„Keine Macht für Niemand“
Lasst endlich die Exponate sprechen
Es ist erreicht. Was Adolf Bastian mit der Gründung des Museums für Völkerkunde mitten in der aufstrebenden Metropole Berlin einst wollte und was im Bombenhagel des II. Weltkriegs unterging, hat sich mit der Einrichtung des neuen Humboldt Forums wieder herstellen lassen. Bastian ging es allerdings um die zentrale Präsentation der Ergebnisse einer weltweit tätigen Rettungsforschung, eine sehr bildungsbürgerlich getönte Sicherstellung der unterschiedlichsten Kulturblüten, bevor die damals kolonial einhergehende Globalisierung sie zertreten konnte. Heute dagegen gibt es nichts mehr zu retten außer dem Rettungsgedanken selbst, der von der mehr staunenden als karitativen Anerkennung des kulturell Anderen lebt.
Es sind stumme Ankläger, die bald von ihrem Dahlemer Nachkriegsexil ins Zentrum der Hauptstadt zurückkehren und ausgerechnet in einer Replik des Herrschaftssitzes des Zweiten Deutschen Reichs Platz nehmen werden. Der Neubau musste aus stadtbildnerischen Gründen Dimensionen und Formensprache der Hohenzollerndynastie wiederholen. Im Innern aber werden die Exponate regieren, mit ihrer sprachlosen Anklage, Opfer der Weltzivilisation geworden zu sein, eingehandelt von Geschäftemachern, Konquistadoren, mehr oder weniger wissenschaftlich vorgebildeten Sammlern und schließlich solide befugten Museumsethnologen, die die Objekte aus ihren Zusammenhängen rissen, aufkauften oder sicherstellten, auch wenn sie von ihren „Trägern“ oft genug freiwillig als Ballast der Vergangenheit feilgeboten waren.
Ethnographische Objekte sind Meister der Verwandlung. Was ihnen bleibt auf dem Weg vom fernen, aber lokalen Kultplatz, über die Einschnürung auf dem langen Transportweg und die Desinfektionskuren im Magazin bis zu einem oft revidierten Platz in einer Museumsvitrine ist ihre Wirkkraft. Und die lässt sich über ihren Zauber hinaus schwer bestimmen. Vielleicht aber wird sie hörbar, wenn auf dem Dach des neuen Heims ein sattsam bekanntes Mysterium wiedererrichtet wird: das Kuppelkreuz der lange dominierenden Ehe aus Thron und Altar, die für das christliche Abendland charakteristische Vermählung der Hobbesschen Ungeheuer Leviathan und Behemoth, nun aber im politischen Neusprech als „Zeichen für Toleranz und Weltoffenheit“ (Monika Grütters) uminterpretiert.
Es war oft genug gerade dieses „zusammengeworfene“ Symbolon, das in der weiten Welt für die Zertretung örtlicher Heiligtümer die Rechtfertigung lieferte. Es gab keine europäische Kolonisierung ohne christliche Missionierung. Egal wie rücksichtlos der frühneuzeitliche Plünderungskolonialismus oder der ihm folgende, organisierte der neuen Maschinenzivilisationen sich gebärdeten, die mitreisenden Geistlichen glaubten den rechten Ausgleich verteilen zu können: Das Wort vom Kreuz, das freimacht von den lokalen Bindungen der Ahnen, Geister und Götter. Als Götzen, Fetische und Kultobjekte wanderten ihre Materialisierungen lange in die feudalherrlichen Kunstkammern, z.B. im Berliner Stadtschloss. Die Bürgergesellschaften schufen sich dann eigene Paläste für das immens angewachsene Beutegut des zivilisatorischen Prozesses: die Völkerkundemuseen, von denen Deutschland, die Industrienation mit dem geringsten und kürzesten Kolonialbesitz, die meisten und größten sein Eigen nennt.
War es ein unbekannter Genius loci, der die rätselhaften Erwerbungen aus den Welteroberungen von der Stadtperipherie wieder ins Zentrum Berlins zurückbrachte? Bastian hätte sich bestätigt gefühlt und die Lebenskraft seines „Todesengels“ begrüßt, der nach dem bekannten Zitat die ethnischen Kulturen packt, sobald die westliche Zivilisation sich für sie interessiert. Dass aber die Wiedergeburt seines ethnologischen Museums im Stadtkern von einem Kreuz überstrahlt werden soll, hätte bei ihm Skepsis hervorgerufen. Über die christlichen Weltmissionare schrieb er 1859: „Die Missverständnisse die sie begingen, waren der Fehler des Systems in dem sie erzogen waren und dem sie nur mit allzu gläubiger Verehrung anhingen, aber freilich sind sie genug, um trotz des lächerlichen Eindrucks, den ihre Bekehrungsversuche oft machen, den Leser mit Entsetzen zu füllen über die Verirrungen, denen der menschliche Geist, selbst in einem fortgeschrittenen Zustande der Civilisation, noch ausgesetzt ist.“ (Adolf Bastian: Ein Besuch in San Salvador, der Hauptstadt des Königreichs Congo. Bremen: Heinrich Strack 1859, S. 313, Reprint LIT-Verlag 1988)
Von dieser in der ethnologischen Literatur immer wieder beurkundeten Überrumpelung der Volksgeister durch das Kreuz werden die Exponate im Humboldt Forum Zeugnis ablegen. Das Zeichen auf der Kuppel über ihnen wird sie zum Sprechen bringen. Mehr noch: „Indem sie schweigen, schreien sie“ , lautete eine Redewendung im alten Rom, das dasselbe Schicksal erleiden musste wie die Tausende von Weltkulturen, die nicht die Widerstandskraft der Buddhisten, Shintoisten, Muslime, Juden etc. besaßen, sondern das Kreuz mit Erfolg aufgedrückt bekamen. Das wird sich nun nach dem Beschluss von Horst Bredekamp, Neil MacGregor und Hermann Parzinger wiederholen, auch wenn an eine Relativierung der Kreuzesmacht durch die Nachbildung des schönen Sanchi-Tores und die Zutat des sicher immer angebrachten Wortes „Zweifel“ gedacht ist („Im Zweifel für das Kreuz“, Pressemitteilung vom 6. VI. 2017). Die richtige Antwort auf die durch ihre bloße Existenz anklagenden Ethnographika wäre der Verzicht auf das Kreuz, ein wahres Opfer, das nach den vielen misslungenen Versuchen der vor langer Zeit einmal versprochenen Trennung von Staat und Kirche endlich ein glaubwürdiges Zeichen setzen könnte. In der so imposant gelungenen Hülle des Monarchenpalastes könnte dann alle Macht den Exponaten gehören und die entmachteten Masken könnten mit der einstigen Kultgruppe „Ton, Steine, Scherben“ das leider vergessene Lied „Keine Macht für Niemand“ von 1972 anstimmen.
Bernhard Streck, Jahrgang 1945, war bis 2010 Professor der Universität Leipzig und Leiter des dortigen Instituts für Ethnologie. Seine zahlreichen Veröffentlichungen betreffen Kulturtheorie, Ideengeschichte, Ethnographie Nordostafrikas und Tsiganologie. Er ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und der Frobenius-Gesellschaft Frankfurt am Main.