12/11/20

„Zum Glück bin ich in einer 5er WG und nicht alleinwohnend.“

Deutschland, Augsburg 1. März – 25. April 2020

Meine Notizen dokumentieren insbesondere den situationsbedingten Alltag in einer 5er-WG. Derzeit studiere ich im 6. Semester Kunst- und Kulturgeschichte (B.A.) an der Universität Augsburg. Als studentische Hilfskraft bekam ich Mitte März – zu dieser Zeit traten in Bayern erste Ausgangsbeschränkungen in Kraft- den Auftrag von meinem Lehrstuhl zu beobachten, wie mein soziales Umfeld und ich auf die Folgen des Virus reagieren und zu versuchen, Handlungs-, Wahrnehmungs- und Wertungsmuster in einem Feldtagebuch festzuhalten. Ein Feldtagebuch führte ich zum ersten Mal und ich machte die Einträge jeden Abend. Die Dokumentation beginnt am 19. März und endet am 25. April 2020.

WG-Mitbewohner (anonymisiert):

  • Fine (meine Freundin und Mitbewohnerin)
  • Johannes (Mitbewohner)
  • Manni (Mitbewohner)
  • Thomas (Mitbewohner)
  • Elias (ich)

Externe Personen (anonymisiert):

  • Sabine (Freundin von Manni)

19.03:

Gedanke: Morgendliches Joggen tut gut, man bewegt sich endlich. Warum braucht es überhaupt eine Krisenzeit, um Sport zu machen? Wenn ich das Haus verlasse, gehe ich das Risiko ein, mich irgendwie anzustecken. Ich denke aber, es ist recht unwahrscheinlich.

Türschwelle symbolisiert den Übergangsbereich zwischen Sicherheit und Gefahr.

Essen: Johannes freut sich auf das Einkaufen gehen, weil er die Situation spannend findet und über den Lebensmittelbestand im Supermarkt Bescheid wissen will. Die Lebensmittel (Aldi) wurden wieder aufgestockt, er hat alles Nötige bekommen.

Radio: Fine und ich hören in den letzten Tagen viel Radio und lassen vor allem den Sender B5-Aktuell im Hintergrund laufen. Die Nachrichten wiederholen sich (liegt wohl auch am Senderprofil) und es geht vor allem um Corona, aber ich möchte auch informiert bleiben. Von kaum etwas anderem zu hören als Corona gibt mir ein unwohles Gefühl.

Internet: Haben wir nicht… Wir sind gerade erst umgezogen und unsere ehemalige Mitbewohnerin kündigt den alten Vertrag nicht. [..] Kein Internet zu haben zerrt an den Nerven, wir sind es einfach nicht mehr gewohnt. Fine und ich unterhalten uns viel und schauen viele Filme auf DVD.

Informationen zum Virus: Jeder informiert sich gegenseitig über Neuigkeiten zum Virus und über die Ausbreitung: Immer wieder schauen wir auf die Zahlen der Infizierten in Augsburg und Deutschland.

 

Unser Kaffeekonsum schießt ins Unermessliche und wir brechen WG-Rekorde.

 

20.03.2020

Internet: Der Techniker war da. Unser Anschluss ist defekt und es könnte noch ewig dauern. Ich schüttle ihm lieber nicht die Hand. Er war ein netter, älterer Mann und der Virus schien ihn nicht zu beunruhigen.

Frage an Fine:      Was verbindest du spontan mit Corona?

Antwort:                Arbeit. Aber die Krise zeigt auch, dass Home-Office funktionieren kann. […]

Alltag: Fine muss heute wieder arbeiten. Ich gewöhne mich langsam daran, zuhause zu bleiben und versuche einen geregelten Alltag entstehen zu lassen. Heute: Weißwurst-Frühstück, Wäsche waschen, Mails checken, Recherche für die Hausarbeit.

Politik: Söder hat heute eine Pressekonferenz gegeben. Die WG sitzt gemeinsam vor einem Handy und hört zu. Maßnahmen in Bayern à Ausgangsbeschränkungen bis zum 03.04. Unternehmungen im Freien sind nur noch aus triftigen Gründen und mit Personen aus dem gleichen Hausstand möglich. Arbeit, Einkäufe, Arztbesuche und Bewegung. Zum Glück bin ich in einer 5er WG und nicht alleinwohnend. Wir sind mit dem Ergebnis zufrieden. Manni wird jetzt erstmal nicht mehr im Baumarkt arbeiten dürfen. Ich bin auch gespannt, wie es mit Fines Arbeit weitergehen wird. […]

Urlaub: Urlaubspläne stehen erstmal still. Manni und Sabine werden nicht nach Portugal fliegen können.

Diskussion mit Sabine und Manni: Darf oder sollte Sabine uns in der WG überhaupt noch besuchen? Als Heilerziehungspflegerin betreut sie Autisten und hat viel Kontakt mit ihnen. Ihre Gruppe hat allerdings keinen Kontakt zu Außenstehenden. Wir haben uns darauf geeinigt, dass sie uns besuchen kommen kann und sie soll sich einfach gründlich die Hände waschen, wenn sie bei uns ankommt. So machen wir es auch. Im Zuge dessen haben wir auch darüber geredet, wie schmal der Grat zwischen Freiheitseinschränkung und sinnvollen Maßnahmen ist. Er ist derzeit sehr schmal.

Frage an Thomas:       Was verbindest du spontan mit Corona?

Antwort:                       Es ist vor allem nervig, aber ich mache mir auch Sorgen um meine Mutter und meinen Opa. […]

Gedanken: Thomas und ich haben uns ausgemalt, wie wir im Falle eines dystopischen Epidemie-Verlaufs durch das menschenleere Augsburg spazieren.

Abb. 1: Leere Annastraße in Augsburg, © Elias Mai.

Das verbinde ich spontan mit Corona:

In erster Linie unsere Wohnung, da wir gerade erst umgezogen sind und ich jetzt enorm viel Zeit hier verbringe und verbringen werde. Auch die allgemeine Panik-Stimmung, die sich in den Köpfen der Menschen niederschlägt. Es ist interessant zu beobachten, wie der gesellschaftliche Trott auf den Kopf gestellt wird.

Öffentlichkeit: Restaurants und Biergärten haben geschlossen. Take-Away bleibt aber eine Option, die wir auch nutzen.

Abb. 2: Am Augsburger Rathausplatz sitzen immer noch Menschen, © Elias Mai.

 

 

 

 

21.03.

Langeweile und Produktivität: Langeweile macht sich in mir breit. Immerhin schreibe ich gerade an einer Hausarbeit, so kann ich mich ganz gut ablenken. Ich merke, dass das mit einem geregelten Tagesablauf besser funktioniert und habe angefangen, täglich früher ins Bett zu gehen.

Mitbewohner: Bis auf Fine haben meine Mitbewohner derzeit keinen Job. Sie sind viel Zuhause und fühlen sich tendenziell schlapp und müde. […]

Kaffee: Unser Kaffeekonsum schießt ins Unermessliche und wir brechen WG-Rekorde. Wir sind trotzdem müde und schwitzen mehr als sonst.

Freizeit: Gestern Abend haben wir einen Brettspieleabend gemacht und einer meiner Mitbewohner wurde übermäßig kompetitiv und beleidigend. Den Wutausbruch kann ich nicht genau erklären. Vielleicht spielen die Ausgangsbeschränkungen dabei eine Rolle oder es ist ein Charakterzug, den wir davor noch nicht kannten. Vielleicht auch beides. […]

 

22.03.

Hausarbeit: Konzentriert zu arbeiten fällt mir schwer, da Fines und mein Zimmer ein Durchgangszimmer zur Dachterrasse ist und meine Mitbewohner von morgens bis abends durchspazieren. Das kann und möchte ich ihnen auch nicht verbieten, da die Dachterrasse sich als Hotspot der WG etabliert hat. Cool bleiben ist angesagt. Auch, dass Manni, Thomas und Johannes derzeit nur faulenzen, macht mich etwas neidisch.

Abb. 3: Die Dachterrasse ist das ‚Wohnzimmer‘ der WG © Elias Mai

23.03.

Sport und Senioren: Heute Morgen war ich entlang der Wertach joggen. Bewegung tat mir gut und ich fühlte mich frei. Mir fällt auf, dass das theatralischer klingt, als es in Anbetracht der Umstände ist. Auf meiner Route habe ich kaum Menschen gesehen, nur ältere Menschen und Jogger. Warum noch SO viele alte Menschen in der Öffentlichkeit unterwegs sind ist mir ein Rätsel.

Eltern: Ich habe regelmäßigen Kontakt zu meinen Eltern. Meine Mutter ist deutlich panischer als mein Vater und die Telefonate dauern sehr lange. […] Meine Mutter ist krankgeschrieben, weil sie Urlaub in Marokko machte und Kontakt zu Personen hatte, die Kontakt zu Infizierten hatten. Außerdem ist sie über 60 Jahre alt. Sie spürt auch Symptome, allerdings nur solche, die als Nebenerscheinungen von Corona aufgezählt werden. Ich vermute, dass es nur psychosomatisch ist und, dass sie nicht infiziert ist.

 

Es passiert allgemein sehr wenig und ich habe das Gefühl, dass sich alle mehr beschweren als sonst.

 

 

24.03.

Stimmung: Es passiert allgemein sehr wenig und ich habe das Gefühl, dass sich alle mehr beschweren als sonst, vor allem Thomas. Das nervt ein wenig.

Freizeit: Heute Abend habe ich mit Fine ein 1500-Teile Puzzle gemacht. Es war überraschend meditativ und eine perfekte Tätigkeit für die Corona-Zeit. Wir haben gleich ein Neues bestellt und mussten feststellen, dass sehr viele Puzzles online ausverkauft sind. Irgendwie fühlte es sich so an, als könnte ich meine Unproduktivität mit dieser künstlichen Aufgabe gut kompensieren.

 

25.03.

Klopapier: Heute stand ich morgens um 8.00 Uhr vor einem Drogeriemarkt, um Klopapier zu kaufen. Es war auch noch welches da, aber nicht mehr viel. Komischerweise werden jetzt Marken verkauft, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Auch Spülmittel und Seife waren fast ausverkauft. Händewaschen finde ich ja super, aber vom Hamstern halte ich nichts.

Beobachtung: Auf dem Weg zum Drogeriemarkt sah ich ältere Herren, vermutlich türkischer Herkunft, an der Tramhaltestelle, wie sie sich unterhielten. Auf meinem Rückweg fiel mir auf, dass sie nicht in die Tram eingestiegen sind und nach wie vor plauderten. Die Bank der Tramhaltestelle ist also ein guter strategischer Treffpunkt in Corona-Zeiten. An das „social-distancing“ Gebot haben sie sich nicht gehalten.

Alte Gewohnheiten: Fines Opa (ü80) lässt sich seinen Stammtisch-Abend nur ungern nehmen. […] Fine und ihre Mutter mussten ihn neulich hartnäckig überreden, Zuhause zu bleiben. Ein komischer Gedanke, ältere Leute zum Zuhause-Bleiben aufzufordern.

Corona wird uns wohl noch eine ganze Weile beschäftigen, die Zahlen steigen weiterhin.

Essen: Fine und ich haben gestern Essen bestellt und es wurde viel schneller geliefert als sonst. Man könnte meinen, dass die Lieferservices derzeit ausgelastet sind, aber das schien gestern nicht der Fall zu sein. Eventuell ein Zufall?

 

26.03.

Beobachtung: Heute Vormittag hat Fine zwei Jugendliche von der Dachterrasse aus beobachtet, wie sie sich an einer Wegkreuzung getroffen haben und sich gegenseitig etwas überreicht haben. Aus er Ferne näherten sich zwei Jogger und die beiden Jugendlichen ‚flohen‘ in verschiedene Richtungen. Eventuell wurde sie Zeugin eines Drogendeals. Ich frage mich, wie es sich derzeit um diese „Branche“ verhält.

Hiwi-Job: Heute habe ich für zwei Mitarbeiterinnen des Lehrstuhls ein Interview von Zuhause aus transkribiert. Bis auf Startschwierigkeiten auf Grund des Dateiformats hat das gut geklappt.

 

27.03.

Thomas: Thomas bunkert sich mehr und mehr in seinem Zimmer ein und spielt irgendwelche Online-Multiplayer-Spiele. Durch die Team-Speak-Funktion ist er noch mit seinen Freunden in Kontakt und sie tauschen sich auch über Neuigkeiten aus. Für ihn ändert sich während der Krise am wenigsten. Neulich merkte er an, dass sich Menschen im Supermarkt auch nach Corona an den Mindestabstand halten sollten, weil das Gedränge schon an sich nervig ist.

Johannes: Auch ihn scheint die Ausgangssperre nicht allzu sehr zu stören. Er müsste eigentlich eine Hausarbeit schreiben, hat aber offenkundig überhaupt keine Lust. Er schaut vor allem irgendwelche YouTube-Videos und Serien und chattet ab und zu mit Freunden. Heute hat er uns erzählt, dass seine Schwestern sich in ihren Grundrechten stark eingeschränkt fühlen und mit der Regierung unzufrieden sind. Johannes stritt mit ihnen. […]

Manni: Manni ist ein sehr freiheitsliebender Mensch und leidet vermutlich am meisten unter den Ausgangsbeschränkungen. Wenn die Sonne scheint und er nicht arbeiten muss, findet man  ihn sonst immer im Skatepark. Skateparks sind derzeit geschossen. Derzeit wirkt er etwas unmotiviert. Seit Kurzem ist er mit Sabine zusammen, in Bezug auf den Lockdown ist das sicherlich ein Segen.

WG: Derzeit ist Thomas das einzige WG-Mitglied ohne PartnerIn. Ich frage mich, ob er sich gerade in dieser Zeit einsam fühlt. Früher hat er öfters erwähnt, dass er gerne wieder eine Freundin hätte. […]

Fine: Fine arbeitet in Festanstellung an der Universität Augsburg und hat nach wie vor eine 40 Stunden-Woche. Drei Tage davon ist sie jetzt im Home-Office. Das klappt auch ganz gut, sagt sie. Sie wird wegen Corona durch die Arbeit sehr strapaziert und denkt und redet viel über die Arbeit und die durch Corona verursachten Konsequenzen für die Uni. Wenn sie Zuhause ist, ist sie oft gestresst und müde. Ich höre ihr zu und versuche für sie da zu sein.

Update zum Zustand meiner Mutter: Sie wurde getestet und das Ergebnis war negativ. Hurra!

 

Hysterie, Durcheinander und Regelundurchsichtigkeit. Prokrastination jeden Tag.

 

 

28.03.

WG: Wir haben jetzt beschlossen, dass Samstag der offizielle ‚WG-Spieletag‘ wird. Wir spielen Schwimmen und Yaniv (ein israelisches Kartenspiel) und probieren hin und wieder was Neues aus. Johannes hat ein paar Brettspiele von seinem Freund mitgebracht. Sabine ist auch immer mit dabei. Das hätten wir vor der Corona-Situation vermutlich nicht gemacht.

Frage an Johannes: Was verbindest du spontan mit Corona?

Antwort: Hysterie, Durcheinander und Regelundurchsichtigkeit. Prokrastination jeden Tag.

 

29.03.

Es kommt mir vor wie ein typischer Sonntag. An Sonntagen ändert sich gefühlt bei uns am wenigsten, da man dann eh nicht einkaufen kann und viel Zeit Zuhause oder mit Spazierengehen verbringt.

 

30.03.

Internet: Wir haben zwar seit ein paar Tagen endlich Internet bekommen, aber die Verbindung bricht immer wieder ab. Vermutlich liegt das daran, dass so viele Leute Zuhause sind. Das ist besonders für Fine schwierig, da sie für ihre Arbeit auf eine gute Verbindung angewiesen ist.

Hiwi-Job: Der Hiwi-Mail-Account wurde gehackt und jetzt müssen wir die Ursache dafür zu finden. Es liegt vermutlich daran, dass wir uns mit unseren privaten Rechnern angemeldet haben und einer davon infiziert war. Wir können uns nun erstmal nicht anmelden, da ich auch das Büro in der Uni meiden soll. Arbeitsaufträge erhalte ich nun über meinen privaten Mailaccount.

 

31.03.

WG-Diskussion: Wir haben heute über das Thema bedingungsloses Grundeinkommen gesprochen, das zur Zeit viel in den Medien kursiert. Uns ist aufgefallen, dass etwaige Corona-Hilfszahlungen vom Staat dem Grundeinkommen sehr ähnlich sind. Wir sind gespannt, ob die Krise dieses Thema weiter anheizt.

Schreibtisch: Mein Schreibtisch ist so in den Raum gerichtet, dass ich für die Durchlaufenden wie Empfangspersonal wirke. Vermutlich werde ich deshalb immer angesprochen, wenn jemand durch das Zimmer auf die Dachterrasse geht. Das ist auf Dauer anstrengend.

 

01.04.

April, April: Als Fine vom Duschen zurückkam habe ich ihr vorgegaukelt, dass das Internet schon wieder ausgefallen ist und dass sie jetzt nicht arbeiten kann. Sie ist daraufhin völlig aufgewühlt zum Router gelaufen und war sehr erleichtert, dass das zugegebenermaßen nur ein uninspirierter Scherz war.

 

02.04.

Home-Office: Fine und ich sitzen an unseren Schreibtischen und arbeiten vor uns hin. Wenn Fine telefonieren muss, gehe ich meistens aus dem Zimmer. Seit klar ist, dass es noch länger so gehen wird und wir in einem Zimmer gleichzeitig arbeiten müssen, ist die Stimmung etwas angespannter. Langfristig müssen wir das vielleicht besser koordinieren, vor allem im Hinblick darauf, dass ich bald von Zuhause aus Online-Kurse haben werde.

Johannes: Johannes wohnt nur übergangsweise in unserer Wohnung, da er derzeit ein eigenes Haus baut. Wenn er ausgezogen ist, habe ich wieder ein eigenes Zimmer und das Leben in der WG wird vermutlich etwas einfacher.

Corona: Dass Fine und ich uns ein Zimmer teilen ist für uns eine neue Situation. Da Fine normalerweise fünf Tage pro Woche arbeitet, hätte ich in der Zeit das Zimmer für mich. Da hat uns Corona aber einen Strich durch die Rechnung gemacht. […]

Apropos Rechnung: Seit ich mehr Zeit Zuhause verbringe als sonst gebe ich viel weniger Geld aus und konsumiere auch allgemein weniger – vor allem unnötige Dinge fallen weg.

 

03.04.

Spaziergang: Thomas und ich haben heute Nachmittag eine zweistündige Nachbarschaftserkundungstour gemacht.  Es hat gut getan mal wieder länger draußen unterwegs zu sein. Uns ist aufgefallen, dass uns nichts aufgefallen ist; alles schien normal zu sein. Kinder haben im Park gespielt und Leute sind ihrer Arbeit nachgegangen.

Reise: Fines Schwester wäre heute eigentlich auf unbestimmte Zeit nach Australien geflogen. Das geht jetzt nicht mehr (dieser Satz wird langsam generisch). Bei den Fluggesellschaften sowie der Botschaft bekommt sie kaum Auskünfte oder erreicht gar niemanden. Sie ist jetzt arbeitslos und in Deutschland bei ihren Eltern gestrandet.

 

04.04.

WG-Spieletag: Heute haben wir wieder einmal eine Spieletag gemacht. Die anfängliche Euphorie ist verflogen. Aber das ist auch okay. Die Spielzeiten wurden etwas kürzer und wir lagen im Endeffekt nur apathisch in der Sonne und wollten eigentlich einfach nur nichts tun.

 

05.04.

Meine Tagebucheinträge werden kürzer. Das liegt auch daran, dass wir uns angewöhnt haben, nicht mehr so viel über Corona zu lesen und zu sprechen. Das Thema und die Diskussionen haben jeden Tag eine zu große Rolle gespielt. Dennoch möchte ich informiert bleiben und nicht den Anschluss verlieren.

Stimmung: Heute ging es mir weniger gut. Generell schwankt die Stimmung jeden Tag und ich habe das Gefühl, dass auch die Stimmungen aller WG-Bewohner extremer sind.

 

06.04.

Fine: Fine ist jetzt schon gestresst, weil sie in beiden Ferienwochen sehr viel arbeiten muss und Kolleginnen Urlaub haben. Deshalb muss sie nun öfter ins Büro und in kürzerer Zeit (Feiertage) ihre Arbeit erledigen.

Ich: Telefoniere ab und zu mit meinen Freunden aus München und wir tauschen uns über Neuigkeiten aus. Wir sprechen meistens über Whatsapp-Video-Anrufe, damit man sich auch mal sieht. Das haben wir vor Corona nicht getan. Ein guter Freund von mir muss seine halbjährige Reise nach Guatemala absagen. […]

 

07.04.

Hausarbeit: Heute Vormittag habe ich an meiner Hausarbeit gearbeitet. Mir fällt es allgemein zunehmend schwerer konzentriert zu bleiben. Ich würde am liebsten in die Bibliothek der Uni fahren und dort weiterarbeiten. Ein Tapetenwechsel ist leider gar nicht möglich.

Konjunktiv: Ich würde gerne: Verreisen, Feiern, meine Freunde und Familie treffen, Fußball spielen, ins Theater gehen und Schwimmen gehen.

[…]

 

09.04.

Studium: Eine Exkursion, für die ich mich angemeldet hatte, wurde heute abgesagt. Das war abzusehen. Vermutlich werden die Inhalte angepasst, sodass der Kurs auch online stattfinden kann. Ich gehe außerdem davon aus, dass es in diesem Sommersemester überhaupt keine Präsenzveranstaltungen geben wird.

 

10.04.

Heute ist Karfreitag und wir haben von Fines Vater Steckerlfisch vom Land geliefert bekommen. Anschließend haben wir unsere Fahrräder aufgepumpt und eine kleine Fahrradtour gemacht. Da Fine so überarbeitet war, war sie sich unsicher, ob sie das Büro abgesperrt hat. Deswegen sind wir über die Uni – natürlich war das Büro verschlossen – über Feldwege nach Göggingen und von dort entlang der Wertach nach Hause gefahren. Es sind unglaublich viele Menschen unterwegs gewesen, sodass man mit dem Fahrrad kaum durchkommen konnte. Den Rest des Tages haben wir auf der Dachterrasse verbracht und gelesen.

 

11.04.

Schweinebraten: Wir sind wie immer früh aufgestanden und haben mittags den vorbestellten Schweinebraten abgeholt. Die Leute standen bis weit vor dem Eingang mit Sicherheitsabstand an.

Handschuhe: Von Fines Mutter haben wir Einweghandschuhe und selbstgenähte Gesichtsmasken bekommen und die Handschuhe zum ersten Mal im Supermarkt benutzt. Am Eingang des Supermarkts wird nun auch kontrolliert, dass sich immer nur eine bestimmte Anzahl von Leuten im Laden aufhält. Dadurch gab es eine kleine Warteschlange vor dem Supermarkt.

 

12.04.

Ostersonntag: Fine und ich haben heute Schweinebraten mit Knödeln und Blaukraut für die WG und Sabine gemacht. Johannes hat einen Kuchen gebacken. Da wir tagsüber mit dem Essen beschäftigt und danach etwas träge durch die schwere Mahlzeit waren, haben wir uns kaum noch bewegt.

 

Wir haben die Feiertage so traditionell wie lange nicht mehr gefeiert und es fühlte sich an, als würden alle die gemeinsame Zeit sehr genießen.

 

 

13.04.

Ostermontag: Auch heute gab es wieder ein großes Essen. Manni und Sabine haben Spargel mit Kartoffeln für alle gemacht. Corona war in den letzten Tagen kaum ein Thema.

Rückblick: Wir haben die Feiertage so traditionell wie lange nicht mehr gefeiert und es fühlte sich an, als würden alle die gemeinsame Zeit sehr genießen. In den letzten Jahren sind wir oft über Ostern zu den Familien gefahren. Auch das war dieses Jahr leider nicht möglich. Vielleicht haben wir deshalb diese Tage etwas familiärer und traditioneller verbracht und wollten unterbewusst ein Gefühl von Feiertagen bei der Familie vermitteln. Thomas meinte auch, es fühlt sich an wie an den Weihnachtsfeiertagen bei der Familie: Essen-Kuchen-Essen-Kuchen etc.

 

14.04.

Hausarbeit: Heute saß ich an meiner Hausarbeit und bin auch recht gut vorangekommen. Mein Thema „Gartenschauen als Event“ finde ich interessant und mir fallen ständig neue Variablen ein, die ich berücksichtigen könnte. Dabei fällt mir immer wieder auf, wie spannend es ist, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, mit dem man sonst überhaupt nichts zu tun hat. Vielleicht ist es auch der Corona-Situation geschuldet, aber ich würde dieses Jahr gerne eine Gartenschau besuchen, um das „Event“ selbst hautnah erleben zu können.

Die andere Art von Hausarbeit: Wäschetürme biegen sich und ich erledige in meinen Pausen Aufgaben im Haushalt. Mir fällt wieder auf, dass haushaltliche Pflichten in Corona-Zeiten viel mehr geworden sind.

 

15.04.

Hiwi-Job: Die Home-Office Regelungen werden bis zum 30.04. verlängert. Das bedeutet, dass wir nach wie vor nicht in der Uni arbeiten können. Ich bezweifele, dass sich danach viel ändern wird. Die Regierung betont in den Medien immer wieder, dass man nur in ganz kleinen Schritten wieder zur Normalität zukehren wird.

Social Media: Mir ist aufgefallen, dass immer mehr Leute Selfies mit Mundschutz posten. Meine Mutter schickt regelmäßig Updates über die Familien-Whatsapp-Gruppe und teilt Videos zu Corona. Sie wohnt derzeit allein und sucht daher mehr als sonst den Kontakt zur Familie.

 

16.04.

Einkaufen: Uns fällt auf, dass mehr Menschen im Supermarkt inzwischen einen Mundschutz tragen und sich dadurch aber auch mehr in Sicherheit wiegen. Der Mindestabstand wird nicht mehr eingehalten, nur im Bereich der Kasse, da man durch Bodenmarkierungen darauf aufmerksam gemacht wird. Im Drogeriemarkt wollte ich mich an der Kasse anstellen und habe das Ende der Schlange nicht erkannt, da sich die Anstehenden auch in den Regalen umgesehen haben. Eine ältere Dame hat mich daraufhin ziemlich laut zurechtgewiesen und damit die Aufmerksamkeit aller auf mich gelenkt. Im engen Gang war es mir nicht möglich, den Mindestabstand einzuhalten. Der Tonfall und die öffentliche Bloßstellung hat mich geärgert. Zu solchen Menschen sollte man aus Prinzip Mindestabstand halten.

Manni und Sabine: Die Beiden verbringen mehr und mehr Zeit bei Sabine Zuhause, da sie nur einen Mitbewohner hat, der öfter nicht da ist. Das kann ich sehr gut verstehen, da sie dadurch mehr Privatsphäre haben und auch mal Zeit zu zweit haben.

Bart: Heute habe ich aus meinem Vollbart einen Schnauzer gemacht. Fine gefällt es angeblich. Da bin ich mir noch nicht so sicher. Aber es ist die beste Zeit, um mal so etwas auszuprobieren. Ich habe ein bisschen den Magnum-Look angestrebt, aber ich sehe anscheinend eher aus wie der dickliche Pablo Escobar aus der Serie Narcos.

 

17.04.

Universität: Wir haben heute eine Mail zum Sommersemester von der Uni bekommen. Lehrveranstaltungen finden über Digicampus, Zoom und MS Teams statt. Die Bibliothek wird weiterhin geschlossen bleiben. Das Rechenzentrum stellt Software zur Verfügung und die Vorlesungszeit wird bis zum 07.08.2020 verlängert. Auch Abgabefristen sind erstmal ausgesetzt, was mir sehr zu Gute kommt. Die Hausarbeit ausschließlich von Zuhause zu schreiben, ist noch schwieriger als gedacht, da man keine Literatur aus der Bibliothek hat und viel abgelenkt wird. Ich merke, dass es problematisch ist, keine richtige Trennung zwischen Arbeitsplatz (als Student und Hiwi) und privatem Raum zu haben. Ich habe ständig das Gefühl, theoretisch mehr erledigen zu können. Vielleicht ist es für Leute, die ein separates Zimmer als Büro nutzen können, etwas einfacher.

Frisuren: Johannes hat spontan beschlossen, sich die Haare abzurasieren. Ein richtiger Britney-Spears-Moment. Wir sprechen allgemein viel über unsere äußerliche Verfassung. Man bleibt doch den ein oder anderen Tag lieber in der Jogginghose und duscht etwas später.

 

18.04.

WG-Leben: Fine und ich sind inzwischen mehr von unserer durch corona- und durchgangszimmerbedingten Situation genervt. Wir haben immer weniger Lust mit den anderen zu kochen und zu essen.

Essen: Diese Woche hatten wir Lust auf Bayerische Küche. Deshalb haben wir beim Metzger einen frischen Leberkäse, süßen Senf und Fleischsalat gekauft. Dieses Mal war dort nicht ganz so viel los wie an Ostern. Vor der Pin-Eingabe am EC-Karten-Lesegerät wurde dieses komplett desinfiziert. Das haben wir zum ersten Mal gesehen.

Manni: Er hatte heute Bewegungsdrang und war an einem „Streetspot“ alleine skaten. Für ihn ist es immer noch schwierig, dass die Skateparks geschlossen sind und überwacht werden.

Ich: Sobald ich etwas weniger zutun habe, werde ich auch mal wieder mein Skateboard auspacken und eine Runde drehen. Das wäre mal wieder eine Abwechslung zum einsamen Joggen und Home-Fitness.

 

19.04.

Den Sonntag haben wir mit Ausruhen und Lesen verbracht. Es war schön, einfach mal nichts zu tun. In meinem Buch schildert Heinrich Heine seine Eindrücke von einer Italienreise in den Apenninen. Das erinnert mich an Fines und meine Italienreise im letzten Jahr. Wir überlegen, wie wir dieses Jahr Urlaub machen können. Bisher hatten wir nur einen Campingausflug mit Freunden im August in der Fränkischen Schweiz und einen Festivalbesuch geplant. Das Festival fällt ins Wasser, da Großveranstaltungen bis Ende August verboten wurden. Wir hoffen, dass wir zumindest campen gehen können.

 

20.04.

Öffentliche Verkehrsmittel: Fine berichtet von ihrer ersten Tramfahrt mit Mundschutz. In der Tram wird alle paar Stationen durchgesagt, dass die Passagiere eine Maske oder einen Schal tragen sollen, der Mund und Nase bedeckt. Sie meinte, dass sich daraufhin alle umsahen und diejenigen ohne die erforderliche Kleidung auf dem Sitzplatz einsanken und die Vorbereiteten sich stolz präsentierten.

Familie: Mein Vater kann ab heute wieder seinen Antiquitätenladen in München öffnen und ist sehr froh darüber. In den letzten Wochen konnte er nur noch Aufträge für seine Polsterei annehmen und in der Werkstatt arbeiten. Er ist selbstständig und daher auf viel Kundenkontakt angewiesen. Meine Mutter arbeitet in einem Münchner Theater im Fundus und ist für die Kostüme zuständig. Nach ihrer Krankschreibung sollte sie von Zuhause aus Masken für die anderen MitarbeiterInnen nähen. Diese werden alle paar Tage abgeholt. So kann sie sich ihre Arbeitszeiten besser selbst einteilen und ist zufrieden damit.

 

21.04.

Schule: Seit gestern hat die Schule wieder angefangen. Bisher findet auch die Schule ausschließlich online statt. Wir haben uns überlegt, wie das für uns in Schulzeiten gewesen wäre und meinen, dass wir es nicht so schlimm gefunden hätten. Die Eltern jüngerer Kinder trifft es bestimmt am meisten. Für Kinder ist es vermutlich am schlimmsten, dass sie ihre Schulfreunde nicht sehen können. Ähnlich wie im Studium müssen die Kinder und Jugendlichen den Schulalltag allein (oder mit den Eltern) organisieren. Thomas berichtet, dass seine Schwester dieses Jahr Abitur schreibt und noch nicht weiß, ob eine sichere Prüfungsdurchführung möglich ist. Sie hat vor allem Angst, weil sie mit hochgefährdeten Personen zusammenwohnt.

Oktoberfest: Heute wurde bekannt gegeben, dass dieses Jahr kein Oktoberfest in München stattfinden wird. Irgendwie ist das auch nicht so schlimm, Bier trinken geht auch von Zuhause und im Herbst auch vielleicht wieder mit Freunden. In den Medien wird darüber diskutiert, ob das kulturelle Auswirkungen haben könnte, da Schausteller dieses Jahr kein Einkommen haben werden.

 

22.04.

Studium: Heute hatte ich meinen ersten Online-Kurs. Anfangs war es etwas chaotisch, da wir uns über das Forum und Blubber im Digicampus austauschen sollten. Eine Echtzeit-Kommunikation mit allen ist dort aber kaum möglich. In der darauffolgenden Sprechstunde über die Software Pexip wurde der Semesterverlauf besprochen. Ein Kommilitone äußerte sich mehrmals kritisch zum Thema Datenschutz bei Online-Veranstaltungen, da die Video-Seminare gespeichert und damit allen Studierenden zur Verfügung gestellt werden sollen. Er betonte, dass das in der Wirtschaft nicht so gehandhabt wird und wurde immer wieder von der Dozentin darauf hingewiesen, dass die Universität das vorgibt, um für alle Studierenden gleiche Bedingungen zu schaffen. Nicht jeder hat dieselben technischen Mittel.

WG-Leben: Die Lage wird noch angespannter und Fine und ich würden gerne ein paar Regeln zum Durchgang auf die Dachterrasse aufstellen. Es wäre schön, wenn vor allem morgens nicht schon Leute durch das Zimmer gehen. Wir haben festgestellt, dass wir eigentlich nur von Mitternacht bis maximal 9 Uhr morgens Privatsphäre haben. Das ist definitiv zu wenig. Ein möglicher Lösungsweg wäre ein Ampelsystem an der Tür und kein Durchgang vor 10 oder 11 Uhr morgens. Die Mitbewohner reagieren angespannt darauf und würden gerne trotzdem auf der Terrasse frühstücken und Kaffee trinken. Wir wissen noch nicht genau, wie wir das lösen können. Johannes hat außerdem geäußert, dass er jetzt noch länger bei uns wohnen möchte als vereinbart, da sich der Hausbau durch Corona verzögert. Wie lange kann das noch gut gehen, wenn wir weiter so viel aufeinandersitzen?

 

23.04.

Spaziergang: Heute Nachmittag war ich kurz mit Fine spazieren und wir haben in der Nähe eine Kaninchenzuchtanlage entdeckt. Wir waren über diese abgeschlossene Community sehr erstaunt und hatten sowas noch nie gesehen. Besonders Gruppen von Jugendlichen und Kindern halten sich zunehmend nicht mehr an den Mindestabstand und treffen sich in größeren Gruppen. Derzeit ist es aber (seit Montag, den 20.04.) eigentlich nur erlaubt eine Person außerhalb des Hausstandes draußen zu treffen.

Familie und Social Media: Heute habe ich zum ersten Mal mit meiner Familie gezoomt. Es war schön, mal wieder alle zu sehen. Meine Mutter hatte Probleme mit der Technik, aber sie meinte, sie gewöhnt sich langsam daran. […]

 

24.04.

Urlaub: Heute waren Manni und Johannes außer Haus, Fine im Büro und es war der ruhigste Tag seit langem. Zum ersten Mal hatte ich wieder ein bisschen Zeit für mich, ohne, dass ständig jemand ins Zimmer kommt. Es war quasi ein Urlaub von Zuhause, aber Zuhause und ich habe meinen Vormittag zeitunglesend und mit einem Kaffee auf der Dachterrasse verbracht. […]

 

25.04.

Putzdienst: Da alle immer Zuhause sind, ist die Wohnung viel schneller schmutzig als sonst. Fine und ich haben deshalb einen Putztag eingelegt. Ich habe das Gefühl, dass häusliche Aufgaben generell viel häufiger nötig sind. In den letzten Wochen habe ich so viel Wäsche gewaschen, Geschirr abgespült und gesaugt, dass es langsam zu einer Last wird.

Pflanzen: Fine war im Gartencenter um die Ecke und hat Pflanzen und Erde eingekauft. Sie berichtete, dass man für den Einkaufswagen mit Mindestabstand anstehen muss und jede Erwachsene Person einen Einkaufswagen haben muss. Jeder Einkaufswagen wurde desinfiziert. Die meisten Personen tragen inzwischen einen Mund-Nasen-Schutz. Sie hat sich darüber aufgeregt, dass ältere und offensichtlich kranke Personen am Samstagnachmittag, quasi zur Rushhour, meinen einkaufen gehen zu müssen.