08/10/21

„Merke, dass jede Interaktion mit Fremden auf der Straße mehr Bedeutung erhält.“

Würzburg, Germany, 23 March – 15 April 2020

Ich bin Studentin in der Museologie und habe mein letztes Semester im Ausland studiert. Aufgrund der Pandemie musste ich am 17. März, 10 Tage vor dem geplanten Rückflug, das Land verlassen. Zurückgekommen bin ich in eine neue WG: ein beinahe leeres Zimmer, eine unbekannte Mitbewohnerin. Bereits eine halbe Woche nach meiner Ankunft in Deutschland, wurden die Ausgangsbeschränkungen verhängt. Die folgenden Tagebuchnotizen wurden von mir anonymisiert und ich selbst nutze für die Veröffentlichung ein Pseudonym; mein Name ist der Redaktion bekannt).

 

23.03.2020

Ich habe heute viermal telefoniert, zwischen 2,5 h und 15 min. Ich habe aus dem Nichts Leute angerufen – ohne mich, wie sonst, vorher per Textnachricht mit Ihnen zum Telefonieren zu verabreden. Das hat sich komisch und ungewohnt angefühlt, aber irgendwie auch legitim, jetzt, wo eh alle zuhause sind. Ich habe weniger das Gefühl, zu stören oder den Tagesablauf durcheinander zu bringen.

Ein älterer Verwandter freut sich meine Stimme zu hören, als ich ihn anrufe, er ist sehr allein. Er hat eine schwere Grippe, aber erreicht seit mehreren Tagen seine Hausärztin nicht und möchte keine andere medizinische Stelle anrufen, solange es nicht wieder schlechter wird. Er ermahnt mich, besonders vorsichtig zu sein, kein Risiko einzugehen, wiederholt das mehrmals. Scheint sich Sorgen um meine Gesundheit zu machen.

Auch im Telefongespräch mit einer Freundin ist Einsamkeit das große Thema. Sie kommt gerade aus einem Backpacking-Urlaub und hat sich nun vorsichtshalber freiwillig 2 Wochen in Quarantäne begeben. Durch die vielen Kontakte am Flughafen hat sie Angst, sich angesteckt zu haben. Sie hatte auch eine Erkältung, geht aber nicht davon aus, dass es sich um das Virus handelt. Sie fühlt sich sehr allein, beneidet WGs und die Freund*innen, die mit ihren Partner*innen zusammenwohnen.

Ich empfinde heute eher das Gegenteil.

Ich habe das Gefühl, die Telefonate werden länger, intensiver, weil wir uns Zeit nehmen können, Gedanken auszuführen und niemand auf dem Sprung ist.

 

Dadurch bin ich die meiste Zeit des Tages nicht allein oder einsam. Außerdem war ich 2,5h spazieren. Ich habe viel mehr Menschen mit einem Kopfnicken, einem Lächeln oder einem „Hallo“ gegrüßt, als ich das normalerweise tun würde. In Zeiten von wenigen vertrauten Kontakten um mich herum, scheint jede soziale, menschliche, verbindende Geste zu zählen.

Alle haben den empfohlenen Abstand eingehalten, es herrscht eine bedächtige Ruhe und gegenseitige Beobachtung auf den Straßen, die Menschen bewegen sich vorsichtiger.

Eine Freundin erzählt mir davon, wie Bekannte aus einem europäischen Land Schwierigkeiten haben in Mexiko umherzureisen, immer wieder werden sie in Hostels abgewiesen oder dürfen ganze Ortschaften nicht betreten. Die Menschen haben Angst, dass sie das Virus haben könnten. Ich kommentiere, dass es vielleicht etwas Gutes hat, dass auch privilegierte weiße Menschen mal eine Form von „Diskriminierung“ oder Pauschalisierung zu spüren bekommen. Dass ein deutscher Reisepass in dieser Zeit nicht mehr der Garant für jede Einreise ist. Wir lernen hoffentlich unsere Freiheiten und Privilegien mehr zu schätzen, jetzt, wo sie eingeschränkt sind. Vielleicht fördert es die Empathie der Menschen… vielleicht…

Meine Cousine hat einen systemrelevanten Beruf und kommt nach einer 8h-Schicht nach Hause. Im Krankenhaus gibt es jetzt „Lotsen“, die im Eingangsbereich den Besuchenden oder Patient*innen assistieren sollen. Ich glaube, es geht vor allem um Information und Ordnung. Sie empfindet sie wie „Türsteher“ oder „Security“.

 

24.3.2020

Meine Cousine erzählt aus dem Krankenhaus, die „Security“ befragt jetzt alle Personen, die rein oder raus wollen nach ihrem Motiv und ihren Plänen, sie verteilen Nasen- und Mundschutz. Lese vom Erdbeben in Zagreb – irgendwie werden alle anderen Nachrichten von Corona überlagert.

Beim Spazieren entdecke ich in der Unterführung diesen Zettel.

aufgenommen von der Autorin.

Heute sind mehr Leute auf den Straßen. Oben am Hubland auf dem Gelände der Landesgartenschau fühlt es sich beinahe so an, als wäre alles wieder normal. Mit meiner Mitbewohnerin auf der Straße zu sein, lässt mich das „social distancing“ ein bisschen vergessen. Im Supermarkt kommen wir dann aber doch nicht dran vorbei: Hier wurden an der Kasse Plexiglasscheiben angebracht, gestreifte aufgeklebte Bänder am Boden zeigen einen Mindestabstand von 1,5m in der Kassenschlange an, man soll möglichst mit der EC-Karte zahlen. Meine Mitbewohnerin sagt am Ausgang, durch diese Maßnahmen fühlt sie sich jetzt wieder sehr daran erinnert, dass wir in einer Ausnahmesituation leben, ein komisches Gefühl.

Vor mir an der Kasse niest jemand und ich denke sofort: „Ach super, der hat kein Corona. Da niest man ja nicht“. Verstehe aber immer noch nicht, wieso das ein Indikator sein soll. Niest man nicht immer, wenn Fremdkörper oder Irritationen in der Nase sind? Wie kann das ein spezifisches Symptom sein…?

Instagram ist voller „Bleibt zu Hause“ und „Hände waschen“-Aufrufe… schon seit Tagen. Jetzt mischen sich auch immer mehr Artikel über die psychischen Auswirkungen von social distancing darunter.

 

25.03.2020

Ich hole zur Beschäftigung ein Puzzle im Hotel am Bahnhof ab. Merke, dass jede Interaktion mit Fremden auf der Straße mehr Bedeutung erhält. Normalerweise gehen wir einfach aneinander vorbei, jetzt werfen wir uns Blicke zu, ich fange an, fremde Menschen zu grüßen, als wäre das keine Stadt, sondern ein kleines Dorf. Glaube, irgendwie fühlen sich alle verbundener durch die gemeinsame Krise. An der Kasse im Supermarkt unterhalten sich zwei Kassenkräfte. Die eine herrscht den anderen an, weil er einer Person zwei Packungen Zewa verkauft hat. „Das geht nicht. Ist egal, ob er es für jemand anderes kauft, meine Nachbarin ist alt und NIRGENDS gibt es mehr Klopapier. Wegen solchen Spinnern!“ Dachte nicht, dass das noch immer so ein Problem ist.

Suche im Internet nach Nebenjobs und bin überwältigt von den vielen solidarischen Communities, die sich bilden. Auf goodjobs.eu wimmelt es unter dem Stichwort „Held*innen gesucht“ nur so von neuen Websites, die Freiwillige und Nachbar*innen für gegenseitige Hilfe und solidarische Aktionen suchen. Ich bin bei nebenan.de angemeldet, warte aber immer noch auf meinen Zugangscode. Außerdem finde ich sehr viele Aufrufe zur Erntehilfe.

Habe auch schon mehrmals überlegt, mich dort zu bewerben, aber ich bin nicht sonderlich mobil im Moment und habe keine Lust, direkt wieder für mehrere Wochen von Zuhause weg zu sein und am Hof zu schlafen. Stattdessen schreibe ich Bewerbungen für Jobs in der Post-Sortierung und im Einzelhandel. Habe aber ein nicht sehr positives Gefühl, ich fürchte, alle Stellenanzeigen sind überlaufen.

Höre nachmittags die neueste „Lage der Nation“ (Podcast) auf Spotify. Sie machen mir große Sorgen, dass wir Corona noch eine ziemlich lange Zeit miteinander herumtragen. Einmal sagen sie sinngemäß, dass vor zwei Wochen noch jede*r einen Plan für die nächsten 5 Jahre machen konnte… jetzt wissen wir nicht einmal, wie das nächste halbe Jahr aussieht… das macht Angst. Fühle mich komisch fremdbestimmt. Ich wollte gerade mit meiner Masterarbeit anfangen,

das nächste Jahr wäre eines der spannendsten in meinem Leben gewesen und plötzlich schaltet mein Leben auf Energiesparmodus

 

und irgendwie fühlt sich mein Studium und meine Jobperspektive unfassbar unproduktiv und nutzlos an. Merke ich auch bei den Portalen zur Nachbarschaftshilfe… Welche Hilfe können Sie anbieten? Hmmm… Hobbies habe ich ja schon ein paar, die könnte ich sicher auch mit anderen teilen, aber ansonsten… keine Pflegewissen, keine Pädagogik, keine schulrelevanten Fächer, keine Landwirtschaft…

 

26.03.2020

Diskussion um die Gefahr von Corona im Gegensatz zur Grippe. Meine Mutter ist sehr entspannt, ich bin wieder etwas panischer. Ich glaube, ich kann nicht gut mit der Unsicherheit und Unplanbarkeit umgehen. Fühle mich wie im freien Fall.

Noch immer sind meine Möbel und privaten Sachen bei einem Freund untergestellt. Vor den Ausgangsbeschränkungen hatte ich keine Zeit sie abzuholen, jetzt darf ich nicht mehr. Ich muss also warten. Oder mich über das Verbot hinwegsetzen? Mein Freund müsste helfen, weil ich alleine nicht alles getragen kriege, aber damit habe ich eventuell Kontakt zu weiteren Personen, neben ihm natürlich. Meine Mitbewohnerin und ich würden es zu zweit auch nicht schaffen.

 

27.03.2020

Ich höre direkt nach dem Aufstehen die Nachrichten vom Deutschlandfunk – über die Corona-Zahlen in den USA. Ich habe das Gefühl, seit Tagen keine Fallzahlen mehr gecheckt zu haben. Das letzte Mal war die Ausbreitung in den USA doch noch relativ moderat. Auf taz.de stoße ich auf einen Artikel (letzter Zugriff 27.03.2020), der mich aus allen Wolken fallen lässt. Insgesamt sind etwa eine halbe Million Menschen mittlerweile infiziert.

Meine Mitbewohnerin und ich reden über Ostern. Sie will zu ihrer Familie fahren, ich überlege auch zu meinen Eltern nach Berlin zu fahren… Aber eigentlich ist klar, es wäre unverantwortlich und eigentlich auch sinnlos. Auf der einen Familienseite sind viele Asthmatiker*innen und in der Risikogruppe, eine Verwandte ist Altenpflegerin und muss damit ebenfalls sehr vorsichtig sein. Wenn ich in die Wohnungen von Freund*innen gehe, die gerade woanders sind, dann bin ich in Berlin, ein paar Kilometer näher an meiner Verwandtschaft… und habe trotzdem nichts davon. Ich denke, ich bleibe hier. Gesetzlich muss ich sogar.

 

28.03.2020

Habe den Podcast „Sextapes“ gehört. In der „Sonderfolge zu Corona: Self-Care und Sex“ geht es vor allem viel um die psychischen Folgen der Kontaktbeschränkungen, vor allem für Menschen, die alleine wohnen. Danach schicke ich meiner Freundin eine Sprachnachricht und spreche zum ersten Mal aus, wie schlecht es mir damit geht, nicht zu wissen, wann die Beschränkungen zu Ende sind.

Auch während meines Auslandssemesters habe ich mich manchmal einsam und von meiner Familie und meinen Freund*innen isoliert gefühlt, aber da hatte ich ein klares Rückflugdatum,

 

nach dem sich diese Situation verbessert. Doch stattdessen sind wir direkt in diese neue isolierte Situation gestartet und das schlimmste ist, dass ich nicht weiß, wie lange ich es aushalten muss. Habe Angst vor Ostern. Meine Mitbewohnerin fährt nach Hause und plötzlich bin ich alleine. An Feiertagen, die ich sonst immer in großen Familien- oder Freund*innenrunden verbracht habe, im Gottesdienst… Ich habe ein großes Bedürfnis, mich mit Menschen zu verbinden. Bin auf der anderen Seite genervt vom Chatten… kann mich nicht aufraffen, übers Telefon Spiele zu spielen. Ich weiß, dass es diese ganzen Möglichkeiten gibt, aber irgendwie schafft mich diese Vorstellung. Wie viel lieber würde ich einen großen Spieleabend bei mir machen; Menschen UMARMEN!!!, riechen, berühren, wirklich ansehen…

In der Sextapes-Folge wird außerdem erzählt, wie wichtig es ist, dass man sich regelmäßig mit Menschen austauscht, nachfragt, wie sie sich fühlen, wie ihr Tag war… habe beschlossen, dass gewissenhafter zu tun, da zu sein, nachzufragen. Strengt alles mehr an, als sich persönlich zu sehen, verliere auch ein bisschen den Überblick, habe Angst, den Freund*innen und der Familie nicht gerecht zu werden. Dabei hat man doch gerade mehr Zeit für soziale Kontakte – online – als sonst!

Ich telefoniere beim Spazierengehen mit einem Freund. Er erzählt mir von einem Mitarbeiter im Supermarkt, der hinter dem Corona-Virus Gottes Strafe vermutet. Weil wir Homosexualität zulassen. Sind beide sehr schockiert. Laut ihm ist das der Grund, wieso in den Ländern, die Homosexualität unter Strafe stellen, bislang so wenige Menschen erkrankt sind.

 

29.03.2020

Tag beginnt mit einem Artikel „Ohne Perspektiven hält sowas niemand lange durch“ (letzter Zugang 29.03.2020). Danach Dr. Drosten, Corona Update. Danach ein Telefonat mit meiner Tante. Sie ist verärgert, dass jedes Bundesland so unterschiedliche Regelungen hat. Dass es keinen Raum für individuelle Anpassungen an die jeweilige Situation gibt. Was macht die depressive Alleinstehende, wenn sie 6 Wochen in ihrer Einzimmerwohnung hängt? Wieso muss die Polizei solche harten Strafen verhängen? Sie berichtet außerdem von einer Frau, die ihre Nachbarin denunziert hat, weil sie laute Musik aus der Wohnung gehört hat – ist das Zivilcourage oder eher unsoziales Verhalten? Ich verstehe ihren Ärger, bin aber deutlich verständnisvoller mit der Politik und den Maßnahmen. Je komplizierter und einzelfallabhängiger, desto schwieriger die Überprüfung und natürlich auch desto mehr Menschen, die diesen Spielraum ausnutzen. Die Situation ist kompliziert und es nützt nichts, es ist sogar gefährlich, diese negativen Gefühle in eine Wut gegen die Politik zu katalysieren. Am Ende stimmt sie mir ein bisschen zu. Bin stolz, wie gut und wertschätzend das Gespräch gelaufen ist, meistens beharren wir viel mehr auf unseren Standpunkten, sind viel uneinsichtiger. Dann philosophieren wir darüber, wieso vielleicht 2 m Abstand draußen, aber innerhalb einer Wohnung nicht ausreichen… ich denke, es geht um die Viruskonzentration in der Luft und dass im Zimmer auf Dauer nicht genügend Luftaustausch stattfindet. Zum Schluss verabreden wir uns zum gemeinsamen Brunch-Familien-Skype an Ostersonntag. Außerdem hat ein Freund geheim dazu aufgerufen, seiner Freundin zum Geburtstag Videobotschaften zu senden, die er dann zusammenschneidet. Eine Bekannte plant im Video einen Kuchen zu backen und ihr dann einen frischen Kuchen am Geburtstag vor die Tür zu stellen. Ich überlege ebenfalls, was ich Besonderes machen oder ihr schicken kann. Habe plötzlich ganz viele Anlässe im Kopf, an denen ich Menschen etwas schicken und sie damit überraschen könnte, um ein bisschen aus dem neuen Alltag herauszukommen.

Habe außerdem Bücher bestellt, im Onlineshop einer lokalen Buchhandlung. Fühle mich sehr gut und nobel. Auf der anderen Seite versuche ich eigentlich so wenig wie möglich neu zu kaufen, eigentlich lese ich nur gebrauchte oder geliehene Bücher. War auch kurz davor, auf amazon.de die Bücher gebraucht zu kaufen, hätte mich dann aber glaube ich noch schlechter gefühlt. Die Buchhandlung und vor allem die Autor*innen brauchen jetzt mehr Unterstützung.

 

30.03.2020

Im Podcast „Hotel Quarantäne“ von Matze Hielscher spricht dieser mit Dorris Dörrie. Sie rät allen Menschen, in dieser Zeit anzufangen, mehr kreativ zu sein, als zu konsumieren. Wir verlassen uns zu sehr auf das Entertainment von außen, dass wir verlernen selbst etwas herzustellen oder uns zu unterhalten. Ich kann dem komplett zustimmen. Ich verbringe seit Tagen meine Zeit damit Podcasts, Serien, Nachrichten zu hören und zu sehen, zu lesen oder zu puzzeln. Ich merke erst durch die Unstrukturiertheit meines Tages wie kurz ich mich nur noch auf eine Sache konzentrieren kann, die meine eigene Kreativität und Denkleistung fordert. Fühle mich sehr dumm.

Dorris Dörrie schlägt vor, jeden Morgen 10 min zu schreiben.

 

Irgendetwas. Ohne nachzudenken, ohne es zu bewerten, ohne es danach noch einmal zu lesen. Einfach um wieder in den Modus des Selbstproduzieren zu kommen. Ich nehme mir vor, mir so etwas in der Art anzunehmen. Abends gehe ich mit meiner Mitbewohnerin spazieren und Eis essen. Wir stehen brav mit Abstand zu den anderen in der Schlange. Wir dürfen Eissorten probieren und er fragt, ob wir uns einen Löffel teilen. Wir stimmen zu, weisen ihn aber darauf hin, dass das in Zeiten von Corona vielleicht nicht so sinnvoll ist, aber wir wohnen ja auch zusammen, wenn, dann sind wir eh schon beide infiziert. Draußen auf der Brücke ist relativ viel los, allerdings halten alle den Anstand sehr vorbildlich ein.

Für die Freundin mit dem Geburtstag arbeite ich ein kurzes Kreuzworträtsel aus, damit sie an ihrem Geburtstag etwas zu tun hat.

 

31.03.2020

Habe nach dem Aufwachen keine 10-minütige Schreibübung zur Kreativität gemacht, stattdessen 15min Yoga. Gemeinsames Frühstück mit meiner Mitbewohnerin, danach gemeinsames Studi-Karten-Validieren. Kriegen direkt danach einen Link, dass wir dieses Semester die Karte nicht validieren müssen, sondern die Immabescheinigung + Karte + Personalausweis ausreicht.

Wieder niemanden im Bürgerbüro bezüglich Ummeldung erreicht.

Endlich wieder Verschwörungstheorien. Lese den Artikel „Mit Grundgesetz gegen den Verstand“… Freue mich das erste Mal über das Demonstrationsverbot. Dann lese ich noch einen Artikel zu den Auswirkungen von Covid-19 für Selbstständige und Kunstschaffende – „Künstlerpech“. Nehme mir vor, mich bei einem Bekannten zu erkundigen, wie es ihm geht. Er ist freischaffender Musiklehrer. In dem Artikel steht, dass einer der Künstler Reserven für einen Monat hat, ich auch.

Eine Freundin von mir ruft zu einem weiteren Geburtstagsvideo für eine Freundin auf. Sie wollen das geschnittene Video dann an ihrem Geburtstag abends an die gegenüberliegende Hauswand werfen, sodass sie es auf dem Balkon sehen kann.

 

01.04.2020

Bleibe den ganzen Tag zuhause.

Höre den Podcast von Matze Hielscher. In einer neuen Folge spricht er mit Nora Tschirner. Sie erzählt, dass sie sofort eine WG gegründet hat, als sie von Ausgangsbeschränkungen erfuhr. Sie wollte auf keinen Fall mit ihrem Kind allein in der Wohnung sitzen, hatte Angst vor Depressivität. Für sie musste es so kommen mit dem Virus, die Menschheit hat verlernt in Gemeinschaft zu sein und nach Hilfe zu fragen, Schwäche und Angst zuzulassen bzw. zuzugeben. Sie hofft, dass die Krise uns dazu bringt, die Gemeinschaft wieder mehr zu schätzen.

Lese ein ganzes Buch – es gibt mir ein gutes Gefühl für meine Masterarbeit produktiv zu sein.

 

02.04.2020

Gehe einkaufen und muss kurz warten, weil schon 2 Menschen im Laden sind und mehr Menschen zusammen gerade nicht drin sein sollen. Bevor ich irgendetwas anfasse oder einpacke desinfiziere ich mir die Hände, wir haben an der Kasse eine neue Tastatur aus Glas mit Selbstreinigungsfunktion. Ich weiß nicht, wie das funktioniert, aber ganz gewissenhaft befolge ich die Anleitung. Tut gut, diese Art von Normalität zu leben. Einkaufen gehen, kassieren, zurückspazieren. Denke auf dem Rückweg darüber nach, was für ein Glück wir haben, dass die Corona-Krise im Frühjahr stattfindet. Es ist noch relativ kalt draußen, sodass es nicht so viel Spaß macht ganz lange draußen zu sein, aber es scheint und strahlt die Sonne, sodass wir nicht komplett in der Trostlosigkeit versinken können. Wir schauen oder gehen raus und das Wetter gibt uns Hoffnung und Fröhlichkeit und Vitamin D für gute Laune. Will mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn die Ausgangsbeschränkungen im November begonnen hätten.

Mein Puzzle ist fertig.

 

03.04.2020

Langsam stresst mich die Strukturfreiheit!

 

 

Habe das Gefühl zwischen den Stunden und Tagen und Aufgaben zu schwimmen, etwas Wichtiges zu übersehen, dass die Zeit mir davonläuft. Schreibe mir zur Selbstorganisation einen Stundenplan, den ich mir vornehme, streng zu verfolgen.

Im Gespräch mit einer Familienangehörigen geht es um den Umgang mit ihrem dementen Vater. Er versteht nicht, dass jetzt andere für ihn einkaufen sollten, dass er nicht mehr Bahn fahren soll, dass er zuhause bleiben muss. Er versteht es nicht oder vergisst es. Was kann man schon tun? Man kann ihn natürlich nicht einschließen, man kann nur versuchen, ihm zuvorzukommen, ihn zu erinnern. Kontaktvermeidung geht ebenfalls nicht so einfach. Er braucht Kontakt, Hilfe in der Wohnung, man muss regelmäßig nachsehen, dass es ihm gut geht. In einer solchen Situation ist es noch schwieriger, sich nicht von Sorgen überwältigen zu lassen. Auch ein anderes älteres Familienmitglied macht Sorgen. Sie ist depressionsgefährdet.

Höre heute wieder sehr viele Podcasts. Die „Lage der Nation“ beruhigt mich sehr, sie besprechen die finanziellen Soforthilfen, bzw. Kreditmöglichkeiten für Unternehmen und Selbstständige und Möglichkeiten des Trackings via Bluetooth. Damit soll wohl ein guter Datenschutz erreicht werden, weil man keinen Standort von Personen benötigt, sondern nur die Informationen, wie lange wie nah sie Personen gekommen sind. Sie geben mir Hoffnung, dass es ab dem 20.April wieder eine Öffnung der Kontaktbeschränkungen gibt und wir durch großflächige Testung und gezielte Quarantäne von Betroffenen das Virus im Griff haben („Hammer und Tanz Methode“).

Dann höre ich wieder Matze Hielscher. Seine „Hotel Quarantäne“ auf Spotify macht mich immer sehr froh. Höre die Folge mit Sybille Berg, Part 2. Matze erzählt, dass sein Sohn und er sich einen Plan gemacht haben mit Dingen, die sie machen wollen, wenn wieder alles normal ist. Eine Party feiern. Es geht um allgemeine Anspannung, dass im Moment die Unbeschwertheit weg ist. Wie ein Damoklesschwert hängt dieser Virus über jedem Tag und jedem Rausgehen.

Beim Spazieren telefoniere ich mit einer Freundin, die gerade mit der Familie und kleinem Kind zuhause sein muss. Sie ist gerade am Rande ihrer Kräfte, ihr Sohn ist unausgelastet und anstrengend, schläft schlechter ein, ist unruhiger als sonst. Sie versteht nicht, wieso sein Opa nicht mal vorbeikommen kann, wenn sie sonst keinen Kontakt zu anderen Personen haben und ihn damit nicht anstecken können. Ich rate ihr, ihn einfach trotz des Verbots zu besuchen bzw. einzuladen, wenn ihr das helfen würde, durch die Situation zu kommen und alle vorsichtig sind. Ich glaube die lasche Polizeipräsenz will uns vermitteln, dass wir in unserem Verhalten immer noch selbstbestimmt sein können, solange es maßvoll und verantwortungsbewusst ist. Wenn die Familie mit weniger Schäden aus dieser Ausnahmesituation rauskommt, wenn zwischendurch der Opa da ist und das Kind bespaßt, dann bitte!

 

04.04.2020

Lernen und Schreiben am offenen Fenster im Erdgeschoss. Ich höre meine Nachbar*innen auf der Straße miteinander sprechen, ich höre und sehe die Autos, Motorräder, Trams fahren, ich fühle mich mittendrin. Was für ein herrlicher Kompromiss. Normalerweise schreibe und lerne ich am liebsten in Cafés, in Bibliotheken, in Gemeinschaft mit Menschen, ohne, dass ich mich mit ihnen unterhalten muss.

Hier, an meinem offenen Fenster, nur einen Mindestabstand von der Straße entfernt, kann ich diese Atmosphäre, das Unter-Menschen-sein reproduzieren.

 

Um beim Supermarkt einkaufen zu gehen, muss man sich in einer Schlange anstellen. Es werden immer erst Leute reingelassen, wenn andere den Laden verlassen. Am Kopf der Schlange angekommen, dürfen wir trotzdem nicht rein. Wir haben keinen Wagen. Auch wenn man nur 2l Milch kaufen will (was wahrscheinlich während der Corona-Zeit eh ein Frevel ist), braucht man einen Wagen um reinzukommen, für den Mindestabstand. Also nochmal los, netterweise müssen wir uns nicht noch mal anstellen. Es fühlt sich viel, viel voller an als sonst, aber ich glaube, das täuscht. Durch den Abstand und das gegenseitige vorsichtige Umfahren, das Einkaufen wie auf Eiern, wirkt die Verkaufsfläche wie ein enges Labyrinth, nach jeder Ecke wartet ein Hindernis.

Nachts nehme ich noch schnell ein Video für eine Freundin auf, die bald Geburtstag hat.

 

05.04.2020

Sonntag. Ich gehe das erste Mal wieder laufen, 30 min bei gefühlt 25°C und Sonne, super schön, aber auch super anstrengend, bin nichts mehr gewöhnt. Ansonsten bleibe ich zu Hause, habe mich in einen Onlinekurs verbissen, bin super motiviert und kann kaum aufhören, die Module zu bearbeiten. Telefoniere eine Stunde mit einer guten Freundin. Es geht ihr schon deutlich besser als bei unserem letzten Telefonat, ich habe das Gefühl, langsam arrangieren sich alle. Andererseits höre ich aus ihren Nebenbemerkungen, dass die Zeit sie dazu zwingt, sich zu überlegen, wie sie ihr Leben weitergestalten will. Es gibt nicht genügend Ablenkung, um diese Frage aufzuschieben. Die Corona-Krise trifft sie in einer sehr sensiblen und unbequemen Situation ihres Lebens, die jetzt noch einmal verunsichernder ist. Später frage ich mich, ob es nicht auch tröstet, wenn alle gerade in einer ausweglosen Situation mit Zukunftsängsten feststecken… vielleicht fühlt sie sich dadurch nicht so alleine, die anderen „laufen nicht davon“, hängen auch fest… hören vielleicht auch mehr zu.

 

06.04.2020

Heute habe ich mich das erste Mal mit einer Freundin getroffen – trotz Beschränkungen. Wir sind spazieren gegangen. Irgendwann setzen wir uns kurz ans Wasser. Die Sonne steht hoch und heizt den Mittag ganz schön auf, um uns herum sitzen eine verdächtige Menge an kleinen Grüppchen, sogar eine größere Gruppe von 5 Männern ist dabei. Nach ein paar Minuten sehen wir, wie sich ein Polizeiwagen nähert, hält, und zwei Polizist*innen aussteigen. Zum ersten Mal erlebe ich es, wie sich ein aufgescheuchter Schwarm Kraniche fühlen muss. Alle setzen sich gleichzeitig in Bewegung, „spazieren“ vor der Polizei weg. Kurz hatten wir vergessen, bei dem schönen Wetter, bei Eis und Mater, dass die Welt immer noch so durcheinander ist.

 

07.04.2020

Wir sind bei einer Drogeriekette einkaufen und es sind wirklich nur die Drogerieartikel verkäuflich! Zwei Stockwerke sind komplett geschlossen, die Parfumabteilung ist abgesperrt, genauso wie einzelne Segmente, wie z.B. Werkzeug oder so. Man, ich wollte doch Kopierpapier und Post-its kaufen!! Es ist tatsächlich absurd, wenn man an Produkten vorbeiläuft und sie einfach nicht kaufen darf.

Zuhause habe ich noch mal Bücher bestellt bei einer Buchhandlung aus der Nähe, diesmal für mein Studium. Abends veranstaltet meine Freundin ein großes „Geburtstags-Zoom“. Auch hier geht es natürlich um Corona, es wird spekuliert, wie die Welt sich verändern wird. Einer hat eine sehr pessimistische Sicht „Da wird sich für die mittleren Unternehmen gar nichts ändern, für die kleinen wird es schlimm, die großen werden gerettet… und die mittleren kommen irgendwie einigermaßen durch.“ Niemand widerspricht, niemand stimmt zu… wir sind alle Corona-müde. Was vor ein paar Tagen noch das emotionale Thema war, wird langsam zu repetitiv, zu undurchsichtig, ermüdend.

 

08.04.2020

Noch immer stehe ich jeden Morgen spätestens um 10 Uhr auf, nach dem Frühstück ziehe ich mich an und putze mir die Zähne. In seltenen Fällen (sehr, sehr selten) schminke ich mich für ein Video oder ein schwieriges Telefonat (einfach, weil ich mich dann kompetenter und selbstbewusster fühle). Immer noch esse ich etwa zwischen 14 und 15 Uhr zu Mittag und trinke nachmittags Kaffee. Zwischen 23 und 3 Uhr nachts schlafe ich ein.

Wenn ich so darüber nachdenke, haben sich meine allgemeinen Gewohnheiten nicht verändert.

 

Meine Hygiene ist dieselbe, meine Nahrungsaufnahme (außer, dass ich mehr koche) … nur meine Kommunikation mit anderen Menschen hat sich radikal verändert.

Lese vormittags ein Buch (Peter Stamm: Agnes, 1998). Meine neubestellten Bücher kommen mittags an, die Buchhändlerin bringt sie selbst in einer ihrer Plastiktüten gewickelt vorbei.

Meine Mitbewohnerin und ich spielen Karten und trinken Kaffee. Ich erzähle ihr von einer Meldung, die ich gestern Abend gelesen habe… ein 14jähriger Junge wurde von der Polizei in Gewahrsam genommen, weil er mit dem Zug von Ort zu Ort gefahren ist, um seine Freundin zur Überraschung zu besuchen. Als er erwischt wird, versucht er sich erst mit einem Besuch bei der Tante herauszureden, aber das wird als Lüge entlarvt. Ich dachte, Lebensgefährt*innen dürfen sich besuchen? Zählt das 14jährige Teenie-Pärchen nicht?

Heute stehen drei Videokonferenzen an. Das monatliche Plenum meiner solidarischen Landwirtschaft wurde nach zoom verlagert. Wir beraten darüber, ob wir unseren vereinsinternen Solidartopf für Lebensmittelspenden verwenden sollen. Oder geben wir das Geld einfach so an die mobile Flüchtlingshilfe weiter?

Meine neue Lesewut habe ich direkt mit einer Anmeldung bei goodreads umgesetzt. Communities tun gut, auch wenn es viele anonyme, digitale sind. Durch die geteilten Themen und Buchseiten und Songs und den geteilten Online-Aktivismus fühlt man sich mit der Welt verbunden.

Außerdem lese ich einen Artikel über Care Arbeit und ihre Verbindung mit Gleichberechtigung (Bücker, Teresa: Ist es radikal, alle Care-Arbeit selbst zu erledigen?, SZ, 15.01.2020). Dabei stutze ich bei einem Absatz besonders: Wenn zum Beispiel die besonders privilegierten Menschen beginnen würden, ihre Care-Arbeit oder den Anteil der unbezahlten Arbeit in ihrer Familie vollständig selbst zu übernehmen, würden sie sehen, wieviel Arbeit jeden Tag notwendig ist, damit alle gut versorgt sind. Wieviel Care-Arbeit jeden Tag notwendig ist, und um das zu halten, was sie als guten Lebensstandard empfinden. Die Wertschätzung für diese Arbeit und für die Menschen, die sie bislang übernommen haben, würde steigen. Die Menschen, die bislang ihren Anteil delegiert haben, würden sehen, dass die Zeit, die noch übrig ist, nicht mehr reicht, um den bisherigen Umfang ihrer Erwerbsarbeit zu erledigen.“. Sind wir nicht gerade genau da? Jetzt kommen die Reinigungskräfte nicht mehr, die Menschen arbeiten von zuhause, die Kinder müssen zuhause betreut werden – WER übernimmt gerade die Care-Arbeit in den privilegierten Familien? Wir müssen in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen eine Wertschätzung herbeiführen, die nicht nur für Pflegekräfte in Krankenhäusern gilt, sondern eben auch für die ganzen Haushalts- und Familienhilfen, die so im Laufe eines Lebens angeschafft werden. Und sind wir vielleicht danach bereit, diese Menschen besser und angemessener zu entlohnen, oder diese Arbeit stattdessen selbst zu übernehmen?

 

09.04.2020

Heute hat die Freundin meines Bekannten Geburtstag. Ich habe ein Video vorbereitet, rufe sie per Videocall an, schicke ihr auch noch ein selbstgemachtes Kreuzworträtsel. Normalerweise hätte ich glaube ich nicht so viel Liebe und Aufmerksamkeit reingegeben… fürchte ich. Wegen Zeit und so… Aber ich will mir diese Art der Wertschätzung beibehalten, auch nach Corona.

Ich gehe spazieren und einkaufen mit einer Freundin, wieder essen wir Eis. Draußen wirkt es, als wäre nichts anders, sehr viele Menschen sind unterwegs, nur die doch auffällig verstärkte Polizeipräsenz (in Form von Streifenwagen) macht mir ein schlechtes Gewissen, dass ich draußen bin. Im Supermarkt wird diese 1,5m Abstand-Regelung so überhaupt nicht eingehalten. Wir fühlen uns sehr unsicher, sind froh, wieder draußen zu sein. Eine ganze Weile sprechen wir über Masken. Meine Freundin bekommt von ihrer Mutter eine geschickt, ihr Vater hat angefangen, welche aus alten T-Shirts zu nähen. Ich habe noch keine. Weder eine Ressource noch eine Maske. Beschließe, bei nebenan.de mal nachzufragen, ob jemand so etwas für mich nähen könnte… sträube mich aber innerlich noch sehr dagegen. Ich würde mich sehr albern fühlen.

Abends skype ich mit meiner Theatergruppe. Eine Freundin von uns hat die Aktion „Würzburg ist gebannt“ gestartet. Von Montag (13.4.) bis zum Mittwoch (15.4.) sollen möglichst viele Menschen die Stadt, bzw. ihre Hauswände mit friedlichen und diskriminierungsfreien Bannern und Botschaften verschönern und damit wieder auf andere Themen aufmerksam machen, bzw. einfach wieder Botschaften in die Welt um uns herum senden. „Unser künstlerischer, kultureller und politischer Ausdruck ist eingeschlafen“ schreibt sie. Eine andere Freundin hat Plakate vom Hilfetelefon für Frauen bestellt und sucht nun nach Orten, diese aufzuhängen.

 

10.04.2020

Ich bleibe bis zum Nachmittag zu Hause, arbeite an meinen Seminaren, mache Yoga. Heute kann ich leider nicht bei offenem Fester „Draußen sitzen“ spielen… ein großer grauer Lieferwagen verdeckt sowieso die Sicht… und die Sonne knallt auch ganz schön. Nachmittags spaziere ich mit einem Freund den Main entlang, wir lachen viel, eine Menge Menschen sind unterwegs, in kleineren und größeren Gruppen. Abends gucke ich mit der Freundin, mit der ich auch spazieren gehe, Serien. Wir reden nicht über Corona, gibt es nichts Neues?

 

11.04.2020

Den ganzen Tag so vor mich hingelebt, die typischen Aufgaben… einkaufen, studieren, Yoga… Mir fällt auf, dass ich schon länger keine Nachrichten mehr gehört oder gesehen habe. Corona-Nachrichten ermüden mich, es sind doch eh immer dieselben. Zahlen machen schon lange keinen Eindruck mehr… je höher die Infizierten-Rate, desto weniger nah fühlt es sich an. Dabei müsste es doch eigentlich gerade dadurch näher rücken, dass mehr Leute, und damit tendenziell auch mehr in meiner Umgebung, das Virus haben.

 

12.04.2020

Ostersonntag. Ich gehe mit Pfannkuchen-Teig in die WG einer Freundin. Ihre Mitbewohnerin und ihr Freund sind auch da. Schon beim Packen überlege ich, wie meine Tasche am unschuldigsten aussieht, aber natürlich treffe ich kaum eine Person, geschweige denn die Polizei am Ostersonntag um 11 Uhr auf der Straße. Wir frühstücken zusammen, wir sprechen nur kurz über Corona. Ein Bekannter von uns hat mit zwei Freunden von ihm in seiner Kneipe gesessen und getrunken. Sie haben die Tür offengelassen und so ist irgendwann die Polizei rein. Der Betreiber der Kneipe muss mehrere tausend Euro zahlen, die beiden Gäste wahrscheinlich je 150 Euro. Wie kann man so blöd sein? Hätten sie nur die Tür zugeschlossen, hätte niemand etwas mitbekommen.

Am Nachmittag bin ich über zoom mit meiner Familie verabredet. Eine Verwandte ist irgendwie sauer, dass ihre besten Freunde gerade im Garten Besuch von einem anderen Kumpel haben. Ich glaube, sie ärgert sich vor allem, dass sie nicht auch dort ist, obwohl sie sicher eingeladen wäre. Sie weiß, dass es nicht vernünftig ist, hinzufahren und ärgert sich darüber, dass andere nicht so gewissenhaft sind wie sie.

Eine Freundin von mir fängt ab nächster Woche wieder an zu arbeiten. Sie arbeitet bei den Nachrichten und die sind jetzt anscheinend wieder systemrelevant, zumindest wurde sie überraschend wieder zur Arbeit bestellt. Wir denken, dass die Journalist*innen vielleicht schon mehr Informationen darüber haben, wie es weitergeht, als wir.

Abends spiele ich per Skype ein Spiel mit meinen Schwestern und meinem Vater. Das ist fast wie dort sein. Wieso habe ich bis jetzt so wenig mit anderen virtuell gespielt?

 

13.04.2020

Heute ist ein Freund von mir gekommen. Er wird eine Woche bleiben. Er fährt mit dem Zug her und wir waren schon Tage vorher sehr aufgeregt, ob er Schwierigkeiten bekommt oder nicht. Haben lange Pläne geschmiedet mit Argumentationssträngen, wieso er mich besuchen kommen muss, aus welchen Gründen (Lebenspartnerschaft) das rechtens ist. Es ist ein bisschen wie ein Spiel. Als er ankommt, ist er fast ein bisschen enttäuscht: Niemanden hat seine Reise interessiert, der Zuganstellte wirkte sogar ein bisschen froh, dass jemand eingestiegen ist. Auch ich bin aufgeregt, als ich zum Bahnhof laufe. Ich bin nicht sicher, ob ich in das Gebäude reindarf, ob mich jemand abfängt und ausfragt… Eigentlich braucht man ja einen triftigen Grund, um das Haus verlassen zu dürfen. Vor dem Bahnhof rumlungern ist sicher nicht erlaubt. Aber es stehen noch mehr Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz, von der Polizei ist weit und breit nichts zu sehen. Pünktlich kommt der Zug, wir treffen uns, laufen zurück zur Wohnung und niemanden hat es interessiert. Wenn ich neben meinem Freund laufe, fällt mir auf, wie sehr ich das Abstand halten bereits verinnerlicht habe. Ich denke immer im Voraus, plane meinen Weg, achte viel mehr auf die Umgebung als vorher, versuche das Verhalten meiner Mitmenschen vorherzusagen…

Es ist unheimlich, wie sehr ich mich an die Maßnahmen gewöhnt habe, ich will mich nicht so schnell daran gewöhnen.

 

Es macht mir Angst, dass ich mich so schnell arrangiere und zufriedengebe…

 

14.04.2020

Wir gehen zusammen Brötchen kaufen. Ich fühle mich irgendwie schuldig, zu zweit zur Bäckerei zu gehen, auch im Verkaufsraum fühlt sich alles viel zu eng und nah an, aber ich sage nichts, weil ich nicht übervorsichtig wirken will. Als ob man jemals übervorsichtig sein könnte. Irgendwann kommt eine weitere Kundin in den Laden, niemand kümmert sich darum, dass wir den Mindestabstand nicht einhalten. Habe ich verpasst, dass die Regeln aufgehoben wurden? Vielleicht schon, ich höre ja keine Nachrichten mehr.

Mein Freund fragt mich beim Frühstück, was ich am meisten vermisse in der Corona-Zeit… Als ich antworte fühlt sich die Antwort sofort floskelartig an, ich glaube, ich habe diese Frage und meine Antwort zu oft gehört in den letzten Wochen.

 

15.04.2020

Bei einem Skype-Termin werde ich gefragt, ob ich auch die Ansprache von Angela Merkel gesehen habe. Habe ich nicht. Die Maßnahmen werden wahrscheinlich bis zum 3.5. verlängert. Geschäfte könnten schon ab Montag wieder öffnen. Es ermüdet mich, darüber zu sprechen. Ich habe mich eingerichtet. Ist mir doch egal, ob ich wieder Schuhe kaufen kann. Ich will mich mit meinen Gruppen in real life treffen, draußen am Fluss sitzen. In der Öffentlichkeit Angst zu haben, Leuten zu nahe zu kommen, von der Polizei deswegen angehalten zu werden, darauf habe ich keine Lust mehr. Sollen die Geschäfte doch zu bleiben!