch als ich diese Aktion auf FB poste, bekomme ich von meinen Freunden harsche Kritik: Er sei ein messianistischer Typ, dem es mehr um seinen eigenen Ruhm ginge und, einen Einwand, den ich ernst nehme: Er ist mit seinem Blick eher Teil des Problems, da er die Indigenen als „survivals“ als Überlebende aus der Prähistorie betrachtet. Und damit macht er sich zwar zum guten Beschützer, aber im Grunde hat er ein ähnliches Bild wie Jair Bolsonaro, der die Indigenen als „Tiere in einem Zoo“ bezeichnet, die sich in die brasilianische Gesellschaft einzugliedern haben, so dass man ihre Territorien ungehindert ausbeuten und vernichten kann. Also schreibe ich an die Redaktion von SPEKTRUM, um diesen Artikel abzubiegen, obgleich ich Salgado schon um seine Fotos gebeten hatte. Wir einigen uns darauf, den Artikel über Covid-19 in Amazonien ohne ihn zu machen.
Heute das erste Mal wieder im Meer. Es ist leicht aufgewühlt, seit Tagen ziehen hier Gewitter herum aber das vermindert nicht das Gefühl, dass endlich ein Teil der Beschwernisse der letzten Wochen abfallen kann. Sie lösen sich im Salzwasser auf. Fantastisch!
Die Arbeiter des Gesundheitswesens sollen den „Prinzessin von Asturias-Preis“ verliehen bekommen. Und das obgleich sie mit schlechten Verträgen abgespeist wurden. Es ist wahr, sie haben alles und mehr gegeben, denn sich haben nicht nur die Kranken medizinisch, sondern auch emotional versorgt. Ihnen die Handys gehalten, damit sie ihre Verwandten sehen können, sie sehr menschlich begleitet und jede Entlassung gefeiert. Ich frage Paula, was sie davon hält. Sie meint, das sei alles Augenwischerei, und die Mehrheit ihrer KollegInnen ist der gleichen Ansicht. Schwachsinn, der sich nicht in konkrete Maßnahmen übersetzt, in notwendige Dinge. Paula fühlt sich für dumm verkauft.
[17:08, 3.6.2020] PAULA: No sé, para mi son todo pamplinas, Uli (ich weiß nicht, für mich ist das alles Quatsch, Uli)
[17:09, 3.6.2020] PAULA: Y creo que para la mayoría de nosotros (und ich glaube, für die meißten von uns.)
[17:09, 3.6.2020] PAULA: Gilipolleces que no se traducen en cosas prácticas y necesarias (Dummheiten, die nicht in praktische und notwendige Maßnahmen übersetzt werden.)
[17:09, 3.6.2020] PAULA: Me hace sentir como si nos tomaran por tontos (Ich fühle mich auf den Arm genommen)
[17:10, 3.6.2020] PAULA: Mucho premio pero seguimos trabajando 24-32 horas seguidas, esas horas no cuentan para la jubilación ni cotización, seguimos sin cobrar el 5% de los recortes, seguimos con contratos de mierda… (Viel Auszeichnung aber wir müssen weiterhin 24-32 Stunden am Stück arbeiten, diese Stunden zählen weder für unsere Rente, noch für unsere Beitragsleistung, unsere Gehalte sind weiterhin um 5% gekürzt, wir arbeiten weiterhin mit beschissenen Verträgen…)
[17:10, 3.6.2020] PAULA: Asiiii que por mi, el premio se lo pueden quedar (Also von mir aus können sie ihre Auszeichnung behalten.)
Paula macht mich auf einen Artikel in der HuffPost aufmerksam, in dem berichtet wird, dass die Staatsanwaltschaft Untersuchungen gegen die Comunidad von Madrid einleitet, um herauszufinden, welche Kriterien diese angewendet haben, Patienten auf die Intensivstation zu verlegen. Der Ombudsman der Patienten möchte auf diese Weise die Zahl der Todesfälle klären, die weder ins Krankenhaus eingeliefert werden konnten noch einer Behandlung unterzogen wurden, insbesondere in Pflegeheimen. „Was wir herauszufinden versuchen ist, warum viele Patienten nicht auf die Intensivstation eingewiesen wurden, was die Gründe dafür waren, ob es eine Anordnung oder ein Mandat gab“, sagte der Ombudsmann, der mehrere Angehörige von Opfern von COVID-19 vertritt. https://www.huffingtonpost.es/amp/entry/la-fiscalia-de-madrid-investiga-los-criterios-de-los-hospitales-para-acceder-a-las-uci_es_5ed269e4c5b6ab64606a7869/
04.06.20 Donnerstag
Einige Vertreter des Gesundheitswesens nehmen den Preis nicht an! Sie sagen, die Krone solle lieber die Millionen zurückgeben, die sie dem Volk geraubt und in Steuerparadiesen versteckt hat. Die spanische Krone ist seit langem von einem Skandal nach dem anderen gebeutelt. Die Geschäfte von Juan Carlos in Saudi-Arabien. Konten in der Schweiz und 100-Millionen Überweisungen aus Saudi-Arabien im Jahr 2008. Der König Felipe hat zwar angeblich die Kontakte zu seinem Vater abgebrochen, aber das hilft sehr wenig in einem Land, das am Rand des Abgrunds steht und wo die Korruption immer noch Millionen schachert.
Gerade während der schlimmsten Momente der Pandemie gab es Beschwerden von Arbeitnehmern über den Mangel an Schutzmaterialien. Es musste das Madrider Gericht in das Gesundheitsministerium anweisen, allen Zentren, „öffentlichen und privaten“, Schutzmaterial zur Verfügung zu stellen. https://www.publico.es/sociedad/monarquia-sanitarios-rechazan-premio-princesa-asturias-piden-reyes-devuelvan-robado.html
Und wieder diese nicht funktionierenden Internetseiten! Ich werde noch verrückt. Um die Erlaubnis der Obras menores zu erhalten, muss man den Antrag stellen, mit dem entsprechenden Kostenvoranschlag wird eine Gebühr bestimmt, die man bezahlen muss und dann muss man alles auf der Homepage des Bürgermeisteramts noch einmal beantragen. Nur leider muss man sich zuvor bei idCAT Mòbil anmelden. Sie wollen die Nummer des Personalausweises, mit Verfallsdatum, Telefonnummer und den Barcode der Gesundheitskarte. Nachdem wir alles schön eingegeben haben, kommt die Rückmeldung
Ho sentim! No s’ha pogut completar l’alta (tut uns leid! Die Registrierung konnte nicht abgeschlossen werden)
Wir sollen es später nochmal versuchen. Seit der Coronakrise ist das zum Alltag geworden: die Zeitvernichtung nicht mehr auf den Ämtern, sondern vor dem heimischen Computer, weil die Seiten nicht richtig funktionieren. Seit Monaten versuche ich, die elektronische Rechnung der Stromversorgung endesa zu bekommen. Es ist einfach nicht zu machen.
In meinem Katalanisch-Kurs das gleiche Spiel: Diejenigen, die den Online-Kurs machen wollten, beschweren sich, dass es entweder gar nicht funktioniert oder nur sehr langsam…
Ich telefoniere mit Jorge Vélez Quevedo, den ich vor Jahren im peruanischen Amazonas, im Städtchen Yurimaguas kennen gelernt habe. Er berichtet mir von der Situation vor Ort. Er arbeitet mit den Shawi-Indianern. Sie sind über die Jahre und mit den vielen Workshops, die sie gemeinsam durchgeführt haben, sehr gut auf die Situation eingestellt. Sie haben sofort die Kontrolle über die Boote übernommen, die den Paranapura hinauffahren und bisher ist es ihnen geglückt, den Einfall des Virus zu stoppen, obwohl er schon nach Balsapuerto gelangt ist, denn dort gibt es eine Flugpiste.
07.06.2020 Freitag
Heute muss Mercedes sich bei Movistar drum kümmern, ob ihre zweimalige Abmeldung auch funktioniert hat. Das Unternehmen ist bekannt dafür, dass sie trotz Abmeldung weiter Geld einziehen und so die Verbraucher um mindestens einen Monat betrügen. Auch hier gibt es keinen Verbraucherschutz. Und sie muss bei der Deutschen Bank nachfragen, ob der Scheck zur Deckung der Hypothek korrekt eingereicht wurde oder ob uns die Vorbesitzer eine weitere Überraschung bereitet haben. In diesem Fall müssten wir allerdings vor Gericht ziehen.
Wir bekommen eine Kopie, dass die Hypothek beglichen wurde. Immerhin. Aber es ist nur eine Kopie und wir müssen das Original beantragen und einen Termin beim Notar in Vilanova ausmachen, weil sich die Deutsche Bank nicht nach Barcelona oder nach Sitges begibt.
Die Abmeldung bei Movistar ist natürlich noch nicht effektiv. Man soll in zwei Wochen nochmal nachfragen. Derweil wird abkassiert. Das hatte ich schon im Internet gelesen.
Ich telefoniere mit Nico. Der Name seiner Tochter steht noch nicht fest und wir sollen mal ein paar Vorschläge machen. Er wird etwas ungehalten, weil ich ihm sage, ich mach mir Sorgen wegen der Steißlage und dass Noa die Steißgeburt versuchen will.
08.06.2020 Samstag
Es ist windig und kühler, weil ich etwas Halsschmerzen habe (immer denkt man gleich an COVID) gehe ich nicht zum Baden. Nachmittags kommen Freunde vorbei, die gesamte Geschichte von Kauf und von nicht beglichenen Rechnungen der Vorbesitzer wird wieder aufgerollt, jeder hat eine andere Meinung. Alle versuchen Abstand zu halten, aber zum Abschied umarmt man sich fast. Die Gewohnheit ist so tief verankert, dass sie nach so vielen Wochen immer noch schwer zu kontrollieren ist.
09.06.20 Sonntag
Um 11 Uhr Demo auf der Strandpromenade von Sitges gegen Rassismus. Es hat sich ein Grüppchen versammelt. Einen guten Teil der Anwesenden kenne ich aus meinem Katalanisch-Kurs. Von den Sitgetans, den „Ureinwohnern“ von Sitges sieht man kaum jemanden. Jima ist der Hauptsprecher er spricht auf Castellano und liest dann den Text auf Französisch und Katalanisch vor. Unser Freund Jacinto ist aus Vilanova gekommen mit Secou, den er und Nuria vor einem Jahr bei sich aufgenommen haben. Secou kommt von der Elfenbeinküste. Er ist 17 Jahre alt und sehr schüchtern. Er ist sehr zufrieden, dass er diese Unterkunft gefunden hat und möchte nach der Quarantäne versuchen in Barcelona seine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Jima hatte erklärt, dass die Afrikaner hier mindestens 3 Jahre einen festen Wohnsitz nachweisen müssen, um dann eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Der Grund, warum die Sitgetans fehlen ist, dass sie gegen die Top-Manta sind, die senegalesischen Verkäufer von chinesischen Fälschungen von Nike-Turnschuhen und Dolce-Gabana Taschen. Tatsächlich ist die Strandpromenade normalerweise so dicht von ihnen belagert, dass es eng wird. Die Ladenbesitzer regen sich ständig über die Top-Manta auf, weil sie glauben, dass sie ihnen das Geschäft verderben (kann ich verstehen, weil sie ähnlichen Schrott verkaufen) und die Gemeinde lässt manchmal schweres Geschütz auffahren, um ihre Niederlassung auf dem paseo zu verhindern. Dann sieht man die Mossos d´Esquadra mit Maschinengewehren die Stellung halten, als befänden wir uns im Krieg. Dann ziehen die Verkäufer ab und kommen am nächsten Tag wieder. Nun hat sich aber der Ober-Mafioso des rosa Kapitalismus in Sitges gegen die Top-Manta gewendet und sie werden es schwer haben. Denn Sitges hat sich ja das Label „Biosphäre“ gekauft – es gab weder Befragung der Anwohner (die soll nun, ein paar Jahre später durchgeführt werden) noch eine Art der Prüfung. Und nun will sich die Bürgermeisterin, Aurora Cabonell mit einem „turismo de qualitat“ schmücken. Davon ist bisher wenig zu entdecken. Im Gegenteil: Die Bäume, die die Straße vor dem Bahnhof schmückten wurden letztes Jahr allesamt ausgerissen, um invasive australische Sträucher zu pflanzen und nun geht es weiter mit der Planierung des Bio-Korridors und der Betonierung des Autódromo mit 3000 Parkplätzen.
Montag, 08.06.2020
Schreibworkshop absagen. Europa macht die Grenzen auf – nur nicht zu Spanien. Spanien wird erst am 1. Juli geöffnet.
Die Gemeinde Madrid hat vier Nachrichten geschickt, um Alte aus Seniorenheimen nicht in die Krankenhäuser aufzunehmen. Die Angehörigen klagen gegen die Gemeinde von Madrid und Isabel Ayuso, weil sie Leute über 75 Jahre von der Versorgung ausgeschlossen haben. Das ist umso zynischer, als sich gerade PP und die Rechte gegen ein Euthanasie-Gesetz stellten, das natürlich den freien Willen der Menschen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden o.ä. voraussetzen. Hier kam es offenbar zum Aussortieren der Menschen, denen keine großen Überlebenschancen eingeräumt wurden. 80% der Alten wurden nicht ins Krankenhaus gebracht.
Im Intermedio fragt sich Wyoming, wo jetzt die Bischofskonferenz bleibt, die immer so sehr um das Leben besorgt ist? „Wenn diese Protokolle statt von der PP von einer anderen Partei unterzeichnet worden wären, wie oft hätte man die Bischöfe gehört, um über die Kultur des Todes zu sprechen, wie sie es bei Abtreibung oder Euthanasie tun“.
Zeugen der Angehörigen, die eine Klage gegen Isabel Díaz Ayuso y Enrique Ruiz Escudero anstreben, berichteten, dass der Arzt kam und mit dem Finger auf die Alten deutete und ihnen Morphin verordnete. Andere sagten, die Ambulanzen würden nicht fahren und eine Ärztin sagte, wenn diejenige Person christlichen Glaubens sei, solle sie beten.
Das ist das tiefe Spanien! Nie wird die Wahrheit den Leuten ins Gesicht gesagt, sondern jeder erfindet sich „fromme Lügen“, um die Gegebenheiten zu verschleiern.
Inzwischen gibt es einen neuen Skandal: Die Richterin Carmen Rodríguez-Medel hat die Guardia Civil damit beauftragt, die Regierung zu untersuchen und ihr nachzuweisen, dass die Erlaubnis für die feministische Demonstration am 8. Mai fahrlässig war und zu massiven COVID-19 Ansteckungen geführt habe. https://elpais.com/espana/2020-06-08/la-abogacia-acusa-a-la-juez-del-caso-8-m-de-lanzarse-a-una-busqueda-voraz-de-indicios-contra-el-gobierno.html
Der Bericht ist voller Fehler, zum Beispiel der Behauptung, der Ausnahmezustand wegen COVID-19 sei bereits vor dem 8.Mai ausgerufen worden.
Der Innenminister Fernando Grande-Marlaska hatte am 24.Mai den Madrider Kommandanten der Guardia Civil entlassen, weil sich dieser geweigert hatte, Informationen über den noch nicht eingereichten Bericht zu liefern. Zwei Tage später trat die Nummer zwei der Guardia Civil aus Protest gegen die Entlassung zurück. Die Opposition fordert den Rücktritt des Innenministers und wirft der Regierung vor, in ein juristisches Verfahren eingegriffen zu haben.
Offensichtlich ist es ein weiterer Angriff der Rechten und Ultrarechten auf die Regierung von Pedro Sánchez, die bestimmt nicht alles richtig gemacht hat aber hier unter ständigem Beschuss steht und man den Präsidenten als einen Fall von extremer Resilienz ansehen muss. In einer so schwierigen Situation hätte man von der Opposition erwarten können, dass sie einen Schulterschluss macht, um diese Krise zu bewältigen. Doch davon ist keine Spur. Nur die Separatisten sind etwas leiser geworden.
Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen Berufung eingelegt und wirft der Richterin und der Guardia Civil vor, eine „unersättliche Suche nach Anzeichen eines Verbrechens“ eingeleitet zu haben.
NZZ-Artikel: In dem Dokument beschuldigt die von der Exekutive abhängige juristische Person – die den einzigen Angeklagten, den Regierungsdelegierten José Manuel Franco, vertritt – sowohl, ein „allgemeines Verfahren“ gegen die Behörden als auch „gegen das Management der Gesundheitskrise“ eingeleitet zu haben. Sie weist auch auf die Agenten hin, die die beiden umstrittenen Berichte, die in den Fall einbezogen wurden, vorbereitet haben, weil sie um jeden Preis den Direktor des Zentrums für die Koordinierung von Gesundheitsalarmen und Notfällen, Fernando Simon, einbeziehen wollten. Das Dokument der Advocacy, zu dem EL PAÍS Zugang hatte, schließt mit der Bitte, den Prozess auf Eis zu legen. Auch die Staatsanwaltschaft der Provinz Madrid hat diesen Montag darum gebeten.
10.06.20 Mittwoch
Am Wochenende ist in Sitges wieder die Party angelaufen. Natürlich nur ganz sacht – im Vergleich zu anderen Jahren – aber eigentlich ein Skandal mitten in Zeiten von Corona, zumal Spanien wegen seiner hohen Infektionsrate erst am 1. Juli die Grenzen öffnet. Danach möchte ich die „Calle del Pecado“ (Sündenstrasse), wie sie im Volksmund heißt, nicht sehen. Die Fotos wurden in der Nacht von Samstag auf Sonntag gemacht um 1 Uhr morgens.
Im Artikel des L´Eco de Sitges heißt es, man würde am nächsten Wochenende mehr Polizeikontrollen durchführen, damit der gebotene Abstand eingehalten würde, doch das ist zum Lachen. Die Polizei ist noch nie eingeschritten, wenn es sich um die Gay-Community handelt. Nicht, weil sie gayfreundlich wären oder „tolerant“ (wie sich die heuchlerischen Sitgetans bezeichnen), sondern weil in Sitges dieses Geschäft regiert und bisher sicherlich noch jede Partei und die Polizei geschmiert hat. Deshalb ist es äußerst unwahrscheinlich, dass die Beamten eingreifen. Natürlich sind nicht alle korrupt, aber doch ein Großteil. Wie der Artikel erwähnt – und das ist dann auch schon die Entschuldigung dafür, dass man nicht eingreift: es gäbe nur drei Patrouillen, um das gesamte Gebiet bis hin zu Les Botigues (das liegt mindestens 6-8 km entfernt an der Küstenstraße Richtung Barcelona) abzudecken. Man beschränkt sich also darauf, die Kneipenwirte zu bitten, dass sie ihre Klienten darauf hinweisen sollen, die Abstände einzuhalten. „El que no podem és posar un policia darrere de cada persona o en cada establiment; per això és important que tothom prengui responsabilitat de les normes actuals, que estableixen distàncies i limitació de grups”. (Wir können ja nicht einen Polizisten hinter jede Person stellen oder in jedes Lokal; deshalb ist es wichtig, dass jeder seine Verantwortung selbst übernimmt und die aktuellen Normen und die Distanzen und die Beschränkungen der Gruppen Kapazitäten einhalten.)
Noch hält man sich im Freien auf – wie wir es aus Sitges gewöhnt sind, wo die Straßen die Verlängerungen der Bars und Diskotheken sind. Diese werden in der Phase 3 öffnen können, ab dem 22. Juni. Das, so der Artikel, sollte dann die „Verstopfung“ der Straßen etwas lösen obwohl man mit mehr Bewegung rechnet.
Was Sitges und die Bürgermeisterin Aurora Carbonell hier machen, ist kriminell und bald werden die Zahlen der Infektionen wieder nach oben schnellen.
Heute Mittag waren wir bei Blanca zum Mittagessen eingeladen, sie wohnt in Vallpineda, einer Siedlung oberhalb von Sitges. Auf einem Spaziergang in Richtung Sant Pere de Ribes stoßen wir auf eine kleine Ansiedlung von etwa 10 Häusern, die Las Torres heißt und wo es eine Bodega gibt, wo man Wein und Produkte der Region kaufen kann. Die Verkäuferin erzählt uns aus den Tagen der Ausgangssperre, wie der kleine Ort den Ramblas von Barcelona glich. Denn alle Leute kamen um ein paar Kartoffeln zu kaufen, bzw. um etwas Luft zu schnappen und sich die Beine zu vertreten und sie musste immer Quittungen ausstellen, weil die Polizei kontrollierte und Strafen von 600 Euros verteilte.
11.06.20 Donnerstag
Besorgungen in Vilanova und der Versuch, mich dort einzubürgern, der natürlich daran scheitert, dass mein N.I.E. seit 2013 verfallen ist. Ich hatte schon letztes Jahr versucht, meinen NIE zu verlängern, doch bei der Polizei in Vilanova bekommen wir keinen Termin. Diese werden offenbar, wie bereits gesagt, unter der Hand vertickt, wie wir in einem Zeitungsartikel der Catalunya Press zu lesen ist. https://www.catalunyapress.es/texto-diario/mostrar/997176/odisea-obtener-nie Es ist eine Odyssee, wie so viele bürokratischen Angelegenheiten in Spanien.
Die Renovierungsarbeiten in unserer neuen Wohnung kommen nicht voran.
12.06.20 Freitag
Ich komme mit meinem Artikel nicht richtig voran, es gibt jeden Tag neue, wichtige Nachrichten über den COVID-19 in Amazonien. Es ist deprimierend, wie er bis in die letzte Ecke des Regenwaldes vordringt.
Am Abend haben wir uns zu einer gemeinsamen Aktion in unserem Gemüsegarten verabredet. Es muss Unkraut gejätet werden und vor allem Gestelle für die Tomaten aufgestellt werden. Außerdem haben sich Killerwespen im Geräteschrank eingenistet, denen wir mit einem Spray zu Leibe rücken.
Als wir um 10.30 nach Hause kommen, in die C. Parellades 70 sehen wir zu unserem Erstaunen, dass die Restaurants schon offen haben (obwohl wir uns noch in der Phase 2 befinden) und die Leute, zum Teil zwar mit Masken, zum Teil aber ohne, sich hier tummeln, als sei nichts gewesen.
Ich verstehe, dass die Restaurantbesitzer ihre Verluste einholen wollen. Auf der Straße höre ich die Leute reden und der allgemeine Tenor ist: poquito a poco, langsam wird hier alles wieder in Gang kommen. Doch erscheint es mir sehr unvorsichtig, wie hier das Geschäft wieder anläuft. Vor allem Sitges hält sich in keiner Weise an die Vorsichtsmaßnahmen. Der „rebrote“ ist hier schon vorprogrammiert.
13.06.20 Samstag
Heute kommt die freudige Nachricht, dass gestern Pina Prinz zur Welt gekommen ist. Meine Nichte Nora hat gestern ihr Kind bekommen. Noa und Nico warten noch. Gestern wäre der berechnete Termin gewesen, aber es tut sich noch nichts. Zum Glück sind die Vorschriften wegen des Virus inzwischen in den Krankenhäusern gelockert worden: die Gebärende muss während des Geburtsvorgangs keine Maske tragen und der Vater darf mit dabei sein.
Wir besuchen meinen Freund Tom in Torelles del Llobregat. Er wohnt am Waldrand in einer alten Massia, die von einem herrlichen Eichenwald umgeben ist. Hier haben die Wildschweine den ganzen Boden aufgewühlt. Tom meint, die Jäger der Gegend befänden sich derzeit im Streik. Dieses Jahr hat es viel geregnet und der Wald ist so grün, wie selten. Wir sehen Erdbeerbäume, wilden Lavendel, Rosmariensträucher… es ist herrlich! Tom ist besonders vorsichtig wegen Covid. Er hat Probleme mit der Lunge und letztes Jahr eine Lungenentzündung durchgemacht. Zum Arzt geht er nicht und seine private Versicherung hier in Spanien hat auf virtuell umgeschaltet. Man hat den Eindruck, dass viele Unternehmen und auch die Gemeinden die Covid-Krise zum Anlass nehmen, um Arbeitsplätze abzubauen oder die Leute in Ertes zu schicken und die Leistungen, Betreuungen einfach runter zu fahren und über nicht funktionierende Internetseiten abzudecken.
Was das Virus und seine Verbreitung anbelangt, so kann ich beobachten, dass sich die Bevölkerung in zwei Teile spaltet: die einen, die Sorge haben und Angst vor der Krankheit, vielleicht weil sie sich selbst zur Risikogruppe zählen oder weil sie sich verantwortlich zeigen gegenüber den Risikogruppen (gestern trafen wir Laura und Josép-María auf der Straße, zwei Freunde, die hier in Sitges aufgewachsen sind. Sie sind sehr indigniert darüber, dass die Party hier schon wieder anläuft) und solche, die anzweifeln, dass es so schlimm gewesen sei. Sie sind der Meinung, dass die Wirtschaft wieder anlaufen muss (so etwa Carolina, die ich neulich auf der Straße traf, eine Holländerin, die hier ein paar Appartements vermietet und die sich anscheinend auch um das Herrichten unserer Wohnung kümmert, bis die Besitzer dann ab dem 1. Juli einreisen können.) Ich verstehe die Sorge der UnternehmerInnen, was ich nicht verstehe ist, dass man wegen der eigenen Interessen, sich die Wirklichkeit gerade so hinbiegt, wie man sie braucht. Vielleicht ist es eine Art der Rechtfertigung und der Selbstberuhigung. Nach dem Motto: Ich mach mein Ding weiter, weil man mich zuvor betrogen hat. Sehr seltsam. Dass das Schwedische Modell gescheitert ist und dass Großbritannien in puncto Infizierte und Tote an Spanien vorbeizieht, das scheint diese Gruppe kaum zu kratzen. Ich glaube, es ist Egoismus und natürlich auch der Überlebenswille, der die Leute antreibt.
15.06.2020 Montag
Ärger und die Sorge über die unverantwortliche Haltung des Ayuntamientos von Sitges sorgt für Indignation auf FB.
Oriol N. 15. Juni um 11:20: „Un cop mes en aquest pais, la cultura i el mon artistic maltractat, les mesures no son equiparables ni molt menys amb el que estem veient als carrers i a les activitats socials, una vergonya.” (Wieder mal in diesen Land, wird die Kultur und die künstlerische Welt misshandelt, die Maßnahmen sind nicht vergleichbar mit dem, was wir in den Straßen sehen und den sozialen Aktivitäten, eine Unverschämtheit.)
„Aquest cap de setmana l’ajuntament de Sitges va prohibir fer musica en viu en un lloc que te mesures de seguretat adients i permis per fer musica en viu, encara no han donat cap explicacio, i un dia despres es veuen aquestes imatges (foto encerclada) de la gent aglomerada a l’esglesia sense cap mesura de seguretat, pitjor no es poden fer les coses.” (Dieses Wochenende hat Sitges verboten, Live-Musik an einem Ort zu machen, der über angemessene Sicherheitsmaßnahmen verfügt und die Erlaubnis für Live-Musik hat und hat noch keine Erklärung dazu abgegeben und einen Tag später sieht man diese Bilder (eingekreistes Foto) von Menschen, die sich ohne Sicherheitsmaßnahmen vor der Kirche drängen, schlechter kann man das nicht handhaben.)
María Jose T.: No hay que echarle la culpa al ayuntamiento, las personas tendríamos que ser más responsables , no podían guardar la distancia pero mayoritariamente llevaban mascarilla. (Man muss die Schuld nicht der Gemeinde geben, wir Personen sollten mehr Verantwortung zeigen, sie konnten die Abstände nicht einhalten, tragen aber in der Mehrzahl Mundschutz)
Oriol N.: María Jose perdona, pero las medidas de seguridad son cosa del Ayuntamiento, y la anulación de actuaciones también, o acaso es obra del espíritu santo??? (Entschuldige María Jose, aber die Schutzmaßnahmen sind Sache der Gemeinde, und das Absagen von Auftritten ebenfalls, oder sollte es etwa die Aufgabe des Heiligen Geistes sein?)
María Jose T. Es una vergüenza, que tengan que prohibir por nuestra irresponsabilidad (Es ist eine Schande, dass sie es wegen unserer Verantwortungslosigkeit verbieten müssen.)
Aitor T. „No quiero ser muy capullo opinando pero también he visto que las medidas y cláusulas se aplican muy fuertes para unas cosas, pero después depende de tu apellido, tu prestigio y la popularidad que tengas, te puedes saltar las normas y eres inmune a que te multen.” (Ich möchte kein Arschloch sein, das meine Meinung äußert, aber ich habe auch gesehen, dass die Maßnahmen und Klauseln für die einen sehr streng angewendet werden, aber dann hängt es von deinem Nachnamen, deinem Prestige und deiner Popularität ab, ob du die Regeln verletzen kannst und ob du immun bist gegen Geldstrafen.) „Oriol N., entiendo tu enfado pero es bueno que te vayas mentalizando que se toman decisiones incomprensibles y se improvisa mucho, el resumen es que la pandemia es una situación que golpea duramente a la economía y la sociedad…y los políticos han hecho lo que han podido pero evidenciando que no dan la talla y agravado el problema ya que la sanidad estaba obsoleta…” (Oriol N., ich verstehe deine Wut, aber es ist gut, dass du dich drauf einstellst, dass unverständliche Entscheidungen getroffen und vieles improvisiert wird. Die Zusammenfassung lautet, dass die Pandemie eine Situation ist, die Wirtschaft und Gesellschaft hart trifft … und Politiker haben es getan was sie konnten, aber sie zeigen, dass sie dem nicht gewachsen sind und sie verschärfen das Problem, da die Gesundheitsversorgung veraltet war …)
Victor P-rv Esto debería estar más pensado ya… igual que la calle del pecado o se ponen duros o la gente no hace nada. Paso igual con el confinamiento hasta que la gente no empiezo a ver multas nadie hacia caso. (Das sollte man schon besser bedacht haben… Wie in der calle del Pecado (C. Dos de Mayo, Sitges) entweder greifen sie streng durch, oder die Leute halten sich nicht dran.)
María Jose T. Eso es muy triste (Das ist sehr traurig)
Salomé S. No ho trobo bé per part del consistori, tots blancs o tots negres! (Ich finde das nicht richtig vom Konsistorium: entweder alle oder keiner!)
Annia P. Con respecto a la 2a foto la de l’esglesia, en un principio estábamos bien separados alrededor de la catifa de flores, pero un hombre que debía de ser el que mandaba allí nos echó a todos diciendo que no se podía estar, o sea que todos fuera, un despropósito.. a favor diré que todo teníamos mascarilla y algunos se quedaron y otros se fueron. (Bezüglich des 2. Fotos an der Kirche, am Anfang standen wir mit Abstand um die Blumenteppiche, aber ein Mann, der dort das Kommando führte hat uns alle zurückgetrieben, er sagte, dort können wir nicht sein, alle weg da, ein Blödsinn… andererseits muss ich sagen, dass wir alle einen Mundschutz trugen und einige blieben, andere gingen weg.)
Oriol N. Annia, havia algun tipus de cos de seguretat? O policia controlant la gentada? I l’aglomeracio que es veu? Per cert, no tothom esta amb mascareta (Annia, gab es irgend eine Art von Sicherheit? Polizei, die die Leute kontrollierte? Und die Aglommeration, die man sieht? Übrigens nicht alle tragen einen Mundschutz.)
Annia P.: Oriol N. había dos al otro lado, pero en ningún momento controlaron nada ellos, era un hombre que debía de ser de la colla o algo el que lo controlaba todo, no sabría decirte mas (Es waren zwei auf der anderen Seite, aber niemand hat etwas kontrolliert, es war ein Mann der vom Verein war oder jemand, der alles kontrollierte, ich kann dir nicht mehr sagen.)
Die Polizei sorgt offensichtlich nicht für die Einhaltung des Mindestabstands und Oriol und Aitor ärgern sich darüber, dass sie es bei manchen tun und bei anderen eben nicht. Genau das ist das Problem in diesem Dorf der Schildbürger und diese Haltung hat einen Namen. Man nennt es Vetternwirtschaft.
Währenddessen geht man immer sorgloser mit den Verordnungen um. In Sitges soll man Mundschutz tragen, wenn der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. Ganze Gruppen von Leuten interessiert das nicht, zumeist die Jugendlichen (aber nicht alle!) die natürlich weniger verwundbar sind. Und das trotz der Aufklärungskampagne, die auf allen Fernsehsendern läuft und die auf die drei wichtigsten Dinge hinweist: Händewaschen, Mundschutz und soziales distancing.
16.06.20 Dienstag
Gestern sind 189 deutsche Touristen in Mallorca gelandet. https://elpais.com/economia/2020-06-15/los-primeros-turistas-alemanes-llegan-a-baleares.html der Korridor ist eine Ausnahme, denn der Estado de alarma (Ausnahmezustand) endet erst am 20.06.20 und die Grenze zu Spanien wird vermutlich am 1. Juli öffnen. Nun werden die Touristen mit Applaus empfangen. Die Krise ist in der Phase der Ökonomie angekommen, während man wochenlang dem Sanitärpersonal applaudierte, sind es nun die goldenen Kühe. Sie sind gleichzeitig die Versuchskaninchen, um zu testen, wie die Sicherheitsprotokolle funktionieren. Ich glaube eher, dass es enormen Druck gab von den Finca-Besitzern, die ihre Ferien auf „ihrer“ Insel verbringen wollen.
Die Balearen öffnen sich dem internationalen Tourismus mit einem Pilotplan, der in den nächsten 15 Tagen 10.900 deutsche Staatsbürger mit einem Mindestaufenthalt von fünf Nächten bringen wird. Die Kanarischen Inseln hatten verlangt, dass sich die Touristen einem Test unterziehen, doch ist dies nicht obligatorisch. Doch müssen sie einen Gesundheitsfragebogen ausfüllen, es wird Fieber gemessen bei der Ankunft und sie müssen während ihres Urlaubs erreichbar sein.
17.06.2020 Mittwoch
Aussuchen von Badfliesen in BigMat in Vilanova, ein Großvertrieb für Baumaterialien, die aber eine schöne Ausstellung von Badmöbeln und Zubehör haben. Langes Warten in brütender Hitze. Die Angestellten achten sehr auf die Einhaltung und einer macht eine Kundin darauf aufmerksam, dass sie (auch auf dem Gelände) den Mundschutz tragen muss. Diese zieht beleidigt ab. Die Frau, die uns bedient ist ganz unglücklich über die Verordnungen wegen Coronavirus: Wir können unsere Kunden nicht so bedienen, wie wir das wollen. Zu allem Unglück ist auch noch die Beleuchtung ausgefallen. Wir suchen ein paar einfache breite Fliesen aus.
80ter Geburtstag von Antonia. Wir fahren nach Sallent, um gemeinsam zu feiern. Sie hatte vor dem Ausnahmezustand eine schlimme Depression, die zum Glück rechtzeitig mit Medikamentierung in den Griff zu bekommen war. Allerdings war es auch ein Lehrstück für das spanische Gesundheitssystem, das wegen Überlastung auch schon vor COVID-19 sehr langsam funktionierte. Ein Arzt überweist zum nächsten ohne eine wirkliche Absprache untereinander und weil die Hausärztin krank war, wurde sie von einer anderen Ärztin versorgt, die ihr in diesem verzweifelten Zustand auch noch das Schlafmittel genommen hat. Nun aber ist sie wieder obenauf und macht uns das Mittagessen.
18.06.2020 Donnerstag
Um 5:46 eine Whatsapp von Nico: Die Wehen gehen los. Sie fahren ins Krankenhaus. Dort stellt man fest: Beckenendlage mit Klappmesserstellung. Das bedeutet, sie können natürlich gebären, ihre Hebamme ist auch in der Schicht. Um 13 Uhr ist die Fruchtblase geplatzt und 40 Minuten später ist klein Matilda da. Unfassbar. Ich bin so berührt, dass ich erstmal nichts anderes tun kann, als zu weinen. In diesen Momenten wird einem – ähnlich wie beim Tod – die ganze Gewalt der Existenz bewusst. Eine schwierige Geburt, aber die Mutter hat es ohne Kaiserschnitt und ohne Dammschnitt geschafft. Ich bin so glücklich, erleichtert und stolz auf beide Eltern.
Den ganzen Tag lang verbreite ich die frohe Botschaft…
20.06.20 Samstag
Nachdem das Wetter die ganze Woche gewittrig und ungemütlich war, nehme ich heute die Gelegenheit wahr und gehe zum Schwimmen an meinem alten Hausstrand. Das Apartment, in dem wir zwischenwohnen liegt keine 150 Meter von unserer früheren Wohnung entfernt.
Der Strand ist belebt, aber es ist Platz für alle. Maria, die die Liegen vermietet sagt, sie seien eher da, um Präsenz zu zeigen – aber das Sommergeschäft hat sie abgeschrieben.
Ich sehe die Garde der Sitgetanes, einer Gruppe von alten Frauen, die sich jeden Tag von 11-14 Uhr in einer langen Reihe von Klappstühlen kurz vor dem Wasser aufbauen. Ich habe sie insgeheim die „Brandungsmauer“ genannt. Sie haben von Anfang an meinen Gruß ignoriert und sind jeden Tag damit beschäftigt, andere Leute „auszurichten“, wie man in Bayern sagt. Auch heute, halb im Wasser stehend, schwingen sie ihre Zeigefinger und der Ton ihrer Rede ist die Klage und der Ärger.
Ansonsten ist der Strand von den Bewohnern von Sitges und die Barcelonesen und den Besuchern aus der Provinz belagert, die hierher kommen. Parkplätze sind keine zu finden an den Wochenenden.
Gestern war ich mit Cristina spazieren. Sie erzählt mir von ihrem confiamiento. Sie lebt in einem mehrstöckigen Haus, das ihren Eltern gehört. Sie bewohnt mit ihrem Freund und ihrem Sohn das oberste Stockwerk. Der Vater ist schwer dement und konnte nicht in der Tagesklinik betreut werden. Die Mutter war fast am Zusammenklappen und verabreicht ihm Schlafmittel aber auch das hilft nichts mehr. Die Familie kann nicht auf die Umarmungen verzichten. Sogar die Mutter, die sonst nicht so gefühlsbetont ist sagt: entweder, wir sterben aus Mangel an Liebe oder durch den Virus. Die ältere Schwester, die unten im Haus eine Bäckerei betreibt, erwischt den Enkel bei den Großeltern und regt sich darüber auf, als handele es sich um einen Mordanschlag.
Cristina ist relativ unbesorgt und besteht auf einer Umarmung. Es war immer wieder Thema während des confinamientos: die fehlenden Umarmungen und tatsächlich gehen sie einem ab. Aber für die Spanier ist es mehr, als abgehen. Sie sind tatsächlich notwendig, um sich geliebt und aufgehoben zu fühlen. Es ist eine kulturelle Praxis, die zu ihrem Selbstverständnis gehört. Erst letzte Woche hat Silvia, die einen Test machen musste, um wieder arbeiten zu dürfen (und er ist negativ ausgefallen) uns feierlich jedem eine Umarmung verabreicht.
21.06.20 Sonntag
Gestern erreicht mich die E-Mail meiner Schwester, die uns darüber informiert, dass unsere Mutter seit zwei Tagen sehr müde ist und es ablehnt, zu essen und zu trinken. Ich buche sofort einen Flug. Es scheint möglich zu sein. Denn als Deutsche darf ich nach Deutschland einreisen und ab dem 1. Juli kann man hoffentlich wieder nach Spanien einreisen. Die lange Zeit der Abschottung hat unserer Mutter nicht gut getan, der fehlende Kontakt zu ihren Kindern und Enkeln hat sie sichtlich zusammenfallen lassen, obwohl sich das Personal sehr um sie bemüht hat.
22.06. Montag
Flughafen – der leere Flug, die besonders bemühten Stewardessen, kalte aircondition. Maske auf die ganze Zeit. Läden geschlossen.
Ankunft in München. Relativ normaler Umgang in der „neuen Realität“
23.06. Dienstag
Sonderregelung für die Angehörigen. Unbürokratischer Umgang. Mutter nach drei Monaten sehr abgemagert und in schlechtem Zustand.
Abends erstes Treffen mit meiner Enkelin – große Freude aber auch mit Vorsicht. Es wird von den Freundinnen das Foto der Großmutter mit Enkelin auf dem Arm gefordert, aber ich möchte lieber 5 Tage abwarten nach dem Flug.