“Langweilig wird mir wohl noch nicht sofort.”
Switzerland, Basel / Luzern, 20 March – 01 July 2020
Ich bin Alice, 30 Jahre alt und studiere in Basel (CH). Ich gehöre zur Risikogruppe, da ich nierentransplantiert und deshalb immunsupprimiert bin. Zudem habe ich eine hochgradige Sehbehinderung. Normalerweise lebe ich in Basel. Vor rund einer Woche, als die Empfehlungen zu Hause zu bleiben häufiger wurden, habe ich entschieden die nächste Zeit bei meinen Eltern zu verbringen. In Basel lebe ich allein auf 40 Quadratmetern, ohne Balkon und mitten in der Stadt. Meine Eltern leben in einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Luzern. Sie haben ein Einfamilienhaus mit grossem Garten. Die Überlegung war, hier zu bleiben, da ich hier nicht allein bin, in den Garten oder sogar spazieren gehen kann und Erledigungen ausser Haus an meine Eltern delegieren kann.
In der Schweiz sind seit dieser Woche alle Schulen und Geschäfte geschlossen. Nur Geschäfte des lebenswichtigen Bedarfs haben geöffnet (Lebensmittel, Medikamente, Hygieneprodukte). Die Regierung appelliert an Personen der Risikogruppe, das Haus nicht unnötigerweise zu verlassen und z.B. auch Einkäufe zu delegieren.
Freitag, 20. März 2020
Heute Morgen war Spanischkurs angesagt. Ausserordentlich, denn wir haben ihn spontan von Donnerstagabend auf Freitagmorgen verschoben. So spontan hätte das vor den Zeiten von Home Office nie funktioniert. So schien es mir aber, dass alle sowieso zu Hause herumsitzen und man deshalb auch spontan einen Kurs auf den nächsten Morgen legt. Man merkte deutlich, dass dies bereits die zweite Lektion im virtuellen Raum war. Alle waren pünktlich eingeloggt, wussten wie ihre Geräte und Programme funktionieren und auch unsere Kursleiterin wusste nun die Möglichkeiten der Software effizienter zu nutzen. Die Unterrichtsatmosphäre empfinde ich so als sehr angenehm. Ich habe sogar den Eindruck, alle seien etwas gelöster und Wortmeldungen kommen flüssiger. Vielleicht baut die physische Distanz etwas Hemmungen ab, überlege ich mir. Man kennt das von Social Media.
Andererseits sieht man direkt in die Wohnzimmer der anderen und ich ertappe mich immer wieder dabei, statt meiner Kolleg*innen deren Hintergrund im Kamerabild zu betrachten.
Danach folgt das Mittagessen, es gibt Salat mit Thunfisch. Das ist das Resultat eines Gesprächs mit meiner Mutter. Sie kocht praktisch immer und plant Mittag- und Nachtessen. Ich esse üblicherweise tagsüber nur einen kleinen Snack und koche abends. Ich sagte ihr, dass ich nun, da ich so viel Zuhause herumsitze auch auf meine Ernährung achten muss und jedenfalls nicht auch noch häufiger essen sollte. Meine Mutter und ich waren uns einig, dass man nicht zwei Mal täglich ein volles Menu essen muss, wenn man so viel herumsitzt und sich deutlich weniger bewegt als üblicherweise. Also gibt es viel Salat zu Mittag, wenn für das Abendessen eine warme, vollwertige Mahlzeit geplant ist. Nicht nur aus
gesundheitlichen Überlegungen. Meine Mutter meinte während des Essens, wir würden zukünftig mehr Salat als Hauptmahlzeit essen. Sie habe nämlich langsam das Gefühl, ständig nur am Essen zu sein. Die Ursache könnte die stark reduzierte Tagesstruktur sein oder deren Beschränkung auf den häuslichen Bereich. Die Mahlzeiten werden so zu den deutlichsten Fixpunkten des Tages und auch irgendwie die Highlights. Man gönnt sich etwas Leckeres und tauscht sich am Esstisch aus. Und so hangelt man sich von Mahlzeit zu Mahlzeit.
Meine Mutter erzählte mir später von einem Telefonat mit der Koordinatorin eines Freiwilligeneinsatzes. Vor einer Woche hatte der Samariterverein, in welchem meine Mutter Mitglied ist, Freiwillige angefragt im Luzerner Kantonsspital im Bereich der Triage mitzuhelfen und Corona-Tests bei symptomlosen Menschen durchzuführen. Meine Mutter und ihre Bekannte hatten sich daraufhin gemeldet. Meine Mutter fand, so könne sie wenigstens etwas tun, anstatt nur zu Hause herumzusitzen. Doch im Verlauf der Woche und der Zuspitzung der Situation stiegen ihre Zweifel, ob es eine gute Idee sei, mit Asthma und zwei der Risikogruppe zu Hause “an der Front” zu arbeiten. Nun hat sie sich nochmals mit der Koordinatorin besprochen und für diese war schnell klar, dass meine Mutter nicht zum Einsatz kommen muss. Meine Mutter wirkt nun sehr erleichtert. Sie wollte sehr gerne helfen, aber nun da die Situation klar ist und sie auf ihre eigenen Zweifel gehört hat, wirkt sie deutlich entspannter.
Nachmittags musste meine Mutter jemandem etwas im Briefkasten deponieren gehen. Sofort meldete ich mich, sie zu begleiten. Ich benutze jede Gelegenheit für eine Spaziergang. Dieses Bedürfnis hat sehr stark zugenommen. Vor Corona gab es jeden Tag einen Grund rauszugehen, Universität, Freunde besuchen, ins Fitnesscenter oder Einkaufen gehen. Jetzt sind Spaziergänge für mich die einzige Möglichkeit Haus und Garten zu verlassen. In unserem Dorf ist zum Glück genügend Platz, um anderen Passanten immer ausweichen zu können.
Wir gingen am Dorfrand entlang über Feldwege, dabei kamen wir an einem Bauernhaus vorbei. Kinder spielten auf einem Trampolin. Als wir uns näherten, sammelte die Mutter den kleinsten Jungen schnell ein, damit er uns nicht vor die Füsse lief und wechselte ein paar Worte mit uns. Weiter weg saß die Grossmutter. Als sie uns sah, stand sie sofort auf und rannte ins Haus. Dabei schaute sie uns böse an und rief: “Abstand! Abstand!” So unterschiedlich kann sich die Regel Abstand zu halten in ein und demselben Haushalt zeigen.
Als wir bei der Bekannten meiner Mutter angelangt waren, waren wir noch nicht einmal beim Briefkasten angelangt, da stand diese schon in der Tür. Sie arbeitet im Home Office und hat nun wie sie sagte, immer im Blick, was vor der Tür los ist. Meine Mutter stellte die Tüte auf den Boden und ging auf die andere Seite der kleinen Quartierstrasse. Dann holte ihre Bekannte die Tasche. Wir standen noch ca. eine halbe Stunde so auf der Strasse mit mindestens 5 m Abstand. Zwischendurch rannten die Kinder vorbei und wurden ermahnt, auf ihrer Seite der Straße zu bleiben. Die Bekannte erzählte, sie würden morgens Home Schooling machen und nachmittags durfte das Nachbarskind vorbeikommen zum Spielen. Andere Kinder aber nicht. Die Anweisung des Bundes lautet nämlich immer die gleichen Kinder miteinander spielen zu lassen. Dann tauchte auch noch der Familienvater auf. Essend setzte er sich auf die Eingangstreppe und hörte uns zu. Die Bekannte meinte zu uns, er sei jetzt halt auch immer zu Hause. Mir persönlich fiel in den vergangenen Tagen schon auf, wie präsent die Väter in den Gärten plötzlich sind aufgrund des Home Office. Er teilte uns dann noch mit, dass der Bundesrat an einer Medienkonferenz gerade mitgeteilt habe, dass von nun an Gruppen mit mehr als fünf Personen verboten seien. Für größere Gruppen drohen Bußen.
Abends nach dem Abendessen setzte ich mich mit meinen Eltern vor den Fernseher um die Sendungen “Schweiz aktuell” und “Tagesschau” (SRF, täglich 19:00 und 19:30 Uhr) zu schauen, wie immer. Nur dass seit Tagen über kein anderes Thema mehr berichtet wird als die “Corona-Krise”, wie sie vom SRF genannt wird. Danach folgt schon die ganze Woche eine Sondersendung zur Corona-Krise. Generell wurde das TV Programm komplett umgestellt. Tagsüber werden mehr Kinder, Schul- und Seniorensendungen gezeigt, abends haben alle Formate den Virus zum Thema. Während der Sondersendung schnappe ich mir meinen Laptop und höre nur noch mit einem Ohr zu. Ich bin sehr interessiert, aber abends nach acht Uhr hat man alle News des Tages bereits unzählige Male vernommen. Deshalb benutze ich diese Zeit, während im Hintergrund über Corona diskutiert wird, den Tag auf meine Weise mit diesem Tagebuch zu reflektieren.
Samstag, 21. März 2020
Nach der üblichen Morgenroutine setze ich mich an meinem Laptop und checke meine Social Media Kanäle. Facebook, Instagram, Mails. Alles voller Beiträge zum Coronavirus. Menschen die mit Bildern und Sprüchen dazu aufrufen, man solle endlich zu Hause bleiben, Geschichten von Personen aus dem Gesundheitswesen, die uns bitten, endlich die Sache ernst zu nehmen oder Konzertlocations, welche Links zu den live gestreamten Konzerten der Bands teilen, die nun nicht in diesen Lokalen auftreten konnten. Etwas ist aber neu an meiner Morgenroutine: der Corona-Liveticker des SRF (https://www.srf.ch/news/schweiz). Ich checke den Liveticker mehrmals täglich. Meistens lese ich nur die Schlagzeilen der einzelnen Einträge. Damit fühle ich mich aber den ganzen Tag auf dem Laufenden gehalten. Der Liveticker löst bei mir aber noch etwas anderes aus, ein Gefühl, das etwas schwer zu fassen ist. Vor Jahren entdeckte ich irgendwo ein Onlinespiel, bei dem es darum ging, dass man als Virus die Weltbevölkerung ausrottet. Dieses Spiel gelangte zu so grosser Beliebtheit, dass die Hersteller von “Plague Inc.” heute auf ihrer Website davor warnen, es als realistischen Simulator zu verwenden. Dieses Spiel erlebt jedes Mal ein Boom, wenn ein Virus die Menschen beschäftigt, so auch jetzt (https://www.ndemiccreations.com/en/news/172-statement-on-the-current-coronavirus-outbreak). Und auch ich hatte bereits im Februar wieder mit Spielen begonnen. Man mutiert als Virus und betrachtet auf einer Weltkarte, wie sich der Virus dank der Verkehrsmittel verbreitet und die Zahlen von Angesteckten, Verstorbenen und Genesenen steigen. Das Tutorial beginnt in China, weil es einfach ist, von China aus die ganze Welt zu infizieren. Es gibt dort auch einen News-Feed und die Schlagzeilen im Spiel lesen sich wie die realen Nachrichten. Meine Mutter sah mich einmal spielen und kam heute mit dem Liveticker auf dem Mobiltelefon zu mir und meinte, “jetzt ist es wirklich wie in deinem Spiel”. Der Liveticker gibt der Situation einen surrealen Touch, denn bis anhin kannte ich Meldungen wie “Deutschland schließt die Schulen” oder “In Land X werden die Flughäfen geschlossen” nur aus der Perspektive eines gespielten Virus und jetzt ist das Spiel auf eine Art real geworden; immer schneller scheinen die Meldungen zu kommen und ich hänge immer noch etwas in dieser zynischen Virus-Perspektive fest.
Nebst dem Liveticker checke ich dann noch die offizielle Seite des Bundesamtes für Gesundheit BAG, dort interessiert mich aber eigentlich nur das Säulendiagramm der Neuansteckungen (https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/mt/k-und-i/aktuelle-ausbrueche-pandemien/2019-nCoV/covid-19-lagebericht.pdf.download.pdf/COVID-19_Epidemiologische_Lage_Schweiz.pdf). Die wachsenden Säulen geben dem Geschehen etwas Rationales und Berechenbares und gleichzeitig etwas faszinierend Erschreckendes, wenn plötzlich die Balken, welche vor einer Woche noch gross erschienen, zusammenschrumpfen, weil die Größe der Skalierung angepasst werden musste.
Meine Mutter erhielt heute Morgen einen Anruf einer Bekannten aus einem Verein. Diese bot ihr an, zukünftig die Einkäufe für uns zu erledigen. Ich glaube, meine Mutter war etwas überrascht. Ich bin immunsupprimiert und mein Vater über 81 Jahre alt, meine Mutter hat “nur” leichtes Asthma und ist 61 Jahre alt. Damit sehen wir drei sie als die am wenigsten gefährdet, weshalb sie auch die Einkäufe erledigte. Ich habe das Gefühl, mir war bisher mehr bewusst als ihr, dass sie eigentlich auch zur Risikogruppe gehört. Nun wird ihr durch ein Hilfsangebot bewusst gemacht, dass sie eigentlich auch nicht mehr unter die Menschen sollte. Daraufhin hat meine Mutter beschlossen, nächste Woche noch einmal einkaufen zu gehen und zwar in einen Supermarkt für Restaurants, für welchen auch Vereine Mitgliederkarten erwerben können. Eine Bekannte war bereits dort und meinte, es gäbe fast keine Kunden mehr dort, da die meisten Restaurants geschlossen sind. Zudem ist der Supermarkt sowieso schon geräumiger angelegt. Es gibt also viel Platz, um anderen Menschen aus dem Weg zu gehen. Und, ganz wichtig, anscheinend gibt es dort noch Toilettenpapier. Das ist sonst überall hoffnungslos ausverkauft. Ich persönlich vermute nicht nur, weil die Menschen hamstern, sondern auch schlicht, weil alle viel mehr Zuhause sind, egal ob jung oder alt. So geht es uns jedenfalls. Meine Mutter will also noch einmal alle länger haltbaren Produkte dort einkaufen. Für die frischen Produkte plant sie, zukünftig das Lieferangebot der Bekannten anzunehmen.
Nach dem üblichen Samstags-Brunch verabredeten meine Mutter und ich uns mit einer Freundin der Familie. Diese lebt allein in einer Drei-Zimmer-Wohnung mit Balkon. Da sie im Detailhandel arbeitet und die Geschäfte geschlossen sind, sitzt sie quasi die ganze Zeit allein Zuhause. Meine Mutter hat sich vorgenommen, sich etwas um sie zu kümmern, fast täglich zu telefonieren und mit ihr spazieren zu gehen. Da sie nicht im selben Haushalt mit uns lebt, haben wir besprochen, dass sie mit uns spazieren gehen kann, solange meine Mutter und ich zwei Meter Abstand zu ihr halten. Das funktionierte gut. Einzig wenn ein Auto oder andere Menschen unseren Weg kreuzten, wurde es manchmal etwas kompliziert, bis wir uns alle hintereinander einsortiert hatten, ohne den Abstand zu unterschreiten. Im Wald trafen wir auf Bekannte. Quer über den Waldweg kamen wir ins Gespräch. Das Thema war, wie meistens momentan, der Umgang mit den aktuellen Verhaltensweisen. Eine Dame meinte, sie kaufe nicht einmal mehr Salat, denn sie traue den frischen Lebensmitteln nicht mehr. Man wisse nicht, unter welchen Bedingungen diese geerntet und abgepackt wurden. Meine Mutter war eher der Meinung, wenn man Gemüse und Salate wäscht, sei das kein Problem und zudem brauche es schon etwas mehr als ein einzelnes Virus, um sich anzustecken. Darum seien direkte Gespräche so viel gefährlicher, weil da die Viren per Tröpfchen in großer Zahl angeflogen kommen können.
Ein großer Teil des Gesprächs während des Spaziergangs drehte sich um Strategien, wie man die Hygienevorschriften umsetzt, was man noch darf und wo der Virus überall noch lauern könnte. Unsere Freundin erzählte zum Beispiel, dass sie ihre Wohnungstür außen nicht mehr anfasst, innen muss sie diese dann aber schließen per Hand. Dann holt sie einen Lappen und tränkt ihn mit Seife bis er schäumt, denn Seife soll der Virus ja nicht überstehen. Sie reinigt die Türklinke, wäscht den Lappen aus und legt ihn anschliessend an die Sonne, denn UV-Strahlen seien auch schädlich für den Virus. Die Zeitung und die Post lege sie auch erst an die Sonne. Sie wirkte dabei etwas verlegen und meinte, vielleicht übertreibe sie total, aber ihr gehe es damit besser. Meine Mutter bekräftigte sie, im Moment sei nichts mehr übertrieben und übrigens könne man Papier auch 24 Stunden liegen lassen, da der Virus nicht länger auf Papier überlebe.
Am Abend beim Browsen durch Social Media entdeckte ich einen geteilten Beitrag des National Geographic (https://www.nationalgeographic.com/animals/2020/03/coronavirus-pandemic-fake-animal-viral-social-media-posts). Im Artikel geht es darum, dass in den letzten Tagen einige Berichte im Internet die Runde machten, wonach Tiere einstige Lebensräume zurückerobern, nun da die Menschen sich in ihre Häuser zurückgezogen haben und die Umwelt weniger belasten. Einen Tag zuvor, lächelte auch ich über einen Bericht mit Foto, der einen Delfin in Venedigs Kanälen zeigte (https://www.nzz.ch/panorama/in-venedig-fliesst-ploetzlich-klares-wasser-in-den-kanaelen-ld.1547153). Nun also die große Enttäuschung: es gab keine Delfine in Venedigs Kanälen. Die Tiere erobern die Welt nicht so schnell zurück. Dazu kommt noch, ich bin auf Fake News hereingefallen und das, obwohl ich mich nicht gerade zu den leichtgläubigen Menschen zähle. Ich lese in der Regel nicht nur die Schlagzeile, wenn mich etwas interessiert und ich schaue mir die Quelle eines Artikels an. Die Fake News wurde von einem Freund auf Facebook gepostet, der politisch und gesellschaftskritisch sehr aktiv ist und, soweit ich weiß, selbst sehr auf seine Quelle achtet. Der Artikel über die Delfine wurde auch auf der Website der NZZ, einer hoch angesehenen und traditionsreichen Schweizer Zeitung, veröffentlicht und dies war für mich ausreichend, um den Wahrheitsgehalt nicht weiter zu hinterfragen. Ich fragte mich danach, warum traue ich nun der Meldung des National Geographic mehr? Denn die Meldung, dass es sich um Fake News handelt, könnte auch Fake News sein… Am Ende resignierte ich vor diesen Gedankengängen, aber sie stehen geradezu stereotyp für ein großes mediales Problem in Corona Zeiten. Die Nachrichtenflut scheint sich noch mehr zu beschleunigen und die Menschen um mich herum stürzen sich geradezu gierig darauf. Jeder und jede bevorzugt andere Quellen und am Ende entbrennen Diskussionen darüber, wessen News nun die echten sind. Und so sah auch ich mich gezwungen, den Artikel des National Geographic in einem Kommentar unter dem Post meines Freundes mit dem NZZ Artikel zu verlinken. Ich wollte ihn lediglich darauf aufmerksam machen, dass er “Opfer” von Fake News geworden ist und versah meinen Kommentar mit einem weinenden Emoji, denn Delfine zurück in Venedigs Kanälen, als Retourkutsche an die Menschheit, wäre schon ein sehr schönes Symbol gewesen.
Sonntag, 22. März 2020
Ich erwache mit Kopfschmerzen. Ich hatte gestern Abend schon welche und ich hasse diese Art von Kopfschmerzen, die über Nacht nicht weggehen. Der Grund sind Verspannungen im Nacken. Ich kenne das von Zeiten, wenn ich länger nicht im Fitnesscenter war. Es ist also wenig erstaunlich, dass diese nun auftauchen.
In der Küche umarmt mich meine Mutter stürmisch, “Alles Gute zum Geburtstag!” Wir hatten gestern noch davon geredet, aber eigentlich hatte ich schon wieder vergessen, dass heute mein 31. Geburtstag ist. Ich erwartete nicht so viel Besonderes von diesem Tag, kein Besuch, keinen Ausgang, keinen Ausflug mit der Familie. Mein Vater hat mir in der Küche eine Tasse für den morgendlichen Kakao bereitgestellt, daneben ein paar Schokoladenherzen und einen Strauss Geranien aus dem Garten. Meine Mutter meint: “Jetzt sind die Blumen halt aus dem Garten…” Wir lachen und ich finde, wenn man solche Gartenblumen hat, braucht man sich eigentlich keine kaufen. Beim darüber Nachdenken fällt mir auf, dass ich eigentlich meistens keine Blumen von meinen Eltern geschenkt bekommen habe. Jetzt aber kommen die Blumen mit einer Bemerkung, dass es dieses Jahr “nur” Gartenblumen sind. Aus der Annahme heraus, dass dieses Jahr mein Geburtstag etwas magerer ausfällt, bemühten sich meine Eltern zusätzlich, den stereotypen Vorstellungen eines Geburtstags gerecht zu werden.
Nach dem üblichen Brunch stand Kuchen backen auf dem Programm. Welcher Kuchen gebacken werden sollte, hing in erster Linie davon ab, welche Zutaten gerade vorrätig waren, denn den Dorfladen aufzusuchen, war uns das Risiko nicht wert. Zwei Stunden später lachten wir über unseren Tirolercake. Erst verbrannte er uns fast. Dann gab sich meine Mutter riesige Mühe und arrangierte ihn schön auf einem Teller mit Rechaud Kerzen (Geburtstagskerzen hatten wir keine im Vorrat) und diesem Papier, welches aussieht als hätte es Spitzen, das man zwischen Kuchen und Teller legt. Zum Schluss schnitt sie ihn an und wir mussten feststellen, dass er innen noch komplett flüssig war. Sie meinte, sie hätte in all den Jahrzehnten noch nie so einen misslungenen Kuchen gebacken und wir lachten darüber, dass dies wohl genau dieses Jahr geschehen müsste. Ich meinte, “wenigstens passiert dir das jetzt wo wir sicher keine Gäste erwarten!” und wir lachten laut los.
Am späten Nachmittag waren wir mit meinem Bruder und seiner Frau zum “Virtual Apéro” verabredet. Das heißt, wir setzten uns alle mit etwas Leckerem zu trinken und Knabbersachen vor den Laptop und stießen via Skype miteinander an. Anlass dafür war nebst meinem Geburtstag auch der morgige Geburtstag der Frau meines Bruders. Wir unterhielten uns vor allem darüber, wie wir nun unsere Leben organisierten. Mein Bruder als Anwalt in einer großen Kanzlei ist seit einer Woche im Home Office. Seine Frau ist froh darüber, denn so ist sie nicht allein zu Hause. Sie lernt momentan Deutsch und alle ihre Sprachkurse wurden abgesagt. Nun findet sie es schwer, Deutsch zu lernen ohne jegliche Interaktion mit anderen. Mit meinem Bruder fällt sie meistens ins Englisch zurück. Zudem ist sie sehr sportlich, getraut sich momentan aber auch nicht mehr groß spazieren zu gehen, darum sucht sie jetzt nach einem Anbieter, der Hometrainer für zu Hause vermietet.
Später klingelt es an der Tür. Eine Bekannte aus dem Dorf deponiert eine Tasche vor der Tür. Meine Mutter winkt ihr vom Balkon. Die Tüte enthält einen zerlegten Hasen. Jemand aus dem Dorf der Hasen züchtet, hatte Mühe, Abnehmer für sein Fleisch zu finden, da viele Hase nicht mögen. Meine Mutter fand das eine super Idee, eine Art Fleisch-Lieferdienst. Wieder etwas weniger, das man im Supermarkt holen gehen muss. Vorsichtig entpackt meine Mutter den Inhalt und verstaut alles. Danach wäscht sie sich sofort die Hände. Man weiß nicht, wer die Plastiktüten sonst noch angefasst hat.
Abends sitzen wir wieder vor dem Fernseher und schauen die Nachrichten auf SRF. Wie immer höre ich nicht hundertprozentig zu. Es dreht sich um Corona. Rund 7000 Infizierte. Die Intensivbetten sind fast belegt. Zum ersten Mal werden nun auch Interviews mit Genesenen gezeigt. Ein älterer Herr beschreibt, wie das war mit Corona im Krankenhaus und bittet die Zuschauer inständig, die Maßnahmen des Bundes zu befolgen. Gut, denke ich, Überlebende sprechen zu lassen, hilft vielleicht noch den einen oder anderen mehr zu erreichen. Erfahrungsberichte schaffen Nähe und lassen etwas realer werden für solche, die Corona momentan immer noch nicht als real genug empfinden.
Montag, 23. März 2020
Nachdem ich diese Nacht auf einem warmen Kirschkernkissen geschlafen haben, sind meine Kopfschmerzen etwas besser, jedenfalls nicht mehr stark genug um wie gestern, Paracetamol zu nehmen. “Eine dieser wertvollen Tabletten”, wie mein Vater sie gestern nannte. Denn seit letztem Donnerstag sind fiebersenkende Arzneimittel rationiert. Als Reaktion auf Hamsterkäufe darf nun nur noch eine Packung pro Einkauf bezogen werden. Für unseren Haushalt kein Problem, denn wir benötigen selten Medikamente dieser Art. Aber natürlich war ich genau jetzt froh darum.
Morgens hatte ich ein Seminar im virtuellen Raum. Mittlerweile gibt es keine technischen Probleme mehr. Vor Beginn der Stunde unterhalten wir uns über unsere aktuelle Situation. Eine Studentin meint, es sei für sie sehr schwierig, sich auf das Seminar zu konzentrieren. Am Laptop werde sie ständig abgelenkt durch eintreffende E-Mails und andere Benachrichtigungen. Für mich ist das weniger ein Problem. Aufgrund einer Sehbehinderung arbeite ich auch im “physischen” Unterricht nur mit Laptop und bin an das Multitasking und die Quellen der Ablenkung gewohnt. Ich erzähle der Runde, es gehe mir gut. Ich hätte aber gedacht, dass ich bei so viel Zeit zu Hause, im Nu alle Arbeiten erledigt hätte und mir schnell langweilig werden würde. Dem ist aber nicht so. Denn nun lebe ich wieder mit meiner Familie zusammen. Es fällt mir schwer, über längere Zeit für mich allein zu arbeiten, die Zimmertür zu schließen oder nicht immer mal wieder aufzustehen und mich in der Küche kurz mit meinen Eltern zu unterhalten. Langweilig wird mir wohl noch nicht sofort.
Den Nachmittag verbringe ich am Computer. Ich erledige einige Schreibarbeiten für das Studium. Nebenher bin ich ständig am Chatten mit Freunden. So viele Messenger Nachrichten (WhatsApp, Facebook, Skype) wie in diesen Tagen habe ich schon lange nicht mehr erhalten. Vor der staatlich verordneten Isolation erhielt ich nie mehr als zehn Nachrichten täglich. Heute waren es mindestens drei Mal so viele. Darunter sind auch Nachrichten von Freunden, von welchen ich seit Ewigkeiten nichts mehr gehört hatte und mich auch selbst nicht meldete. Die Menschen scheinen tatsächlich ein erhöhtes Kontaktbedürfnis zu haben und wenn es nur Textnachrichten sind. Zudem sind viele im Home Office und zu Hause kann man gut zwischen der Arbeit noch Nachrichten schreiben oder im Hintergrund einen Messenger geöffnet haben.
Ich habe auch wieder angefangen Browserspiele zu spielen. Diese Spiele, bei welchen man seine Stadt aufbaut und alle paar Stunden bei allen Häusern die Steuern einziehen muss. Spiele die ich sonst immer schnell vernachlässigt hatte, da ich nicht so regelmässig Zeit und Lust hatte.
Da ich heute nicht nach draußen wollte und kein Fitnessprogramm machen wollte, da ich schon geduscht hatte, war ich auf der Suche nach körperlichen Haushaltaktivitäten. Also nahm ich mir vor, beim Wäsche aufhängen jeweils nur ein Stück aus dem Korb zu nehmen, dabei eine tiefe Kniebeuge machen, mit geradem Rücken und dann sich ganz zur Wäscheleine hoch strecken. Und so ging das, bis der Korb leer war.
Am späten Nachmittag bot sich eine weitere Gelegenheit, meine Mutter erwähnte, sie wolle noch die Dusche des einen Badezimmers putzen. Da ich die einzige bin, die dieses Badezimmer benutzt, meinte ich, ich könne die Dusche ja selbst putzen, was ich dann auch tat. Glastüren entkalken ist ein gutes Armtraining und wieder kann man sich dabei strecken und Kniebeugen machen. Am Ende war mir tatsächlich warm.
Am Abend wieder die Nachrichten auf SRF. Die Kantone sind etwas am Streiten. Das Tessin, der deutlich am stärksten betroffene Kanton, hatte angeordnet, dass sämtliche Betriebe, die nicht an der Grundversorgung beteiligt sind, nicht mehr arbeiten dürfen. Da habe ich mich schon gefragt, wer ist denn nicht an der Grundversorgung beteiligt? Autogaragen? Und was, wenn der Kurier eine Panne hat? Telekommunikationsanbieter? In Zeiten von Home Office? Handwerkerbetriebe? Wer kommt dann bei Rohrbrüchen oder brechenden Stützpfeilern? Nun hat der Bundesrat den Kanton zurückgepfiffen, denn die Kantone dürfen im Notstand keine eigenen Regeln erlassen, außer dies ist ausdrücklich vom Bund so vorgesehen. Anscheinend will das Tessin trotzdem auf seinen Maßnahmen beruhen und damit die Regierung an den runden Tisch bringen. Ich bin etwas besorgt über diese Entwicklung. Die Schweiz ist sehr föderalistisch organisiert. Das ist manchmal auch sehr sinnvoll aufgrund der unterschiedlichen geografischen, demografischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Unterschiede. Aber ich finde, nun da die Bevölkerung stark verunsichert ist, sollte man versuchen Sicherheit durch ein geeintes Auftreten zu vermitteln. Und wenn ein Kanton allein schärfere Maßnahmen erlässt, ist man schnell im nächsten Kanton, um die Regeln zu umgehen. Ich beobachte daher mit Spannung, ob sich Bund und Kantone schnell und friedlich einigen können.
Dienstag, 24. März 2020
Der Morgen verlief sehr ruhig. Ich saß am Computer und verbrachte die Zeit mit Computerspielen und Spanischhausaufgaben. Ich war nicht sehr motiviert. So langsam schleicht sich ein ödes Gefühl ein. Jeder Tag läuft identisch ab. Ist das schon der Isolations-Koller? Ich checkte kurz den Live Ticker und stellte etwas gelangweilt fest, dass es nichts überraschend Neues gab. Die heutigen Zahlen sind noch nicht publiziert. Meine Mutter steht in der Küche und checkt ebenfalls den Live Ticker (https://www.srf.ch/news/schweiz/aktuelles-zum-coronavirus-maerzloehne-gesichert-3000-freiwillige-fuer-armee). “Es hat sich etwas beruhigt”, meinte sie. Anscheinend teilen wir eine ähnliche Empfindung. Es gibt keine großen, erschreckenden Neuigkeiten mehr, bzw. sie folgen nicht mehr so rasant aufeinander und man hat den Eindruck die Menschen hätten sich etwas mit ihrer Lage arrangiert.
Dann kam die Post. Ich warte seit Tagen auf ein Paket der Apotheke mit Blutdruckmedikamenten für mich. Eigentlich hätte es schon am Freitag hier sein sollen. Wahrscheinlich sind die in der Versandapotheke auch überlastet. Ich musste bereits am Wochenende meine Dosierung reduzieren, damit ich genug Medikamente hatte übers Wochenende. Ich habe niemandem davon erzählt, um einer Moralpredigt zu entgehen. Das Medikament nehme ich erst seit Kurzem und vielleicht auch nur vorübergehend, darum hatte ich nur eine kleine Packung.
Die Post bringt aber kein Paket für mich. Meine Mutter stand schon mit desinfizierten Händen bereit, weil meine Lieferung nur gegen Unterschrift abgegeben würde. Doch der Postbote bringt nur Briefpost. Ich bin genervt. Laut Sendungsverfolgung sollte es heute kommen. Nun habe ich definitiv keine dieser Tabletten mehr. Zum Glück ist es nur das Blutdruckmedikament. Das ist nicht so schlimm, wenn es einmal wegfällt. Dass ich die Dosis schon vor Tagen reduziert habe, verdränge ich lieber. Jedenfalls deutlich weniger schlimm, als wenn mir die Immunsuppressiva ausgegangen wären. Meine Eltern sehen die Sache etwas besorgter als ich. Sie fragten wild durcheinander: “Und jetzt?”, “Wofür wäre das?”.
Nachmittags gingen wir spazieren. Unsere übliche Runde über den Hügel, die längere Variante, welche rund eine Stunde dauert und immer wieder hoch und runter geht. Das ist super. Ich bin zwar sonst auch jemand, die Sport macht, weil es gesund ist und nicht, weil es mir Spass macht. Aber mittlerweile finde ich es ein echt gutes Gefühl, einmal am Tag die Lungen pumpen und das Herz klopfen zu spüren. Neben meiner Mutter kam heute auch mein Vater mit. Er geht sehr selten aus dem Haus. Ich freue mich, dass er mitkommt, denn mit seinen 81 Jahren wäre es wichtig, dass er sich bewegt. Für sein Alter ist er aber sehr gut unterwegs und kann gut mit meiner Mutter und mir mithalten. Es sind weniger Menschen unterwegs als erwartet. Vielleicht weil es sehr kalt ist, obwohl die Sonne scheint. Vielleicht aber auch, weil sich die Spaziergänger über den ganzen Tag verteilen. Auf dem Parkplatz stehen einige Autos aus dem Nachbarkanton. Wir spekulieren, dass das Menschen aus dem nahen Städtchen sind, die lieber mit dem Auto zu uns ins Dorf hochfahren und hier spazieren gehen als in den dichter besiedelten Ortschaften. Unterwegs erzählt meine Mutter empört von einem Facebook Post. Eine Kursleiterin des Samaritervereins hat einen Post geschrieben und ein Video angehängt:
Das Video zeigt einen Arzt im Interview, der meiner Meinung nach die Sache mit dem Coronavirus herunterspielt. Er behauptet die Hälfte der Test seien falsch positiv und Erkrankte würden in Spitälern am verabreichten Medikamentencocktail sterben. Meine Mutter erzählt, wie sich ihre Kolleginnen aus dem Verein darüber empört haben. Später zu Hause beschliesst meine Mutter den Beitrag ebenfalls zu kommentieren, denn sie findet, solche Beiträge können verunsichern und zudem stehen sie im Widerspruch zur Funktion als Samariterlehrerin. Auch am Abend kommt meine Mutter wieder zu mir und liest mir die Antwort der Samariterlehrerin vor. Diese antwortet, dass sie auch andere Meinungen aufzeigen möchte, die nicht eine Lobby im Rücken hätten. Ich gehe davon aus, sie spielt auf die Pharmabranche an, die ein Interesse an möglichst vielen Tests und verabreichten Medikamenten hätte. Meine Mutter schreibt ihr zurück, dass sie dem Bundesamt für Gesundheit mehr vertraut als diesem Arzt aus dem Video. Die Mehrheit der anderen Kommentare sehen diesen Post ebenfalls kritisch und bitten die Urheberin keine solchen Videos mehr zu posten.
Mittwoch, 25. März 2020
Morgens plante meine Mutter ihren Einkauf von heute Nachmittag. Sie beschloss, in einen großen Supermarkt für Restaurants o. ä. zu fahren, in der Hoffnung, dort seien die Platzverhältnisse besser als in unserem Dorfladen. Sie beschloss, auf dem Rückweg Sushi fürs Abendessen zu holen. Schon mehrmals hatten wir darüber gesprochen, dass man alle die Restaurants, die nun auf Take Away umgestellt hatten, eigentlich unterstützen müsste. Die Bestellung war erst nicht ganz einfach, da die Restaurantkette nicht mehr alle Standorte geöffnet hatte und man über ein Partnerrestaurant bestellen musste. Dann beschloss ich, etwas Sport zu treiben. Mein Programm bestand aus 20 Minuten auf dem Home Trainer, während ich eine Serie auf Netflix guckte. Danach noch 20 Minuten Kraft-
/Gymnastiktraining nach Anleitung eines YouTube-Videos. Danach freute ich mich auf die Dusche. Die Haare wusch ich nicht. Ich wasche sie nur noch ca. alle 3 Tage und dusche auch nur noch, wenn ich Sport betrieben habe. Vor der Selbstisolation duschte ich und wusch meine Haare praktisch täglich. Aber nun ist das nicht mehr nötig, wenn man sich nicht mehr mit Menschen außerhalb der Familie trifft.
Später brachte mir meine Mutter das Medikamentenpaket, welches seit gestern in der Postagentur unseres Dorfladens wartete. Interessant war, dass die eine Medikamentenpackung so klein ist, dass sie mir gerade mal für 14 Tage reicht, obwohl in der beigelegten Rezeptkopie eine Packung für mehr als einen Monat vermerkt wird. Woran das liegt, konnte ich nicht abschließend herausfinden. Beigelegt war allerdings auch eine Info über die Rationierungsmaßnahmen des Bundes. Es darf pro Medikament nur noch eine Packung bezogen werden, um Hamsterkäufe zu vermeiden. Ausgenommen sind Patienten mit Jahresrezept (also auch ich). Diese dürfen einen Vorrat für 2 Monate beziehen. Jedenfalls heißt das, ich muss nun das eine Medikament nochmals nachbestellen. Gerade begeistert bin ich nicht von dieser Online-Apotheke. Normalerweise würde ich die Medikamente bei der Apotheke beim Einkaufen holen oder hier im Dorf bei der Hausärztin. Diese hat mir aber ausdrücklich davon abgeraten, momentan eine Arztpraxis zu betreten und mir zum Onlinekauf geraten.
Den Nachmittag verbrachte ich mehrheitlich am Computer. Ein bisschen Büroarbeit, Computerspiele, neue Kopfhörer kaufen, natürlich gehen die alten jetzt kaputt, wo man sie ständig braucht. Dann stolpere ich wieder über einen sehr mißfallenden Facebook-Post. Eine Bekannte von mir möchte Angst lindern und mehr Positivität verbreiten: “Ihr Lieben. dieses Video ist wichtig und augenöffnend, ob du bewusste Angst vor dem Virus hast oder nicht. Ich wünsche dir von Herzen gutes Gelingen, Liebe, Gesundheit und alles Lichtvolle, was zu deinem Besten dienlich für dich ist.” Anschliessend folgt dieser geteilte Post: “‼Corona – Warum Deine Angst tödlicher ist als jedes Virus‼”
Seit Wochen wird über die Medien die Angst vor dem Corona-Virus in einer geradezu bemitleidenswerten und gefährlichen Art geschürt, dass es sogar mich fassungslos stimmt. Alles, was man sieht, hört und liest, sind Schreckensszenarien. Vielen Menschen schalten ihr Gehirn vom Denkmodus in den Angstmodus, mit vollkommen irrationalen Verhaltensweisen und der Unfähigkeit, damit normal umzugehen. Aber die wirklich wichtigste Frage stellt niemand:
IST DIESES VIRUS GEFÄHRLICH FÜR MICH???
“Diese Frage kann man nur mit Fakten beantworten, die in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Schaue Dir am besten gleich mein neuestes Video an. Ich habe dort einfach Fakten zusammengetragen, die oben genannte Frage beantworten können. Außerdem beantwortet es die Frage, warum Angst gefährlicher ist als das Virus, und was Du einfach gegen Deine Angst tun kannst. Klicke hier zum Video:
https://angstfrei24.com/lp/88820/cov?track=fbs
Herzliche Grüsse A[…] B[…]”
Verlinkt hat sie eine Seite, welche erklärt, wie schädlich Stress und Angst für das Immunsystem sind und dass die ganzen Medienberichte uns nicht guttun. Der Redner in einem Video vergleicht Covid19 mit der Grippe. An Grippe sterben viel mehr Menschen, sagt er. Bei solchen Aussagen steigt mein Puls. Ich kann es nicht fassen, dass es immer noch Leute gibt, die dies behaupten. Ich hatte das zu Beginn auch geglaubt. Aber die höhere Ansteckungsrate, höhere Mortalitätsrate, fehlende Grundimmunisierung und fehlende Impfstoffe sind meiner Meinung nach einfach zu verstehende Fakten, welche Covid19 = Grippe klar widerlegen. Also kommentiere ich den Post mit einem wütenden Emoji und schrieb:
“Leider ziemlicher Schwachsinn, der die Menschen nur dazu ermutigt, sich doch nicht an die Empfehlungen des Bundes zu halten. Die Frage IST DIESES VIRUS GEFÄHRLICH FÜR MICH? ist schon mal die falsche Frage, denn es geht nicht nur darum, ob es für dich gefährlich ist. Dann wird Herr Bircher als Quelle angegeben, der immer noch behauptet, das Cronona Virus sei mit einer Grippe zu vergleichen. Einfache Mathematik beweist da das Gegenteil. Das einzige was stimmt ist, dass Stress einen Einfluss auf das Immunsystem hat. Ich finds einen schlechten Ansatz, den Menschen die Angst nehmen zu wollen, indem man einfach ein Problem herunterspielt und die Schuld anderen in die Schuhe schiebt (meistens die Pharmaindustrie). Darunter leiden am Ende die gesundheitlich Schwachen.”
Sie antwortete: “Es geht in keiner Weise darum, Menschen zu animieren, nicht auf geltende Vorschriften zu achten und damit RisikopatientInnen zu schützen. Das ist wichtig, denn jedes Menschenleben ist wertvoll und zu schützen und es ist auch wichtig, dass unser Gesundheitssystem jeden, der Hilfe braucht, versorgen zu können. Im Video und beim Werkzeug geht es darum, Stress und Panik zu vermindern, um das Immunsystem und unsere psychische Verfassung zu stärken und sich auf positive Emotionen zu fokussieren, um kreativ zu werden und/oder das Beste aus der Situation zu machen und zu vertrauen, dass es wieder besser wird. Mir ist es wichtig, diese zuversichtliche Message zu verbreiten, dass es auch möglich ist, diese Zeit gerade möglichst positiv gestimmt zu verbringen, weil es hilfreicher ist. Verharmlosen möchte ich persönlich nichts. In dem Sinne: macht das aller Beste aus der Situation und bleibt gesund und schützt andere.”
Und ich wieder: “Ich stimme dir ja grundsätzlich zu, was die Positivität betrifft und ich glaube dir sicher auch, dass du die Sache nicht verharmlosen willst 😉 Aber die Inhalte auf der Seite verwenden leider ganz klar falsche Fakten, um Angst zu lindern (z.B. Covid19 sei nicht schlimmer als die Grippe). Ich gehöre auch zur Risikogruppe und keine Angst habe ich, weil ich mich über die Fakten informiere. Die Verbreitung von Videos, die aber immer noch falsche Tatsachen verbreiten, besorgt mich wesentlich mehr.”
Ich bin nicht jemand der immer alles kommentiert, was nicht meiner Meinung entspricht. Nun spüre ich aber, dass ich mich als Risikopatientin auf eine Art persönlich angegriffen fühle, wenn andere Informationen verbreiten, die von meinem Standpunkt verharmlosen oder eine sehr egoistische Sichtweise vertreten. Vielleicht ist es aber nicht nur die persönliche Betroffenheit und Abhängigkeit von der Mitwirkung anderer. Ich hatte aufgrund meiner Vorerkrankung in der Vergangenheit viel Kontakt zu medizinischen Fachpersonen und weiß, wie anstrengend dieser Job ist. Die Aufrufe, teilweise auch schon Hilferufe, des medizinischen Personals möchte ich deshalb auch unterstützen und habe wenig Verständnis dafür, wenn Menschen ohne medizinischen Fachhintergrund “Fakten” verbreiten, die sie selbst nicht überprüfen können oder wollen. Nach dieser Auseinandersetzung fiel mir auf, dass ich heute noch nie auf der Website des Live Tickers oder des BAG war und es war bereits früher Abend. Meine Mutter betrat das Zimmer und wir lasen gemeinsam den Live Ticker. Auch sie hatte ihn das letzte Mal am Morgen konsultiert. Wir stellten fest, dass wir viel weniger nachschauen. Jetzt sind es schon fast 10’000 Infizierte. Jeden Tag ca. 1000 mehr. Wir sprachen darüber, wie heimtückisch die Kurve der Neuansteckungen ist, denn diese flacht ab. Dies bedeutet aber nicht, dass die Zahl der Infizierten stark zunimmt.
Unser Abendessen genossen wir heute besonders. Es gibt Sushi aus dem Take Away. Meine Mutter erzählte, wie im Restaurant zwei Reihen Tische zwischen Eingang und der Theke stehen, um den nötigen Sicherheitsabstand zu gewährleisten. Auf diesen Tischen deponierte das Personal die Bestellung und entfernte sich wieder, bevor meine Mutter die Tasche entgegennahm.
Nebst dessen, dass uns dieses Essen das Gefühl gibt, die leidende Gastronomie zu unterstützen, sprechen wir immer wieder darüber, wie wir uns mit diesem Essen etwas gönnen. Wenn man schon zu Hause bleiben muss, dann kann man es sich doch angenehm gestalten. Ich spüre auch, wie die gemeinsamen Mahlzeiten mit meinen Eltern wichtig sind. Tagsüber ist jeder oft für sich beschäftigt, irgendwo in oder um das Haus. Die Mahlzeiten geben uns die Möglichkeit uns auszutauschen und auch unseren, um Corona kreisenden Gedanken Luft zu verschaffen. Deshalb gab mein Vater sich auch Mühe beim Tischdecken und erwähnte speziell die Stäbchen in Kampfposition.
Auch abends in den Nachrichten des SRF spiegelt sich dieser Widerspruch des persönlich Erlebten und der medizinischen Realität “da draußen”. Während wir uns an die Zahlen und Nachrichten gewöhnen, werden überall zusätzliche Notfallbetten organisiert. Das alte, abrissbereite Bettenhaus des Spitals Frauenfeld wird wieder in Betrieb genommen, alte unterirdische Militärspitale aufgerüstet und Rehabilitationskliniken räumen Korridore frei.
“Die Welle kommt” höre ich immer wieder im Fernsehen. Ich weiß nicht so recht, wie ich diese Divergenz einordnen soll und ich habe auch das Gefühl, meinen Eltern geht es ähnlich. In unserem Alltag sind diese Bilder und “die Welle” weit weg. Obwohl unser Alltag durch die Selbstisolation bestimmt ist, gehen wir unserem selbstgemachten Tagesstrukturen nach und erschrecken uns nicht mehr ab jeder neuen Nachricht. Dann wieder die apokalyptisch anmutenden Bilder aus Italien oder Interviews mit hospitalisierten Coronapatienten aus der Schweiz. Also werden wir Morgen wieder unserem gewohnten Tagesablauf nachgehen und auf die Welle warten.
Donnerstag, 26. März 2020
Der Morgen verlief ruhig. Ich las Texte für mein Studium. Als Leistungsnachweis für ein Seminar war vorgesehen im Raum Basel eine Mini-Forschung zum Thema Migration und Mobilität durchzuführen und diese mittels eines Posters zu präsentieren. Aus dem Poster soll nun eine PowerPoint Präsentation werden, aber wie und worüber ich nun forschen soll, ist mir noch unklar. Ich bin nicht mehr in der Region Basel und werde auch generell für diese Forschung keine öffentliche Plätze aufsuchen. Vielleicht gelingt es mir (Online)Interviewpartner zu finden oder ich werde Online Content untersuchen müssen.
Am Nachmittag gingen ich, meine Mutter und ihre gute Freundin wieder über den Hügel, die kurze Route, mit zwei Meter Abstand zur Freundin. Das geht gut und fühlt sich mittlerweile nicht einmal mehr merkwürdig an. Zumindest ich habe mich an diesen Abstand gewöhnt. Mir fiel auf, dass man mehr Menschen als üblich antrifft unterwegs. Man konnte sonst diesen Weg gehen und traf womöglich eine Sport treibende Person und ein Rentnerpärchen. Nun trifft man unterwegs deutlich mehr Personen aller Altersgruppen, allein, mit Freunden, Pärchen, Eltern mit Kindern etc. Und trotzdem gibt es keine Probleme mit dem Social Distancing. Alle bemühen sich, genügend Abstand beim Kreuzen zu wahren. Man trifft auch öfters auf Bekannte aus dem Dorf als früher und wir bleiben mindestens einmal pro Spaziergang stehen, um uns mit jemandem zu unterhalten und uns über das gegenseitige Befinden in der aktuellen Situation auszutauschen.
Gegen Abend hatte ich Spanischunterricht. Wir haben uns an den virtuellen Raum gewöhnt. Da die virtuelle Kommunikation doch etwas langsamer ist als die reale, hat unsere sehr engagierte Lehrerin Teile des Unterrichts mit Übungen aufgezeichnet. So können wir während den 90 Minuten zwischendurch auch für 15 oder 20 Minuten effizienter und selbstständiger arbeiten. Trotzdem fand ich den Unterricht heute sehr anstrengend. Man muss sehr konzentriert sein, gerade wenn es sich um Fremdsprachenunterricht handelt und die Audioqualität natürlich nicht wie im Klassenzimmer ist. Zudem stehe ich immer etwas unter Zeitdruck, da ich aufgrund meiner Sehbehinderung bei gewissen Dingen etwas langsamer arbeite. Ich schaffe es im virtuellen Unterricht beispielsweise nicht, die Übungen zeitgerecht zu erledigen und werde sie später nachholen. Ob den anderen die Zeit ausreicht, weiß ich jedoch nicht. Zudem hatten wir heute wieder vermehrt mit technischen Problemen zu kämpfen. Die Verbindung stockte, mein Computer fror zwischendurch ein und die Lehrerin meinte, sie werde einen schnelleren Computer bei der Universität beantragen. Da aber die meisten von uns heute technische Probleme hatten, entstand der Verdacht, die Leistung des Netzes oder die Server der Softwareanbieter könnten nun langsam an ihre Grenzen stoßen.
Abends schauten wir wieder die Nachrichten des SRF. Viel blieb bei mir nicht hängen. Es sieht ganz so aus, als benötigte es bei mir langsam ziemlich erschreckende Nachrichten, damit sie noch meine volle Aufmerksamkeit bekommen. Zwei Dinge sind mir jedoch in Erinnerung geblieben. Erstens, dass das Schweizer Fernsehen zukünftig nicht mehr die Fallzahlen des Bundes kommunizieren wird, denn dem Bund wird unterstellt, dass die interne Verarbeitung der Daten sehr langsam läuft und die Zahlen deshalb nie aktuell sind. Stattdessen werden vom SRF nun die Zahlen des Statistischen Dienstes Zürich kommuniziert (https://www.srf.ch/news/international/schweiz-und-weltweit-so-entwickeln-sich-die-coronavirus-fallzahlen), denn dieses greift direkt die publizierten Fallzahlen der Kantone ab, bevor diese den langen Weg über die Bundesämter nehmen. Zweitens schauten wir uns den Dokumentarfilm “Das Virus und wir” (https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/das-virus-und-wir?id=35e1c66f-e5c6-45ae-9849-eb4e7d31282d)der Reporterin Andrea Pfalzgraf an, welche seit Anfangs März ihren Alltag im Verlauf der Corona-Krise dokumentierte. Ich und meine Mutter versuchten dabei zu rekonstruieren, was wir an den jeweiligen Tagen gemacht hatten. Und wie auch die Reporterin im Film, staunten wir darüber, wie lange her das alles bereits schien und wie überholt unsere damaligen Verhaltensweisen aus heutiger Sicht wirkten. Auch ich staune selbst darüber, wie schnell meine Einstellungen zu Corona sich verändert hatten. Wie man laufend damit beschäftigt ist, die aktuelle Lage neu zu evaluieren und sich zu fragen, was heißt das für mich? Welche Verhaltensweisen ergeben sich für mich aus der aktuellen Informationslage? Was ist ernst zu nehmen und was übertrieben? Insofern fand ich den Dokumentarfilm sehr spannend als Einblick in den Alltag von jemand anderem, nun da man nur noch seinen eigenen Alltag erlebt. Zudem hatte es etwas Beruhigendes zu sehen, dass auch andere von den Ereignissen überrumpelt wurden, Dinge taten, die sie zwei Tage später bereits für fahrlässig hielten und etwas ratlos versuchen die Ereignisse einzuordnen.
Freitag, 27. März 2020
Heute hatte ich erstaunlich viel zu tun. Morgens Sportprogramm mit meiner Mutter. Das SRF zeigt ab sofort morgens kurze Sendungen, in welchen Profisportler von Zuhause aus Fitnessübungen zeigen, die man gut zu Hause machen kann. Schnell stellten wir aber fest, dass wir heillos überfordert sind. Der Radprofi benutzte doch einige Hilfsmittel, wie Hocker, Kissen und einen Gymball. Einen solchen hatten wir zwar sogar da, kniend auf dem Ball zu balancieren überstieg dann aber definitiv unser Niveau. Zudem wurden die Übungen viel zu schnell und ohne beidseitige Wiederholungen vorgezeigt. Unser Fazit war, dass zumindest diesem Profisportler nicht bewusst war, wie durchmischt sein Publikum sein dürfte. Also wechselten wir zu Heidys Theraband Programm. Die Gymnastiklehrerin meiner Mutter hatte ein Programm mit Bildern online gestellt. Das funktioniert aber nur, wenn man sonst zu ihr ins Training geht, denn ansonsten wird man aus den Bildern nicht schlau. Dieses Programm fand ich super. Vor allem auch weil ich es mit meiner Mutter gemeinsam ausüben konnte. Dank Theraband kann jede unabhängig an ihre Grenzen gehen.
Danach skypte ich mit einer sehr guten Freundin. Wir studieren gemeinsam und sie sitzt nun Zuhause in Basel in Quarantäne bis Dienstag, da sie Kontakt zu einer infizierten Person hatte. Nun ist sie viel allein. Ihr Freund darf dieses Wochenende nicht vorbeikommen und sie geht nur mit Maske nach draußen, um eine Runde ums Haus zu drehen.
Nachmittags muss meine Mutter für einen Verein Post austragen im Quartier. Ich ging mit. Sport hatte ich zwar schon gemacht, aber an der frischen Luft war ich noch nicht. Ich gehe aber nur bis zum Ende unserer Straße. Meine Mutter muss noch weiter Richtung Dorfzentrum. Wir beide fanden aber, da sollte ich nicht hin, weil sich vor dem Dorfladen immer so viele Menschen tummeln. Schnell ging ich nach Hause, denn ich hatte mich mit einer Bekannten zum Telefonieren verabredet.
Dann wurde es tatsächlich etwas stressig. Ich musste unbedingt noch zwei Texte für die Uni lesen und ein Statement dazu verfassen, welches heute noch eingereicht werden musste. Ich staunte selbst über mich. Ich saß fast die ganze Zeit zu Hause und schaffte es trotzdem nicht, früher damit anzufangen. Alte Gewohnheiten legt man wohl auch in der Isolation nicht so schnell ab. Heute hatte ich richtig das Gefühl, einen vollen Tag gehabt zu haben und von einer Aufgabe zur nächsten gerannt zu sein. Der Tag fühlte sich etwa so an, wie mein Alltag früher aussah. Während man etwas tut, ist man bereits damit beschäftigt zu planen, was als nächstes getan werden soll. Ich frage mich, ob meine Stresstoleranz bereits gesunken ist. Sodass ich einen Tag, an welchem es einige “Termine” gab, bereits als vollgepackt empfand.
Später chattete ich mit einem Bekannten aus Tunesien. Er war sehr frustriert, denn in Tunesien herrscht Ausgangssperre. Er erzählte mir, dass er das Haus seit zwei Tagen nicht verlassen hatte. Sein Tag bestand quasi nur aus Essen und Schlafen und er hoffe, dass das alles bald vorbei sei. Ich sagte ihm, dass dies noch einige Wochen andauern wird und dass es deshalb wichtig ist, dass er eine Tagesstruktur kreiert. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, wie man das sonst so lange aushalten soll. Ich versuchte ihm Ideen zu geben, was man tun könnte, aber dafür kenne ich ihn nicht gut genug. Ich meinte aber, dies sei eine gute Zeit, um Dinge zu tun oder zu lernen, die man immer schon machen wollte, aber nie die Gelegenheit dazu fand. Ein Handwerk erlernen, eine körperliche Fähigkeit trainieren, eine Sprache lernen oder sein Wissen über ein Interessengebiet vertiefen. Dank Internet hat man heute schließlich das Wissen der ganzen Welt zu Hause. Ich hatte aber das Gefühl nicht sonderlich erfolgreich zu sein bei ihm. Er wirkte auf mich so, als sei er bereits in eine Lethargie verfallen, die es schwierig macht, sich aufzuraffen und ernsthaft etwas Neues anzupacken.
Samstag, 28. März 2020
Der Morgen war ruhig. Ich schlief bis um 10 Uhr, zwei Stunden länger als üblich. Danach gab es Brunch wie immer am Wochenende. Anschließend gingen ich, meine Mutter und ihre gute Freundin spazieren. Heute entschlossen wir uns aber nicht für die Route über den Hügel. Wenn man so oft spazieren geht, wird auch diese schöne Route irgendwann etwas langweilig. Gerade wenn man sonst nicht mehr so viel Neues zu sehen bekommt. Also wählten wir einen anderen Weg, der ein Stück der Hauptstrasse entlangführte. Ich stellte fest, dass mich der Verkehrslärm nicht einmal störte. Irgendwie fand ich den Lärm sogar erfrischend nach so viel Ruhe den ganzen Tag. Dann ging es über eine Wiese einen Hügel hoch. Ich setzte mich etwas von den anderen beiden ab und joggte sogar ein Stück den Hügel hoch. Das würde mir normalerweise nie einfallen. Heute aber hatte ich das Bedürfnis, meinen Puls kurz einmal etwas in die Höhe zu treiben und da der Weg nach oben ziemlich kurz war, legte ich einen Gang schneller ein. Dieses Bedürfnis nach sportlicher Betätigung ist generell etwas, was ich nur aus Zeiten kenne, wenn ich über mehrere Tage nur herumsitzen durfte. Beispielsweise nach einem Krankenhausaufenthalt. Es fühlt sich aber gut an und macht mir Spaß Sport jetzt plötzlich zu mögen und mich nicht mehr mit rationalen Argumenten (Es ist gesund. Du isst gern, also musst du Sport treiben…) motivieren zu müssen. Später zu Hause kommt meine Mutter zu mir, während sie den SRF Live Ticker (https://www.srf.ch/news/schweiz/das-neueste-zur-corona-krise-zahl-der-toten-in-italien-steigt-auf-ueber-10-000) liest. Ich stellte fest, dass ich mich heute noch gar nicht mit Corona News befasst habe. Langsam sinkt mein Interesse wohl wirklich, nun da die Sache sich eher regelmässig entwickelt. Meine Mutter lächelte und erzählte mir, dass der Bund mitgeteilt hat, dass “die schlimmste Prognose nicht eingetreten” sei und zurzeit zwar 280 Personen beatmet werden müssen, was viel sei für die Grösse der Schweiz, dass aber keine Intensivstation überlastet sei. Meine Mutter schaute sich die Verlaufskurve an und meinte, klar gäbe es immer noch sehr viele Neuinfektionen, aber wenigstens wären es immer etwa 1000 pro Tag, also ein linearer Anstieg. Das schlimmste Szenario wäre wohl ein exponentieller gewesen, denke ich. Dies bedeutet, dass die Welle wohl nicht ganz so schlimm wie in Italien werden wird. Aber trotzdem empfand ich wahrscheinlich weniger Hoffnung als meine Mutter, ihrem Lächeln nach zu beurteilen. Ich dachte mir eher, dass dies immer noch bedeutet, dass es noch lange dauern wird und dass die Gefahr besteht, dass die Menschen nachlässig werden mit der Einhaltung der Maßnahmen.
Sonntag, 29. März 2020
Heute war ein sehr ruhiger Tag. Erst den üblichen Wochenende-Brunch. Dann wollte ich eigentlich mich einer Freundin telefonieren, das funktionierte am Ende jedoch nicht, denn wir verpassten uns ständig. Wir hatten keinen Zeitpunkt ausgemacht, in der Annahme, wir seien beide sowieso die meiste Zeit am Computer. Jedoch kontaktierten wir uns immer über einen Kanal, auf dem der andere gerade nicht erreichbar war, E-Mail, Skype oder WhatsApp. Zwischendurch betrieb ich am Nachmittag etwas Sport. 20 Minuten auf dem Home Trainer und 20 Minuten YouTube Workout. Wir drei verbrachten den Tag heute überwiegend drinnen. Höchstens mein Vater erledigte zwischendurch einige Aufgaben rund ums Haus. Ansonsten war das Wetter aber auch nicht ansprechend, um spazieren zu gehen. Es war wieder bitterkalt und gegen Abend schneite es sogar.
Den Rest des Tages verbrachte ich mit etwas Hausaufgaben, Büroarbeiten, Computerspielen und Netflix. Zwischendurch unterhielt ich mich einmal kurz mit meiner Mutter. Wir beide staunten erneut darüber, dass man eigentlich jetzt sehr viel mehr Zeit hätte, trotzdem erledigt man aber nichts schneller. Man vertrödelt wohl eher mehr Zeit zwischen den einzelnen Aufgaben und der Druck etwas genau jetzt erledigen zu müssen ist sehr gering. Später hatte ich mich noch zum Telefonieren verabredet mit einer Freundin, die ich schon ewig nicht mehr gesehen hatte. Um 21:30 Uhr war sie jedoch nicht erreichbar, obwohl wir zwei Stunden vorher geschrieben hatten. Auch um 22 Uhr kein Signal von ihr. Nach einer Stunde Hausaufgaben machen und warten, gab ich es auf. Ich machte mir sogar etwas Sorgen, denn sie las auch meine WhatsApp Nachrichten nicht. Vielleicht war sie am Telefon mit jemandem, dem es schlecht ging? Oder sie war von ihrem Freund nach Hause gefahren und hatte irgendwo ihr Telefon liegen lassen. Das war bei ihr nicht unwahrscheinlich.
Montag, 30. März 2020
Morgens stand wieder Uni im virtuellen Raum auf dem Programm. Ich fragte mich, ob das ein Zeichen von Nachlässigkeit ist, dass ich beschloss vor der Lektion nicht zu duschen. Bisher hatte ich das aufrecht erhalten, weil ich irgendwo gelesen hatte, man solle im Home Office solche Routinen beibehalten. Duschen, sich was Ordentliches anziehen und so weiter. Das fördere die Konzentration. Ordentlich angezogen und etwas frisch gemacht habe ich mich wenigstens noch und setzte mich mit Kaffee vor den Computer. Den Kaffee genieße ich sehr. Videokonferenzen ohne Kaffee geht bei mir im Home Office nicht mehr. Es ist das kleine bisschen Lockerheit, dass man sich zu Hause herausnehmen kann. Die Lektion verläuft geordnet und angenehm. Irgendwann schwand jedoch meine Konzentration etwas und ich begann heimlich nebenher auf dem Computer ein Spiel zu spielen. Mehrmals überprüfte ich sogar, ob man mir das im Webcam Bild nicht ansieht. Es ist, wie wenn man im Second-Screen-Modus vor dem Fernseher sitzt. Ich habe zumindest das Gefühl trotz des Spiels der Diskussion gut folgen zu können. Ich fragte mich auch, ob die anderen Teilnehmenden, die alle auch in den Bildschirm guckten, ebenfalls andere Dinge taten, von denen keiner etwas bemerkte oder ob sie wirklich alle komplett aufmerksam waren. Besonders bei einem Teilnehmer, der nicht einmal über eine Webcam verfügte und der meist über sehr lange Zeit schwieg. Da er mir generell nicht sehr sympathisch ist, fragte ich mich manchmal ob er wohl überhaupt da ist oder wie er wohl zu Hause herumläuft, da ihn ja niemand sehen kann. Am Ende der Lektion stellt unsere Dozentin noch klar, dass wir für unser kleines Forschungsprojekt nun keine Interviews durchführen oder Menschen treffen müssten. Wir sollen etwas erforschen, das vom Schreibtisch aus gemacht werden kann, irgendwelche Websites anschauen oder so. Ich bin sehr erleichtert darüber. Für mich war zwar schon klar, dass nichts anderes möglich sein wird. Aber dass nun alle nochmals erinnert werden, dies so zu machen, stellt mich wieder gleich mit den anderen Teilnehmenden. Ich habe nämlich ziemlich Mühe mir etwas einfallen zu lassen und bin sehr unkreativ, was ich denn online erforschen könnte. Nun bin ich etwas beruhigt, denn ich glaube, dass es den meisten anderen auch so geht.
Nachmittags fing meine Mutter an, die Küche gründlich zu putzen. Alle Schränke ausräumen, ausmisten und wieder einräumen. Sie hatte bereits am ersten Tag der Isolation gesagt, dass sie nun Zeit dafür hätte. Nun, nach zwei Wochen fängt sie damit an. Denn wie wir bereits festgestellt hatten, man meint man hätte unglaublich viel mehr Zeit und vertrödelt sie dann doch. Ich versprach ihr dabei zu helfen, konnte dann aber nicht viel machen, da es in unserer Küche zu zweit bereits eng wird. Dann skype ich mit meiner guten Freundin, die noch bis morgen in Quarantäne sitzt und sich ziemlich langweilt.
Nach dem Abendessen gleich noch ein Telefonat. Diesmal mit der Freundin, welche gestern nicht erreichbar war. Sie erzählte mir sie sei vor lauter herumsitzen auf dem Sofa eingeschlafen. Wir sprechen viel über das Coronavirus. Sie arbeitet teilweise im Home Office und teilweise im Büro, wenn sich Klientenkontakt nicht vermeiden lässt. Sie plant im Juni umzuziehen und hat deshalb diese Woche einige Besichtigungen potenzieller Nachmieter. Wir sprachen darüber, dass das im Moment auch etwas ungemütlich ist, fremde Menschen in die Wohnung lassen zu müssen. Allerdings beruht die Abneigung wenigstens auf Gegenseitigkeit. Niemand will auch lange in einer Wohnung einer Fremden sein. Ich erzählte ihr von meinem Bruder. Dieser wohnt zur Untermiete bei einem Arbeitskollegen, der für ein Jahr im Ausland ist. Im Juli kehrt dieser zurück, weshalb mein Bruder und seine Frau ebenfalls bald anfangen müssten Wohnungen zu besichtigen. Mein Bruder ist allerdings ebenfalls Risikopatient aufgrund einer Immunsuppression. Zudem brauchen er und seine Frau eine moderne, wenig verwinkelte Wohnung, da sie beide eine Sehbehinderung haben. In der aktuellen Situation Wohnungen zu besichtigen und dann noch eine passende zu finden, gestaltet sich eher schwer und vorerst schieben sie dies noch etwas vor sich her. Nach über eineinhalb Stunden beendeten wir das Telefonat. Wir beide hätten noch viel länger telefonieren können, aber meine Freundin muss morgen früh aufstehen.
Danach schaue ich mit meiner Mutter noch die Pressekonferenz der Experten von diesem Nachmittag. Anwesend sind die Vertreter verschiedener Bundesämter und “Mister Corona”, wie Daniel Koch oft auch genannt wird. Er leitet die Abteilung “Übertragbare Krankheiten” beim BAG und verkörpert das schweizerische Krisenmanagement. Jeden Tag ist er in den Medien zu hören und zu sehen und stellt sich mit sehr ruhiger Stimme und äußerst geduldig allen guten und schlechten Fragen. Obwohl er wohl kaum mehr viel Schlaf bekommt und von einem Meeting zum nächsten rennt, wirkt er präsent und erreichbar. Ich selbst glaube, dass er mit seinem Auftreten der Bevölkerung viel Sicherheit vermittelt und auch ein großes Stück dazu beiträgt, dass die Menschen die Maßnahmen größtenteils ernst nehmen, ohne dass man sie dazu zwingen muss (Beispielsweise gibt es keine Ausgangssperre, die meisten bleiben aber sehr viel zu Hause).
Dienstag, 31. März 2020
Den Morgen verbrachte ich mehrheitlich am Computer. Zwischendurch musste ich noch einen Arzttermin absagen. Eigentlich hätte ich nächste Woche zur Nachkontrolle in die Nephrologie am Universitätsspital Basel gemusst, da ich dort hospitalisiert war vor einigen Monaten. Da ich normalerweise von der Nephrologie am Kantonspital Luzern betreut werde und nun auch die Isolationszeit in der Region Luzern verbringe, ist es sinnlos, für eine Kontrolle nach Basel zu fahren. Also sollte mich das Unispital jetzt bereits ans Kantonspital rücküberweisen.
Nachmittags gingen ich, meine Mutter und ihre gute Freundin wieder spazieren. Diesmal gingen wir eine neue Route durch den nahegelegenen Wald. Bisher haben wir diesen Wald gemieden, da wir gehört hatten, dass sich dort viele Menschen aufhalten sollen. Viele Familien gehen dort mit den Kindern spazieren oder picknicken, da sich die Kinder im Wald super austoben können. Teilweise soll das Abstandhalten schwierig gewesen sein aufgrund der vielen Menschen, hörten wir aus verschiedenen Quellen. Deshalb wählten wir auch einen Weg, der uns auf etwas abgelegenen Straßen in den Wald führte und nicht den “Haupteingang” mit Parkplatz. Unterwegs kamen wir an mehreren Rinderweiden vorbei. Immer auf Spaziergängen, wenn wir an Tieren vorbeikommen, stellen wir erneut fest, wie schön und friedlich es die Tiere haben. Kein Stress, den Frühling genießen und nichts von all dem mitbekommen, was die Menschen zurzeit so beschäftigt. Kuh müsste man jetzt sein.
Die Freundin meiner Mutter äußerte später etwas Bedenken über Ostern. Für sie ist es sehr wichtig, an diesen traditionellen Feiertagen ihre Familie, insbesondere ihre Töchter, um sich zu haben. Sie zweifelte jedoch daran, ob sie diese dieses Jahr an Ostern sehen wird. Meine Mutter und ich unterhielten uns später darüber. Ihre Freundin macht sich immer schon sehr früh Sorgen über solche Dinge und hat nun noch mehr Zeit darüber nachzudenken. Meine Mutter hatte dann die Idee wir könnten bei schönem Wetter an Ostern allenfalls einen Osterbrunch im Garten machen, mit Abstand selbstverständlich. Nachdem wir am Mittag den restlichen Hasen gegessen hatten, gab es zum Abendessen einen leichten Salat. Dieses Mal gab es zum grünen Salat eine Annäherung an einen griechischen. Eine Annäherung deshalb, weil meine Mutter sich dafür entschuldigte, dass die Tomaten fehlen. Diese sind uns nun ausgegangen und extra wegen Tomaten geht sie dieser Tage bestimmt nicht einkaufen.
Mittwoch, 1. April 2020
Heute Morgen half ich meiner Mutter dabei, die Küche zu putzen, denn heute waren die unteren Schubladen an der Reihe und meine Mutter hat etwas Probleme mit ihren Knien. Gemeinsam räumten wir alle Schubladen aus, putzen und entrümpelten sie. Eigentlich hatte ich heute vor, wieder mein Sportprogramm aus Home Trainer und Kraftübungen zu machen. Nach zwei Stunden Küche räumen, beschloss ich jedoch, dass dies jetzt meine Bewegung für heute gewesen sei.
Beim Mittagessen fragte meine Mutter meinen Vater, ob er auch wieder einmal mit spazieren kommen würde. Sie meinte eigentlich auf den für morgen geplanten Spaziergang. Er jedoch verstand heute. So beschlossen wir, dass wir heute Nachmittag ebenfalls spazieren gehen, denn wenn mein Vater schon einmal mitkommen möchte, sollten wir die Chance nutzen, da es für ihn wichtig wäre, sich wieder einmal etwas mehr zu bewegen. Erneut beschlossen wir eine etwas andere Route als sonst. Unterwegs setze ich mich zwischendurch etwas ab, um meinen Schritt etwas zu beschleunigen. Ich spüre plötzlich, wie schnell ich sonst in der Stadt unterwegs bin, wenn ich allein bin. Nun gehe ich nie mehr so zügig. Meine Begleiter haben in der Regel zwar ein gutes Tempo, jedoch komme ich da selten etwas ins Schwitzen. Also beschleunige ich meinen Schritt zwischendurch. Bergauf lege ich manchmal auch einen kurzen Sprint ein, obwohl ich sehr ungern renne, weil ich untrainiert und sehbehindert bin. Aber bergaufwärts die Herzfrequenz und die Atemgeschwindigkeit etwas hochzutreiben, fühlt sich dieser Tage richtig gut an.
Nach der verdienten Dusche stand ich vor meiner Mutter und wuschelte in meinen Haaren herum. Wie gut sie sich anfühlten so frisch gewaschen. Sie musste lachen. Vor Corona duschte ich eigentlich jeden Tag bevor ich meine Wohnung verlassen habe und wusch mir dann eigentlich auch immer die Haare, weil meine so schnell fettig werden. Nun aber spielt das nicht mehr so eine Rolle. Wenn man das Haus verlässt, dann mit vertrauten Menschen und für Bewegung und Sport. Dafür muss man nicht frisch geduscht sein. Also hatte ich seit Sonntag nicht mehr geduscht und war erstaunt, wie gut ich mich daran gewöhnt hatte. Sonst hatte ich immer das Gefühl, morgens nicht richtig wach zu werden. Vielleicht musss man momentan auch nicht so wach werden wie sonst?
Am Abend schauten wir wieder die Tagesschau auf SRF. Die Stimmung dabei war etwas missmutig, denn nun geht bereits die Parteipolitik in der Schweiz wieder los. Bis jetzt standen alle Parteien geschlossen hinter dem Bundesrat und seinen Massnahmen. Nun da sich die Zunahme der Neuinfektionen bei ca. 1000/Tag stabilisiert, fordert die rechte SVP der Wirtschaft zuliebe bereits eine baldige Lockerung der Maßnahmen. Sowohl ich als auch meine Eltern finden dies zu früh und gefährlich. Es ist schließlich nicht die “Welle” die ihren Höchstpunkt erreicht, sondern nur die Anzahl Neuansteckungen. Das ist, als würde man die Beschleunigung mit der Geschwindigkeit verwechseln. Die rechten Politiker meinen, die Wirtschaft würde diese Maßnahmen nicht mehr lange ertragen und massenhaft Arbeitsplätze seien gefährdet. Uns geht dieses Argument langsam auf die Nerven, denn die wirtschaftsfreundlichen drohen immer damit und schüren gezielt die Angst vor der Arbeitslosigkeit der kleinen Leute. Ein Mittepolitiker konterte mit den Worten, die Rechten könnten gut aus ihrem Home Office fordern, dass die arbeitende Bevölkerung wieder nach draußen gehen soll, während sie nicht zur Session kommen möchten. Es gehe für einmal nicht um die Boni und Dividenden der rechten Unternehmer und Unternehmerinnen. Ich persönlich stimme diesem Herrn zu und halte die Forderungen nach Lockerungen zudem gefährlich bezüglich einer zweiten Welle.
Donnerstag, 2. April 2020
Heute Morgen gingen wir wieder spazieren. Die kürzere Variante über den Hügel. Dabei waren meine Mutter, ihre Freundin und ich. Den Hügel hoch lief ich erneut etwas schneller als die beiden anderen. Für die Freundin, die allein lebt, ist die Unterhaltung gerade so wichtig wie die Bewegung, weshalb die beiden etwas langsamer gehen. Ich konzentriere mich lieber auf das Gehen und Atmen. Jedoch war ich heute sehr energielos. Vielleicht weil es Morgen war und ich überhaupt kein Morgenmensch bin. Ich spüre üblicherweise auch im Fitnesscenter, dass meine körperliche Leistung morgens schlechter ist. Das betrifft im Übrigen auch die geistige Leistung. Aber genau deshalb gehe ich lieber morgens Spazieren. Denn zu Hause wäre ich sowieso nicht so produktiv wie nachmittags und die erfrischende Morgenluft wirkt belebend. Unterwegs trafen wir wieder einige Bekannte aus dem Dorf und unterhielten uns auf Distanz eine Weile. Wie meistens, drehten sich die Gespräche darum, wie man sich mit den Einschränkungen arrangiert und welches Glück wir hier auf dem Land haben, dass wir spazieren gehen können. Weil wir immer wieder stehen blieben und auch etwas spät losgegangen sind, verzögerte sich auch das Mittagessen bis um 14 Uhr. Aber das störte niemanden von uns, denn es musste ja keiner irgendwohin oder hatte Termine einzuhalten.
Am Nachmittag traf ein riesiges Paket ein. Meine Mutter dachte erst, es seien die bestellten Kaffeekapseln. Doch es war an mich adressiert. Ich musste erst eine Weile überlegen, ehe mir einfiel, dass mein Bruder ein Geburtstagsgeschenk zu mir senden ließ. Da mein Geburtstag schon fast zwei Wochen her war, hatte ich dies vergessen, aber mittlerweile wissen alle, dass die Versanddienste quasi das Ausmaß eines Weihnachtsgeschäfts bei halber Belegschaft bewältigen müssen und es deshalb etwas länger dauern kann. Das Geschenk meines Bruders finde ich super. Es ist ein Gesellschaftsspiel namens “Pandemic Legacy”. Dem Namen und der Beschreibung nach muss es wohl eine Art Brettspiel-Version des Computerspiels “Plague Inc.” sein, bei welchem man als Virus die Weltbevölkerung auslöschen muss. Ich konnte mich kaum noch halten vor Lachen. Den zynischen Humor meines Bruders finde ich fantastisch. Am Wochenende wird das Spiel ausprobiert, meinte meine Mutter. Ich stimmte zu und freute mich darauf, fragte mich aber, warum am Wochenende? Es spielt eigentlich keine Rolle mehr an welchem Tag, da wir sowieso immer alle Zuhause sind.
Danach machte ich zum ersten Mal Gebrauch von den zahlreichen Hilfsangeboten für Risikopatienten. Auf Facebook gibt es eine Gruppe für unser Dorf, in welcher Hilfsangebote geteilt werden können. Eine Frau, die in einer nahen Apotheke arbeitet, bietet an, Medikamente mit nach Hause zu bringen, wenn man sie nicht selbst holen kann oder sollte. Also rief ich in der Apotheke an und bestellte bei ihr mein Blutdruckmedikament. Wir vereinbarten, dass ich das Dauerrezept an die Apotheke sende und sie mir das Medikament morgen Abend in den Briefkasten legen und klingeln wird.
Abends hatte ich wieder Spanisch Unterricht. Wir benutzten heute das erste Mal ebenfalls Zoom dafür. Bisher hatte unsere Lehrerin Adobe Connect verwendet, bis sie bemerkte, dass alle anderen Lehrpersonen Zoom verwendeten und das Programm viel einfacher zu bedienen ist. Dies löste eine Diskussion in unserer WhatsApp Gruppe aus, da eine Kursteilnehmerin Zoom nicht mag, aufgrund der Gerüchte über Sicherheitslücken, die in letzter Zeit da und dort auftauchen. Die IT Abteilung der Universität versicherte ihr jedoch, dass Zoom momentan sicher (genug) sei und so fügte auch sie sich der Umstellung. Ich fand den Unterricht mit Zoom viel angenehmer und flüssiger. Zudem war es einfacher, einen präsenz-ähnlichen Unterrichtsstil aufrecht zu erhalten. Unterhaltungen liefen flüssiger und das Teilen von Informationen durch die Lehrerin war anschaulicher.
Nachts chattete ich noch mit einem Freund in Venezuela. Auch dort sind die Menschen unter Quarantäne und die meisten Geschäfte sind geschlossen. Wieder schätze ich mich sehr glücklich. Obwohl ich Risikopatientin bin, wohne ich an einem Ort, an welchem ich trotz Physical Distancing das Haus verlassen kann und zudem lebe ich in einem Land mit einem sehr guten Gesundheitssystem. Im maroden Venezuela gibt es keine staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit. Für Ladenbesitzer die schließen mussten, wurden lediglich die Mieten eingefroren. Über das Gesundheitssystem sagen die Venezolaner und Venezolanerinnen selbst, man werde spätestens im Krankenhaus krank, da es an allem mangelt. Im Gespräch mit meinem Freund bekam ich das Gefühl, dass die Angst vor einer Ansteckung und die Vorsicht größer ist als in meinem Fall. Vielleicht deshalb, weil man dort drüben davon ausgehen muss, dass wenn man sich ansteckt, man allein mit dem Virus zurechtkommen muss. Trotz der Bedrohung durch Covid19, bezeichnet mein Freund jedoch ihren Präsidenten immer noch als den größten Virus, der nun dank Notrecht seine Macht weiter ausbauen kann.
Freitag, 3. April 2020
Heute Morgen stand für mich wieder Sport auf dem Programm. Da niemand mitmachen wollte, raffte ich mich allein auf und schwang mich 20 Minuten auf den Home Trainer. Danach 15 Minuten Ganzkörpertraining mit einem Video des Tele Basel. Deren kurze Fitnessvideos sind mir sehr sympathisch und die Übungen für mich angemessen. Danach musste ich mich ziemlich beeilen, denn schon kam meine Mutter mit dem Mittagessen nach Hause. Wir hatten Take Away bestellt bei einem neuen Restaurant in einer nahen Gemeinde, welches eigentlich im März eröffnen hätte wollen. Nun bieten sie jeden Tag zwei frische hochwertige Mittagsmenus an. Einerseits unterstützen wir so die Gastronomie und andererseits muss meine Mutter für einmal nicht kochen. Gerade jetzt wo sie so viel kocht, weil immer alle zu Hause sind. Auf mein Angebot, ich würde auch kochen, ist sie bisher noch nicht eingegangen. Deshalb habe ich gesagt, ich würde einmal pro Woche ein Take Away Essen bezahlen. Davon profitieren alle und ich leiste so einen finanziellen Beitrag, nun da ich hier wieder vorübergehend wohne. Das Essen war sehr lecker und mit viel Sorgfalt zubereitet und angerichtet. Ich hatte das Gefühl man merkte auch hier ein Stück mehr Fürsorge und Freundlichkeit als sonst. Es gab sogar ein kleines gratis Dessert, was in einer Zeit der finanziellen Knappheit wirklich nicht nötig gewesen wäre.
Den ganzen Tag über herrschte heute ein Kommen und Gehen. Erst kam mittags die Post, die ein riesiges Paket Kaffeekapseln brachte. Normalerweise kaufen meine Eltern diese in einem bestimmten Supermarkt. Da gehen sie nun aber nicht mehr hin und zudem ist unser Konsum klar gestiegen. Dann brachte ein Bauer eine grosse Ladung Rindfleisch vorbei. Das war nichts Ungewöhnliches, da meine Mutter immer mehrmals im Jahr bei ihm bestellt. Später holte eine Bekannte eine Tüte ab, gefüllt mit alten Kinderbüchern und nicht mehr gebrauchtem Mehrweg-Plastikgeschirr und deponierte dafür eine Packung Kekse. Sie hatte meiner Mutter vor ein paar Tagen erzählt, dass ihren Töchtern der Lesestoff ausgeht und dass sie oft Picknicken würden.
Während des Abendessens brachte unser Nachbar Lebensmittel vorbei. Wir hatten ihm einen Einkaufszettel mitgegeben, da er sowieso einkaufen gehen musste. Mit unseren Nachbarn sind wir so verblieben, dass sie uns einfach mitteilen, wann sie zu welchem Supermarkt fahren und wir dann mitteilen können, was wir von dort brauchen. Die Kosten schreiben sie auf und werden von uns dann sporadisch überwiesen. Zu guter Letzt brachte dann die junge Frau von der Apotheke meine Medikamente vorbei. Sie rief an, sie hätte sie auf ihrem abendlichen Spaziergang im Briefkasten deponiert. Dafür hatte ich dort ebenfalls eine Packung Kekse für sie bereitgelegt. Ich und meine Mutter mussten lachen. Erst erhielten wir Kekse als Gegenleistung und dann gaben wir diese gleich weiter, weil jemand uns einen Gefallen tat und man gerade nichts Geeigneteres zu Hause hat. Wir fragten uns, welchen Weg all diese kleinen Geschenke als Gegenleistung noch nehmen würden, wenn andere ebenfalls so verfahren und sie weiterschenken.
In den abendlichen TV Nachrichten des Schweizer Fernsehens spürte man heute die wachsende Anspannung der Behörden deutlich. Es geht auf Ostern zu und die Wetterprognosen für die nächste Woche versprechen traumhaftes Frühlingswetter. Zudem verreisen viele Deutschschweizer über Ostern ins Tessin, welches aufgrund seiner Nähe zu Italien massiv stärker von der Krise betroffen ist als die meisten anderen Kantone. Eindringlich werden die Bürger gebeten, dieses Jahr über Ostern nicht zu verreisen und keine Ausflüge zu unternehmen. Vermehrt werden nun Seepromenaden, Parks und andere Naherholungsgebiete abgesperrt. Vor dem Gotthard Richtung Süden werden Wohnmobile aufgehalten und müssen umdrehen, da sowieso alle Campingplätze im Tessin geschlossen sind. Generell ist eine Reise in den Süden aber nicht verboten, weshalb die Behörden nur an die Bevölkerung appellieren können. Mittlerweile wurden auch kollektive Bewegungsprofile von Smartphones verwendet, um zu analysieren wo sich Menschenansammlungen bilden. Dies zeigte, dass der Bewegungsradius der Schweizer am Samstag mit schönem Wetter deutlich größer war als an jenem mit schlechtem Wetter. Somit scheinen die Sorgen der Behörden begründet, dass das schöne Wetter die Menschen so sehr lockt, dass sie sich nicht mehr ganz so strikt an die Maßnahmen halten.
Samstag, 4. April 2020
Heute Morgen machten wir uns noch vor dem Brunch auf den Spaziergang. Erstens weil wir fanden, es sei einfacher mit leerem Bauch zu spazieren. Zweitens aber auch, weil es wunderbares Frühlingswetter und Wochenende war und wir hofften so zahlreichen Spazierfreudigen aus dem Weg zu gehen. Wir wählten wieder einmal eine neue Route, welche uns an einem Bauernhof vorbeiführte. Wir sprachen ca. 30 Minuten mit der Bäuerin und ihrem Mann. Diese erzählten uns, dass sie auf ihrem abgelegenen Hof nicht viel von der Corona Krise merken würden. Kontakt mit anderen Menschen hatte man eher weniger außerhalb des Dorfes. Währenddessen kraulte ich ausgiebig den alten, freundlichen Hofhund und überlegte mir, dass alle Menschen mit Haustieren nun froh sein mussten. Wenn man schon den Körperkontakt zu Menschen einschränken muss, dann kann man wenigstens noch sein Haustier knuddeln. So merkte ich, dass sowohl der Hund als auch ich die Streicheleinheiten genossen.
Am Nachmittag erfuhr ich, dass ich und meine Familie im Juni nicht nach Island reisen werden. Wir planten dort einem Kongress beizuwohnen, der sich mit den wissenschaftlichen Aspekten unserer Sehbehinderung befasst. Dazu sollte es ein Programm mit Workshops und Unterhaltung für junge Betroffene aus aller Welt geben. Für uns wäre das auch ein Wiedersehen mit alten Freunden von früheren Kongressen gewesen. Anschließend wäre noch eine Woche Urlaub in Island geplant gewesen, doch nun wurde der Kongress auf 2022 verschoben, denn er findet nur alle zwei Jahre statt. Ich persönlich war nur ein kleines bisschen enttäuscht, denn diese Nachricht war seit längerem absehbar. Da ich für die Schweizer Jugenddelegation zuständig bin, ging das Organisieren los. Alle anderen mussten informiert werden und ich muss nun schauen, dass alle eine gute Lösung finden, wenn Flüge und Unterkünfte annulliert werden müssen. Bereits kam etwas Nervosität auf in unserer Gruppe, da manche Teilnehmer noch nicht so vertraut waren mit dem Buchen solch weiter Reisen und nun etwas überfordert schienen mit der Absage des Anlasses. Später organisierte die deutsche Jugendgruppe ein spontanes Zoom Meeting. Da die Gruppe noch jung ist, hatten sich viele bisher noch nie getroffen. Da dies nun wohl länger nicht zustande kommen wird und stattdessen alle Zuhause rumsaßen, ergab sich die Gelegenheit sich spontan online zu treffen. Wir besprachen zudem die Idee, anstelle des nun ausgefallenen Kongresses stattdessen eine Art virtuellen Kongress oder ein Treffen der jungen Betroffenen weltweit zu organisieren. Da momentan viele Menschen die Technologien rund um virtual Meetings ausprobieren und Erfahrungen damit sammeln, könnten wir doch ausprobieren, inwiefern wir diese neuen Möglichkeiten zukünftig für unsere Vernetzung nutzen könnten. Gerade im Zusammenhang mit Zoom oder Home Office höre ich oft, dass diese Krise auch eine Chance sein kann. So erzählte mir auch ein Freund, er hätte schon länger vorgehabt Teilzeit im Home Office zu arbeiten und nun könne er quasi stressfrei testen, wie dies funktionieren würde, da es sowieso keine Alternative gäbe. Oder Professoren, die oft an mehreren Universitäten in Europa unterrichten und so eine persönliche Sprechstunde zukünftig auch einmal per Zoom abhalten könnten. Und dann noch die Hoffnung der Klimaschützer und ökologisch interessierten Menschen wie mich, dass zukünftig die Business Flugreisen etwas abnehmen könnten zugunsten von Conference Calls. Denn die meisten müssten nicht mehr dem Klima zuliebe zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um diese Technologie kennenzulernen. Die Schulung erfolgt in dieser Krise zwangsläufig.
Abends verfolgen wir gespannt die Nachrichten. Die offensichtliche Divergenz zwischen den Gesundheitsexperten und den Wirtschaftsvertreten ist mittlerweile so offensichtlich, dass auch die Nachrichtensendungen die beiden Positionen kontrastiert darstellen. Die Rufe nach Lockerungen der Maßnahmen und einer sogenannten Exit-Strategie werden immer lauter. Die Wirtschaftsvertreter klingen so, als würden sie bereits jetzt einen konkreten Plan erwarten, wie man wieder aus der Lockdown Situation herausfinden kann. Die Regierung hingegen erwidert, man arbeite daran und weist umso vehementer darauf hin, dass es momentan sicher noch zu früh sei, die Maßnahmen zu lockern. Gleichzeitig scheint die Regierung ihre Aufmerksamkeit aktuell auf Ostern, das schöne Wetter und den zunehmenden Quarantäne-Koller der Bevölkerung zu richten. Aus meiner Sicht wirkt dies schon fast ein bisschen absurd und in meinem Kopf entsteht ein Bild einer Regierung, die den Blick auf die Bevölkerung richtet und diese ermahnt und bittet, sich an die Regeln zu halten, während ihr von der Seite die Wirtschaft ins Ohr jammert, man müsse die Regeln lockern. Dies wirkt etwas, wie wenn Eltern sich nicht einig sind, wie man mit den Kindern umgehen soll und gleichzeitig versuchen, die Kinder zu kontrollieren und nicht miteinander zu streiten. Streiten sich die Eltern (die Experten), wissen die Kinder (die Laien) gar nicht mehr, wem gefolgt werden soll und werden vielleicht am Ende einfach machen, was sie für angenehm halten. Wie das aussehen wird, werden die nächsten Wochen zeigen.
Sonntag, 5. April 2020
Heute Morgen verfolgte ich eine Diskussion in einer WhatsApp Gruppe. Es handelt sich dabei um eine Gruppe für Menschen mit Sehbehinderungen, welche gegenseitig Tipps und Infos austauschen. Einer aus der Gruppe, der einen sehr aktiven Lebensstil pflegt, stellte die Frage, wie andere denn Einkaufen gehen würden. Für Menschen mit Sehbehinderungen ist Social Distancing dieser Tage ein Dauerthema. Denn ist man allein unterwegs, kann man den Abstand zu anderen nicht abschätzen. Ist man mit Begleitperson unterwegs, bedeutet dies körperlichen Kontakt und somit wird Social Distancing ebenfalls nicht eingehalten oder man macht sich abhängig von sehr wenigen Personen. Mir selbst war bis zu diesen Diskussionen selbst nicht bewusst, dass das auch ein Problem für mich geworden wäre, wenn ich in Basel geblieben wäre. Es war jedenfalls kein Beweggrund bei meinen Eltern zu bleiben. Nun bin ich aber sehr froh, hier immer jemanden zu haben, der mich draußen begleiten kann. Denn es stimmt, auch ich fühle mich allein draußen nicht mehr ganz wohl. Ich sehe Menschen entgegenkommen, kann aber den Abstand nicht abschätzen und erkenne die Anzeichen nicht, auf welche Seite eine Person ausweichen wird, weshalb es zu verwirrenden Situationen kommen kann oder ich arrogant wirken könnte, weil ich als junge Person nicht ausweiche. Allein würde ich nun auch hier im Dorf nur noch mit dem Blindenstock nach draußen gehen. Normalerweise benutze ich den nur in der Stadt. Die Beitrage zur WhatsApp Diskussion frustrierten mich etwas, obwohl ich die Seite der Betroffenen auch verstand. Ein allein Lebender meinte zum Beispiel, er hätte pro Woche nur ca. ein oder zwei Personen getroffen und er merke nun, dass er seiner psychischen Gesundheit zuliebe mehr Menschen treffen würde. Er plant deshalb nächste Woche einfach Leute zu sich nach Hause einzuladen. Er gehöre nicht zur Risikogruppe und seine Freunde auch nicht. Ich fand das sehr naiv, denn meiner Meinung nach wird dabei vergessen, dass jeder dieser Freunde auch wieder andere Menschen trifft und irgendjemand hat in dieser Verkettung auch Kontakt zu einer Person der Risikogruppe. Andererseits fand ich auch, man konnte in der Sprachnachricht die Frustration heraushören. Ich kann gut verstehen, dass bei Menschen, die allein wohnen, Druck und Frustration steil ansteigen und die Suche nach einer Kompromisslösung notwendig wird. Ein anderer Teilnehmer meinte, er hätte niemanden gesehen, da er erkältet gewesen sei. Er hätte Husten gehabt. Es sei aber kein Corona gewesen, sondern weit davon entfernt. Bei solchen Aussagen frage ich mich immer leise, ob es denn wirklich so schwer ist Covid19 zu verstehen. Mittlerweile muss doch jeder und jede schon vernommen haben, dass man auch infiziert sein kann, ohne jegliche Symptome zu haben. Niemand kann also ohne Test wissen, ob er infiziert ist oder war und ich gehe nicht davon aus, dass diese Person getestet wurde. Außerdem wirkte es wie eine Beschwichtigung. Wobei ich eher denke, wenn du zu Hause warst, wäre es doch besser für dich, wenn es Covid19 gewesen wäre. Du hättest es mit leichten Symptomen hinter dich gebracht und wärst nun wahrscheinlich sogar immun. Selbst wenn es persönlich besser wäre, Covid19 gehabt zu haben, scheint das Gefühl von Ekel oder Scham zu überwiegen. Ansteckende Krankheiten haben etwas Abstoßendes, im wahrsten Sinne des Wortes, denn wir sollen uns schlussendlich auch distanzieren. Aber selbst, wenn die physische Distanz gewährleistet ist, scheint dieses Gefühl der Abneigung oder die Angst vor der Abneigung erhalten zu bleiben. Man fürchtet soziale Konsequenzen, wie sie auch die Aussätzigen in früheren Zeiten zu spüren bekamen. Oder warum sonst, müsste man Menschen, die man noch nie getroffen hat, via WhatsApp beruhigen, dass man nur erkältet war und kein Covid19 hatte?
Die Diskussion ging weiter, indem einige andere Tipps gaben, er könnte doch mit jemandem mitgehen und es wurden ihm Online-Plattformen empfohlen. Es dauerte einige Zeit, bis eine Teilnehmerin vorschlug, er solle doch für sich einkaufen lassen. Angebote gäbe es momentan schließlich genug und selbst wenn er nicht zur Risikogruppe gehöre, würde man ihm sicher weiterhelfen in seiner Situation. Der Angesprochene antwortete nicht mehr auf diese Nachricht. Ich selbst hatte auch an diese Möglichkeit gedacht und mir überlegt diesen Vorschlag zu machen. Allerdings war ich der Meinung, diese Möglichkeit sei sehr offensichtlich und dass er wohl eher etwas Hemmungen hat, solche Angebote in Anspruch zu nehmen.
Später widmeten ich und meine Mutter uns wieder dem Sport. Wir verwendeten dafür wieder ein Workout Programm der Trainerin meiner Mutter. Ich persönlich finde das jeweils etwas mühsam, denn die Trainerin macht lediglich Fotos der Übungen und kein Video. Die Bewegungen daraus zu interpretieren funktioniert nur, wenn man die Übungen von ihr kennt. Zudem muss man zwischendurch immer wieder unterbrechen, um den Plan zu studieren.
Den Nachmittag verbringe ich mit Computerarbeit und einer ausgedehnten Kaffeepause im Garten. Die Sonne ist so warm, dass man sich effektiv schon sonnen kann. Erneut bin ich sehr dankbar für den großen Garten meiner Eltern, mit viel Grün, einer Palme, vielen Vögeln und Bienen. So lässt sich Quarantäne definitiv aushalten. Immer wieder stellen ich und meine Eltern dabei aber auch fest, wie locker die Nachbarn übers Wochenende mit den Maßnahmen umgehen. Da sind die Söhne der Nachbarn, die in meinem Alter sind, welche zu ihren Eltern Abendessen kommen, obwohl jeder getrennt wohnt. Da ist ein älteres Pärchen, wohl die Eltern bzw. Grosseltern, das bei einem Nachbarn vorfährt und für mehrere Stunden im Haus verschwindet. Da ist die Familie, die bei unseren Nachbarn den Nachmittag verbringt, weil der Enkel Geburtstag hat. Meine Mutter gerät jedes Mal in große Aufregung, wenn sie so etwas beobachtet. Sie fragt sich, wo das hinführe, wenn sich keiner an die Regeln halte. Und am Ende würden auch wir, die uns daran halten bestraft, denn so würde bestimmt die Ausgangsperre über Ostern doch noch notwendig werden. Ich sehe das genauso. Andererseits nervt mich meine Mutter manchmal auch. Denn sie spricht über jede ältere Person, die sie vorbei gehen sieht und meint, die würden gar nicht mehr nach draußen gehören. Wir selbst jedoch gehen genauso nach draußen spazieren. Ich habe persönlich große Mühe damit, wenn jemand andere verurteilt und meiner Meinung nach, selbst wenig darüber reflektiert hat, was er oder sie selbst tut. Zudem finde ich es auch nachvollziehbar, dass nicht alle Menschen die Situation, so rational abgeklärt betrachten können, wie ich und meine Eltern dies tun.
Die Nachrichten am Abend zeigen, dass die Bevölkerung größtenteils zu Hause geblieben sind. Viele hätten sich an die Vorgaben gehalten, doch die Anspannung bleibt, denn Ostern steht noch vor der Tür. Meine Mutter entdeckte dann in der Luzerner Zeitung vom 3. April 2020 eine Grafik, welche die aktuelle Situation wieder in ein etwas anderes Licht rückte.
Eigentlich ist es diese Grafik, die ich schon seit längerem vermisst habe. Sie zeigt die Anzahl der Covid19 Infektionen im Verhältnis zur Größe der Bevölkerung. Denn es ist ziemlich schwierig zu vergleichen, wie stark ein Land von der Krise betroffen ist, wenn man die absoluten Zahlen von China mit einem kleinen Land wie der Schweiz zu vergleichen versucht. Diese Grafik gibt mir ein ungutes Gefühl. Ich dachte eigentlich bereits, dass wir auf einem guten Weg sind und dass so langsam USA der nächste Hotspot sein wird. Dass wir immer noch eine der zahlreichen Varianten die Krise darzustellen, so weit oben anführen, lässt mich ebenfalls hinterfragen, ob wir das Schlimmste vielleicht noch nicht überstanden haben. Zudem lässt es die Forderungen nach Lockerung der Maßnahmen absurd wirken. Aber schlussendlich gibt es verschiedene Möglichkeiten Grafiken zu erstellen, die dann die Krise, je nach Absicht anders darstellen.
Montag, 6. April 2020
Im Seminar heute Morgen schauten wir einen Film. Erstaunlicherweise ging das fast problemlos. Ich hätte erwartet, dass es mehr Probleme mit der Verbindung geben würde beim Streamen eines Films über eine Videokonferenz. Für mich war die Sache sehr anstrengend, da es sich um einen ethnographischen Film handelte. Ohne Sprecher im Off und in Originalsprache mit Untertiteln. Sonst im Unterricht hätte ich jemanden fragen können, ob er oder sie mir zwischendurch etwas beschreibt, was gerade geschehen ist. So aber war ich 90 Minuten voll mit Untertitel lesen beschäftigt. Die Dozentin bot mir deshalb an, ein zusätzliches Zoom-Meeting mit mir zu machen, falls ich Fragen hätte zum Film. Denn die Aufgabe war eine Reflexion dazu zu schreiben.
Zwischendurch musste ich mich mit der abgesagten Konferenz in Island beschäftigen. Einige aus unserer Gruppe haben von unserer nationalen Organisation Travel Grants für die Reise erhalten. Da der Kongress einfach um zwei Jahre verschoben wurde, blieben auch diese erhalten. Jedoch half das den Teilnehmenden in der aktuellen Situation nicht, da alles schon gebucht war. Prompt gibt es Unklarheiten, ob alle Teilnehmenden den Betrag von ihrer Reiseversicherung zurückerhalten würden und wer wusste denn schon, wo man in zwei Jahren steckte und ob man dann noch teilnehmen wollte oder konnte. Außerdem konnten Hotelzimmer und Flüge nicht einfach um zwei Jahre verschoben werden. Eine Teilnehmerin hatte jedoch einen sehr guten Hinweis: Man sollte die Flüge jetzt noch nicht annullieren und stattdessen besser bis kurz vor Reiseantritt warten. Denn je nachdem wie sich die Situation entwickelt, muss am Ende die Fluggesellschaft ihrerseits den Flug stornieren und dann wäre dies für uns kostenfrei. Also heißt es für uns einmal mehr abwarten und die Situation beobachten.
Am Nachmittag nahm ich es etwas gemütlich und schaute wieder einmal eine Serie auf Netflix. Ich hatte zu Beginn befürchtet, ich würde zum totalen Netflix-Junkie werden, aber dem ist nicht so. Ich schaue sogar weniger als bei mir Zuhause, denn dort esse ich allein und schaue gleichzeitig Serien. Hier esse ich in Gesellschaft und benutze Netflix selten zwischendurch, wenn ich bewusst eine längere Pause mache oder wenn ich auf dem Home Trainer sitze.
Genau das tat ich dann später auch. 20 Minuten Home Trainer, 10 Minuten Bauch Workout, 10 Minuten Po Workout. Langsam muss ich schauen, dass ich jeden Tag eine etwas andere Muskelgruppe trainiere. Da ich jeden Tag etwas Sportliches mache, habe ich bereits an verschiedensten Stellen Muskelkater. Es ist tatsächlich so, dass ich momentan viel disziplinierter Sport betreibe als sonst im Alltag. Ich frage mich, ob ich paradoxerweise vielleicht jetzt sogar mehr Kalorien verbrauche und Muskeln aufbaue als sonst. Allerdings ist das sehr schwer abzuschätzen, denn es ist schwer die Alltagsbewegungen einzurechnen, welche momentan wegfallen. Danach setze ich mich für ein paar Minuten an die Sonne in den Garten und höre den Vögeln und Insekten zu; irgendwo weit weg lachen Kinder. Man genießt diese kleinen schönen Dinge deutlich bewusster jetzt.
Dienstag, 7. April 2020
Etwas Lustiges zum Frühstück. Seit gestern geht mir ein neuer Song (https://www.youtube.com/watch?v=yGX4u5XfzVs) nicht mehr aus dem Kopf. Auf einem YouTube Kanal des SRF wurde ein Video veröffentlicht, welches nun die Runde macht. Es handelt sich um einen Remix, bei welchem alle Soundgeräusche mittels eines Wasserhahns erzeugt wurden und dazu wurden die Stimmen zweier Bundesräte geschnitten. Motivation war, dass man den Satz “Bleiben Sie zu Hause” schon so oft gehört hat, dass man ihn bald nicht mehr hören kann. Das Problem ist nur, seit dieser Remix um geht, bleibt der Satz erst recht in den Ohren hängen. Ich jedenfalls lief schon den ganzen Morgen durch unser Haus mit dem ständigen Mantra im Kopf. Eigentlich war es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis ein solches Video auftauchen würde. Immer wieder werden lustige Episoden, Anekdoten oder Eigenheiten von Regierungsmitgliedern zu Remixes zusammengeschnitten. Ich mag solche Aktionen, denn sie bringen etwas Auflockerung in ernste Themen und sorgen so nun auch bei der Corona Krise dafür, dass man die ständige Repetition der Parolen auch einmal mit Humor nehmen kann, ohne sie dabei lächerlich zu machen.
Später klingelte es an der Tür. Mein Vater öffnete und eine junge Frau stellte eine Tüte vor die Tür, entfernte sich und erklärte, sie komme von der Gemeinde. Nachdem sie gegangen war, entpackten wir die Tüte. Es handelte sich um ein “Frässpäckli” (Fresspaket) der Gemeinde. Eine Tüte mit zwei Tulpen, einem Schnittsalat, zwei kleinen Müslimischungen, zwei kalte Kaffeegetränke, ein paar Sudokus und Schokolade-Ostereier. Dabei war ein Brief des Sozialvorstehers der Gemeinde. Die Tüte war eine kleine Aufmerksamkeit an alle über 65-jährigen der Gemeinde in dieser schwierigen Zeit. Man bedankte sich für das Einhalten der Verhaltensregeln und es waren Hilfsangebote und Telefonnummern notiert, wo man sich melden könnte, falls man Unterstützung benötigen würde. Wir freuten uns alle sehr über diese Aufmerksamkeit, denn dies ist nichts Selbstverständliches und zeigt, dass sich der Sozialvorsteher wirklich etwas überlegt hat. Damit hat er nun ein paar Pluspunkte bei uns dazugewonnen.
Nachmittags gingen wir wieder zu dritt spazieren. Unsere Route war etwas länger als sonst und führte uns über Wiesen, wo man einen schönen Ausblick auf den nahen See hat. Momentan kann man diese Wege noch gehen, im Sommer wird es dort aber zu heiß. Auf dem Weg kommen wir an der Pferdekoppel des Stalles vorbei, wo ich normalerweise Reiten gehe. Auch dies ist momentan nicht mehr möglich für mich. Zwar können Pferde kein Coronavirus übertragen, aber im Stall sind diverse Menschen unterwegs, besonders jetzt wo die Kinder nicht in der Schule sind. Gegenstände wie Putzsachen und Sattelzeug werden von unzähligen Händen angefasst und zudem wäre ich aufgrund meiner Sehbehinderung auf eine Begleitperson angewesen. Dies ist üblicherweise die Nachbarin, die ich nun auch nicht mehr treffen kann. Wir bleiben bei der Koppel stehen und zwei der Pferde kommen sogar zu uns herüber. Ich merke, dass ich die Pferde und das Reiten schon sehr vermisse, besonders jetzt im Frühling, wo es im Wald wunderschön ist und ich nun immer zu Fuß die Wege gehe, die ich sonst geritten bin.
Unterwegs trafen wir auch noch zwei Herren, die mitten auf dem Weg standen und miteinander sprachen. Sie standen so, dass wir zwischen ihnen hindurchgehen hätten müssen und dabei sicher nicht den Mindestabstand eingehalten hätten. Als wir stoppten, traten die beiden Herren ein bisschen zur Seite, wirkten aber etwas überrascht. Als wir vorbeigingen, sagte meine Mutter “Wir haben gerne Abstand” und ich meinte, das seien halt keine 2 Meter. Da lachte der eine auf: “Achse, daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Ja klar.” Im Weitergehen dachte ich, dass er wohl sehr lange schon nicht mehr daran gedacht haben muss. Spätestens wenn Menschen zögern an dir vorbeizugehen, fällt doch mittlerweile jedem auf, woran das liegen könnte. Hinzu kommt noch, dass der Mann sehr wahrscheinlich über 65 Jahre alt war und ich mich somit wieder einmal gefragt habe, wie man zur Risikogruppe gehören konnte und die Sache in diesem Ausmaß nicht präsent haben konnte.
Am Abend beim Schauen der Nachrichten fällt mir lediglich auf, wie wenig ich mittlerweile den Live Ticker von SRF noch konsultiere. Auch die Fallzahlen überprüfe ich nur noch etwa ein Mal am Tag. Zudem sind die Neuansteckungen etwas zurück gegangen in den letzten Tagen. Die Behörden sprechen von einer “Stabilisierung”. Die Forderungen nach einer langsamen Lockerung der Maßnahmen sind mittlerweile massiv. Die Wirtschaft scheint sich bereits in verschiedene Lager aufzuteilen. Die einen wollen branchenspezifische Lockerungen, die anderen gleiche Lockerungsmaßnahmen für alle. Auch die Bevölkerung scheint weniger Angst vor Corona zu haben und wieder etwas mehr nach draußen zu gehen, den Abstand aber einzuhalten. Die Bundesbehörden kommunizieren aber ganz klar, dass es vor Ostern keine Lockerungen geben wird. Ich kann das sehr gut nachvollziehen und finde der Bund hat Recht, wenn er annimmt, es könnte gerade über Ostern sowieso zu mehr Verstößen gegen die Maßnahmen kommen. Auch dass Österreich gewisse Maßnahmen jetzt gelockert hat, ruft die Wirtschaftsvertreter auf den Plan, doch die Regierung kommuniziert ganz klar, sie orientiere sich an der Lage hierzulande und nicht an den Bedingungen eines Nachbarlandes.
Mittwoch, 8. April 2020
Ich sollte wieder einmal duschen. Das waren meine ersten Überlegungen heute Morgen. Ich mag es nicht, wenn meine Haare nach zwei Tagen strähnig werden, andererseits ist es ganz gut für Haut und Umwelt jetzt nicht so viel zu duschen, wenn man sowieso nicht unter Menschen ist. Ich entschloss mich gegen das Duschen, denn am Vormittag half ich meiner Mutter die Küche fertig zu putzen. So hat die Krise doch noch was Gutes, meinte sie zu all den frisch eingeräumten Küchenschränken. Eigentlich hatte ich gehofft, das Putzen würde meine sportliche Einheit für heute sein. So anstrengend war es dann aber doch nicht. Also musste ich nachmittags nochmal ran. 20 Minuten Home Trainer, 10 Minuten Arm-Workout und 10 Minuten Bauch-Workout und danach eine wohlverdiente Dusche.
Im Radio und im Fernsehen war heute die Post ein zentrales Thema. Jetzt, kurz vor Ostern kann sie die Paketflut nicht mehr bewältigen. Angestellte sagen in den Nachrichten, die Auslastung sei höher als an Weihnachten. Die Menschen sind mehr zu Hause und gehen online shoppen und aufgrund der Ladenschließungen muss man nun auch Dinge online bestellen, die man sonst eher im Geschäft gekauft hätte. Dazu kommen noch zahlreiche Aktionen und Onlineangebote von Versandhäusern. Die Post appelliert daher an die Bevölkerung sich zu überlegen, was man momentan wirklich bestellen muss und man solle Bestellungen zusammenlegen und nicht beispielsweise zwei Mal am selben Tag beim selben Händler bestellen. Die Post meldet zudem weiter, das Personal werde knapp, weil nebst den direkten Ausfällen durch Corona nun auch immer mehr Angestellte aufgrund der Überlastung und der langen Schichten ausfallen würden. Sehr erstaunt war ich über die Meldung, die Post würde nun mit Konkurrenten wie DHL, DPD und so weiter, Synergien suchen und beispielsweise Routen zusammenlegen. Normalerweise ist die Konkurrenz zwischen diesen Anbietern sehr groß und man spürte, wie die Post zunehmend unter Druck der privaten Anbieter geriet. Dass sie nun mit diesen zusammenarbeitet, zeigt zusätzlich wie groß der Druck auf die Post sein muss. Die eigentlich größere Meldung heute, nahm ich gar nicht so stark wahr. Vielleicht weil sie nicht unerwartet war für mich. Der Bund beschloss den Lockdown um eine Woche, bis zum 26. April zu verlängern. Danach sollen schrittweise Lockerungen eingeführt werden. Der genaue Ablauf wird aber zurzeit noch ausgearbeitet. Dass der Lockdown verlängert würde, hatte ich angenommen, da man nach Ostern die Lage wieder neu betrachten muss. Je nachdem wie diszipliniert die Menschen an Ostern waren. Dass danach aber Lockerungen stattfinden sollen, war ein Entgegenkommen an die lauten Forderungen nach Normalisierung seitens der Wirtschaft. Und ich denke, es ist auch für die Menschen wichtig zu hören, dass es bald wieder besser wird, wie ein Anker der Hoffnung für diejenigen, die mit ihrer Kraft auszuharren langsam am Ende sind. Vielleicht motiviert ein Datum, an welchem Lockerungen beginnen sollen sogar, jetzt über Ostern noch einmal durchzuhalten.
Donnerstag, 9. April 2020
Heute Morgen gingen wir wieder spazieren. Es war etwas bewölkt und deutlich kälter als gestern. Wir fanden das gut, denn so wagten wir uns auf einen Waldspaziergang, welcher uns am grossen Parkplatz am Waldrand vorbeiführte. Diesen meiden wir sonst, da dort alle Menschen parken, die nicht zu Fuss zum Wald gehen und es deshalb oft sehr viele Leute gibt. Bei etwas schlechterem Wetter und vormittags schätzten wir das Risiko jedoch gering ein. Und so war es denn auch. Es parkten etwa so viele Autos wie vor Coronazeiten dort und wir begegneten nicht sehr vielen Menschen im Wald. Immer noch mehr als sonst um diese Tageszeit, aber die Sache war problemlos. Ich spürte lediglich wieder einmal wie stark meine Energie über den Tag variiert. Morgens schaffe ich die kleinen Hügel gerade mal so schnell, wie meine Mutter. Nachmittags fand ich immer, die anderen würden mir etwas zu langsam laufen und joggte sogar hoch. So stark aufgefallen ist mir das noch nie, weil ich sonst innert so weniger Tage nicht so oft die gleiche Art von Bewegung oder Sport betrieb und deshalb schlecht vergleichen konnte. Den Nachmittag verbrachte ich damit, Dinge für mein Studium zu erledigen. Nach 17 Uhr genossen meine Eltern und ich einen Apéro im Garten. Das ist mittlerweile zur Tradition geworden. Da das Wetter wunderbar ist und wir es sehr genießen einen Garten zu haben, setzen wir uns jeden Tag am späten Nachmittag mit einem Drink nach draussen und genießen die Abendsonne. Ich denke, nebst dem Genießen des Frühlings, ist dieser Apéro auch wichtig geworden, da er ein Fixpunkt in der Tagesstruktur darstellt.
Freitag, 10. April 2020
Heute fuhr ich mit meiner Mutter nach einem Brunch nach Basel in meine Wohnung, um einige Sachen zu holen und den Briefkasten zu leeren. Wir hatten absichtlich den Karfreitag gewählt, da wir hofften, dass es dann höchstens wenige LKWs auf den Straßen hätte und hoffentlich auch nicht so viele Autos, da niemand in den Süden fahren sollte. Dies bewahrheitete sich auch. Wir sahen genau zwei LKW und es gab auch sonst sehr viel Platz auf der Autobahn. Oft sahen wir kein einziges Auto vor uns. In Basel versuchten wir Türen und den Briefkasten möglichst so zu öffnen, dass wir nichts berührten. Tür mit dem Schlüssel aufschieben, den Briefkasten ebenfalls, den Lift mit dem Ellenbogen rufen. In der Wohnung drinnen mussten wir lachen. Denn kaum war die Wohnungstür geschlossen, atmeten wir
beide auf. Diese Wohnung wurde seit vier Wochen nicht betreten und war daher sicher Corona frei. Nachdem wir uns die Hände gewaschen haben, stellten wir fest, dass man sich in dieser Wohnung so sicher wie selten irgendwo fühlt, dank der Gewissheit, dass hier niemand war. Es war auch kognitiv ein wenig erleichternd. Denn man konnte für einmal Vorsichtsmaßnahmen ausblenden und musste sein Verhalten nicht ständig reflektieren wie sonst. Als wir das letzte Mal hier waren, hatten wir noch nicht ganz begriffen, wie lange ich weg sein würde und was Isolation bedeutet. Ich hatte zu wenige Kleider für zu Hause eingepackt und dafür schönere Sachen, die ich momentan definitiv nicht benötige. Diese brachte ich wieder nach Basel und packte mehr bequeme Kleider ein. Zudem war der Winter nun vorbei und packte bereits einige Sommerkleider ein, da ich nicht weiß, wie lange ich noch wegbleiben werde. Dies fühlte sich sehr seltsam an. Ich brachte Winterkleider zurück und holte Sommerkleider. Mir kam plötzlich die Isolationszeit viel länger vor als davor. Während ich die Post sortierte und diverse Sachen zusammensuchte, durchsuchte meine Mutter meine Lebensmittelvorräte nach Produkten, die in den nächsten Monaten ablaufen. Ich sagte, es sei okay, wenn wir diese mitnehmen würden. Nicht nur weil diese sonst vielleicht in meiner Abwesenheit ablaufen, sondern auch weil ich immer froh bin, wenn ich eine Möglichkeit habe, meinen Eltern etwas zurückzugeben dafür, dass ich so spontan bei ihnen bleiben durfte. Nach etwa einer Stunde war der Koffer gepackt und wir verließen meine Wohnung. Auf dem Rückweg fuhren wir wieder über leere Strassen. Es war ein sehr warmer Tag und unterwegs unterhielten wir uns darüber, dass ohne Kaffeepause schon etwas fehlen würde. Eine Stunde hinfahren, eine Stunde packen, eine Stunde zurückfahren, ohne irgendwo gemütlich einen Kaffee zu trinken, war schon etwas ungewohnt für uns. Also entschloss sich meine Mutter kurz vor Zuhause einen Tankstellenshop aufzusuchen und statt dem Kaffee Eis zu kaufen. Zuhause hatten wir keines mehr und deshalb kaufte meine Mutter gleich mehrere Portionen für die Gefriertruhe. Als sie zurückkam, berichtete sie, dass das Einkaufen schon nicht lustig sei und sie froh sei, wieder draußen zu sein. Gerade im kleinen Tankstellenshop könne man den Sicherheitsabstand kaum einhalten. Zudem wuselten Kinder im Geschäft herum und am Ende musste man doch wieder ein Kartenzahlgerät bedienen oder Bargeld in die Finger nehmen. Meine Mutter war also froh, momentan nicht einkaufen zu müssen und Zuhause angekommen, genossen wir ein Eis im Garten.
Samstag, 11. April 2020
Heute hat meine Mutter Geburtstag. Bereits am Morgen kam eine ihrer Freundinnen vorbei und die beiden tranken einen Kaffee draußen auf der Einfahrt, mit viel Abstand. Die Nachbarin spielte auf ihrem Akkordeon ein Ständchen für meine Mutter von jenseits des Baches, der unsere Grundstücke trennt. Dann telefonierte sie mit meinem Bruder und danach mit ihrem Bruder. Eigentlich wollten wir schon längst beim Brunch sitzen, doch kaum hatte sie jeweils aufgelegt, klingelte das Telefon erneut. Mein Vater wurde etwas ungeduldig und mürrisch, weil er Hunger hatte. Während ich es schön fand, dass meine Mutter so viel Aufmerksamkeit bekam. Sie hatte auch bereits drei Blumensträuße bekommen, für die sie kaum Vasen finden konnte. Etwa zwei Stunden später als ursprünglich geplant, begannen wir zu essen. Ich schenkte meiner Mutter einen Gutschein für das Tropenhaus. Ein großes nachhaltiges Treibhaus mit einem tropischen Garten, Fischzucht und einem Restaurant. Es feierte zwei Wochen vor dem Lockdown seine Neueröffnung, nachdem es beinahe aufgegeben hätte werden müssen. Ich entschied mich dafür, weil meine Eltern einerseits die Atmosphäre sehr mögen und andererseits, weil ich das Tropenhaus so gerne unterstützen möchte. Es ist dumm gelaufen, dass gleich nach Neueröffnung der Lockdown kam.
Später drehten wir eine kurze Runde durch das Dorf. Eigentlich wollten wir über Mittag spazieren gehen, aber das verzögerte sich nun alles ein bisschen. Auch die Freundin meiner Mutter, welche immer mit uns spazieren geht brachte Blumen vorbei. Als wir zurückkamen sollte die Freundin meiner Mutter eigentlich noch eine weitere Freundin anrufen, damit diese auch noch herbeieilen konnte, um zu gratulieren. Meiner Mutter wären das aber bereits wieder zu viele Menschen auf einmal gewesen und zudem hatte sie etwas Vorbehalt, denn diese weitere Freundin arbeitet in der Kinderbetreuung. Diese kam dann etwas später allein vorbei um zwei drei Worte zu wechseln. Dazwischen telefonierte meine Mutter wieder und staunte über die zahlreichen WhatsApp Nachrichten. Sie meinte, so lange Telefongespräche, so viele Glückwünsche und Blumen hätte sie schon lange nicht mehr erhalten. Sie erklärte sich dies damit, dass alle Zuhause seien momentan. Alle hätten Zeit und würden jetzt daran denken. Zudem war es Samstag, also arbeiteten auch diejenigen nicht, die noch einer geregelten Arbeit nachgehen konnten. Ich überlegte mir zudem, dass es auch eine Art Überkompensation sein konnte. Denn auch ich erhielt an meinem Geburtstag vor ein paar Tagen mehr Glückwünsche als üblich. Vielleicht haben die Mitmenschen momentan etwas Mitleid, wenn jemand während des Lockdowns Geburtstag hat und nicht groß feiern kann und um zu zeigen, dass man nicht allein ist, bemühen sich alle ein Stückchen mehr als in anderen Jahren, dies zu zeigen.
Am frühen Abend waren wir zu einem Apéro mit unseren Nachbarn verabredet. Wir setzten uns mit Stühlen, Tischen, Getränken und Knabbersachen auf unsere Seite des Baches und sie taten dasselbe auf ihrer Seite. Ganz so einfach wie ein üblicher Apéro war das Ganze nicht. Wir saßen um diese Uhrzeit auf unserer Seite bereits im Schatten, zudem stellten wir schnell fest, dass über diese Distanz immer nur eine Person sprechen konnte. In dieser Konstellation haben die beiden Männer oft andere Themen als wir drei Frauen. Nun mussten die Männer still sein, wenn wir über Pferde sprachen und wir mussten zuhören, wenn die Männer übers Heimwerken sprachen. Wir lachten darüber, dass wir Schilder basteln müssten, die man hochhalten könnte, um sich zu Wort zu melden. Wir saßen sehr lange da und beschlossen, dies wieder einmal zu tun.
Zum Abendessen gab es Sushi, welches am Nachmittag geliefert wurde. Es war gar nicht so einfach einen Lieferdienst zu finden, welcher in unser Dorf liefert. Genau ein Sushi TakeAway in Luzern bot Lieferung an bis zu uns. Danach ließen wir den Abend mit einem Film ausklingen. Seit einigen Tagen schauen wir nur noch die Nachrichtensendungen, welche wir immer schauen. Sondersendungen über Corona schauten wir in den letzten Tagen gar nicht mehr. Im Moment scheint es ein bisschen, als wäre alles gesagt, alle Probleme und Konsequenzen erörtert. Der erste Gipfel ist passiert, jetzt heißt es Abwarten und dann schauen, was geschieht, wenn die Maßnahmen gelockert werden.
Sonntag, 12. April 2020
Heute ist Ostersonntag. Üblicherweise waren wir beiden Kinder an diesem Sonntag immer bei unseren Eltern. Und diese versteckten auch immer noch ein Osternestchen und einen Schokohasen irgendwo in der Wohnung für jeden von uns. Dieses Jahr gibt es nur ein kleines improvisiertes Nestchen mit ein paar Schokoeiern und zwei kleinen Hasen für uns alle. Und natürlich kommt mein Bruder nicht vorbei.
Um 10 Uhr fiel meiner Mutter ein, dass wir ja Brot backen wollten für den Brunch. Ich hatte dies ebenfalls komplett vergessen. Deswegen hatten wir auch kein Brot kaufen lassen. Also fanden wir uns damit ab, dass der Brunch nach hinten verschoben wurde und machten uns ans Backen eines Körnerbrotes und eines Zopfs. Wir genossen gemütlich unseren Brunch bis fast um 14 Uhr. Danach bekam ich eine Anfrage von meinem Bruder, seiner Frau und einem Freund zum Spielen. Wir hatten eine Online Spieleplattform mit Audiospielen entdeckt. Das sind komplett auditiv basierte Spiele, die vor allem von Menschen mit Seheinschränkungen genutzt werden. Die Plattform bietet eine umfangreiche Sammlung von Spielen an, von Poker über Monopoly bis zu Cards against Humanity. Während wir spielten blieben wir telefonisch über WhatsApp miteinander verbunden. Es war ein sehr geselliger Nachmittag und wir spielten zwei Stunden. Ich fand es sehr schön, so auch mit meinem Bruder und seiner Frau in Kontakt zu stehen. Die beiden sind erst seit kurzen verheiratet und mein Bruder wohnte vor einem Jahr noch bei unseren Eltern. Deshalb ist es noch etwas ungewohnt, dass er nun weggezogen ist und gerade jetzt, wo wir uns nicht sehen dürfen, vermisse ich den Kontakt etwas.
Danach wollte ich eigentlich einen kurzen Text schreiben, den ich noch für die Uni machen sollte, fand aber keine Inspiration dazu. Es ist so, dass ich mich zurzeit nicht so unter Druck gesetzt fühle. Ich habe zwar immer eine lange Liste der Dinge im Kopf, die ich noch erledigen möchte, doch wenn man keine Termine hat, verschiebe ich auch Dinge auf Morgen, ohne wirklich ein schlechtes Gewissen zu haben.
Abends wollte ich eigentlich noch mit einer Freundin per Zoom telefonieren. Allerdings fanden wir keine Gelegenheit, da unsere Essenszeiten komplett anders sind. Sie isst sehr früh zu Abend und wenn sie fertig ist, ist bei mir Essenszeit. Wenn wir fertig gegessen haben, geht meine Freundin schon bald schlafen.
Montag, 13. April 2020
Heute Morgen schafften ich und meine Freundin es dann schlussendlich zu “zoomen”, per Zoom zu telefonieren. Ich merkte ein bisschen, dass wir uns gar nicht viel zu erzählen hatten und einfach ein bisschen herumblödelten. Es geschieht einfach auch nicht viel im Alltag momentan, weshalb ich oft gar nicht weiß, was ich anderen noch erzählen soll. So geht es mir im Übrigen auch mit diesem Tagebuch. Ich merke, wie die Einträge kürzer werden. Eine gewisse Routine hat sich eingespielt. Die Situation ist nicht mehr neu und die Nachrichten rund um Corona sind ruhiger geworden. Das heißt aber nicht, dass ich mich gelangweilt fühle. Ich habe mit meinem Seminar, meinem Sprachkurs, einiges an Freiwilligenarbeit, dem Pflegen von Kontakten, genug Sport, gamen und die Sonne genießen genug Abwechslung in meinem Alltag. Nach dem Telefonat stand wieder mein Workout auf dem Programm. Mein Vater hatte zwei 0.5 Liter PET-Flaschen mit Wasser gefüllt, um diese als Hanteln zu benutzen. Diese habe ich heute mit einem YouTube Workout ausprobiert. Erstaunt stellte ich fest, dass die Gewichte für mich zu leicht sind. Generell stellte ich beim Blutdruckmessen in den letzten Tagen fest, dass meine Werte sehr gut sind, worauf ich mich fragte, ob ich vielleicht tatsächlich mehr Sport treibe und fitter werde als sonst.
Am Nachmittag kam eine Freundin meiner Mutter zu Besuch. Abgemacht war, dass sie bei schönem Wetter kommen kann und wir im Garten essen werden. Meine Mutter hat sich seit Sonntag darauf gefreut, weil sie endlich wieder einmal etwas kochen konnte, was sich ansonsten nicht lohnt für den Alltag. Also setzten wir uns um einen langen Tisch, sodass wir alle genügend Abstand hatten. Eigentlich müsste nur die Freundin Abstand zu uns haben, aber das hätte dann etwas merkwürdig ausgesehen, also schauten wir, dass der Abstand zwischen allen gleich war. Bei Getränken und Saucen durfte sie sich nicht selbst bedienen, denn sie sollte so wenig wie möglich anfassen. Dies funktionierte sehr gut und wir genossen den ganzen Nachmittag bei Sonne und guten Gesprächen. Erst als die Freundin am frühen Abend zur Toilette musste, ging sie nach Hause, denn in unser Haus sollte sie nicht kommen.
Dienstag, 14. April 2020
Heute hatte ich eine routinemässige Kontrolle auf der Nephrologie des Kantonspitals Luzern. Ich hatte im Voraus angefragt, welche Maßnahmen ich berücksichtigen müsse und wurde informiert, es wäre gut, wenn ich nicht mit dem ÖV kommen würde und dass ich vor Ort eine Gesichtsmaske erhalten werde. Meine Mutter fuhr mich zum Krankenhaus. Die Straßen in Luzern waren sehr leer. Es ist immer noch seltsam, die Stadt so zu sehen. Bei der Einfahrt auf das Krankenhausgelände wurden wir von einem Security mit Gesichtsmaske befragt. Nur Personen mit driftigen Gründen dürfen auf das Areal. Im Eingangsbereich des Klinikums saß eine Frau in Krankenhausbekleidung und händigte allen eintretenden eine Maske aus. Sie kontrollierte auch, ob man diese richtig aufsetzte. Sie fragte auch nach dem Grund hier zu sein und meinte, dass Begleitpersonen nur gestattet sind, wenn unbedingt notwendig. Zum Glück meinte meine Mutter zu Hause, ich solle meinen Blindenstock mitnehmen, damit alle wüssten, warum ich mich bei ihr einhacke und wissen würden, dass ich nicht ausweichen kann. Nun war dank des Stocks offensichtlich, dass ich meine Mutter als Begleitperson benötige, denn gerade auf der Nephrologie bewegen sich viele Risikopatienten und es ist sehr eng dort. Nach der Blutabnahme musste ich über eine Stunde auf die Resultate warten. Normalerweise gingen wir in dieser Zeit einen Kaffee trinken, doch die Cafeteria in diesem Gebäude war nur für Angestellte geöffnet. Eine Pflegefachfrau erklärte uns, im Haupthaus gäbe es am Kiosk Coffee to go, also gingen wir hinüber zum Haupthaus. Auf dem Weg trafen wir einen Arzt, der unsere Familie früher lange betreut hatte. Wir hätten uns mit Gesichtsmasken fast nicht erkannt. Wir unterhielten uns kurz und er meinte, es sei gut und wichtig, diese Routinekontrolle trotz allem durchzuführen, denn es ging um mein Transplantat. Tatsächlich stiegen in den letzten Tagen die Anzahl Meldungen, wonach plötzlich weniger Herzinfarkte, Hirnschläge und andere Notfälle gezählt würden. Anscheinend weil die Menschen aufgrund von Corona nicht mehr ins Krankenhaus gehen wollten, aus Angst sich anzustecken oder das Krankenhaus zusätzlich zu belasten. Vor dem Eingang des Haupthauses standen zwei Securities. Wir erklärten, warum wir hineinwollten, aber die beiden meinten, sie dürfen niemanden ohne Termin hineinlassen. Nach ein wenig Diskutieren willigten sie ein, dass meine Mutter kurz zwei Kaffee holen durfte. Während ich draussen wartete, beobachtete ich die Menschen, die ankamen, ihren Termin nannten und hineingelassen wurden. Dann kamen zwei Frauen, die eine der Securities kannten. Sie unterhielten sich kurz und die Security Angestellte meinte, sie dürfe eigentlich keine Begleitpersonen hineinlassen. Nach einigem tuscheln betraten beide Frauen das Gebäude. Ich dachte mir, natürlich werden für Bekannte Ausnahmen gemacht, sowas kennt man zu genüge.
Mit dem Kaffee machten wir uns wieder auf den Weg zum anderen Klinikum. Es war bitterkalt also fragten wir die maskenverteilende Angestellte dort, ob wir die nahe Sitzgruppe benutzen dürften. Sie verstand, dass es zu kalt war, für einen Kaffee an der frischen Luft. Wir setzten uns und sogleich fragten wir uns, wie wir nun mit Gesichtsmaske Kaffee trinken sollten. Die Angestellte meinte, es ginge besser, wenn man die Maske nach unten schob als nach oben. Und wie isst man ein Sandwich? Behalten sie die Maske an, falls sie eine Diät machen wollen, meinte die Angestellte grinsend. Etwas später kam sie zu uns herüber und fragte meine Mutter, ob sie kurz ihren Job übernehmen könnte, denn sie müsse dringend zur Toilette. In den wenigen Minuten kam niemand herein. Als die Angestellte zurückkehrte, war sie äußerst dankbar für den kurzen Einsatz. Etwas später betrat eine Frau ohne Maske in zivil das Klinikum. Freudig begrüssten sie und die Angestellte sich. Nach kurzem Zögern umarmten sie sich mit den Worten “nur schnell” und die Angestellte schaute über die Schulter ihrer Bekannten zu uns herüber und meinte: “Es sieht’s ja keiner”. Meine Mutter konterte gespielt ernst, wir hätten es schon gesehen. Ich wusste aber, dass meine Mutter dies sehr unpassend fand. Und auch ich bin der Meinung, dass so etwas gar nicht geht. An den Verzicht auf Umarmungen sollten sich doch alle mittlerweile gewöhnt haben.
Selbst unter meinen Bekannten, welche Corona nicht ganz so ernst nehmen, respektieren alle, dass man sich nicht mehr umarmt. Dass nun gerade eine Person in Krankenhauskleidung am Eingang, also auch mit einer gewissen repräsentativen Funktion, und vor zivilen Zuschauern (ich und meine Mutter) dies tut, finde ich sehr verantwortungslos.
Etwas später wurde die Angestellte von einem Kollegen abgelöst. Wir beobachteten ihn und stellten fest, dass er seinen Job wesentlich lockerer nahm als seine Kollegin. Er fragte niemanden nach dem Zweck des Aufenthalts und ließ auch Paare fraglos passieren. Er händigte Masken aus, aber anscheinend war ihm nicht bewusst, wie schwer es für Laien sein kann, diese Masken anzuziehen. Ein älterer Herr hatte solche Probleme, dass der Angestellte ihm zu helfen versuchte. Die Maske war am Ende aber so verdreht und der Draht für um die Nase auf der unteren Seite der Maske, dass meine Mutter anfing, von der Seite Hilfestellungen zu rufen. Der Rest unseres Aufenthaltes verlief wie üblich.
Am Nachmittag beschlossen ich und meine Mutter gemeinsam Sport zu treiben. Ihre Freundin hatte ihr erzählt, dass sie immer mit den Fitnessvideos von Bayern 3 trainiert. Also suchten wir uns zwei 15 minütige Sendungen aus. Für mich waren die Übungen klar zu meditativ und zu einfach, weshalb ich oft mit schwereren Varianten improvisierte. Auch meine Mutter fand es eher an der unteren Grenze.
Mittwoch, 15. April 2020
Eigentlich wollten wir heute früh spazieren gehen der Freundin meiner Mutter. Doch als wir die Temperatur von 2 Grad sahen, verschoben wir den Spaziergang auf den Nachmittag. Ich beschäftigte mich mit Freiwilligenarbeit und Büroarbeiten. Nachmittags ging es dann los. Wir gingen eine neue Route über den Hügel. Meine Mutter sorgt dafür, dass wir immer etwas Abwechslung haben und neue Wege ausprobieren. Unterwegs kamen wir einen schmalen Pfad über eine Rinderweide entlang. Links und rechts waren dicht am Wegrand Stromzäune gespannt. Ich fing mir prompt noch einen Schlag ein. Als wir noch 100 Meter auf dem schmalen Pfad bis zur breiteren Straße zu gehen hatten, bog eine Fahrradfahrerin auf den Pfad ein und hinter ihr folgte ein Pärchen, die Frau mit Baby auf dem Arm. Als meine Mutter das sah, rief sie ziemlich energisch: “Hallo?! Das geht ja gar nicht. Würden sie bitte warten!”Die Passanten meinten, das ginge schon. Worauf meine Mutter wütend rief, man könne den Abstand nicht einhalten und auf den Zäunen sei Strom. Die Radfahrerin stieg vom Rad, wuchtete es vom Weg und drückte sich zur Seite. Die Frau mit dem Säugling machte keine Anstalten zur Seite zu treten. Wahrscheinlich hatte sie Angst mit dem Baby dem Zaun zu nahe zu kommen. Es kam aber auch niemand auf die Idee, die wenigen Meter wieder zurückzugehen. Also drückten wir uns an ihnen vorbei. Die beiden Gruppen trennten sich, beide wütend auf die anderen und wild diskutierend. Ein paar Meter weiter trafen wir auf unseren ehemaligen Optiker. Meine Familie kaufte 30 Jahre lang die Brillen im Geschäft des Paares. Dieses Jahr gingen sie in Pension. Aufgrund des Lockdowns mussten sie ihr Geschäft zwei Wochen früher als geplant schließen. Beide Seiten freuen sich über das Wiedersehen. Die beiden, die in Luzern wohnen, meinten sie hätten an uns gedacht, als sie durch unser Dorf hierhergefahren seien. Auch sie würden sich Orte für Spaziergänge suchen, an welchen sich nicht viele Menschen aufhalten würden. Wir sprachen auch über die Schließung ihres Geschäfts, die nun etwas abrupt gekommen sei. Doch die beiden sagen, sie seien so froh, dass sie ihre Pensionierung genau jetzt gehabt hätten. Hätten sie diese auf nächstes Jahr angesetzt, wäre dies jetzt ziemlich schwierig gewesen. Und sie sind froh, sich nun keine Sorgen über ihr Geschäft machen zu müssen. Pensioniert sein, sei so schön und stressfrei.
Danach gingen wir weiter. Unterwegs bei einer Bank machten mir eine kurze Pause. Ich und unsere Freundin setzten sich an die beiden Enden der Bank, meine Mutter blieb stehen. Sie zog einen Plastikbeutel aus der Tasche und hielt uns einen Stapel Einwegbecher hin. Jeder zupfte einen Becher heraus und meine Mutter verteilte Apfelschorle. Wir mussten etwas lachen, als meine Mutter meinte, es sei halt etwas improvisiert, aber so ließen sich die Vorsichtsmaßnahmen gut einhalten. Nach dem Spaziergang waren wir alle sehr müde. Wir waren am Ende ca. 2 Stunden unterwegs. Ich und meine Mutter finden sowas großartig, ihre Freundin hat eher etwas Mühe sich für so viel Gehen zu motivieren. Doch wir finden, gerade deshalb sei es wichtig und tut ihrer Fitness auch gut. Sie sitzt momentan sonst den ganzen Tag allein zu Hause und grübelt sehr viel. Vor allem auch darüber, wie sie arbeiten soll, sobald ihre Juwelierfiliale wieder öffnen kann.
Donnerstag, 16. April 2020
Der Morgen verlief sehr ruhig. Ich hatte viel zu tun für eine Sehbehindertenorganisation, für welche ich zurzeit eine Jugendgruppe aufzubauen versuche. Nachmittags hatte ich deswegen auch einige Telefonate zu erledigen. Zwischendurch widmete ich mich wieder meinen 20 Minuten Home Trainer und 20 Minuten Fitness mit der Fitnesssendung des Tele Basel. Danach eine erfrischende Dusche. Duschen und Haarewaschen genieße ich definitiv mehr, seit ich nicht mehr täglich dusche. Währenddessen lief eine wichtige Medienkonferenz des Bundes. Einen Teil hörte ich mit, doch sie dauerte über zwei Stunden. Heute gab der Bund bekannt, wie der Fahrplan für die langsame Rückkehr zur Normalität aussieht. In einer ersten Etappe am 27. April dürfen Geschäfte mit personenbezogenen Dienstleistungen, also Coiffure, Physiotherapeuten (die eigentlich gar nie geschlossen hatten, aber sich trotzdem niemand mehr hin traute), nicht notfallmässige medizinische Behandlungen, aber auch Blumen- und Baumärkte usw. Öffnen. Am 11. Mai dann dürften die restlichen Geschäfte wieder öffnen. Dann sollen auch die obligatorischen Schulen wieder geöffnet werden. Am 8. Juni dann sollten auch die übrigen Schulen, also auch die Universitäten, Museen, Bibliotheken und Freizeitlokalitäten wieder öffnen können. Später rief die Nephrologie an, um mir mitzuteilen, dass die Medikamente aufgrund der Laborresultate angepasst werden müssten und ich deshalb in zwei Wochen nochmals die Blutwerte kontrollieren müsse. Das ist keine Seltenheit. Die Terminfindung läuft jedoch momentan sehr einfach. Ich habe keine Termine, das Ambulatorium hat viel Zeit und meine Mutter, die mich dann hinfahren sollte, muss ich auch nicht erst fragen, ob es für sie dann möglich sei.
Am Abend hatte ich wieder Spanisch. Ich habe die Lektion sehr vermisst und spürte auch wie alle anderen sehr gut gelaunt waren. Ich glaube, alle freuen sich über solche Konferenzgespräche. Man sieht wieder einmal andere Menschen als die üblichen Gesichter im selben Haushalt. Wir waren auch bei unseren Gruppenarbeiten etwas überdreht, lachten viel und kamen auf ziemlich verrückte Gesprächsideen.
Abends im Fernsehen entbrannten dann die Reaktionen zu den Entscheiden des Bundesrates. Kleine Geschäfte wie Coiffeursalons sind natürlich sehr froh, bald wieder eröffnen zu können. Jedoch tauchte auch die Frage auf, warum gerade die Geschäfte öffnen dürfen, wo enger Körperkontakt notwendig ist. Der Bundesrat argumentiert, dass bei solchen Geschäften nie mehr als eine Person behandelt wird und somit lässt sich der Kontakt sehr gut kontrollieren und mit den nötigen Vorsichtsmaßnahmen das Risiko minimieren. Gartencenter sind sehr groß und haben zudem momentan Hauptsaison. Über den Zeitpunkt der Öffnung der Schulen gab es ebenfalls Diskussionen. Denn der Bundesrat verkündete, dass man nun wisse, dass Kinder selten betroffen sind das Coronavirus auch nicht stark verbreiten. Die Schulen könne man aber nicht schon in der ersten Etappe geöffnet werden, da die Schulen nun Zeit bräuchten, um zu klären, wie der Präsenzunterricht wieder eingeführt werden soll, ob beispielsweise alle Schüler auf einmal kommen sollen oder ob es Möglichkeiten gibt, die Klassen zu halbieren. Dass zu Beginn nur obligatorische Schulen öffnen, wird damit begründet, dass Home Schooling bei den Kindern schwieriger sei. Sei es aufgrund der technischen Möglichkeiten, weil die Eltern stark involviert sind oder weil Kinder noch nicht in solchem Umfang selbstständig arbeiten können. An den weiterführenden Schulen handle es sich um ältere Kinder und junge Erwachsene, welche besser noch länger im Home Office bleiben können. Die Abstände der Termine sorgte ebenfalls für etwas Gesprächsstoff. Zwischen 11. Mai und 8. Juni liegt laut Bundesrat genug Zeit, um die Effekte des 11. Mai beobachten und evaluieren zu können. Denn man wolle auf keinen Fall weitere Lockerungen vornehmen, ohne zu wissen, wie die letzten Lockerungen die Ansteckungszahlen beeinflusst hätten. Warum dann aber nach dem 27. April gleich am 11. Mai die zweite Etappe folgt, bleibt auch einem befragten Epidemiologen im SRF unklar. Denn dieser Zeitraum lässt keine Rückschlüsse auf die Effekte der ersten Lockerungsetappe zu. Größte Empörung herrschte im Tourismus- und Gastronomiebereich, denn dieser wurde in keiner der drei Etappen erwähnt. Man müsse erst schauen, wie sich die Lage entwickelte und man wolle nicht einfach vorweg Beschlüsse treffen, wie beispielsweise in Deutschland, wo Großveranstaltungen bereits bis Ende August verboten wurden. Der Bundesrat argumentiert also, um einem langen Verbot im Voraus zu entgehen, müsste die Branche die Planungsunsicherheit in Kauf nehmen. Persönlich betrifft mich am meisten die Frage, wann ich als Risikopatientin wieder arbeiten gehen dürfte. Ich habe ein Praktikum in Aussicht, bei welchem ich glücklicherweise viel Freiheit habe, wann ich beginnen möchte. Leider hatte der Bundesrat nichts zu Risikopersonen gesagt. Lediglich, dass Großeltern auch nach der Schulöffnung nicht ihre Kinder betreuen sollten. Ich persönlich fühle mich manchmal etwas vergessen, wenn in Bezug auf Risikopersonen oft von Senioren gesprochen wird. Denn wie frühere Diskussionen gezeigt hatten, würden die jüngeren Menschen die Krise sogar oft ernster nehmen, da ihr Alltag sich stärker verändert hat als derjenige der Senioren. Senioren sind wohl im Durchschnitt mehr zu Hause und bewegen sich weniger unter Menschen als jüngere. So werden auch nun Risikopersonen selten mit Arbeitstätigkeit in Verbindung gebracht und es gibt selten Verhaltensanweisungen für jüngere Betroffene. Ich persönlich hatte mich nach all den vielen Informationen überlegt, mich nach dem 11. Mai, wenn alle Geschäfte öffnen, bei meinem Arbeitgeber zu erkundigen, wie sie die Sache handhaben. Es hängt nun davon ab, wann die Firmen beginnen, ihre Angestellten aus dem Home Office zurück zu holen. Denn ich kann bestimmt nicht anfangen, solange mein zukünftiger Arbeitsort sich noch im Home Office Modus befindet. Zudem muss dann auch noch mein Techniker, welcher die sehbehindertentechnische Einrichtung meines Arbeitsplatzes vornimmt, wieder arbeiten können. Auch er gehört der Risikogruppe an, aufgrund chronischer Lungenprobleme. Zudem bin ich eher skeptisch den ÖV genau dann wieder zu benutzen, wenn viele Angestellte aus dem Detailhandel wieder zur Arbeit gehen. Genau könnte die Dichte in den Transportmitteln wieder deutlich zunehmen. Auch die Uni öffnet erst ab 8. Juni und ich weiß nicht, ob es wirklich ratsam ist, dass ich bereits arbeiten gehe, solange noch nicht einmal die Studenten wieder zur Uni müssen. Persönlich rechne ich also damit, dass sich meine Situation wohl noch bis Juni nicht sehr groß ändern wird, vielleicht sogar bis Juli. Das ist schon frustrierend, denn ich freue mich auf mein Praktikum und möchte das auch nicht allzu lange hinausschieben, da ich keinesfalls riskieren möchte, dass diese Möglichkeit sich plötzlich in Luft auflöst. Andererseits kann ich mich nicht beklagen, deine meine Isolationssituation ist doch sehr komfortabel.
Freitag, 17. April 2020
Heute Morgen gingen wir wieder spazieren. Wieder eine neue Route durch den Wald. In den Wald gehen wir lieber vormittags, da es dann wohl weniger Familien mit Kindern im Wald gibt. Das Wetter momentan ist unglaublich, es ist schon frühsommerlich warm. Nachmittags hatte ich einige Texte für mein Seminar zu lesen und einen kurzen Text dazu zu schreiben. Wieder einmal hatte ich die Aufgabe bis zum letzten Tag hinausgeschoben und war deshalb heute ziemlich im Stress.
Samstag, 18. April 2020
Der Morgen verlief gemütlich und verschlafen. Nach einem ausgiebigen Brunch und etwas Computerarbeit, war für mich wieder mein 40 minütiges Trainingsprogramm angesagt. Danach war ich so geschafft, dass ich mich zur Belohnung mit einem Eiskaffee in den Garten setzte und ein Hörbuch hörte. Meine Mutter setzte sich dazu und begann Nüsse zu knacken, denn wir haben vor, Brownies für unsere Nachbarn zu backen. Diese gehen seit Wochen für uns einkaufen und wir würden gerne etwas zurückgeben. Um ein gewisses Gefühl für die Wochentage aufrecht zu erhalten, habe ich mir vorgenommen, diesen Samstag und Sonntag nichts für die Uni zu machen. In den letzten Tagen hatte sich bei mir innerlich ein Druckgefühl aufgebaut. Ich kann nicht sagen, was die Ursache dafür ist. Eventuell hatte es damit zu tun, dass ich nun für den Aufbau einer Jugendgruppe einer NGO zuständig bin. Also nahm ich mir gezielt vor, dieses Wochenende gemütlich anzugehen. Somit ging dann auch meine Kaffeepause nach dem Sport fast nahtlos in den Apéro über, den meine Eltern vorbereitet hatten.
Später erhielt ich eine WhatsApp Nachricht, welche mich etwas empört hatte. Ein Freund, den ich jetzt auch schon lange nicht mehr gesehen habe, meinte er würde nächste Woche wieder in Basel arbeiten gehen. Er holte gerade Luft, um mich zu fragen, ob wir uns sehen könnten. Das weiß ich, weil ich ihn gut kenne. Dann hielt er inne und meinte: “Ach so, du solltest ja noch ein bisschen vorsichtig sein.” Ich dachte, ein bisschen? Danach erzählt er, er säße mit Freunden an einem Fluss. Im Hintergrund höre ich einige Menschen sprechen, er zählt mir 4 bis 5 Namen auf und die Genannten rufen Grüße. Dazu muss man noch wissen, dass mein Freund bei seinen Eltern lebt und der Vater chronische Lungenprobleme hat, welche schon mehrmals zu notfallmäßiger Hospitalisation geführt haben. Was er genau hat, ist aber unklar. Ich war kurzfristig sehr verärgert. Klar mag ich ihn, aber sein Verhalten empfand ich jetzt doch als ziemlich ignorant. Dass er nur schon auf die Idee kommt, er könnte mich treffen, zeigt mir, wie wenig er den Ernst der Lage für Risikopersonen begriffen hat. Dass er sich mit Menschen trifft ist das eine, aber meine Situation sollte er auch gut genug kennen. Zudem finde ich es auch unverhältnismäßig mit x Menschen herumzusitzen, wenn man im Haushalt mit einer Hochrisikoperson lebt und ehrlich gesagt, glaube ich auch nicht, dass diese Freunde den Mindestabstand einhalten oder Hygienemaßnahmen einhalten. Zudem war er seit Wochen nicht mehr arbeiten. Warum er jetzt wieder nach Basel zur Arbeit fährt, in einen Betrieb, welcher einem Altersheim angegliedert ist, verstehe ich auch nicht.
Kurz danach schrieb mir ein anderer Freund auf Facebook. Er fragte mich unter anderem, ob ich immer noch bei meinen Eltern sei. Ich sagte ja. Er vergewisserte sich, dass ich aber meine Wohnung in Basel noch hätte. Ich war etwas perplex. Das war nicht das erste Mal, dass mich jemand fragte, ob ich gleich ganz ausgezogen sei in Basel. Was soll das? Ich bin vorübergehend bei meinen Eltern, weil ich in Basel sozial isoliert wäre und zu wenig Umfeld und Platz hätte. Miete bezahle ich gleich viel, ob ich jetzt dort bin oder bei meinen Eltern. Und ich kenne andere junge Erwachsene, die ebenfalls vorübergehend aus denselben Gründen wieder bei den Eltern sind. Warum also kommen einige auf die Idee, man sei gleich definitiv ausgezogen? Ich erklärte meinem Freund also nicht zum ersten Mal, warum ich bei meinen Eltern bin und dass ich wohl noch eine Weile hierbleiben werde, wenn selbst Hochschulen erst am 8. Juni öffnen würden. Ich nahm die Hochschulen als Referenz, da er ebenfalls Student ist. Er meinte, man könne sich sicher auch schon vor Juni wieder treffen. Erneut verdrehte ich die Augen. Innerhalb weniger Stunden zwei Freunde, die mir signalisieren, es wäre bald an der Zeit uns wiederzusehen. Klar ist es schön zu wissen, dass man Freunde hat, welche einen gerne sehen möchten. Aber ich spüre gerade in diesen Tagen auch, wie der Druck auf mich als Risikoperson zunimmt, mich bald wieder mit Menschen zu treffen. Gerade mit Menschen aber, die bereits jetzt wieder anfangen, viele Menschen zu treffen, sollte ich den Kontakt noch etwas länger meiden. Das heißt also, die Freunde, die jetzt schon mit anderen am Fluss sitzen, die es jetzt schon kaum erwarten können, bis ich als Risikoperson, wieder mit auf ein Bier komme, genau die Freunde werde ich länger meiden, weil ich weiß, dass sie eine eher lockere Sicht auf die aktuelle Lage haben und deshalb ihre Einschränkungen rascher lockern werden als andere. Ich frage mich auch, wie viele Risikopersonen den Bitten und dem (unabsichtlichen) Druck von Freunden oder Angehörigen nachgeben werden, beispielsweise auch Großeltern, deren Enkel wieder betreut werden müssten, wenn die Kurzarbeit der Eltern endet. Oder die Frage, wie lange es dauern wird, bis ich mich als Risikoperson dafür rechtfertigen muss, dass ich gewisse Personen, Situationen oder Orte noch meide.
Der Rest des Abends verlief ruhig und wir gingen alle früh schlafen. Ich hatte leichte Kopfschmerzen, was ich ab und zu habe, wenn ich ein wenig zu intensives Rückentraining gemacht habe.
Sonntag, 19. April 2020
Heute Morgen hatte ich immer noch Kopfschmerzen. Ich hasse es, wenn Kopfschmerzen über Nacht nicht weggehen und insbesondere dann, wenn ich weiß, dass sie vom Sport kommen. Da trainiert man voll motiviert (oder eben übermotiviert) und kriegt davon solche Verspannungen. Das ist am Ende doch etwas frustrierend. Nachdem ich eine Stunde wach war, habe ich mich wieder für eine Stunde hingelegt. Interessanterweise wird es dann meistens besser. Essen hilft dann oft auch. Der Sonntagsbrunch schafft Abhilfe. Am Nachmittag wurden die Brownies gebacken. Hauptanlass war daraus ein Dankeschön für die Nachbarn, welche für uns einkaufen zu machen. Wir mussten etwas grinsen, denn die Zutaten für die Brownies hatten uns diese Nachbarn gekauft und die Rechnung war noch nicht bezahlt, weil Wochenende ist. Die Baumnüsse stammten sogar von den Eltern der Nachbarin. Da bei ihnen aber niemand Baumnüsse einfach so isst, gab sie diese uns. Somit haben wir Brownies gebacken, deren Zutaten größtenteils noch den Nachbarn gehörten, für welche die Brownies als Geschenk gedacht waren. Als die Brownies fertig waren, verpackten wir eine Portion und brachten sie den Nachbarn, die sich sehr darüber freuten. Danach drehten wir eine Runde durchs Dorf. Auch mein Vater kam wieder einmal mit. Er ist selten für einen Spaziergang zu motivieren, also gehen wir erst recht, wenn er dazu bereit ist. Ganz so motiviert sind wir aber heute alle nicht, deshalb nur eine kleine Runde von etwa 40 Minuten. Die Sonne scheint nicht, weshalb es nicht zu heiß ist und trotzdem war die Luft unangenehm feucht.
Nachdem wir wieder Zuhause waren, schnappte ich mir einen Eiskaffee und einen frischen Brownie und zoomte mit meiner Freundin von der Uni. Wir telefonierten etwa eine Stunde. Es gab wieder mehr zu erzählen, vielleicht auch deshalb, weil wir uns diese Woche nicht so viel geschrieben haben. Beide hatten auch ihre Corona-Stories zu erzählen. Wir halten uns beide eher strikt an die Maßnahmen und erleben deshalb auch oft Situationen in welchen man sich, deutlich gesagt, ziemlich verarscht fühlt, wenn andere die Maßnahmen nicht beachten. Sie hat eine Wohnung angegliedert an ein Blindenheim, welches auch viele ältere Bewohner beherbergt. Dort wird sehr uneinheitlich mit den Maßnahmen umgegangen. Gewisse Bewohner weigern sich die Hände zu desinfizieren und gehen als Risikopersonen noch selbst einkaufen. Auswärtige kommen zum Mittagessen in die Kantine, in welcher Abstände nicht eingehalten werden können. Über einen Corona-Fall unter den Angestellten wurden nicht alle informiert, so dass nicht sichergestellt werden konnte, ob alle Personen mit Kontakt in Quarantäne gingen. Die hausinterne Werkstatt blieb auch für externe Angestellte offen und so weiter. Meine Freundin hingegen, die ihren Freund besuchen will, müsste bei Rückkehr 10 Tage in Quarantäne. Sie hat nun aber beschlossen, dies bestimmt nicht zu tun und so oder so zum Freund zu fahren.
Montag, 20. April 2020
Heute hat mein Vater Geburtstag. Morgens lagen für ihn zwei Geschenke bereit, welche ich und meine Mutter am Vorabend gepackt haben. Dazu stellten wir den verbliebenen Blumenstrauß vom Geburtstag meiner Mutter. Ein anderer war nun einmal nicht da. Von meiner Mutter erhielt er Gutscheine für eine Schifffahrt auf dem See. Meine Mutter wollte damit auch die derzeit stillgelegte Schifffahrt unterstützen. Sie hatte Glück, denn meinem Vater, der üblicherweise die Post im Briefkasten holt, fiel der Umschlag der Schifffahrtsgesellschaft nicht auf. Ich schenkte ihm zwei Tafeln Marzipanschokolade, welche meine Mutter von der Nachbarin hat kaufen lassen. Eigentlich wollte ich ihm, wie meiner Mutter, einen Gutschein für das Tropenhaus schenken. Die bestellten Gutscheine sind jedoch bis Dato nicht eingetroffen.
Morgens hatte ich wieder mein Seminar per Zoom. Die Verbindung war heute nicht so gut. Die Kamerabilder froren ständig ein, was etwas lustig aussah teilweise, wenn Personen sich gerade bewegten oder sprachen, als das Bild stehen blieb. Auch unsere Dozentin war zwischendurch etwas verunsichert, da sie nicht wusste, ob wir noch zuhören würden. Sie hatte auch beschlossen, ihre Präsentation nicht mit uns zu teilen, sondern sie im Nachhinein auf die universitäre Plattform hochzuladen. Sie wollte lieber uns während der Diskussion sehen.
Am Nachmittag widmete ich viel Zeit einem Computerspiel, welches ich wieder hervorgekramt habe und schon lange wieder einmal spielen wollte. Darüber vergaß ich völlig die Zeit. Zwischendurch war ein Workout angesagt. Von einer Freundin habe ich erfahren, dass der Uni Sport angefangen hat, jede Woche zwei Trainingsstunden aus verschiedenen Fitnessbereichen hochzuladen. Heute war für mich Fitness Dance angesagt. Ich mag es, Fitnessübungen im Rhythmus zu Musik zu machen. Das fällt viel leichter, als einfach vor sich hin zu trainieren und dann doch drei Wiederholungen früher aufzuhören.
Das geht bei einem 4/4-Takt schlechter. Ich war sehr motiviert und das Workout verging wie im Flug. Allerdings hatte ich zwei Probleme. Aufgrund meiner Sehbehinderung kann ich nur auf eine Gliedmaße fokussieren. Um den Bewegungen zu folgen, müsste ich mir das Video wohl etwa zehn Mal anschauen und daher fehlte mir schlicht das Feedback und die Korrekturen des Trainers. Zusätzlich stellte ich fest, dass unser Fernsehzimmer absolut zu klein ist für Tanzworkouts. Weil ich nicht sehe, wo die nächsten Gegenstände sind, bewege ich mich zögerlich und führe die Übungen nicht schwungvoll und gestreckt aus. Ich trat bei einem Ausfallschritt sogar so hart auf den Fuß eines Hockers, dass ich den Rest des Tages rumgehumpelt bin. Aber Spaß hatte ich dabei trotzdem und kaputt war ich danach auch.
Da mein Vater Geburtstag hatte, klingelte den ganzen Tag über immer wieder das Telefon und eine Nachbarin unterhielt sich vor dem Balkon kurz mit uns und brachte zwei Flaschen Wein vorbei. Mein Vater erhält auch sonst nicht viel Besuch an seinem Geburtstag, aber auch bei ihm hatte ich das Gefühl, dass mehr Menschen gratulierten und zeigten, dass sie an ihn dachten. Wie bereits bei mir und meiner Mutter in den letzten Monaten. Viel gewünscht hatte mein Vater sich nicht für heute. Es gab mittags bereits einen Apéro (mit den Resten einer Pizza) und ein Glas Wein zum Essen. Das Abendessen durfte er sich wünschen von meiner Mutter. Er entschied sich bescheiden für eine Früchtewähe. Abends vor dem Fernseher schauten wir eine Gesundheitssendung, während ich Spanischhausaufgaben machte. Ich hatte angefangen diese Hausaufgaben abends vor dem Fernseher zu machen, weil ich mich nicht gerne in mein Zimmer zurückziehe, während meine Eltern, meistens meine Mutter, auf dem Sofa sitzen. Das gemeinsame TV schauen, hat einen gewissen Ritualcharakter erhalten. Genauso, wie dass wir beide mit einem Zweitgerät davorsitzen und es eigentlich sekundär ist, was im TV gezeigt wird. Sie spielt meistens am Tablet und ich erledige “leichte” Aufgaben wie Spanisch oder das Schreiben dieses Tagebuches.
Die Gesundheitssendung Puls des SRF war jedoch sehr spannend. Es ging um die Frage, ob Gesichtsmasken nun wirksam seien oder nicht. Denn während rund um die Schweiz Masken für die breite Bevölkerung Pflicht werden, sind sie in der Schweiz weiterhin Angestellten mit engem Personenkontakt vorbehalten. Der Bund meint weiterhin, die Masken breit einzusetzen, würde nicht helfen. Zunehmend wächst aber der Verdacht, dies habe damit zu tun, dass es einfach nicht genügend Masken gibt momentan, um alle versorgen zu können. So lese ich aus den Diskussionen und konträren Meinungen in Puls, dass es zwar keine Evidenz und Beweise gibt für einen großen Nutzen der Masken, dass der Aufwand aber auch relativ gering ist. Nach dem Motto nutzt es nichts, so schadet es auch nicht. Gerade für mich als Risikoperson ist es deshalb eine Überlegung wert eine Maske zu tragen, wenn ich in der Zukunft das Haus wieder vermehrt verlassen werde. Meine Mutter, welche sehr gerne näht, denkt schon seit einigen Tagen darüber nach, selbst Masken zu nähen. Ich fände das eine gute Idee. Denn diese wären waschbar und wiederverwendbar und wenn schon die Möglichkeit besteht, dass ich über längere Zeit werde eine Maske tragen müssen, warum dann nicht gleich eine personalisierte, die mir auch gefällt. Gesichtsmasken als neuer Modetrend? Warum nicht?
Dienstag, 21. April 2020
Heute Morgen hatten wir nochmals ein Zoom-Meeting für unsere Mini-Forschung im Seminar. Für uns alle war das eine spezielle Situation, denn wir konnten nun nur online forschen oder allenfalls Interviews per Videocall durchführen. Ich hatte mich für das Analysieren einer Institution anhand deren Webauftritt entschieden. Auch die Präsentation der Ergebnisse würde anders ablaufen. Geplant waren Poster und nun mussten wir diese online in Zoom präsentieren. Dass es in PowerPoint Möglichkeiten gibt, Poster zu erstellen war mir neu und so werde ich wohl wieder aus der Not etwas Neues lernen.
Der eine aus unserer kleinen Diskussionsgruppe wusste wohl noch nicht so recht, was er erforschen wollte und die Dozentin war lange mit ihm beschäftigt. Ich langweilte mich ziemlich und begann nebenbei ein Computerspiel zu spielen. Das geht im Präsenzunterricht nicht. Obwohl ich dort ebenfalls den Laptop benutze und in der hintersten Reihe auch spielen könnte. Aber da ist die Hemmung zu groß und man würde es wohl auch meinem Verhalten anmerken, dass ich abwesend wäre oder etwas anderes herumklicken würde. Im virtuellen Raum fällt es viel weniger auf und keiner kann meinen Bildschirm sehen oder meine Hand, die auf dem Touchscreen herumfährt. Ich habe auch ein schlechtes Gewissen dabei und empfinde dies als Schummeln. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dem Gespräch, was mich nur am Rande betrifft, gut genug folgen zu können, um jederzeit wieder die volle Aufmerksamkeit auf Zoom richten zu können.
Nachmittags hatte ich ein längeres Telefongespräch betreffend meiner Jugendgruppe und einigen Projekten, die geplant werden müssen. Dann hieß es wieder 20 Minuten Home Trainer und 20 Minuten TV-Workout des Tele Basel. Heute war ich jedoch wieder weniger fit. Ich beendete viele Übungen etwas früher und schwitzte trotzdem wie ein Wasserfall. Als ich und meine Mutter die publizierten Corona Statistiken auf der Website des SRF (https://www.srf.ch/news/international/schweiz-und-weltweit-so-entwickeln-sich-die-coronavirus-fallzahlen) betrachteten, waren wir sehr erfreut zu sehen, dass die Ansteckungszahlen weiter zurückgingen. Interessanterweise gingen die Ansteckungen in plateauartigen Schritten zurück. Erst waren sie über mehrere Wochen bei ungefähr 1000 Ansteckungen pro Tag, dann eine Woche lang 700 und letzte Woche 300. Diese Woche fing nun an mit 100 Ansteckungen pro Tag, was hoffen lässt. Die Regierung meinte, bei ungefähr 100 Ansteckungen pro Tag, könne man wieder mit dem Tracing der Ansteckungswege beginnen. Ich bin gespannt, ob wir bald etwas darüber hören werden in den Medien. Dies war am Abend in den Nachrichten aber nicht der Fall. Aufgefallen ist mir lediglich, dass Corona erneut weniger ein Thema war. Oft gab es nun zu Beginn Meldungen zum Stand der Pandemie, dann ein Bericht über eine sekundäre Folge, wie beispielsweise ein leidender Wirtschaftszweig und anschließend weitere Meldungen des Weltgeschehens, welche in den letzten Wochen stark verdrängt wurden durch die Corona-Krise.
Mittwoch, 22. April 2020
Heute hatten ich und meine Mutter einen besonderen Ausflug vor. Weil wir nicht selbst einkaufen gehen und oft Zuhause sind und Apéros geniessen können, sind uns die salzigen und auch die süßen Knabbereien ausgegangen. Deshalb beschlossen wir gestern, dass wir heute ins Emmental zum Kambly-Fabrikladen fahren. Normalerweise ist dieser Laden eine Attraktion, weil man alle angebotenen Kekse, Cracker und Salzgebäcke probieren kann. Zwar kann man wegen Corona nun nichts probieren, der Laden ist aber trotzdem geöffnet. Wir dachten uns, dass es deshalb momentan wohl nur wenige Menschen dort haben wird. Zudem ist das Emmental sehr schön und etwas abgelegen. Keine Menschenströme und trotzdem eine schöne Strecke zu fahren. Zusätzlich machten wir uns morgens auf den Weg, da wir davon ausgingen, dass es nachmittags mehr Kunden geben wird. Die Fahrt war sehr angenehm. Das Wetter schön, wenig Straßenverkehr und einen schönen Ausblick auf Wiesen, Wälder, kleine Dörfer und Bauernhöfe. Im Fabrikladen wären 60 Personen erlaubt gewesen. Anwesend waren etwa fünf, weswegen wir wirklich sorglos unsere Kekse und Knabbersachen aussuchen konnten. Von der Seite hörte ich mit, wie eine Kundin fragte, ob sie auch Kaffee zum Mitnehmen hätten. Normalerweise gehört zum Betrieb auch ein Café, welches nun aber leergeräumt ist. Die Kassiererin verneinte. Sie würden wohl pro Tag dann etwa drei Kaffees verkaufen und weil sie an der Kasse sei, müssten sie dafür eine zweite Person im Geschäft haben. Das würde sich finanziell und vom Aufwand her nicht lohnen. Nach unserem Einkauf öffneten meine Mutter und ich im Auto gleich eine Packung Olivengebäck. Wir hatten etwas Hunger und man muss sich ja etwas gönnen in dieser Zeit. Dann fuhren wir wieder zurück nach Hause, entschieden uns aber für einen anderen Weg über einen Hügelpass, dessen Straße noch geöffnet ist. Viele Passstraßen, auch diejenigen über kleinere Hügel, sind gesperrt, da man Menschenansammlungen an Ausflugszielen vermeiden will und die Motorradfahrer abgehalten werden sollen. Diese haben nämlich die Anweisung ihre Maschinen in der Garage zu lassen, denn Motorradfahren gilt als Aktivität mit hohem Unfallrisiko und das Gesundheitssystem sollte zurzeit geschont werden, wo immer möglich.
Nachmittags gingen wir wieder spazieren. Wir wählten dieses Mal eine Route dem Waldrand entlang, welchen wir bisher gemieden haben. Da nun aber die schrittweise Öffnung kommt, beschäftigt sich gerade meine Mutter oft mit dem Gedanken, sich langsam wieder an Menschenkontakt gewöhnen zu müssen. Sie hat auch vor, ab nächster Woche wieder selbst einkaufen zu gehen. Auch ihre Freundin macht sich viele Gedanken. Sie gehört eher zu den Übervorsichtigen und wird ab dem 11. Mai wieder in einem kleinen Geschäft arbeiten gehen. Also war der Gedanke, der Waldrand mit etwas mehr Menschen, aber immer noch auf dem Land, wäre ein gutes Versuchsobjekt. Es waren tatsächlich auch deutlich mehr Menschen dort als ansonsten im Wald. Dieser Weg ist sehr beliebt bei Menschen mit Hunden, da er zwischen zwei großen Parkplätzen liegt. Insbesondere Fahrräder waren auch zahlreich unterwegs. Diese sind sowieso in deutlich größerer Zahl anzutreffen seit der Corona-Krise. Meine Mutter empört sich ein bisschen über die vielen E-Bikes. Diese stellten bereits zuvor ein größeres Risiko dar und nun gibt es wohl noch mehr untrainierte Menschen, welche sich ein E-Bike anschaffen, um sich während der Krise bewegen zu können, ohne jedoch viel Fahrraderfahrung zu haben. Im Verlauf des Spaziergangs treffen wir dann prompt auf eine Bekannte aus dem Dorf, welche mit dem E-Bike unterwegs ist. Sie fährt in eine nahe gelegene Ortschaft, um bei einem Bauern Spargel zu holen. Sie arbeitet als Pflegefachfrau im Kantonsspital und erzählte uns von ihrer Arbeit auf der Palliativstation. Weil ganze fünf Stockwerke vorsorglich für Covid19 Patienten geräumt wurden, hätten die anderen Abteilungen auf die Hälfte des Platzes zusammenrücken müssen. Zudem werden momentan nur noch absolut nötige Hospitalisationen vorgenommen. Dies hat zur Folge, dass auf ihrer Station quasi eine eins zu eins Betreuung herrscht. Allerdings seien fast alles Zivildienstleistende, Hilfskräfte und Lernende, welche momentan keine Schule haben und lediglich zwei diplomierte Pflegefachpersonen (mindestens Höhere Fachschule) auf 20 Fachangestellte Gesundheit und Hilfskräfte, wodurch die diplomierten nur am Rennen seien. Sie findet, es sei wichtig gewesen Betten frei zu machen, aber der Kanton hätte völlig übertrieben. Es gibt schließlich im Kanton Luzern noch ein weiteres provisorisch eingerichtetes Notspital, welches nicht benötigt wurde. Meine Mutter hielt dagegen, besser so als zu wenig Betten. Darauf lenkt unsere Bekannte etwas ein und erzählt stattdessen von den Minus-Stunden. Da es weniger Patienten zu betreuen gibt, aber mehr helfende Hände, würden Angestellte regelmäßig früher nach Hause geschickt. Man wisse eigentlich nie, wann man arbeiten gehen müsse. Manchmal geht man und kann mittags nach Hause. Manchmal hat man frei und wird angerufen, man werde gebraucht. Alle hätten jedoch nicht nur ihre ganzen Überstunden bereits aufgebraucht, sondern bereits mindestens eine Woche Minus-Stunden. Unsere Bekannte meinte, ihr würde das nichts ausmachen und sie würde auch früher nach Hause gehen, wenn sie sieht, dass keine Arbeit mehr da ist. Sie ist jedoch genervt ab dem Gejammer vieler ihrer Kollegen und Kolleginnen über die Minus-Stunden. Diese sind verunsichert, weil sie nicht wissen, wie dies kompensiert werden soll. Unsere Bekannte meint, niemand erwartet, dass man danach 200 % arbeitet, um die Stunden aufzuarbeiten. Sie glaubt, dies würde im Nachhinein über die Kurzarbeit abgerechnet werden. Ich glaube das eher nicht, denn die Angestellten erhalten momentan ihren vollen Lohn und man wird ihnen danach wohl kaum wieder 20 % davon abziehen, weil man in Kurzarbeit nur 80 % des Lohnes erhält. Meiner Meinung nach werden diese Stunden irgendwie abgeschrieben und das Krankenhaus muss dann schauen, ob sie vielleicht den Schaden von Bund oder Kanton erstattet bekommen. Jedenfalls seien diese Sorgen unbegründet und die Bekannte findet, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssten alle froh sein, dass sie überhaupt noch arbeiten gehen können und den gleichen Lohn wie immer sicher auf ihrem Konto haben.
Nach unserem Spaziergang lud meine Mutter ihre Freundin noch auf ein kühles Getränk in unseren Garten ein. Mit genügend Sicherheitsabstand natürlich. Wir waren jedoch alle der Ansicht, dass von uns wohl niemand ansteckend sei, da wir uns alle so stark einschränken. Trotzdem ist es gut den Abstand einzuhalten, allein schon daher, damit es Gewohnheit bleibt und man sich bei anderen Menschen dann automatisch auch daran hält.
Donnerstag, 23. April 2020
Heute war ein sehr ruhiger Tag. Die meiste Zeit verbrachte ich mit Arbeiten für die Uni. Am Nachmittag verlegte ich für einmal mein Sportprogramm nach draußen. Es war nicht ganz einfach in unserem Garten eine Stelle zu finden, wo ich meine Matte ausbreiten konnte und ich etwas geschützt war von den Blicken der Nachbarn und Spaziergängerinnen. Ein Grund warum ich heute nicht vor dem Fernseher, sondern im Garten trainieren wollte, war weil ich über eine WhatsApp Gruppe für Menschen mit Seheinschränkungen ein 50 minütiges Pilates-Workout bekommen habe. Eine Trainerin spricht die Bewegungen so auf, dass sie auch ohne Bild nachvollzogen werden können, denn für Menschen mit starken Sehbehinderungen sind Videoworkouts oft unzugänglich, wenn man die Bewegungen nicht sehen kann. Groß ins Schwitzen kam ich dabei höchstens, weil ich an der Sonne trainierte, was aber sehr angenehm war. Ich bevorzuge eher Workouts, welche etwas pushen und nicht auf Entspannung machen. Die Pilatesübungen, welche viel mit Körperspannung halten zu tun haben, sind sicher sehr effektiv, allerdings gehöre ich zu den Menschen, die immer gleich wieder vergessen, dass die Spannung bewusst aufrecht gehalten werden sollte. Während ich trainierte, kam die Nachbarin vorbei und brachte die Einkäufe. Sie unterhielt sich eine Weile mit meiner Mutter und sie sprachen auch über die Pferde. Ich gehe manchmal mit dieser Nachbarin reiten. Im Dorf gibt es einen Bauernhof mit Haflingerpferden, welche man unkompliziert und spontan für einen Ausritt im Wald mieten kann. Zurzeit gehe ich nicht mehr reiten, da sich auf dem Hof immer viele verschiedene Menschen aufhalten und es etwas eng ist. Zudem fassen verschiedenste Personen Sattelzeug, Putzsachen usw. an und den Abstand zu meiner Nachbarin einzuhalten wäre auch schwierig, da sie mir aufgrund meiner Sehbehinderung beispielsweise das Pferd zäumt. Ich vermisse das Reiten sehr und momentan noch mehr, weil es ein kleines zutrauliches Fohlen im Stall gibt. Vielleicht gibt es in den nächsten Wochen einmal die Möglichkeit, einfach ein bisschen Pferde putzen zu gehen, wenn gerade nicht viele Menschen im Stall sind.
Abends hatte ich wieder Spanischunterricht. Mittlerweile sind wir ziemlich eingespielt, aber es gibt auch immer wieder kleinere Probleme. Einer aus der Gruppe war heute kaum zu verstehen, weil seine Verbindung so schlecht war, daher war er sehr passiv. Eine andere hatte ihr Arbeitsbuch nicht zur Hand, weshalb unsere Lehrerin jeweils das PDF des Buches auf ihrem Bildschirm teilen musste und es dann doch fast zu klein war, um zu lesen. Abends schauten wir eine spannende Doku namens “Im Banne von Covid-19 – Die Schweiz im Ausnahmezustand” (https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/im-banne-von-covid-19—die-schweiz-im-ausnahmezustand?id=baf8d546-babc-4a10-b795-54f90dcd1ed8). Die Doku zeigt die Krise aus verschiedenen Perspektiven entlang den Erlebnissen verschiedener Protagonisten. Von der Restaurantbesitzerin, über den Arzt auf der Intensivstation bis zum Unternehmer, welcher plötzlich statt Kaffeemaschinen Beatmungsgeräte herstellen soll. Die Doku war spannend, weil sie die Protagonisten von einer sehr menschlichen Seite zeigte, selbst den nationalen Corona-Krisenmanager. Sie fokussierte eher auf persönliche Konflikte, Gefühle und Pläne und zeigt, wie die Menschen versuchen Lösungen zu finden. Damit wirkt die Doku positiver als die üblichen Berichte über Geschäfte, die geschlossen bleiben müssen, das Sterben auf den Intensivstationen und die vereinsamenden Menschen.
Freitag, 24. April 2020
Heute Morgen machte ich mich auf die Suche nach Hygienemasken. Diese wurden nun von den Behörden im öffentlichen Raum empfohlen, insbesondere in Geschäften und Betrieben, in welchen der Sicherheitsabstand nicht gewährleistet werden kann. Da ab nächsten Montag auch einige Geschäfte wieder öffnen und meine Mutter beschlossen hat, wieder selbst einkaufen zu gehen, wollten wir uns Masken besorgen. Bei einer Online-Apotheke waren 50er Packungen im Sortiment, jedoch schien die Apotheke momentan generell Lieferverzögerungen zu haben. Also rief ich bei der Apotheke im Nachbardorf an, bei welcher die junge Frau arbeitet, welche mir auch schon Medikamente nach Hause gebracht hatte. Ich konnte bei ihr eine 50er Packung Masken bestellen, die sogar günstiger war als diejenige in der Online-Apotheke. Ich bezahlte sogleich per TWINT und sie versprach, ich hätte die Packung heute oder morgen im Briefkasten. Meine Mutter hatte gestern begonnen, selbst Masken zu nähen. Es war gar nicht so einfach herauszufinden, welche Anleitungen etwas taugten. Baumwollstoff, das war klar. Stoffreste gibt es in unserem Haushalt genug. Somit können sogar alle noch ihren Favorit für die eigene Maske wählen. Doch welche Form sitzt wohl besser, die runde oder die mit den Fältchen? Meine Mutter beschloss beide Formen zu nähen. Welche wird weniger eng sitzen? Mit welcher kann man besser atmen? Und da wir alle Brillenträger sind, mit welcher beschlägt die Brille nicht? Dann braucht es eine Filtereinlage und wenn ja, welches Material? Staubsaugerfilter dürfen nicht benutzt werden aufgrund der enthaltenen Schadstoffe. Krepppapier wird auch oft erwähnt. Wir konnten uns das schlecht vorstellen und es erwies sich auch nicht als praktisch. Denn da man die Maske täglich heiß waschen muss, müsste man es jeden Tag herausnehmen und wieder einfädeln. Und es lässt sich schlecht verarbeiten. Schlussendlich wählte meine Mutter ein Flies, welches sie einnähte. Zum heutige Spaziergang brachte sie dann unserer Freundin die erste bunte Fältchen-Maske mit Fliesfilter mit. Die Freundin fand sie großartig, bis nach drei Sekunden die Brille komplett beschlagen war. Sie meinte, sie sei trotzdem sehr schön und es sei auch kein Problem im ÖV oder beim Einkaufen die Brille auszuziehen. Mir und meiner Mutter fiel davor noch auf, dass sie sie nicht ganz korrekt angezogen hatte und einige Anweisungen brauchte. Sie zog die Fältchen nicht auseinander bis unter das Kinn und hatte die Brille unter der Maske und den Draht nicht angepasst. Generell bin ich immer wieder entsetzt, wie viele Menschen man sieht, welche die Maske nicht nur falsch anziehen, sondern auch falsch im Gesicht haben. Selbst in den Nachrichten werden Menschen in Interviews gezeigt, welche die Maske unterhalb der Nase tragen. Ich frage mich immer, wie das kommt, denn man sieht doch momentan genug Bilder von Gesundheitspersonal, welches die Maske richtig, insbesondere über der Nase trägt.
Dann machten wir uns auf unseren Spaziergang. Wir wählten eine Runde ums Dorf. Denn es war bereits um 9:30 Uhr sehr warm, weshalb wir eine eher flache Route gehen wollten. Also nicht den Hügel hoch oder in den Wald hinunter. Als wir auf dem Heimweg waren, meinte unsere Freundin, sie würde noch eine weitere Runde drehen. Wir waren etwas überrascht, da wir bereits eine Stunde unterwegs waren und unsere Freundin auch nicht gerade die sportlichste ist. Anscheinend zeigten die häufigen Spaziergänge bereits einen Effekt auf die Fitness. Zudem wohnte sie allein und war in Kurzarbeit. Wenn ich allein leben würde und Zuhause keine Arbeit auf mich wartete, würde ich wohl auch länger draußen bleiben wollen.
Das Mittagessen hatten wir heute wieder bei einem Restaurant bestellt, welches aufgrund der Krise nicht eröffnen konnte. Meine Mutter ging das Essen holen und wir genossen wieder ein großartiges Menü, welches offensichtlich mit viel Kreativität und Freude zubereitet wurde. Es bereitet mir viel Freude zu sehen, wie der Koch sich bemüht und anscheinend auch den Spaß an seiner Arbeit nicht verloren hat trotz der schwierigen Situation.
Am Nachmittag ging meine Mutter nochmals Käse und Gemüse holen. Sie bestellte diese regelmäßig bei einem Bauernhof und einer Käserei, welche momentan nicht zum Markt fahren können und kurzerhand einen Onlineshop aufgebaut haben. Zwei Tage nach Bestellung kann man den Korb mit den bestellten Sachen in einer Lagerhalle in der örtlichen Gärtnerei abholen. Der Service funktioniert gut, aber manchmal sind nicht genau die bestellten Sachen drin. Ein anderer Salat als bestellt, rote statt weiße rote Bete. Meine Mutter meinte, sie würden sich wohl erlauben etwas zu variieren, je nachdem was aus eigener Produktion vorhanden war und was extern eingekauft werden müsste. Am frühen Abend genossen wir im Garten wieder einen Apéro mit den frisch gekauften Knabbereien, welche wir im Emmental geholt hatten. Danach hatte ich einen sehr langen Conference Call. Da das internationale Jugendprogramm einer Selbsthilfeorganisation im Juni in Island abgesagt wurde, beschlossen wir eine virtuelle Jugendkonferenz zu organisieren. Dies erfordert nun einiges an Arbeit. Das Zoom Gespräch war inhaltlich gut, aber technisch etwas schwierig. Eine Teilnehmerin konnten wir nicht hören. Da nur vier Leute anwesend waren, beschlossen wir, zu WhatsApp zu wechseln. Als eine fünfte Person dazu stoßen wollte, konnten wir sie nicht dem Gespräch hinzufügen. Also wechselten wir wieder zu Zoom. Nun konnten wir alle Teilnehmenden hören, für kurze Zeit. Dann hatte ein anderer Teilnehmer Mikrofonprobleme. Er hörte uns schrieb aber im Chat, da manche den Chat nicht lesen können, musste ich gleichzeitig zuhören und den Chat im Auge behalten. Nach 40 Minuten wurde das Gespräch automatisch beendet, da Zoom free bei Conference Calls auf 40 Minuten limitiert war. Das lässt sich aber erstaunlich einfach umgehen, indem der Host einfach ein neues Meeting erstellt. Nach dem Gespräch entdeckte ich einen verpassten Anruf der Apothekerin und im Briefkasten fand ich die Packung Hygienemasken. Nun waren wir vorerst ausgerüstet für die Lockerung der Maßnahmen.
Samstag, 25. April 2020
Heute standen bei mir die Wäsche und Recherchen für die Freiwilligenarbeit im Zentrum. Es ist etwas ungewohnt für mich, nun nicht meinen fixen Waschtag zu haben wie bei mir Zuhause. Anfangs wollte ich hier auch immer montags waschen, bis ich gemerkt habe, dass meine Mutter sich nicht an bestimmten Tagen orientiert. Seither schiebe ich die Wäsche aber auch hinaus und mache sie nicht mehr konsequent montags. Also ist es heute endgültig fällig. Am Morgen spiele ich etwas am Computer, dann der Brunch, Wäsche, Recherche, alles relativ ruhig und erstaunlich produktiv.
Auch das Sportprogramm, wieder einmal 20 Minuten Home Trainer und wieder einmal ein 20 minütiges Workout von SRF, welches extra gemeinsam mit Profisportlern in der Isolation Fitnessvideos erstellt hat. Oft sind diese zu streng oder benötigen viele Hilfsmittel. Heute hatte ich wieder einmal eines gefunden ohne Equipment. Danach wieder einmal eine Dusche und einen Eiskaffee mit Hörbuch auf der Terrasse. Solche Zeiten zum Auspannen gönne ich mir zwar sonst auch, aber immer mit einem größeren schlechteren Gewissen als jetzt. Man könnte in der Zeit auch produktiv sein, die mentale Liste im Kopf der heutigen Aufgaben weiter abarbeiten. Diese Liste, welche abends sowieso nie komplett abgearbeitet ist. Momentan ist dieser Druck geringer. Das meisste was heute nicht erledigt wurde, kann auch morgen noch gemacht werden und wenn man am Wochenende schon keine Ausflüge machen sollte, dann gönnt man sich die Auszeit im Garten umso mehr. Währenddessen verfolge ich von der Seite ein bisschen mit, wie meine Mutter mit ihren Freundinnen skyped. Viele der Frauen hatten Skype noch nicht installiert, weshalb dieses Gespräch einige Vorarbeit benötigte und alle waren sehr erfreut und etwas aufgedreht, als es nun endlich funktioniert hat. Eine der Freundinnen hatte große Probleme mit ihrem Computer und musste sich erst noch Hilfe holen, bevor sie dazu stoßen konnte. Man konnte spüren, wie schlimm das war, denn gerade für sie als Alleinlebende war dieses Gespräch sehr wichtig. Ich hörte, wie es sehr oft darum ging, wer nun was sah auf seinem Bildschirm. Nicht nur die Software, sondern auch Video-Konferenzen sind für viele relativ neu und niemand hatte zuvor oder während dem Gespräch wirklich die Kapazität, sich mit den Optionen zu befassen. Mir fällt auf, dass es ihnen sehr wichtig war, dass alle ein gutes Bild von einander hatten, während das bei uns im Unterricht oder in Gesprächen mit Freunden schon wieder weniger wichtig wird. Es ist auch okay, wenn man die Kamera gar nicht an macht. Zudem sprechen viele auch noch relativ laut, was eigentlich nicht nötig ist, aber man kennt das von Mobiltelefonnutzern, welche ihr Gerät noch nicht lange nutzen.
Corona war heute tatsächlich kein grosses Thema. Auch in den Nachrichten am Abend, waren eher wieder indirekte Konsequenzen das Thema. Einzig die Geschäfte wurden portraitiert, wie sie sich vorbereiten auf einen potenziellen Ansturm am Montag, wenn beispielsweise Gärtnereien oder Friseure wieder öffnen dürfen. Obwohl es noch viel zu tun gibt über das Wochenende, sind die Geschäfte der Meinung, die Eröffnung gut bewältigen zu können. Später skypte ich noch mit meiner Mutter von einem Raum in den nächsten. Der Zweck davon war, dass sie sich einmal in aller Ruhe mit der Benutzeroberfläche von Skype vertraut machen konnte.
Sonntag, 26. April 2020
Auch heute startete ich den Tag gemütlich. Nach dem Brunch befasste ich mich mit der Spielanleitung des Brettspiels Pandemic Legacy, welches ich von meinem Bruder zum Geburtstag erhalten habe. Im Spiel geht es darum, die Welt vor vier Krankheitserregern zu retten. Man spielt auf einer Weltkarte, auf welcher man umherreist und versucht, Infektionsherde in den Griff zu bekommen. Später kam meine Mutter dazu. Mein Vater drückte sich etwas. Er spielt nicht gerne Brettspiele. Ich war etwas genervt, denn er meinte, er würde höchstens missmutig mitspielen und ein klares “Nein ich habe keine Lust” erhält man nicht von ihm. Irgendwann wird er dann halt nicht mehr gefragt. Ich und meine Mutter brauchten nochmals etwa eine Stunde bis wir die Grundregeln begriffen hatten. Wir spielten heute nur mit den Basisregeln, denn später kommen Legacy Regeln dazu. Das heißt, Dinge im Spiel werden so verändert, dass sie auch weitere Partien beeinflussen (Dinge beschriften, Karten zerreissen…). Es wird deshalb ausdrücklich empfohlen, erst einmal nur die Basisversion zu spielen. Mit der Zeit hatten wir den Dreh raus und fanden das Spiel echt großartig. Auch weil man anders als meistens miteinander gegen das Spiel kämpft und gemeinsam Strategien bespricht. Leider besiegte uns jedoch das schwarze Virus.
Eigentlich hatten wir vor, dass heute die Freundin meiner Mutter zum Abendessen vorbeikommt. Sie wollte Fleisch für den Grill mitbringen und so auch einmal etwas für uns tun, da wir immer mit ihr Spazieren gehen und meine Mutter für sie Gemüse beim Lieferdienst mitbestellt. Dieses Abendessen war aber nur möglich, wenn wir draußen mit genügend Abstand sitzen konnten. Und nachdem es jetzt wochenlang schönes Wetter war und die Natur schon wieder viel zu trocken ist, zieht genau jetzt eine Front auf. Leider müssen wir das Essen daher auf Montag verschieben. Dann war es bereits Zeit für das Abendessen. Eigentlich hatte ich wieder vor heute Sport zu machen. Wegen des Spiels am Nachmittag war es mir aber nun schon zu spät und ich hatte auch keine Lust mehr. Ich sagte zu mir, dass es schon okay ist, wenn ich einen Tag in der Woche keinen Sport mache.
Abends war Corona wiederum nur ein kleines Thema in den Nachrichten. Es ging vor allem um Verhandlungen zwischen den Bundesbehörden und den Tourismusvertretern. Denn immer noch ist nicht klar, wann Restaurants, Bergbahnen, Schifffahrtsgesellschaft und andere touristische Betriebe wieder öffnen dürfen. Anscheinend sind sie auf gutem Weg einen Kompromiss zu finden, sodass die Bevölkerung im Sommer wenigstens im Inland Ferien genießen kann. Bereits melden auch geöffnete Hotels vermehrt Buchungen von schweizerischen Gästen. Ich selbst finde dies eine vorteilhafte Entwicklung. In den letzten Jahren war es meiner Meinung nach, etwas sehr selbstverständlich geworden, dass man irgendwo hin in die Ferien fliegt, obwohl es lokal auch sehr viel schöne Orte gibt, welche die Menschen von hier selbst kaum kennen. Menschen kommen aus aller Welt für Ferien in die Schweiz, da könnten wir das doch gut auch wieder mehr nutzen. Und vielleicht entdecken manche so auch wieder, dass sie ab und zu auf das Flugzeug verzichten können. Meine Mutter und ich hatten danach noch das Bedürfnis, mehr darüber zu erfahren, wie es denn in anderen Ländern aussieht mit der Corona-Krise. Wir schauten die Sendung “Weltspiegel” (https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/index.html)in welcher Korrespondentinnen und Korrespondenten über Geschichten aus ihren Regionen berichten. Danach schauten wir gleich noch die ARD Nachrichten und stellten fest, in Deutschland gibt es im Bevölkerungsverhältnis zur Schweiz ähnlich viele Fälle und Ansteckungen einfach mit ein paar Tagen Verzögerung. Tote gibt es etwas weniger im Vergleich zu den Infizierten. Grundsätzlich sind die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme aber sehr ähnlich.
Montag, 27. April 2020
Heute Morgen hatte ich wieder mein Seminar per Zoom. Die Stunde war langweilig. Die Dozentin welche heute unterrichtete, fühlt sich nicht so ganz wohl mit dem Onlineunterricht und das merkte man. Sie hatte die Angewohnheit, nach einer gestellten Frage so schnell weiterzufahren und dabei die Frage gleich selbst zu beantworten, dass man gar nie zum Sprechen kam und es eine etwas monotone Lektion wurde. Nachmittags war bei mir wieder Uni Sport angesagt. Heute ein 50 minütiges Bootcamp Video. Das war richtig anstrengend, aber es tat sehr gut. Danach musste ich mich etwas beeilen, weil wir heute das Grillieren nachholen, welches gestern nicht stattfinden konnte. Um 16 Uhr kam die Freundin und wir setzten uns draussen zu Apéro und danach Abendessen hin. Kurz bevor sie kam, hatte sie “ihre fünf Minuten”, wie sie es nannte. Sie übertreibt manchmal sehr mit der Angst vor Corona. Sie war sich plötzlich nicht mehr sicher, was sie jetzt schon alles desinfiziert hatte, bevor sie herkam und ob sie nach dem Desinfizieren vergessen hatte, die Flasche zu desinfizieren und deshalb nun die kontaminierte Flasche angefasst hätte. Sie erzählte auch, dass sie auch ihre Kleidung eingesprüht hätte. Meine Mutter grinste und meinte, das sei schon sehr übertrieben. Etwas verrückt ist ja, dass sie vor allem Angst hat uns Risikopersonen anzustecken, dabei sind wir weniger besorgt als sie. Sie fühlte sich auch sofort schlecht, als sie die Salatschüssel angefasst hatte und das sofort bereute. Letztes Mal hatten wir noch die Regel, dass sie sich alles schöpfen lassen muss. Heute grinste meine Mutter aber nur und meinte, dass sei doch kein Problem. Wir saßen auch nicht mehr ganz so weit auseinander wie beim letzten Mal. Man müsse sich langsam wieder an etwas mehr Kontakt gewöhnen. Auch ich habe bei ihr keine Bedenken. So vorsichtig wie sie und wir sind, kann man wohl davon ausgehen, dass keiner von uns infiziert ist. Also finde auch ich eine gewisse Lockerung in Ordnung. Zudem sehe ich auch, wie sie sich teilweise schon ziemlich verrückt macht und im Kreis herum studiert, wo sie unvorsichtig hätte gewesen sein können. Am besten üben wir etwas mehr Lockerheit und trotzdem vorsichtig bleiben doch mit Menschen, bei welchen wir eher sicher sind, dass nichts passieren kann. Wir stießen also auch wieder normal mit den Gläsern an und genossen einen Nachmittag draußen. Als es jedoch eindämmerte, musste unsere Freundin wohl oder übel nach Hause gehen, denn draußen wurde es sofort kalt und zu uns ins Haus wollten wir alle nicht mit ihr.
In den Nachrichten war heute die Pressekonferenz des Bundes vom Nachmittag das Thema. Wieder einmal wurde etwas verwirrend kommuniziert. In den letzten Tagen stieg der Druck, dass Großeltern wieder ihre Enkelkinder betreuen dürfen. Insbesondere weil mehr Menschen wieder außer Haus arbeiten gehen (insbesondere der Detailhandel) und weil am 11. Mai die Schulen wieder öffnen werden und der Bund in diesem Zusammenhang kommuniziert hatte, dass die Kinder selbst sehr wenig ansteckend seien. Sie erhalten die Krankheit nur selten mit Symptomen und durch weniger Husten, verteilen sie die Viren auch weniger. Nun kommuniziert das BAG Enkel betreuen sei weiterhin nicht in Ordnung, Enkel umarmen aber schon. Begründet wird dies damit, dass beim Betreuen der Kontakt mit den Eltern, welche die Kinder holen und bringen das Problem sei. Mit viel Abstand zu den Eltern dürfen also Kinder kurz vorbei schauen, um Oma und Opa zu knuddeln. Ich kann sehr gut verstehen, dass diese Anweisungen für viele wohl etwas widersprüchlich und konfus wirken. Auch was die Masken angeht, wird weiterhin etwas unverständlich kommuniziert. Der Bund besteht vehement darauf, dass Masken nichts nützen würden, oder nur 10 %. Teilweise wurde auch gesagt, die selbstgenähten Masken würden das Risiko sogar erhöhen, da der Stoff schnell nass wird und dann ein zusätzlicher Herd für Keime wird. Ich persönlich habe etwas Mühe diese Botschaften nachzuvollziehen. Denn ich weiß zwar, dass diese Masken nicht viel nützen, aber immerhin. Oder wie ein Freund von mir kürzlich online postete: “Stell dir vor du bist nackt und jemand pinkelt dich an. Dann bist du nass. Trägst du eine Hose, wirst du ein bisschen weniger nass. Trägt der Pinkler auch eine Hose, behält er sein Pipi bei sich”. Mittlerweile fragt man nebst, “wieso sollen die Masken so schlecht sein” auch “Wieso kommuniziert der Bundesrat auf diese Weise? Viele suchen nach den Motiven für das Abraten von Masken, wo doch Nachbarländer Maskenpflichten einführen und Epidemiologen ebenfalls sagen, es sei besser als nichts. Ein Argument wäre die Knappheit an Masken und dass man Hamsterkäufe verhindern will. Ein anderes, dass man Angst davor hat, die Menschen würden den Abstand und andere Sicherheitsmaßnahmen weniger ernst nehmen, sobald sie Masken tragen.
Dienstag, 29. April 2020
Heute regnet es seit langem wieder einmal. Das ist super für die Natur. Ich hingegen werde nicht so richtig wach. Ich mache viel Computerarbeit und etwas Wäsche. Am Nachmittag entdecke ich, dass das Migros-Fitnesscenter, bei welchem ich Mitglied bin, ein riesiges Angebot an Online Kursen hat. Also probiere ich heute nach den üblichen 20 Minuten Home Trainer gleich ein Bauch-Beine-Po Training aus. Ich finde diese Seite super, endlich eine riesige Auswahl an gut gemachten Videos. Ich trainiere gerne mit diesen Videos, aber ich brauche welche, die wirklich gut gemacht sind, damit ich den Übungen trotz Sehbehinderung folgen kann und ich mache immer gerne neue Trainings. Da ich nicht so leicht zu motivieren bin, wecken neue Videos meine Neugier deutlich mehr.
Abends hatte ich das erste Online-Gespräch mit der neuen Jugendgruppe der Retina Suisse, welche ich daran bin aufzubauen. Es ist auch das erste Zoom-Meeting, welches ich hostete. So langsam kommen diese Gespräche in Fahrt. Immer seltener muss am Anfang Zeit eingerechnet werden, in welchen noch technische Probleme einiger Mitglieder zu lösen sind. Dafür, dass wir uns alle nicht kannten und ein physisches Treffen wohl ungezwungener gewesen wäre, war die Stimmung super locker und wir unterhielten uns deutlich länger als ursprünglich geplant.
Mittwoch, 29. April 2020
Heute Morgen musste ich ins Krankenhaus für eine Blutabnahme, um den Spiegel meiner kürzlich angepassten Immunsuppressiva zu überprüfen. Meine Mutter fuhr mich hin und begleitete mich. Am Eingang wurden uns wie beim letzten Mal Masken ausgehändigt und wieder wurde uns gesagt, dass Begleitpersonen eigentlich nicht mit hineindürfen. Also erklärte ich, mit Blindenstock in der Hand erneut, dass ich allein nicht für die Einhaltung des Abstandes sorgen kann. Auf der Nephrologie mussten wir lange warten. Auf der Bank waren mit Klebstreifen Markierungen angebracht, welche die Sitze markierten. Nach der Blutentnahme gingen wir wieder. Ich erkundigte mich online, ob mein neuer Optiker geöffnet hat. Gestern hatte ich mir meine Brille verbogen, so dass sie nun drückt. Der Optiker unserer Familie ging vor dem Lockdown in Pension und wir wurden an ein befreundetes Geschäft verwiesen. Der neue Optiker hatte geöffnet, einfach etwas kürzer als sonst. Ich behielt meine Maske gleich auf und wir fuhren in die Innenstadt. Auf dem Weg durch das Einkaufscenter holten wir uns ein Croissant und einen Coffee to go. Wir stellten uns zwischen die geschlossenen Läden und genossen die Pause. Es war schon merkwürdig, all die Geschäfte geschlossen zu sehen. Nur die Bäckerei, die Apotheke und der Großverteiler hatten geöffnet. Danach machten wir uns auf den Weg zum Optiker. Meine Mutter bemerkte grinsend, dass mir nun mit Blindenstock und Maske, alle anderen erst recht aus dem Weg gehen würden. Das hatte ich gehofft, denn dies könnte sehr nützlich sein, wenn ich wieder allein unterwegs sein werde. Meine Mutter überlegte, dass sie vor dem Geschäft warten könnte, da nur drei Personen sich drinnen aufhalten dürfen. Ich wollte gerade zustimmen, als mir einfiel, dass ich dieses Geschäft ja noch nicht kenne. Bleibt meine Mutter draußen, müsste mich einer der Angestellten im Geschäft führen und momentan halte ich lieber an jemandem aus meinem Haushalt fest als an anderen. Das Geschäft war bis auf die zwei Angestellten leer. Ich händigte meine Brille aus und wir setzten uns. Um zu kontrollieren, ob die Brille richtig sitzt, näherte sich der Angestellte vorsichtig. Uns fiel jedoch auf, dass dieser Angestellte keine Maske trug, während der andere im Hintergrund eine trug. Trotzdem fühlte ich mich in dieser Situation nicht gefährdet. Danach gingen wir wieder nach Hause. Nachmittags wollten wir eine Lücke zwischen den Regenschauern für einen Spaziergang nutzen. Allerdings erwies sich das Wetter als zu unberechenbar und wir drehten nur eine 40 minütige Runde.
Donnerstag, 30. April 2020
Heute Morgen zoomte ich mit meiner Freundin von der Uni. Wir sprachen über unsere Aktivitäten. Sie insbesondere über ihr Gemüse im Wohnzimmer und auf dem Balkon. Nicht nur ihre Pflanzen, sondern auch sie blüht in letzter Zeit auf und hat einen richtig grünen Daumen bekommen. Ich erzählte von meiner Freiwilligenarbeit, die sehr viel zu tun gibt. Trotzdem ging uns doch langsam der Gesprächsstoff aus und das Gespräch wurde ruhiger. Es geschieht nicht mehr so viel Neues. Nach dem Mittagessen rief eine Mitarbeiterin der Organisation an, für die ich die Jugendgruppe organisiere. Gemeinsam wollten wir die Funktionen von Microsoft Teams testen. Da die Organisation für Videocalls nun eine Lizenz erworben hat. Etwa zwei Stunden übten wir. Einiges gelang, anderes nicht. Deshalb beschloss ich, dass ich am Wochenende nochmals mit Menschen üben muss, welche nicht innerhalb der Organisation sind und deshalb nicht schon Administratorenrechte hatten. Zudem informierte sie mich, dass meine Schwägerin, welche ebenfalls in der Jugendgruppe ist, im Chat gewisse Grenzen überschritten hat, was ihre fachliche Kompetenz betrifft. Ich versuchte also meiner Schwägerin zu erklären, weshalb sie zurechtgewiesen wurde. Ich wusste aber nicht, inwiefern sie verstanden hatte. Danach fühlte ich mich sehr angespannt. Solche Auseinandersetzungen, gerade mit Menschen, welche mir nahestehen, machen mir sehr zu schaffen. Ich versuchte, mit einem Kaffee und Computerspielen etwas herunter zu fahren, bevor es zum Spanischunterricht ging. Es gelang mir jedoch nur mäßig. Dann folgte der Unterricht via Zoom. Heute war die Verbindung nicht sehr gut und wurde
mit der Zeit so schlecht, dass ich die Anweisungen der Lehrerin kaum noch verstand. Nach dem Unterricht war ich geistig fix und fertig. Man kennt doch dieses Gefühl, wenn man zwar nicht körperlich müde ist, das Gehirn sich aber komplett ausgelaugt anfühlt. Ich hatte heute fünf Stunden in Videocalls verbracht und merke nun, wie anstrengend das ist. Ich bin von Natur aus jemand, der irgendwann einmal genug hat von Telefonaten. Ich hänge nicht so gerne stundenlang in der Leitung. Videogespräche entpuppen sich aber als noch anstrengender. Man muss irgendwie präsenter sein. Vielleicht weil man aufgrund der Audioqualität besser zuhören muss? Weil viele nonverbale Signale fehlen? Ich weiß es nicht. Auch die innere Anspannung ließ nicht mehr nach. Ich kam ziemlich ins Grübeln und alte Emotionen kamen wieder hoch. Als ich schlafen ging, verwendete ich seit langem wieder einmal einen Meditations-Podcast zum Einschlafen, damit ich mich auf etwas konzentrieren konnte.
Freitag, 1. Mai 2020
Heute Morgen drehten wir vor dem Brunch eine Runde durchs Dorf, denn nachmittags sollte es wieder regnen. Im Dorf trafen wir auf meinen Vater. Er war seit langem wieder einmal im Dorf unterwegs. Während wir spazieren gingen, musste er kurz bei der Hausärztin ein Medikament holen gehen. Die Ärztin hatte ihm das bestellte Medikament in den eigenen Briefkasten gelegt. Es war in einen Plastiksack eingewickelt, welcher zugetackert war und auf welchen einen Zettel mit dem Namen meines Vaters aufgeklebt war. Mein Vater spekulierte, dass so wohl versucht wurde, die Privatsphäre zu wahren, dass nicht jeder, der den Briefkasten öffnete, sehen konnte, welche Medikamente Person X benötigt. Am Nachmittag hatte ich einiges für die Uni zu tun. Meine Mutter ging heute den zweiten Tag in Folge nach Thalwil. Mein Bruder und seine Frau sind zurzeit auf Wohnungssuche. Da die beiden ebenfalls Seheinschränkungen haben und mein Bruder sehr viel arbeitet, geht meine Mutter mit meiner Schwägerin zu den Wohnungsbesichtigungen. Sie erzählte, selbst in der Rush Hour hätte man gut ein Viererabteil für sich allein im Zug. Aber es gab auch eine Situation, in welcher ein junger Mann sich an der Zugtür vordrängelte. Meine Mutter wies ihn zurecht, dass er zwei Meter Abstand halten solle. Er meinte aber nur er habe es eilig. Daraufhin trat meine Mutter zur Seite und dachte sich, wenigstens müsse er dann auch den Türöffner drücken. Die Wohnungsbesichtigungen waren manchmal einzeln ausgemachte Termine, sodass jeweils nur meine Mutter, meine Schwägerin und die aktuellen Mieter anwesend waren. Bei einem Termin, bei welchem mehrere Interessenten anwesend waren, schloss die Verwalterin alle Türen auf und verließ die Wohnung wieder. Die Interessenten, welche immer mit zwei Meter Abstand im Treppenhaus Schlange standen, betraten einzeln die Wohnung, sodass es nicht zu eng in den Räumlichkeiten wurde. Wieder Zuhause meinte meine Mutter, man habe schon ein bisschen das Gefühl der bösen Welt da draußen. Sie fühle eine große Erleichterung, sobald sie wieder zu Hause sei. Nicht immer achtsam sein, nicht immer studieren, was man alles angefasst hat oder wer einem zu nahekommen könnte. Sie stellte auch fest, dass es wirklich wenige Menschen auf den Bahnhöfen gibt und vor allem alles Jüngere. Obwohl seit Montag wieder einige Geschäfte geöffnet haben, scheint dies noch keine größeren Auswirkungen auf Personenströme zu haben.
Samstag, 2. Mai 2020
Heute vor dem Brunch stand Fitness mit meiner Mutter auf dem Programm. Die Fitnesstrainerin meiner Mutter hat diese Woche zum ersten Mal ein Video einer Lektion erstellt. Sie versendet die Links zu den Videos auf persönliche Anfrage, denn sie verrechnet dafür 15 Franken. Der Grund dafür ist, dass sie aufgrund des Lockdowns einige Stunden nicht abhalten konnte, welche bereits bezahlt waren. Ihr Berufsverband verlangt, dass diese Beiträge zurückerstattet werden. Da dies etwas umständlich ist, bietet sie die Videos nun zum Stundenpreis an und verrechnet dies nun mit den bereits bezahlten Beiträgen. Das Programm macht sehr viel Spaß und ich finde es auch toll, zwischendurch mit meiner Mutter zusammen Sport treiben zu können. Zu zweit ist man mehr motiviert. Nach dem Brunch stand die Microsoft Teams Übung an. Gemeinsam mit meiner Mutter und meiner Freundin von der Uni, übte ich die Funktionen von Teams zu verwenden, denn für meine Jugendgruppe plane ich bald, Teams, statt Zoom zu verwenden. Nach zwei Stunden üben, waren alle Fragen geklärt und ich müde. Danach gönnte ich mir eine Auszeit beim Computerspielen. Zwischendurch erledigte ich noch kleine Büroarbeiten, aber eigentlich vertrödelte ich den restlichen Samstag gemütlich.
Sonntag, 3. Mai 2020
Gestern Abend ist meiner Mutter der Computer abgestürzt. Und zwar so, dass Windows nicht mehr gestartet werden konnte. Deshalb waren wir heute fast den ganzen Tag damit beschäftigt, Lösungen zu finden. Am Ende blieb uns nur noch, ihren Computer neu aufzusetzen, davor mussten jedoch noch auf Umwegen ihre Daten gerettet werden, da sie keine Sicherung erstellt hatte. Dazwischen spielten wir wieder das Pandemic Legacy Brettspiel. Zum Glück haben wir einen Wintergarten. Trotz Regenwetter lässt es sich dort gut spielen bei etwas mehr Tageslicht. So verbrachten wir den Tag irgendwo zwischen Spiel und Computer. Der Sonntag war zudem der erste Tag, an welchem das Schweizer Fernsehen vermeldete, dass die Ansteckungszahl unter hundert war. Sie lag irgendwo bei 70. Natürlich muss man noch bedenken, dass am Sonntag weniger Menschen positiv getestet werden. Um ehrlich zu sein, interessieren mich die Corona-News wirklich nicht mehr. Ich besuche nie mehr die Newsseiten oder den Liveticker. Nicht weil ich irgendwann genug davon hatte, oder mir die Infos zu schaffen machten, sondern weil es mich einfach nicht mehr interessierte und meine Aufmerksamkeit nicht mehr erregen konnte. Stattdessen fülle ich immer öfters Umfragen zu Corona aus. Sei es für eine Seminararbeit, für die Freundin, welche in einem anderen Land als Psychologin doktoriert oder eine Umfrage zur Befindlichkeit einer Selbsthilfeorganisation. Beim Ausfüllen fällt mir immer auf, dass ich meine Situation gar nicht so schlecht empfinde. Irgendwie habe ich aber das Gefühl, die Umfragen würden eher eine Verschlechterung der persönlichen Situation oder der emotionalen Lage erwarten.
Montag, 4. Mai 2020
Heute Morgen hatte ich wieder mein Online Seminar. Ich könnte mich sehr an diesen Wocheneinstieg gewöhnen. Ich bin eine ausgeprägte Nachteule und schlafe natürlicherweise zwischen 02:00 und 09:00. Das Seminar, welches um 10 Uhr beginnt, ermöglicht mir immer noch ein gemütliches Aufstehen zu meiner Zeit. Zudem muss man dann für das Online Seminar noch nicht das Haus verlassen und kann sich nochmals einen Kaffee machen. Dann 90 Minuten Fachdiskussion über spannende Themen, damit das Gehirn in Fahrt kommt. Diesen gemütlichen Einstieg in die neue Woche zu meiner Zeit finde ich super. Während dem Mittagessen brachte ein Lieferdienst ein Paket zu unseren Nachbarn. Beim Wenden fuhr er rückwärts in unseren Schuppen, sodass ein Ziegel zu Bruch ging. Mein Vater ging hinüber und schaute sich die Sache an. Als meine Mutter nachschaute, sah sie, wie mein über 80-jähriger Vater die Nachbarin, welche die Vorsichtsmaßnahmen nicht sehr ernst nimmt und mit dem Lieferanten dicht beisammensteht und diskutiert. Sie ging hinüber und ermahnte die drei Abstand zu halten. Während die Nachbarin eher genervt reagierte, erschrak mein Vater. In der außergewöhnlichen Situation, welche ihn sehr forderte, hatte er die Abstandsregeln schlicht vergessen. Man einigte sich schnell darauf, dass der Schaden minimal sei und nichts unternommen werden musste. Meiner Mutter tat der Fahrer sehr leid, denn diese müssen oft Schäden selbst bezahlen, haben viel Stress und sind schlecht bezahlt. Mein Vater war die nächsten Stunden sehr ruhig und die Stimmung meiner Eltern etwas angespannt. Sie machten auch noch Witze darüber. Als meine Mutter meinen Vater kurz musterte, fragte er verlegen lachend, ob sie noch Viren von ihm abfallen sehe, beide lachten. Man konnte spüren, dass er wirklich sehr erschrocken darüber war, dass er die Regeln so einfach vergessen hatte und sich in eine Risikosituation begeben hatte. Ich finde das sehr nachvollziehbar. Menschen, die in den letzten Wochen täglich nach draußen mussten, haben den größeren Abstand wohl schon verinnerlicht, oder zumindest etwas automatisiert. Menschen wie wir, welche kaum nach draußen gegangen sind, haben nun keine Übung im Abstand halten. Sobald eine Situation auftritt, die uns irgendwie kognitiv mehr fordert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir die Regeln vergessen.
Nachmittags gingen wir wieder spazieren. Heute war auch das Wetter wieder schön und wir drehten wieder einmal eine Runde über den Berg. Dabei kam auch wieder das Thema zur Sprache, dass wir alle viel weniger die News checken. Während ich fast gar nicht mehr danach suche und stattdessen einfach abends noch die Nachrichten schaue, wie sonst auch, checken meine Mutter und ihre Freundin schon noch einmal am Tag die Verlaufszahlen. Dann trafen wir eine Bekannte, welche meine Mutter und ihre Freundin ermahnte, die beiden hätten keine zwei Meter Abstand. Sie hatte recht. Die beiden achteten zwar immer darauf, Abstand zu halten, aber zwei Meter waren es nicht. Meine Mutter beschäftigte dies sehr. Ich hatte das Gefühl, sie nahm die Zurechtweisung sehr persönlich. Andererseits fand ich diese Erfahrung auch gut. Denn meine Mutter schlug manchmal auch einen etwas forscheren Ton an, wenn sie in letzter Zeit andere zurechtgewiesen hat. Sie fand die Reaktion der Bekannten übertrieben und meinte, bei ihr und ihrer Freundin sei das etwas anderes, weil wir oft gemeinsam unterwegs sind und sonst keine Kontakte haben. Ich meinte, es sei aber auch gut, einmal auf der anderen Seite zu stehen und zu sehen, wie man selbst sonst so ankommt, wenn man andere zurechtweist. Meine Mutter aber blieb der Meinung, dass sei bei uns etwas anderes. Ich finde jedoch nicht, denn wenn wir andere ermahnen, kennen wir die Hintergründe auch nicht und wissen auch nicht, ob diese Personen ansonsten die Maßnahmen vielleicht strikt befolgen.
Die Freundin meiner Mutter hat bald Geburtstag, wir überlegten, wie eine gemütliche Runde möglich sein könnte. Zuhause kommt nicht in Frage, in die “persönliche Schutzzone” wollen wir alle noch niemanden hineinlassen. Vielleicht zu fünft auf dem Vorplatz ihres Wohnblocks in einem großen Kreis mit Campingstuhl und Getränken? Dann gehen wir auf den Bouleplatz, wo unter einem großen Baum ein Steintisch steht. Wir setzen uns dort hin und überlegen, wo sich fünf Leute verteilen könnten. Die Freundin kommt jedoch schnell zum Schluss, dass man dann im öffentlichen Raum “überzählige” Freundinnen quasi ausladen müsste. Stattdessen überlegt sie sich also, mit ihren beiden Töchtern brunchen zu gehen, da die Cafés nun die Tische auseinanderstellen mussten und man zu viert ab 11. Mai wieder einkehren darf. Später waren ich und meine Mutter wieder mit ihrem Computer beschäftigt. Ich konnte zwar etwas arbeiten, sie rief mich aber immer wieder um Hilfe. Eigentlich könnte sie diese Dinge auch, aber sie vergewissert sich gerne bei mir.
Dienstag, 5. Mai 2020
Heute Morgen fuhren meine Mutter und ich zu einer Fischfarm in der Region. Normalerweise verkauft der Hof seine Produkte auf dem Markt und meine Mutter achtet darauf die Betriebe, welche nun nicht zum Markt fahren können, zu unterstützen. Wir kauften ziemlich viel ein, aber es soll sich ja auch lohnen, wenn man sich schon auf den Weg macht. Der Hofladen war eigentlich mehr Fischverarbeitungsraum mit einigen ausgelegten Räucherwaren. Die restlichen Fische werden bei Bedarf vakuumiert. Bezahlen konnte man mit TWINT. Wir stellten später fest, dass TWINT wohl einen riesigen Schub erlebt momentan. Denn gerade den Kleinbetrieben, welche ansonsten wohl nur Bargeld nehmen würden, erspart die App die Anschaffung eines Bezahlterminals und kostenfrei ist es auch noch. Meine Mutter stellte auch fest, dass wir dabei den Mindestabstand nicht eingehalten haben. Aber von uns hatte sich keine Sorgen gemacht deshalb, denn es war nur kurz und gehört für uns in die Kategorie “man muss ja auch ein gewisses Mass von normalem Umgang wiederfinden”.
Danach gingen wir noch zum Supermarkt. Dort wurde aus Absperrband eine Schlange abgesperrt, eine Angestellte begrüßte jeden und zählte so die Kunden. Eine Ampel erlaubte den Einlass oder eben nicht. Mein Vater meinte dazu später, dass man wohl zum Schluss gekommen sei, dass die Menschen eher einer Ampel gehorchten, als einer Person. Ich kann mir das gut vorstellen. Steht dort ein Mensch im Weg, kann man versuchen zu diskutieren, “ich muss nur kurz…”. Mit einer Ampel ist das zwecklos. Die Menschenanzahl im Geschäft war in Ordnung. Wir stellten fest, dass die Kunden generell viel vorsichtiger unterwegs waren, es wurde in den schmalen Regalgängen nicht gedrängelt, sondern man ging zur Seite und ließ andere passieren oder wartete, bis jemand am Regal seine Entscheidung getroffen hatte. Es gab auch deutlich mehr Menschen, welche Gesichtsmasken trugen. Als Mittagessen gab es dann einen leckeren Fisch. Das hatte sich definitiv gelohnt. Für mich selbst habe ich festgestellt, dass es mir nichts ausmacht, wieder unter Menschen zu sein. Ich hatte während der Krise eigentlich nie Angst und so auch jetzt nicht. Ich werde zwar vorsichtig bleiben und andere auch ermahnen, wenn es sein muss. Aber ich halte mich auch gerne wieder unter Menschen auf.
Am Nachmittag telefonierte ich mit meiner Psychologin. Ich habe nicht mehr so viel Kontakt mit ihr. Aber wir wollen die Sache nicht einfach “auslaufen” lassen, nur weil wir uns jetzt nicht mehr sehen können. Also telefonieren wir einmal im Monat, bis wir uns noch mindestens einmal sehen können.
Danach stand Sport auf dem Programm. 20 Minuten Home Trainer und 30 Minuten Muskeltraining. Danach war ich fertig und konnte kaum noch Treppen steigen, aber gut hatte es getan. Und ich lerne langsam, dass mir Sport deutlich leichter fällt und ich viel leistungsfähiger bin, wenn es Nachmittag um ca. 16 Uhr ist und insbesondere, wenn ich an diesem Tag schon einmal das Haus verlassen hatte und damit der Kreislauf schon einmal etwas in Schwung kam, wenn auch nur minimal. Am Abend war wieder Salat angesagt. Meine Mutter und ich hatten uns die Routine eingerichtet, dass wir immer Dienstag und Donnerstag abends Salat essen. Dies kommt daher, weil üblicherweise am Dienstag meine Mutter zum Training ging und danach nur noch einen Salat isst. Und wenn mein Vater Donnerstag im Training ist, kann sie ebenfalls getrost einen Salat essen, da sie nicht für meinen Vater etwas vorbereiten muss, da er keinen Salat mag. Beim Rüsten erhält sie einen Anruf. Sie hatte vergessen, dass sie sich mit ihren Freundinnen zum Zoomen verabredet hatte. Dies ging irgendwie vergessen, da der Computer abgestürzt war. Während ich und mein Vater aßen, zoomte sie ganze drei Stunden lang. Sie fand im Anschluss aber auch, dies sei nun definitiv zu lange gewesen. Sie ist auch nicht der Typ, welcher stundenlang telefonieren mag, wie ich auch nicht.
Mittwoch, 6. Mai 2020
Der Morgen verlief sehr ruhig und ich arbeitete am Computer. Meine Mutter arbeitet bei den Tagesstrukturen der Primarschule im Dorf. Sie hatte heute Morgen die erste Sitzung seit Beginn der Krise. Seit der Schulschließung wurden die Eltern gebeten ihre Kinder selbst zu betreuen. Lediglich Eltern im Gesundheitswesen durften ihre Kinder weiterhin zur Betreuung bringen. Mit dem Schulstart nächste Woche mussten nun die Verhaltensregeln geklärt werden. Am wichtigsten sei der Schutz der Betreuerinnen untereinander, denn Erwachsene sind angeblich ansteckender als Kinder. Dazu sollen beispielsweise in der Küche Hygienemasken getragen werden. Die Leiterin findet, dass Masken im Umgang mit Kindern etwas ungünstig seien, da man keine Mimik erkennen kann, deshalb hat sie Visiere bestellt, wie man sie beispielsweise für Schweißerarbeiten verwendet. Nachmittags drehten wir eine große Runde ums Dorf. Meine Mutter und ihre Freundin fangen vorsichtig an zu überlegen, ob sie nächste Woche essen gehen sollen. Die Restaurants werden mit viel Abstand zwischen den Tischen wieder öffnen und insbesondere bei meiner Mutter ist das Bedürfnis groß, Betriebe zu unterstützen.
Eine Woche später wird eine aus dem Freundeskreis Geburtstag haben. Jemand hatte die Idee die Gruppe könnte sich mit Klappstühlen unter dem Balkon verteilen und jeder sollte seine eigenen Getränke mitbringen. Meine Mutter und ihre Freundin sind etwas skeptisch, denn es wären dann mehr als fünf Personen. Morgen wollen wir wieder einmal nach Basel fahren, um meinen Briefkasten zu leeren. Meine Mutter äußert die Idee, wir könnten mit dem Zug hinfahren. Jetzt da die Züge noch ziemlich leer sind. Ich willige sofort ein, denn ich vermisse das Zugfahren sehr.
Donnerstag, 7. Mai 2020
Nach dem Frühstück machen wir uns am späteren Vormittag auf den Weg nach Basel. Der Bus war ziemlich leer und deswegen auch überpünktlich, sodass wir unseren Anschluss gut erwischten, welcher sonst etwas knapp ist. Auch im Zug war Abstand halten kein Problem. In jedem Vierer-Abteil saß eine Person. Deshalb zogen wir uns unsere selbstgenähten Stoffmasken auch nicht an, obwohl die SBB empfiehlt mit Maske zu reisen. Man merkt an der Belegung gut, dass Schüler und Studenten noch fehlen. Auch die arbeitende Bevölkerung pendelt momentan nicht oder arbeitet im Zug auf dem Weg zu Sitzungen. Auch die Tagesausflügler und Senioren sind nicht unterwegs, denn die meisten Sehenswürdigkeiten oder Shoppinglocations sind ja noch geschlossen. Ticketkontrollen gibt es keine, die wurden bereits seit Beginn der Krise abgeschafft. Uns kam die Fahrt einfach unglaublich lange vor.
Wir sind das Zugreisen und so weit weg von Zuhause zu gehen wohl wirklich nicht mehr so gewohnt. Auch der Bahnhof in Basel ist viel leerer als sonst. Damit hatte ich gerechnet, aber doch sauge ich die andersartige Atmosphäre auf. Man hört andere Geräusche als sonst, weil die Menschenstimmen fehlen. Es herrscht keine Hektik, es wird nicht gerannt und es stehen keine Reisekoffer im Weg.
Da das Wetter so schön ist, gehen wir die 20 Minuten zu meiner Wohnung zu Fuß. Auch die Innenstadt ist ungewohnt leer. Keine Hektik auf dem Bahnhofsplatz und immer genügend Raum, um auszuweichen. Wenig ältere Menschen sind unterwegs und generell mehr Maskenträger. Einzig der Eingang meines Hauses ist etwas schwierig, wenn gerade noch eine zweite Person hinter uns das Haus betreten will, während ich denn Briefkasten leere. Der Eingangsbereich ist so eng, dass man kaum die Tür öffnen kann, wenn ein Postfach offen steht. Irgendwie wurschteln wir uns alle aneinander vorbei, aber den Mindestabstand kann man da natürlich nicht einhalten. In der Wohnung kurz lüften und die Wasserleitungen durchspülen. Ich sortiere kurz die Post. Es gibt tatsächlich noch Rechnungsteller, welche Papierpost senden. Die ist mittlerweile überfällig, aber so kleinlich wird momentan wohl niemand sein. Dann packe ich noch ein paar schönere Kleidungsstücke ein. Für den Fall, dass ich plötzlich von einem Tag auf den anderen mein Praktikum starten könnte und dann immer noch bei meinen Eltern wäre. Dort habe ich momentan eher gemütliche Kleidung für zu Hause. Dann gehen wir bereits wieder, denn wir würden gerne den Zug vor der Rush Hour erwischen. Für den Rückweg nehmen wir das Tram. Zwar muss man keine Knöpfe drücken, da der Fahrer die Türen selbst öffnet, aber angenehm finde ich das Tramfahren trotzdem nicht. Es ist eng in Trams, enger als in Zügen oder Bussen und die anderen müssen sich an den Sitzenden vorbei schieben. Beim Bahnhof gehen wir noch in den Supermarkt, um uns einen kalten Kaffee zu holen. Auch hier gibt es Desinfektionsmittel und ein Ampelsystem beim Einlass. Im Geschäft staune ich nicht schlecht. Ich habe diesen Laden noch nie so leer gesehen. Normalerweise ist dieser Supermarkt völlig überfüllt mit gestressten Pendlern, welche auf dem Nachhauseweg noch schnell das Abendessen einkaufen. Man wird zur Seite geschoben, angefaucht und von Rollkoffern überfahren. Das Geschäft ist riesig was die Produkte angeht, aber sehr klein in Bezug auf die Ladenfläche. Heute erscheint mir das Geschäft vier Mal so groß und es ist ruhig und angenehm kühl hier drin. Wäre dieses Geschäft immer so, würde ich regelmäßig hier einkaufen und würde nicht jeweils genervt hier herauskommen. Die Zugfahrt kam uns auf dem Rückweg nicht mehr so lange vor und die Belegung war wieder in Ordnung. In Luzern gingen wir noch einige Busstationen zu Fuß dem See entlang. Normalerweise ist dieser überfüllt von Touristen, überwiegend chinesischer Herkunft. Nun genießen viele Menschen in Luzern, dass wieder etwas Ruhe eingekehrt ist, zumindest vorübergehend. Der Bus nach Hause war dann richtig voll. Wir fanden gerade noch zwei Sitzplätze, aber auf diese kurze Distanz fremden Menschen gegenüber zu sitzen, fühlte sich schon etwas ungemütlich an. Insgeheim hofft man einfach, das Gegenüber müsse nicht plötzlich niesen oder husten. Dies brachte mich wieder ins Grübeln, ob ich mir wirklich vorstellen kann, schon bald mein Praktikum zu beginnen und mich regelmäßig zu Stoßzeiten in den ÖV zu setzen. Insbesondere weil der Bus jetzt schon so voll war, obwohl die meisten Menschen noch von zu Hause arbeiten und Geschäfte geschlossen sind. Abends hatte ich wieder Spanischunterricht. Ich war heute besser aufgelegt als auch schon und auch die Verbindung war heute wieder gut. Dafür war die Lehrerin etwas gestresst, weil sie immer wieder Sachen nicht auf Anhieb fand und sich dann selbst nervös machte.
Freitag, 8. Mai 2020
Der heutige Tag war sehr ruhig, aber auch etwas stressig für mich. Ich hatte sehr viel für die Uni zu tun.
Mein Bruder und seine Frau hatten heute erfahren, dass sie eine der Wohnungen voraussichtlich beziehen kann, welche meine Mutter und meine Schwägerin in den letzten Wochen besichtigt hatten. Da der Mietvertrag noch nicht vorhanden war, beschlossen sie jedoch, an diesem Tag noch eine weitere Wohnung zu besichtigen. Meine Mutter ist jedoch sehr froh, dass diese Besichtigungen wohl bald zu Ende sein werden. Gegen Abend hatte ich noch eine virtuelle Vorstandssitzung. Dabei musste ich mir teilweise in Erinnerung rufen, dass ich vor einer Kamera sitzen und meine Mimik daher etwas kontrollieren sollte. Die meisten Vorstandsmitglieder sind den Umgang mit virtuellen Konferenzen und den dazugehörigen Programmen nicht gewohnt. Deshalb gab es viele technische Probleme und vergebliche Versuche diese zu lösen. Dies ging so weit, dass Mitglieder der Konferenz mit einem Ohr beiwohnten und auf dem anderen Ohr jemanden am Telefon hatten, der es nicht schaffte sich einzuloggen. Eine Teilnehmerin mit unbrauchbar schlechter Verbindung meinte, die Wifi-Netzwerke der Privathaushalte seien gar nicht ausgelegt für solche Konferenzen. Diese Aussage nervte mich, denn mit der mäßig guten Verbindung meines Elternhauses hatte ich noch nie ernsthafte Probleme. Das Problem war die Verbindung dieser einen Person. Es klang für mich wie eine Ausrede, um möglichst schnell wieder von dieser Art Konferenzen wegzukommen. Gleich im Anschluss hatte ich noch eine virtuelle Konferenz mit der Jugendgruppe dieser Organisation. Das war der pure Kontrast. Keine technischen Schwierigkeiten, obwohl wir uns aufgrund der Zoom free Restriktionen mehrmals neu einloggen mussten. Danach musste ich noch einige Uniarbeiten fertigstellen.
Samstag, 9. Mai 2020
Heute schliefen wir alle etwas länger. Nach einem Brunch gingen ich, meine Mutter und ihre Freundin spazieren. Da es ein sehr warmer Tag war, hatten wir keine Lust den Hügel hochzugehen. Auch in den Wald hinunter wollten wir nicht, dann müssen wir jeweils wieder an der prallen Sonne durch das Dorf hoch gehen. Also setzten wir uns heute das erste Mal in unsere Autos und fuhren etwas weiter zum Spazieren. Unsere Runde liegt im selben Wald, einfach ein Dorf weiter. Wir genießen die etwas andere Waldflora und -fauna sehr. Es tut gut, auch bei den kleinen Spaziergängen ab und zu neue Eindrücke zu haben und nicht immer die gleichen Wege abzulaufen. Großes Gesprächsthema war die Wiedereröffnung der Filiale der Freundin. Diese hatte vom Hauptsitz Anweisungen und eine Umsetzung des Schutzkonzepts erhalten, welche äußerst fragwürdig sind. Pro 10 Quadratmeter darf sich laut Bund eine Person im Lokal aufhalten. Die Geschäftsleitung verwendete zur Berechnung die Bruttofläche des Geschäfts anstatt die Verkaufsfläche. Dies ergab eine viel zu hohe Personenzahl. Die Freundin entschloss sich, sich darüber hinwegzusetzen und nur so viele Personen, entsprechend der Nettofläche hineinzulassen, was ungefähr der Hälfte der vorgegebenen Anzahl entsprach. Eine andere Regel besagte, dass bei einer ausführlicheren Beratung das Personal Schutzmasken tragen solle, die Kundschaft jedoch nicht. Wir stimmten ihr jedoch zu, dass Masken eigentlich nur sinnvoll sind, wenn beide Parteien sie tragen. Auch Plexiglasscheiben für den Tresen musste sie sich selbst organisieren, weil die Geschäftsleitung diese für nutzlos hält. Die Freundin ist jedoch entspannter, denn wie sie selbst sagt, sie hat nun einen Plan im Kopf und weiß, wie sie diese nächste herausfordernde Woche angehen wird. Meine Mutter und sie sprachen auch wieder über die Idee, essen zu gehen. Und zwar ins selbe Restaurant wie kurz vor dem Lockdown. Sie waren damals an diesem Freitag im März essen, als die Schulschließung angeordnet wurde. Sie scherzten damals noch darüber, dies sei vielleicht das letzte Mal auswärts essen für längere Zeit. Am darauffolgenden Montag wurden dann alle Gaststätten und Geschäfte geschlossen. Nun wollen sie die “Saison” im selben Restaurant wieder starten. Die Freundin meinte, man müsse dann einfach abklären, ob sie diagonal an einem Vierertisch sitzen könnten, denn direkt gegenüber sei zu nah. Meine Mutter erwiderte, sie wolle so nicht essen gehen. Wenn sie diagonal sitzen müssten, sei das zu wenig gemeinsam. Dann könne man auch gleich allein essen gehen. Die Freundin meinte, für sie sei direkt gegenüber auch in Ordnung, wenn das für meine Mutter stimmen würde. Es ist so, dass sie oft sehr vorsichtig ist, um meine Familie zu schützen, weil ich und mein Vater zur Risikogruppe gehören. Ich meldete mich und erklärte ihr, sie brauche uns nicht zu schützen. Sie mache sich sehr viele Gedanken, um uns zu schützen, während ich und meine Mutter viel lockerer damit umgehen und diese Woche mit dem Zug gefahren sind. Dies führt zur paradoxen Situation, dass sie die Maßnahmen viel strikter befolgt, um Menschen zu schützen, welche die Maßnahmen selbst lockerer nehmen. Damit war klar, dass die beiden nicht diagonal sitzen werden und ich hoffe, dass die Freundin von nun an generell etwas entspannter mit der Ansteckungsgefahr umgehen kann. Wieder Zuhause zoomte ich mit meiner Freundin von der Uni. Da sie in einer Wohnung lebt, welche an ein Heim angegliedert ist, kennt sie die Situation der Freundin meiner Mutter etwas. Sie selbst gehört nicht zur Risikogruppe, nimmt die Maßnahmen aber sehr viel ernster als viele der Heimbewohnenden und des Personals. Sie hat nicht Angst davor, selbst zu erkranken, aber sie findet die Vorstellung schrecklich, wenn sie den Virus ins Heim einschleppen würde. Sie meint, es sei ein ständiges Abwägen. Einerseits wolle sie die Menschen dort schützen, so gut sie könne, andererseits ärgert es sie auch, wenn die Risikopatienten selbst den Maßnahmen mit Gleichgültigkeit oder Ablehnung begegnen. Warum solle sie sich an die Regeln halten, wenn es die stärker Betroffenen selbst nicht tun? Zum Thema Unternehmen und ihre Strategien ihre Angestellten zu schützen, oder auch nicht, hatte sie auch etwas zu erzählen. Ihr Freund arbeitet in einem Kino. Ab nächster Woche soll er wieder arbeiten gehen. Da er eine Sehbehinderung hat, ist er für den Arbeitsweg auf den ÖV angewiesen. Das Unternehmen will jedoch auf keinen Fall, dass die Angestellten den ÖV benutzen. Darum haben diese die Pendler nun so organisiert, dass ihr Freund von Mitarbeitern auf dem Arbeitsweg per Auto abgeholt wird. Wir telefonierten zwei Stunden lang und das obwohl wir immer wieder feststellten, dass es eigentlich nicht viel Neues zu erzählen gibt.
Wie während der letzten Abende, schauten wir die Nachrichten. Danach bleiben meine Mutter und ich meist noch vor dem TV sitzen mit unseren zweiten Endgeräten auf dem Schoß. Ich schreibe Tagebuch, spiele oder mache administrative Arbeiten. Corona spielt dabei nur noch eine sehr kleine Rolle. In den Nachrichten werden Reportagen gesendet, zu den Konsequenzen der Krise. Betroffene Betriebe, die Umsetzung der Maßnahmen zur Wiedereröffnung. Eigentlich gibt es aber nicht mehr viel Neues.
Sonntag, 10. Mai 2020
Heute ist Muttertag. Wirklich groß gefeiert wurde dieser noch nie. Dieses Jahr kommt hinzu, dass man nicht noch schnell Blumen oder sonst etwas besorgen konnte. Mein Vater erlaubt sich einen Spaß und stellt meiner Mutter eine Kartonschachtel hin, welche ein absolut stressfreies, ökologisches Geschenk enthält. Es sind einfach mehrere leere Schachteln ineinander. Ich schenke meiner Mutter eine Tafel Schokolode, die ich beim letzten Briefkastenleeren bei mir mitgenommen hatte, damit sie nicht alt wird. Danach fällt uns ein, dass wir für den Brunch noch ein Brot backen wollten. Somit wird der Brunch wieder auf den Mittag verschoben, wie bereits beim letzten Mal als wir ein Brot gebacken haben. Nachmittags spielen wir wieder eine Runde Pandemic Legacy. Wir verstehen das Spiel schon etwas besser, jedoch schaffen wir es auch diesmal nicht die Welt vor den Viren zu retten. Diesmal gibt es nicht zu viele Ausbrüche, aber wir sind zu langsam. Trotzdem macht dieses Spiel unglaublich Spaß und der Nachmittag vergeht wie im Flug. Danach helfe ich meiner Mutter beim Kochen, wie ich es immer mache am Muttertag. Ich sage ihr immer wieder, dass ich auch sonst gerne beim Kochen helfe, sie bräuchte mir nur zu sagen, wenn ich etwas helfen kann. Sie weiß zudem auch, dass ich sehr gerne koche und jetzt wo ich mich hier seit Monaten an einen gedeckten Tisch setze, gerne mithelfe. Allerdings ist unsere Küche sehr klein und meine Mutter hat auch Recht, wenn sie meint, zu zweit kochen sei schwierig in dieser Küche. Ich gehe also nicht davon aus, dass meine Mutter mich zukünftig öfter fragen wird, ob ich kochen helfen möchte. Darum werde ich weiterhin ein Mal pro Woche ein Essen bezahlen.
Montag, 11. Mai 2020
Heute war für mich ein gewöhnlicher Montag. Um 10 Uhr hatte ich mein Online-Seminar. Die Stunde war spannend und wie bereits vor einer Woche beschrieben, ein angenehmer Start in die Woche.
Der Nachmittag verlief ruhig. Ich hatte einiges zu tun am Computer und absolvierte zwischendurch noch ein 50 minütiges Fitness Workout von meinem Fitnesscenter. Ich hatte vor kurzem entdeckt, dass meine Fitnesscenter eine Plattform mit einer riesigen Auswahl an Trainingsvideos hat. Ein spezieller Tag ist es aber für viele andere. Heute öffneten die Regelschulen wieder. In den TV-Nachrichten werden Schüler und Lehrer interviewt wie denn der erste Schultag gewesen sei und wie es war mit den neuen Regeln umzugehen. Gewisse Kantone unterrichten in Halbklassen andere unterrichten wieder im normalen Klassenverband. Die meisten Schulen haben jedoch verschiedene Ein- und Ausgänge eingerichtet. Die unterschiedlichen Systeme mit, welche die Kantone den Unterricht wieder durchführen, führen auch zu einigen Diskussionen, weil es immer Eltern und Lehrpersonen gibt, welche das jeweils andere System besser fänden. Nach Ansicht der Lehrer funktionierte der erste Tag jedoch einigermaßen gut. Die Schüler hätten die neuen Regeln gut angenommen. Sie würden diese zwar manchmal noch vergessen, aber wenn man sie ermahnt, dann würden sie sich daran halten. Einige Lehrpersonen meinten, sie hätten sich vor einigen Monaten nicht träumen können, dass die Schüler plötzlich alle so gerne zur Schule kommen würden. Nebst den Schulen sind heute auch die Geschäfte wieder geöffnet. So zum Beispiel auch das Geschäft in welchem die Freundin meiner Mutter Filialleiterin ist. Der Tag verlief anscheinend ganz in Ordnung und die meisten Kunden würden sich an die neuen Abstandsregeln und die neue Organisation des Ladenlokals halten. Auch die Restaurants sind nun wieder geöffnet, sie dürfen jedoch nur Vierertische mit genügend Abstand dazwischen anbieten.
Dienstag, 12. Mai 2020
Der Vormittag heute war sehr ruhig, nachmittags gingen ich und meine Mutter in die Stadt, weil wir einiges zu besorgen hatten. Erst gingen wir in einen Drogeriegeschäft. Am Eingang erhielten alle Besucher ein kleines Nummernschildchen. Nach unserem Einkauf mussten wir dieses an der Kasse beim Bezahlen wieder abgeben. Mir viel auf, dass in diesem Geschäft keine Scheibe die Verkäuferin von den Kunden trennte. Danach betraten wir einen kleines Stoffgeschäft, da meine Mutter passende Stoffe für neue Masken kaufen wollte. Eine Verkäuferin wies uns darauf hin, dass beim Eingang Tickets liegen würden und jede von uns eines nehmen musste, damit nur sechs Personen im Geschäft sind. Meine Mutter suchte für sich lustige Stoffe, da sie Ende der Woche wieder in den Tagesstrukturen mit Kindern arbeiten wird. Ich suchte mir für meine Masken einen hübschen grün gemusterten Stoff aus, den ich auch für mein Praktikum tragen konnte. Zudem noch einen schwarzen mit Totenkopf und roter Rose im Gothicstyle. Daraus wird es eine Maske für den Ausgang geben. Ich hoffe, ich werde es dieses Jahr noch zu Rock- und Metalkonzerten schaffen und finde die Idee jetzt schon ziemlich lustig, dort mit dieser Maske aufzutauchen. Während wir im Geschäft waren betraten immer wieder Kundinnen das Geschäft, ohne ein Ticket zu nehmen. Die Tickets waren auf der Fensterbank platziert und wirklich nicht sehr auffällig. Die Verkäuferinnen müssen also immer sehr wachsam sein und die Tür immer im Blick haben. Als ich meine Stoffe ausgesucht hatte und meine Mutter noch nicht fertig war, verließ ich bereits den Laden. Ich wollte nicht ein Ticket blockieren für jemanden der vielleicht etwas kaufen wollte und wartete stattdessen draußen. Danach gingen wir in einen Supermarkt, weil ich noch einige Artikel für ein Geschenk kaufen wollte. Meine Freundin hat nächste Woche Geburtstag und da ich ihr nichts Kleines vorbeibringen kann, werde ich ihr einen “Notvorrat” schicken. Ein Paket mit Lebensmitteln drin. Zum Beispiel Pasta in Tintenfisch, Muschel und Seepferdform, damit sie den Strandspaß Zuhause genießen kann. Auf dem Rückweg zum Parkhaus merke ich, wie bei meiner Mutter die Anspannung steigt. Sie scheint sich immer mehr über andere Passanten zu nerven, welche uns zu nahe kommen. Die Situation spitzt sich zu als meine Mutter das Parkticket bezahlt und eine andere Frau den Automaten daneben benutzt. An den Automaten hängt ein Schild, man solle zwei Meter Abstand halten. Die Automaten stehen jedoch keinen halben Meter auseinander und sind beide in Betrieb. Meine Mutter sagt in gereizten Ton zu der Frau, das seien keine zwei Meter. Die Frau reagiert erst auf wiederholtes Ansprechen und ist ziemlich entrüstet und fühlt sich angegriffen. Meine Mutter läuft weg und wir gehen zum Aufzug. Sie äußert ihren Unmut über diese Person, die den Abstand nicht einhält. Ich jedoch finde, dass meine Mutter überreagiert hat und sage ihr das auch. Ja, es waren keine zwei Meter, aber ich fand die Situation mit den Automaten die näher standen auch etwas widersprüchlich. Zudem war mir der Ton meiner Mutter ehrlich gesagt peinlich. Ich finde, man kann andere beim ersten Mal freundlich auf etwas hinweisen. Bei meiner Mutter hatte sich wohl der Ärger schon so angestaut, dass das nicht mehr möglich war. Beim Auto angekommen, stellte sie dann fest, dass sie ihr Ticket nicht mehr hatte. Wahrscheinlich hatte sie es bei der Aufregung im Automaten stecken lassen. Es folgt eine längere Odyssee, in welcher meiner Mutter das Ticket sucht und versucht eine Lösung zu finden, bei welcher sie nicht die 50 Franken Strafgebühr bezahlen muss, um das Parkhaus ohne Ticket verlassen zu können. Da jedoch niemand überprüfen kann, dass sie die Parkgebühr bezahlt hat, weil die Kreditkarte erst am nächsten Tag verbucht wird, kommt sie nicht darum herum. Sehr genervt fährt sie nach Hause und beschließt gleich einen Apéro mit meinem Vater zu genießen, um sich zu entspannen.
Abends nehme ich noch an einem Webinar teil. Da ich nun eine Jugendgruppe und damit quasi eine Selbsthilfegruppe leite, hat mir der Fachstellenleiter unserer Organisation diesen Workshop empfohlen. Es geht darum, wie man in Corona-Zeiten eine Selbsthilfegruppe leitet und wie man diese online moderiert. Ich profitiere jedoch nicht sehr viel und unterstütze sogar eher die Moderatorin, da ich schon diverse Programme für Videokonferenzen kenne. Es geht fast die ganze Stunde um technische Fragen rund um die Programme, welche Vorteile und Nachteile sie haben und wie sie anzuwenden sind. Wir verabreden uns jedoch für ein weiteres Treffen, bei welchem es dann um eher didaktische Themen gehen soll.
Mittwoch, 13. Mai 2020
Heute war ich sehr mit einem Projekt für die Uni beschäftigt. Als Leistungsnachweis sollten wir ein wissenschaftliches Poster zu einer eigenen kleinen Forschung erstellen. Ursprünglich war geplant, diese Poster aufzuhängen. Nun werden wir sie uns einfach gegenseitig via Zoom präsentieren. Auch die Forschung hat sich dadurch verändert, da wir nirgends vor Ort sein konnten, um direkt zu beobachten. Ich entschied mich deshalb, Websites von bestimmten Unternehmen zu analysieren. Morgen will die für mich zuständige Dozentin von ihren Betreuten ein Posterentwurf sehen, da wir diese zwischen Freitag und Sonntag einreichen sollen. Mich stellt das vor eine große Herausforderung, da Layouten aufgrund meiner Sehbehinderung sehr schwierig ist für mich. Ich verbrachte heute also zahlreiche ziemlich frustrierende Stunden vor dem PC.
Mittags gingen ich und meine Eltern in die Pizzeria im Dorf. Diese hat nun, mit umgesetzten Vorsichtsmaßnahmen, wieder geöffnet. Am Eingang werden die Hände desinfiziert, drinnen wird gewartet, bis man zu einem Tisch begleitet wird. Wir sitzen an einem langen Tisch und die Bedienung stellt Teller und Gläser immer etwas weiter weg von uns auf den Tisch. Wir genießen es sehr, endlich wieder einmal essen zu gehen und dabei auch noch unser Dorfcafé/Pizzeria zu unterstützen. Auch die Angestellten scheinen froh zu sein, endlich wieder arbeiten zu können. Jedenfalls sind sie alle gut gelaunt und zu Späßen aufgelegt. Das Restaurant ist gut gefüllt, jedenfalls an den Tischen, die noch drinnen stehen bleiben durften.
Nachmittags war ich wieder mit meinem Poster beschäftigt und geriet langsam ziemlich in Stress. Abends hatte ich noch ein Zoom-Meeting mit meiner Jugendgruppe. Heute waren es zehn Teilnehmende, noch einmal deutlich mehr als beim ersten Mal. Wieder lief das Gespräch sehr flüssig und ich brauchte nicht viel zu moderieren. Statt der geplanten Stunde, sprachen wir über zwei Stunden, bis die meisten langsam zu Bett gehen mussten. Ich bin überwältigt von dem großen Gesprächsbedarf, der hier vorhanden zu sein scheint. Für mich geht es danach nochmals weiter mit Arbeiten für mein Poster, bis ich völlig fertig ins Bett falle.
Donnerstag, 13. Mai 2020
Heute Morgen gingen ich, meine Mutter und ihre Freundin eine Runde durchs Dorf drehen, da die Freundin morgens frei hat. Das Geschäft, in dem sie arbeitet, hat zurzeit nur nachmittags geöffnet, da Erfahrungen der Branche gezeigt haben, dass es sich momentan noch nicht lohnt, ganztags zu öffnen.
Zum ersten Mal seit langem können wir nach unserem Spaziergang wieder im Dorfcafé einen Cappuccino trinken gehen. Darauf haben wir uns alle sehr gefreut und genießen es sehr. Nach einer gemütlichen Auszeit müssen wir aufbrechen. Die Freundin muss zur Arbeit und ich habe meinen Call mit meiner Dozentin und den anderen zwei Studenten, welche von ihr betreut werden. Das Gespräch ist etwas anstrengend, denn die Dozentin hat noch einiges an all unseren Entwürfen zu verbessern.
Nachmittags geht der Poster-Stress also weiter für mich. Zwischendurch bin ich noch mit den Computerproblemen der Hilfsorganisation, für die ich mich engagiere, beschäftigt. Abends steht wieder Spanischunterricht auf dem Programm. Heute haben die ersten Teilnehmenden ihre Semesterendpräsentationen. Diese haben sie alle im Voraus aufzeichnen können, um eine störungsfreiere Übertragung zu ermöglichen. Die Bedingung war einfach, dass nicht abgelesen werden darf.
Freitag, 15. Mai 2020
Heute war ich wieder den Grossteil des Tages mit meinem Posterprojekt beschäftigt. Meine Mutter ist heute das erste Mal wieder zur Arbeit gefahren. Da die Schule wieder geöffnet ist, müssen auch die Kinder mittags wieder betreut werden. Meine Mutter hat weniger mit den Kindern zu tun als ihre Chefin. Sie konzentriert sich lieber auf die Küche. Zuhause übernehme ich inzwischen die Küche. Obwohl ich gerne koche, komme ich hier selten dazu, denn meine Mutter kocht auch gerne und für zwei ist die Küche zu klein. Mein Vater hat sich von mir mein Risotto gewünscht. Ich genoss es, endlich wieder einmal am Herd zu stehen.
Als meine Mutter nachmittags nach Hause kommt, erzählt sie, der erste Tag sei gut gelaufen. Sie hatte zuvor noch je zwei Masken für sich und ihre Chefin genäht. Diese sind aus zwei lustig bunten Stoffen mit Bildchen darauf gemacht. Die Kinder hätten die Masken erst etwas merkwürdig, aber lustig gefunden. Sie hätten sich aber rasch daran gewöhnt. Später arbeitete meine Mutter dann auch noch mit Visier statt Maske und meinte, das Visier sei schon einiges angenehmer als die Maske, weil man frei atmen kann. In der Küche über den Lebensmitteln ist aber ganz klar Maskenpflicht. Die Kinder sitzen zum Essen neu in Kleingruppen und es herrscht eine strenge Händewasch-Kontrolle. Beim Spielen seien die Kinder aber nicht voneinander zu trennen, besonders diejenigen der unteren Primarstufen.
Nachmittags betreiben ich und meine Mutter noch gemeinsam Sport. Ihre Gruppentrainerin sendet ihrer Gruppe jede Woche ein neues 40 minütiges Training. Ich finde, diese gemeinsamen Trainings viel unterhaltsamer als allein vor dem Bildschirm zu zappeln.
Abends backe ich eine Apfelwähe zum Abendessen für mich und meinen Vater. Meine Mutter geht das erste Mal wieder in Luzern auswärts essen mit ihrer besten Freundin. Sie gehen dafür in genau dasselbe Restaurant, in welches sie an jenem Abend gingen, als verkündet wurde, dass die Schulen geschlossen werden. Sie begannen die Restaurant-Saison also da, wo sie aufgehört hatte und beide freuten sich riesig auf diesen Abend. Meine Mutter erzählte später, es sei nicht nur lecker gewesen, sondern es hätte auch alles gut funktioniert mit den Vorsichtsmaßnahmen. Auch der Bus sei nicht zu voll gewesen, vor allem da die beiden entgegen der Pendlerströme gefahren sind.
Eigentlich hatte ich vor heute mein Poster noch einzureichen, aber abends spät tüftelten ich und meine Mutter noch daran herum, da sie mir mit dem Layout hilft. Dann realisiere ich, dass nur wenige der anderen Studierenden ihre Poster bereits eingereicht hatten. Da wir zu müde waren, verschoben wir die Fertigstellung auf morgen.
Samstag, 16. Mai 2020
Den Vormittag verbrachten wir wieder mit dem Layout meines Posters. Nachmittags kommen mein Bruder und seine Frau zu Besuch. Wir haben uns gefühlt seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Als die beiden ankommen, steuert meine Schwägerin gleich den Garten an. Die beiden leben in einer kleinen Wohnung mitten in Zürich und würden so gerne einen Garten haben. Die nächsten Stunden verbringt sie mit Jäten, hilft meiner Mutter einige Gemüse anzusäen und lernt von meinem Vater gleich noch, wie man mit der Sense mäht. Währenddessen spiele ich mit meinem Bruder eine Runde Pandemic Legacy. Er war es, der mir das Brettspiel zum Geburtstag geschenkt hatte und wollte es unbedingt selbst ausprobieren. Natürlich verlieren wir und schaffen es wieder nicht die Welt vor den vier Viren zu retten. Danach bereiten wir gemeinsam das Abendessen zu. Mein Bruder hat sich das Thaicurry meiner Mutter gewünscht. Wir sitzen noch lange beisammen und reden. Dann müssen die beiden wieder auf den Bus. Sonst hatten sie oft auch bei meinen Eltern übernachtet, doch wir fanden alle, dass das nun doch noch etwas zu viel Nähe sei. Beim Abschied konnten wir uns allerdings nicht mehr zurückhalten und mussten uns alle einmal umarmen.
Sonntag, 17. Mai 2020
Heute wollte ich mich von dem ganzen Posterstress der letzten Tage erholen. Ich merkte richtig, wie ich wieder einmal an meine Grenzen kam. Den Stress eines Abgabetermins bin ich grundsätzlich gewohnt, aber was nun etwas anders als sonst ist, dass alle die anderen Tätigkeiten auch schnell erledigt sein wollen, weil man ja jetzt so viel Zuhause ist. Beispielsweise, dass Menschen davon ausgehen, da man Zuhause sitze, hätte man Zeit wegen jedem kleinen Problemchen zu telefonieren oder Computerprobleme zu lösen. Zuhause = verfügbar.
Darum startete ich erst einmal mit Computerspielen in den Tag. Nach dem Brunch dümpelte ich weiter in den Tag hinein. Sport stand dann doch noch auf dem Programm. Seit längerem gehe ich wieder einmal 20 Minuten auf den Home Trainer und absolviere ein 20 minütiges Trainingsvideo. Danach setzte ich mich mit einem Eis gemeinsam mit meiner Mutter in den Garten an die Sonne. An schönen Tagen ist dies quasi mein Belohnungsritual nach dem Indoor-Sportprogramm. Ungefähr eine halbe Stunde an der Sonne die Beine hochlegen mit einem Eis oder einem kalten Kaffee. Manchmal einfach so, manchmal mit einem Hörbuch dazu. Danach investiere ich doch noch wenige Minuten in mein Studium. Morgen muss ich mein Poster präsentieren und dafür noch kurz ein paar Notizen machen, was ich in der stark begrenzten Zeit sagen will.
Montag, 18. Mai 2020
Heute hatte ich meine Posterpräsentation im Online-Seminar. Das Ganze lief gut und die Stunde verflog deshalb auch sehr schnell. Ich war unglaublich erleichtert, diese Sache nun abgeschlossen zu haben. Nachmittags war ich sehr produktiv. Ich erledigte einiges an Büroarbeit, machte die Wäsche und absolvierte ein sehr intensives Intervalltraining. Danach zog es mich wieder mit einem Kaffee nach draußen. Abends gab es erschreckende Bilder aus Basel zu sehen. In vielen Städten hatte die Regierung bewilligt, dass Gastrobetriebe etwas mehr Platz für die Außenbestuhlung benutzen dürfen, ohne komplizierte Anträge stellen zu müssen. Somit konnten die Betriebe einige Tisch mehr aufstellen, trotz der Abstandsregelungen von zwei Metern zwischen den Vierertischen. An diesem schönen warmen Wochenende füllte sich die Steinenvorstadt in Basel jedoch extrem. Aufnahmen von oben zeigten, dass es fast kein Durchkommen in der beliebten Fussgängerzone mehr gab und Betriebe bedienten auch stehende Kunden, was verboten war. Mich erschreckten diese Bilder sehr. Es war das erste Wochenende an welchem Ausgang wieder möglich war bis Mitternacht. Erstaunlich fand ich nicht nur, dass es gleich so viele Menschen waren, sondern auch dass es so viele Menschen überhaupt nicht zu stören schien, dass sie so dicht gedrängt waren. Ansonsten wären einige bestimmt gegangen. Persönlich hatte ich eigentlich gehofft, bald wieder nach Basel in meine eigenen vier Wände zu können, spätestens Anfangs Juni, wenn ich gerne mit meinem Praktikum anfangen würde. Diese Bilder lassen mich nun aber wieder ein bisschen zweifeln. Basel hat sonst schon eine verhältnismässig hohe Infiziertenzahl pro Kopf. Wenn von nun an das Ausgehverhalten in Basel so aussieht, wie sicher ist es denn für mich, mich frei in dieser Stadt zu bewegen?
Dienstag, 19. Mai 2020
Heute Vormittag erreichte ich meinen zukünftigen Chef meines Praktikums. Wir waren so verblieben, dass ich mich melde, sobald ich mich wieder sicher genug fühlen würde, die Stelle anzutreten. Ich teilte ihm mit, dass ich mir vorstellen könnte, im Juni anzufangen. Natürlich kann niemand definitiv sagen, wie sich die Lage bis dahin noch entwickeln wird. Er erzählt mir, dass seine Abteilung bis Ende Juni komplett im Home Office sein wird. Ich kann nicht anfangen mit meinem Praktikum, solange alle im Home Office sind, weshalb sich mein Praktikum weiter verzögern wird. Wir verbleiben so, dass wir im Juni die Lage wieder besprechen werden. Für mich war das nicht sehr überraschend. Mir war klar, dass die erste Voraussetzung ist, dass Home Office zumindest teilweise wieder aufgehoben sein muss. Zudem hatte ich den Chef als bedachten und auch humanen Menschen kennengelernt. Es scheint ihm wichtig zu sein, dass keine Gefahr besteht und da er selbst zurzeit nicht mit dem ÖV zur wöchentlichen Sitzung geht, ist es klar, dass es somit für mich als Risikopatientin erst recht zu früh wäre. Wir sprachen auch noch über die Partybilder aus Basel. Diese haben uns beide wieder etwas nachdenklich gestimmt. Nach einem ersten Optimismus, folgt somit bereits die Ernüchterung, es könnte doch noch zu früh sein und man warte besser noch etwas ab, wie sich die Lage entwickelt.
Danach machten ich, meine Mutter und ihre Freundin uns auf einen etwas längeren Spaziergang. Wir gingen den Hügel hoch und dann weiter bis zu einem Landgasthof. Als Kind waren wir oft hier, weil die damalige Pächterin einen Sohn in meinem Alter hatte und es einen großen Spielplatz gibt. Seit Kindertagen bin ich diesen Weg aber nicht mehr gegangen und habe mich deshalb gefreut. Als wir beim Gasthof ankamen, kassierten wir erst einmal einen Rüffel, der sich gewaschen hatte, weil wir nicht reserviert hatten. Der Wirt meinte, er hätte nur eine begrenzte Anzahl Tische und auch weniger Personal als üblich, deshalb müsse man momentan immer und überall im Vorhinein reservieren. Wir befürchteten insgeheim schon, mit leerem Bauch wieder umkehren zu müssen, erhielten dann aber doch noch einen Tisch. Das Restaurant war um halb zwölf noch so gut wie leer. Der Rüffel kam bei uns sehr schlecht an, da der Wirt dann aber sehr aufmerksam war, was meine Sehbehinderung anging und auch sonst sehr humorvoll war, machte er dies bei mir fast komplett wieder wett. Wir genossen ein gemütliches Mittagessen und machten uns danach auf einer etwas anderen Route wieder auf den Nachhauseweg.
Als wir wieder Zuhause waren, hüpfte ich kurz unter die Dusche. Danach ging ich mit meiner Mutter einkaufen. Ich musste zur Apotheke Medikamente holen gehen. Ich war das erste Mal wieder dort nach dem Lockdown. Beim Betreten merkte man sofort, dass es sich um ein Geschäft handelt, in welchem sich die Angestellten mit dem Gesundheitswesen auskennen. Das kleine Geschäft war perfekt organisiert was die Gesundheitsmaßnahmen betraf. Es gab eine klar verständliche Kundenführung, so dass alle in derselben Richtung gehen mussten und im Bereich der Kasse war klar signalisiert mit Klebband, Absperrband, Scheiben und Schildern wer wo zu stehen und was anzufassen hatte. Danach gingen wir in den Supermarkt daneben. Wir sind selten hier, waren aber überrascht, dass er größer war als wir ihn in Erinnerung hatten. Auch hier stellten wir fest, dass das Einkaufen gut funktionierte. Die allermeisten Menschen verhalten sich vorsichtig, ruhig und rücksichtsvoll. Bei Engpässen wird geduldig gewartet, bis der Weg frei wird; beim Anstehen wird Abstand gehalten und man versucht, sich selbst aus dem Weg anderer zu navigieren.
Wieder Zuhause mache ich es mir am PC gemütlich. Meine Mutter hat noch eine Verabredung. Eine Bekannte hat Geburtstag. Eine Gruppe von Frauen trifft sich bei ihr auf der Terrasse, welche glücklicherweise von außen zugänglich ist, denn durch eine fremde Wohnung gehen, wäre immer noch nicht in Ordnung, wie die meisten finden. Da sie mehr als fünf Personen sind, haben sie sich darauf geeinigt, dass zwei nach einer Stunde gehen werden, damit die zwei verbleibenden Personen kommen können. Eine der zweiten Schicht hatte die E-Mail falsch gelesen und stand dann doch schon zu Beginn da. Sie wurde aber konsequent wieder nach Hause geschickt und musste wie abgemacht in einer Stunde wieder kommen.
Das Thema in den Nachrichten waren heute die Hygienemasken. Seit letzter Woche schon empfehlen die Verkehrsbetriebe im ÖV Masken zu tragen. Die Zürcher Verkehrsbetriebe haben dazu sogar einem Tram eine Maske angezogen (umlackiert), um mit gutem Vorbild voran zu gehen. Die ganzen Empfehlungen nützen jedoch herzlich wenig. Fast niemand trägt Masken im öffentlichen Raum generell. Die Hemmung scheint sehr groß zu sein. Viele sagen ganz offen vor der Kamera, sie würden keine tragen, solange es nicht obligatorisch sei. Ich denke, der Bund hat sich mit seiner Kommunikation zu den Masken damals ein Eigentor geschossen, als die Masken noch Mangelware waren. Damals wurde kommuniziert, die Masken würden kaum bis gar nichts nützen. Ja, es gibt keine Evidenz für einen Schutz und diverse Gesundheitsexperten haben noch unterschiedlichere Meinungen. Man wird aber den Eindruck nicht los, dass der geringe Nutzen so betont wurde, um keinen Run auf die Mangelware auszulösen. Der Bund hatte es versäumt den existierenden Pandemieplan umzusetzen und einen Notvorrat an Masken und anderen Materialien anzulegen. Nun sind viele davon überzeugt, die Masken würden definitiv überhaupt nichts nützen und zudem ist es ein sehr gutes Argument, für jene die sowieso lieber keine tragen möchten. Da nun im ÖV wieder Ticketkontrollen durchgeführt werden, tragen die Kontrolleure alle Masken. Diese haben sich nun beschwert, dass die Passagiere ihrerseits jedoch fast nie welche tragen würden. Die Zürcher Verkehrsbetriebe haben deshalb angefangen, Masken zu verteilen und hoffen, so die Fahrgäste auch zum Ausprobieren animieren zu können. Man folgt der Tatsache, dass Menschen oft einfach das tun, was andere auch tun und somit als normal angesehen wird.
Mittwoch, 20. Mai 2020
Heute machten meine Eltern und ich einen Ausflug. Gerade auch weil das Maskentragen momentan eine große Diskussion ist, beschließen wir drei, konsequent Masken zu tragen im ÖV. Ich freue mich sogar etwas darauf. Ich mag die selbstgenähte Maske von meiner Mutter und ich finde sie zudem sehr angenehm zu tragen. Dies bestätigte sich auch heute. Obwohl die Temperaturen warm waren, schwitze ich darunter kaum, sie saß locker genug, um nicht zu stören und doch hatte sie eine gute Passform. Zudem beschlug die Brille nicht. Der Bus war schon gut gefüllt und wir setzten uns ganz hinten hin. Wir waren die einzigen mit Masken und sahen auch viele Senioren und Seniorinnen ohne Masken. Erst in Nähe der Stadt stiegen etwas mehr Menschen mit Masken zu. Die Rückbank hatten wir jedoch für uns. Niemand machte Anstalten nach hinten zu kommen. Wir waren alle der Meinung die Masken könnten dazu beigetragen haben. Erstens weicht man vielleicht Maskierten immer noch eher aus, weil viele intuitiv das Gefühl haben, Maskierte könnten ansteckend sein. Zudem werden Passagiere ohne Masken in unserer Gegenwart automatisch mit der Maske konfrontiert. Es könnte also sein, dass man uns auch etwas mied, um dem stillen Vorwurf zu entgehen. Im Zug waren wir dann ziemlich allein. Da wir zudem Kaffee und Sandwiches dabei hatten, beschlossen wir, dass wir die Masken nun ausziehen können. Auch am Zielbahnhof benötigten wir die Masken nicht, da es dort kaum Menschen gab. Wir machten uns auf den Weg und wanderten rund zwei Stunden einem kleinen Fluss entlang. Wir trafen nur wenige Menschen und das war gut so. Deshalb hatten wir den heutigen Tag ausgewählt, denn Morgen ist ein Feiertag und dann werden hier bestimmt mehr Menschen unterwegs sein. Diejenigen die wir trafen, waren alle sehr vorsichtig und der Abstand wurde gut eingehalten. Unterwegs fanden wir eine lustige Bank. Ein halbierter Baumstamm wurde als Sitzfläche benutzt. Gebaut wurde diese Bank wohl erst vor kurzem. Speziell war, dass der Baumstamm etwa zehn Meter lang war. Also setzten ich und mein Vater uns an den beiden Enden hin und scherzten, so sähe der Mindestabstand nach der zweiten Welle aus. Meine Mutter fotografierte uns von hinten. Daraus entstand ein Facebook-Post mit der Bildüberschrift “Sitzbank nach der 2. Welle”.
Als wir am Zielort ankamen, besuchten wir ein Restaurant. Meine Mutter hatte diesmal reserviert, um einen Rüffel wie gestern zu vermeiden. Hier wäre es aber nicht nötig gewesen, obwohl es bereits ein Uhr war, gab es nicht viele andere Gäste, aber so wusste die Küche wenigstens, dass noch Kundschaft kommt. Wir genossen das leckere Essen sehr. Man merkte aber, dass hier im tiefen Hinterland von Luzern Corona bereits etwas weiter weg war. Die Vorschriften wurden eingehalten, man spürte aber, dass die Angestellten weniger Berührungsängste mit den Gästen hatten. Sie traten an den Tisch heran und scheuten auch nicht den engen Kontakt, wenn sie die Teller direkt vor den Gast stellten. Mir ist dies zwar aufgefallen und es fühlte sich schon ungewohnt an, aber Angst machte mir dies nicht. Es ging eher unter “Dinge, an die man sich wieder gewöhnen muss”. Die Interaktionen war schließlich auch nur kurz. Ich beschloss die Bezahlung zu übernehmen, da ich einmal pro Woche meinen Eltern ein Essen zahle, während ich bei ihnen wohne. Ich wollte mit Karte bezahlen und war etwas überrascht, als ich merkte, dass dies nicht selbstverständlich war für die Bedienung. Gerade jetzt wird sonst überall von der Barzahlung abgeraten und um kontaktlose Kartenzahlung gebeten. Hier war wohl das Bargeld noch etwas üblicher als die Karte. Danach fuhren wir wieder mit dem Zug nach Luzern zurück. Die Masken trugen wir im Zug nicht, da wir den Wagen anfangs für uns hatten. Es stiegen war Menschen zu, aber in unserem Abteil saßen nur wir drei. Kurz vor dem Aussteigen setzten ich und meine Mutter uns wieder die Masken auf. Mein Vater nicht, als meine Mutter ihn am Bahnsteig darauf ansprach, fragte er, ob er sie denn hier tragen müsse, man könne den Abstand doch gut einhalten. Grundsätzlich hatte er Recht. Wir Frauen trugen unsere aber auch, weil wir mit gutem Beispiel vorangehen wollten. Ich persönlich bin der Meinung, mein Vater drückte sich bereits etwas vor der Maske, wahrscheinlich weil sie ungewohnt ist, weil es nicht ganz so komfortabel ist wie ohne und weil man damit auffällt. Mich persönlich nervt es ein bisschen, dass mein Vater nicht zu bemerken scheint, dass er damit genau zu der Gruppe Senioren gehört, über die wir uns schon gemeinsam geärgert haben. Viele Menschen drücken sich davor, Masken zu tragen, aber das Unverständnis ist größer, wenn es Menschen tun, die einem höheren Risiko ausgesetzt sind und dann selbst diese einfache Maßnahme verweigern, die vielleicht nicht sehr stark schützt, aber auch nicht schadet. Besonders nervt es mich als junge Person, denn oft sind es die älteren Menschen, die den jüngeren vorwerfen, sie seien heute viel egoistischer und unsolidarischer.
Wir gingen zum Bus. Hier zog nun auch mein Vater seine Maske auf. die Platzverhältnisse waren jedoch völlig in Ordnung. Kurz vor unserer Haltestelle zog sie mein Vater wieder aus. Zu früh! Auf der Hinfahrt hatten wir noch die Köpfe geschüttelt über eine Frau, welche die Maske auszog als sie sich vom Sitz erhob und dann ohne Maske dicht gedrängt an der Bustür stand, dann noch hustete und sich dann mit anderen Passagieren herausdrängte. Und nun tut mein Vater wieder genau dasselbe. Die größte Chance für ein Gedränge besteht doch klar beim Ein- und Aussteigen, aber mein Vater scheint es kaum erwarten zu können, die Maske vom Gesicht zu haben. Ich und meine Mutter ziehen unsere erst draußen ab und stellen fest, Maske tragen ist weniger unbequem als gedacht, aber auch hier muss man wieder aushandeln, wann und wo es sinnvoll ist, sie an- und auszuziehen. Den Rest des Tages ließen wir Zuhause gemütlich ausklingen. Meine Mutter und ich haben schon seit längerem vor, diesen Sommer zwei Tage wandern zu gehen in Graubünden. Es sollte eine Tour werden, bei welcher wir einen Tag anreisen, dann eine zweitägige Route gingen und dann einen Tag wieder nach Hause reisen. Da mein Praktikum nun bis Juli aufgeschoben ist, planen wir diese Tour bereits im Juni zu machen. Der einzige Knackpunkt ist, dass im Juni viele Hotels noch geschlossen haben, da es in der Zwischensaison nur wenig Gäste im Bündnerland gibt. Wir hoffen trotzdem ein Hotel buchen zu können und dass vielleicht einige mehr oder weniger spontan öffnen werden, je nachdem welche neuen Regelungen bis Juni verkündet werden. Jedenfalls möchten wir nun jede Woche für mehrere Stunden wandern gehen, um unsere Füße und Knie etwas vorzubereiten.
Donnerstag, 21. Mai 2020
Heute gab es Brunch, da es ein Feiertag ist. Nicht, dass der Feiertag sonst irgendetwas an unserem Tag ändern würde, aber meine Eltern behandeln ihn wie einen freien Tag. Auch ich nehme mir diesen Tag frei und verbringe viel Zeit mit Computerspielen. Am Nachmittag nehme ich mir wieder ein Fitnessvideo der Trainerin meiner Mutter. Heute war ein Hanteltraining angesagt, mit den allseits beliebten Corona-Ersatzhandeln alias gefüllte PET-Flaschen. Danach setze ich mich mit einem kleinen Snack und kaltem Kaffee für eine Stunde in den Garten und höre ein Hörbuch. Auch der Rest des Tages verlief sehr ruhig und wir anden es alle schön, dass dies einer der Tage war, an welchem man nicht von einer Aufgabe zur nächsten rennen muss.
Freitag, 22. Mai 2020
Heute Morgen gingen ich, meine Mutter und ihre Freundin in den Wald spazieren. Es sollte ein heißer Tag werden und im Wald war es angenehm kühl. Danach setzten wir uns noch kurz auf die Terrasse des Dorfcafés und tranken etwas. Die Terrasse ist wunderbar. Das haben wir während dem Lockdown sehr vermisst und wir fühlen uns hier auch sehr sicher, weil die Angestellten sehr auf die Umsetzung der Hygienemaßnahmen achten und gut gelaunt sind. Nachmittags beschäftigte ich mich mit Büroarbeit und Computerspielen. Abends stand noch ein Videochat mit einigen jungen unserer Selbsthilfeorganisation an. Es war ein sehr freundschaftliches, aber anstrengendes Gespräch, denn wir als OK eines Jugendevents fühlen uns von der Organisationsleitung nicht unterstützt Wir organisieren eine virtuelle Jugendkonferenz, nachdem die “physische” Konferenz wegen der Corona-Situation abgesagt wurde. Es eilt, denn diese soll bereits Ende August stattfinden und die Leitung ändert uns andauernd unsere Pläne. Deshalb müssen wir sie nun zu einem dringenden Videocall bringen, denn die Zeit eilt und nun da wir alles via Internet organisieren müssen, benötigen einige Dinge noch etwas mehr Zeit.
Samstag, 23. Mai 2020
Auch heute war ein gemütlicher Tag. Seit ich dieses Posterprojekt für die Uni hinter mir habe, sehe ich die Tage viel gelassener und entspannter. Ich erlaube mir zwischen den einzelnen Aufgaben meines Tagesplans immer wieder eine Pause für Spiele, Unterhaltung oder einfach um etwas Zeit zu vertrödeln. Nach dem Brunch verschwand ich wieder hinter meinem Computer, um Spanischhausaufgaben zu erledigen. Danach half ich meiner Mutter eine englische E-Mail zu verfassen. In ungefähr einer Woche wären wir nach Island zum Retina International World Congress geflogen. Nach dem Kongress, der nur wenige Tage dauert, wollten wir noch zehn Tage Ferien anhängen. Für diese Zeit hat meine Mutter das Hotel für uns alle gebucht. Das Hotel bietet Gutscheine als Kompromisslösung bei Stornierungen aufgrund Corona an. Wir dachten zuerst, dass wir keinen Gutschein wollen, da wir noch nicht sicher sein können, ob wir in zwei Jahren am verschobenen Kongress teilnehmen werden. Von diversen Medienstellen war zu hören, dass man Gutscheine nicht akzeptieren muss und stattdessen auch das Geld zurückfordern kann. Meine Mutter hat zudem eine private Reiseversicherung und eine über die Kreditkarte, mit welcher sie bezahlt hat. Die Versicherungen meinen, man solle erst versuchen mit dem Dienstleister eine Lösung zu finden. Also schreiben wir eine Mail, ob es eine Möglichkeit gäbe, das Geld für die Hotelzimmer zurück zu erhalten, da ein Gutschein für uns nicht optimal sei. Dann realisieren wir jedoch, dass nur meine Mutter und mein Bruder, zwei von vier Personen, eine Reiseannulationsversicherung haben. Die Versicherung der Kreditkarte mit der bezahlt wurde, deckt nur Personen innerhalb des Haushaltes. Das heißt, wir würden von der Versicherung wohl nur die Hälfte der Kosten rückerstattet bekommen. Nun überlegen wir uns, doch einen Gutschein zu nehmen, warten aber erst einmal die Antwort des Hotels ab. Beim Flug hatte meine Mutter bereits einen Gutschein beantragt. Anscheinend hätte man auch dort warten können, bis die Airline den Flug annulliert und so das Geld zurück erhalten. Da sie nun aber bereits einen Gutschein beantragt hat, beschließe ich dies auch zu tun. Falls wir nicht am Kongress teilnehmen können, machen wir sonst Ferien in Island. Nun heißt es also warten, bis die Firmen auf unsere Anfragen antworten.
Danach widme ich mich wieder dem Sport. 20 Minuten Home Trainer und 20 Minuten Boden-Core-Training. Danach führte ich den Tag fort mit Kaffee und Computerspiel und danach noch einiges an Computerarbeit.
Mittwoch, 28. Mai 2020
Die letzten Tage waren ziemlich unspektakulär außer, dass ich ziemlich im Unistress war, da es auf Semesterende zu geht. Meine Tagesroutine setzte sich zusammen aus den Mahlzeiten, eine Stunde Sport mit Video pro Tag einer Kaffee- und Computerspielpause am Nachmittag und den TV-Nachrichten am Abend. Am Montagmorgen hatte ich zum letzten Mal mein Onlineseminar. Es war sehr gemütlich, da ich mein Referat bereits hinter mir hatte und so meine Rolle als aktive Zuhörerin einnehmen konnte. Die Abschlussrunde war sehr herzlich. Alle empfanden das Seminar als sehr angenehm, gut organisiert und sehr lehrreich, trotz der etwas ungewöhnlichen Umstände. Es schien als hätten sich die meisten gut an den Online-Unterricht gewöhnt. Am Dienstagabend hatte ich erneut zwei Videokonferenzen. Erst eine mit Selbsthilfe Schweiz, bei welcher es das zweite Mal darum ging, wie man eine Selbsthilfegruppe online leitet. Nachdem letztes Mal viel über die unterschiedlichen Softwarelösungen und deren Funktionsweisen gesprochen wurde, hoffte ich, es ginge heute mehr um die strategischen Aspekte, wie man moderiert, was man beachten sollte o.ä. Meine Erwartungen diesbezüglich wurden aber nicht erfüllt. Wieder ging es mehrheitlich um die Programme. Ich war auch deutlich die jüngste in der Runde und die älteren hatten wohl noch deutlich weniger Erfahrung mit dieser Technologie. Am Ende verbrachte ich eine Stunde mit Candy Crush spielen nebenher. Wirklich gelohnt hatte sich das nicht. Etwas später hatte ich dann noch die zweiwöchentliche Runde mit meiner Jugendgruppe, die ich leite. Wir testeten heute zum ersten Mal Microsoft Teams als unsere Plattform. Es funktionierte ganz gut. Eine Person meldete sich für länger ab. Sie möchte sich nicht noch einmal mit neuer Software befassen und stößt wieder zu uns, sobald wir uns real treffen können. Das Gespräch war ein bisschen anstrengend. Ich hatte nicht genug Zeit, um wirklich etwas vorzubereiten und darum hatte ich das Gefühl, das Gespräch lief etwas schleppend. Trotzdem dauerte es zwei Stunden.
Heute Morgen fuhren ich und meine Eltern nach Engelberg. Normalerweise ein touristisch überfülltes Dorf. Wir nutzen also die touristenfreie Zeit und den leeren Zug, um dort hin zu fahren. Im Bus tragen meine Mutter und ich wieder eine Maske, wir setzen uns in ein Viererabteil. Eine Bekannte von meiner Mutter, die ebenfalls eine Maske trägt, möchte sich zum reden zu uns setzen. Mein Vater setzt sich daraufhin in das Abteil auf der anderen Seite des Ganges. Er meint es hätte genug Platz und so müsse er keine Maske anziehen. Ich rolle die Augen, unglaublich, was er alles tut, um nur irgendwie diese Maske zu vermeiden. Während der Fahrt setzt sich ein junger Herr im gegenüber hin. Als dieser niest, registriere ich, dass mein Vater immer noch keine Maske trägt. Als wir aussteigen, spricht meine Mutter ihn darauf an und fragt, warum er keine aufgezogen hat, als sich jemand zu ihm setzte. Er wurde wütend und schnauzte meine Mutter an: “Damit du was zu jammern hast!” Die beiden sprechen danach die ganze Zugfahrt kein Wort miteinander und mein Vater sagt überhaupt nichts mehr. Ich glaube, er merkte, dass diese Reaktion komplett unangebracht war. Ich fand es nur richtig, dass meine Mutter ihn konfrontierte. Ich konnte mir auch am Rande den Spruch nicht unterdrücken, dass es dann wieder hieße, die jungen Menschen würden die älteren nicht schützen wollen. Ich überlegte mir sogar meinen Vater darauf anzusprechen, dass er nun eine Gefahr für mich darstellen könnte, da ich ja auch zur Risikogruppe gehöre. Erst in Engelberg setzten ich und meine Mutter die Masken ab. Danach spazierten wir eine gute Stunde zu einem abgelegenen Landgasthof “am Ende der Welt”. Der Ort hieß so, weil die Straße hier endete und der Ort auf drei Seiten von steilsten Felswänden umgeben war, über welche nicht einmal Bergwege führten. Hier sollten sich wohl nicht so viele Menschen hin verirren. Es gab dann auch gut Platz auf der Terrasse. Zu Mittag wurde das Restaurant aber doch gut gefüllt mit Spaziergängern und Ausflugsgästen. Die Maßnahmen waren wie üblich umgesetzt. Die Tische standen weit auseinander, es gab genügend Desinfektionsmittel und man bezahlte, wenn möglich mit Karte.
Auf dem Rückweg kreuzten uns deutlich mehr Menschen als am Vormittag. Ich hatte jedoch den Eindruck, alle würden sich Mühe geben, beim Kreuzen möglichst viel Abstand zu haben. Danach gings mit Zug und Bus zurück nach Hause. Diesmal zog mein Vater im Bus auch seine Maske an.
Donnerstag, 28. Mai 2020
Heute Morgen gingen wieder einmal eine Stunde spazieren über den Hügel mit der Freundin meiner Mutter. Wir gehen nun nicht mehr so oft, da sie wieder mehr arbeitet. Ohne sie gehen auch meine Mutter und ich nicht spazieren. Es geht wohl, nebst der körperlichen Betätigung auch um den Sozialkontakt der beiden. In den Tagen dazwischen halte ich mich nun mehr mit Videos fit und meine Mutter kümmert sich um den Garten, der aufgrund des schönen Wetters nun auch oft gegossen werden muss. Unterwegs fragt uns ein Pärchen nach dem Weg zum nahegelegenen Landgasthof, bei welchem wir auch vor ca. einer Woche essen waren. Wir beschrieben ihnen den Weg und sprachen noch ein bisschen über die aktuelle Corona-Situation und dass man mehr spazieren geht. Auch mit fremden Menschen hat man dank Corona ein gemeinsames Thema und kommt schnell ins Gespräch. Dabei erzählt uns das Paar, dass sie beide den Virus hatten. Der Mann war sehr krank, aber zu Hause und seine Frau hatte keine Symptome. Beide wurden jedoch vom Hausarzt positiv Corona getestet und nehmen die Sache nun sehr ernst. Für uns war das nun doch etwas speziell, denn wir hatten tatsächlich noch nie Menschen getroffen, welche selbst das Virus hatten. Wir fragten dann aber nicht weiter nach und ließen die beiden zu ihrem Mittagessen aufbrechen.
Den Rest des Tages war ich komplett mit meinem Referat für Spanisch beschäftigt, welches ich heute Abend halten musste. Wir können das Thema frei wählen. Ich beschloss etwas zu den Verschwörungstheorien rund um Bill Gates zu machen. Nun da man überall Bilder sieht, von Menschen, die gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren, schein sich die Gesellschaft wieder einmal in Gegner und Befürworter von Verschwörungstheorien zu spalten, wobei die Befürworter natürlich nicht von Verschwörungstheorien sprechen. Viele Menschen sieht man Schilder hochhalten, die Bill Gates für die Krise verantwortlich machen. Da ich den Zusammenhang überhaupt nicht verstand, beschloss ich dies gleich im Rahmen meines Spanischreferats herauszufinden. Wie ich herausfand, gab es einige Anschuldigungen: Sein großer finanzieller Einfluss auf die WHO verleitet zum Gedanken, er hätte diese unter Kontrolle. Zudem unterstützt er ein Projekt zur Entwicklung eines Hautimplantats, welches als “digitaler Impfausweis” dienen soll in Regionen, wo Menschen keine Papiere besitzen. Dies wiederrum verleitet manche zur Idee, Gates wolle die Menschheit chippen. Es gibt einige weitere “wahre Kerne” welche von den Menschen auf der Straße so verwoben und hochstilisiert werden, dass Gates am Ende immer die Weltherrschaft anstrebt oder diese heimlich schon errungen hat. Da wir die Referate via Zoom halten sollen und die Verbindung nicht immer stabil ist, durften wir sie im Voraus aufzeichnen. Abgemacht war, dass wir aber nicht ablesen durften. Es benötigte ziemlich viel Zeit, bis ich die Aufnahme zufriedenstellend gemacht hatte. Die Lektion verlief dann auch sehr angenehm und ohne die übliche Nervosität vor Referaten, da man nur noch das Video zu starten brauchte.
Freitag, 29. Mai 2020
Heute Morgen machte ich nichts. Ich hatte mein Semester zu Ende gebracht und gönnte mir etwas Nichtstun. Am Nachmittag ging ich mit meiner Mutter in ein Möbelgeschäft. Mein Bruder und seine Frau haben endlich eine neue Wohnung gefunden und werden nächste Woche umziehen. Das Sofa ist bereits ausgesucht und meine Mutter und ich sollten es nun bestellen gehen. Möbelgeschäfte sind definitiv kein Problem, was das Abstandhalten angeht. Es gibt genügend Platz und an der Kasse muss man selten warten. Danach gingen wir noch einen Kaffee trinken. Das Café im Möbelhaus war komplett leer, wir fragten uns, warum sich die Leute nicht hierhin getrauten. Dann fiel uns jedoch ein, dass heute schönes Wetter war. Manchmal überinterpretiert man tatsächlich gewisse Dinge und meint, alles müsse irgendwie mit den Folgen der Corona-Krise zu tun haben.
Der Bundesrat hat zudem heute weitere Lockerungen beschlossen. Ab dem Wochenende dürfen wieder größere Gruppen mit mehr als vier Menschen gemeinsam essen gehen. Ursprünglich wären weitere Lockerungen für den 8. Juni angesagt gewesen, doch nun sind die Fallzahlen besser als erwartet. Weshalb bereits vor Pfingsten, am 6. Juni, wieder Veranstaltungen bis 300 Personen stattfinden dürfen. An diesem Wochenende dürfen auch Bergbahnen, Campingplätze, Zoos usw. wieder öffnen, was bedeutet, dass der Tourismus wieder voll in Gang kommen kann. Diesen Sommer müssen die Betriebe wohl größtenteils auf Touristen auf dem Ausland verzichten und die Schweizer können nicht ins Ausland reisen. Darum sollen nun die Schweizer ihre Ferien hierzulande geniessen können. Schlussendlich sollen ab Mitte Juni auch die Grenzen zu den anderen deutschsprachigen Ländern wieder geöffnet werden. Heute kaufte ich noch ein Ticket für ein Online-Musikfestival. Einige meiner Lieblingsbands hatten sich das ausgedacht, weil diesen Sommer keine Festivals stattfinden. Mit einem gekauften Code, für den man bezahlen konnte, soviel man wollte, bekam man Zutritt zu einer Onlineplattform. Dort gab es einen Geländeplan eines Festivals, hinter dessen Arealen sich verschiedene Videos versteckten. Nebst einer Bühne, wo die Künstler Videos von Konzerten oder extra gedrehte Home-Performances präsentierten, gab es beispielsweise auch eine Bar, wo die Künstler ihre Lieblingsdrinks mixten, einen Cateringbereich mit Kochvideos, ein Gym, eine Workshop-Area und vieles mehr. Ich weiss bereits jetzt schon, dass ich, wie an einem echten Festival, nicht alles betrachten werden kann, da es einfach zu viel Material ist. Ich bin aber sehr gespannt auf die vielen Inhalte.
Samstag, 30. Mai 2020
Heute kamen mein Bruder und seine Frau zu Besuch. Erst kümmerten sie sich noch um den ganzen Kleinkram, den mein Bruder noch hier hat und der in einer Woche mitumziehen soll. Nach dem Kistenpacken macht sich meine Schwägerin auf in den Garten. Sie vermisst die Natur und die körperliche Betätigung sehr seit dem Lockdown. Mein Bruder, meine Mutter und ich spielen eine Runde Pandemic. Danach essen wir gemeinsam zu Abend und die Stimmung ist sehr locker und Corona endlich nicht mehr das Tischthema.
Sonntag, 31. Mai 2020
Heute waren wir am späteren Nachmittag bei den Nachbarn zum Apéro eingeladen. Diese waren eine Woche in den Ferien gewesen und meine Mutter kümmerte sich um ihren Garten. Bis kurz vor Beginn wusste ich nicht, ob ich auch eingeladen war, da ich sonst nicht mehr hier wohne. Ich durfte dann aber mit. Eigentlich wollten wir draußen sitzen, doch die Brise blies kalt und so gingen wir in deren Wintergarten, ließen aber die Tür geöffnet. Über den Tisch konnten wir die zwei Meter nicht einhalten und wir wissen, dass diese Nachbarn auch während der Krise viel Kontakt zu anderen Menschen hatten. Einen Apéro mit ihnen hätten wir wohl vor wenigen Wochen noch nicht gemacht. Die Platten mit den Leckereien hatten sie so angerichtet, dass man einfacher einzelne Stücke nehmen konnte, ohne gleich die halbe Platte zu betatschen. Da ich aufgrund der Sehbehinderung nicht auf ein Stück abzielen kann, ließ ich mir von meinen Eltern etwas auf meinen Teller geben. Als wir nach Hause gingen, kamen wir an ihrem Biotop vorbei und blieben dort nochmals kurz stehen. Meine Nachbarin konnte nicht so schnell reagieren und lief auf mich auf. Deshalb stand sie danach sehr nahe bei mir und als sie etwas zu mir sagte, fasste sie dabei meinen Unterarm mit beiden Händen. Mir war das definitiv zu viel Körperkontakt. Ich sagte aber nichts, weil ich weiß, dass sie das nicht einmal bemerkt. Sie gehört zu den Menschen, welche auch sonst immer sehr nahe kommen beim Sprechen und regelmäßig die komfortable Distanz unterschreiten. Gerade deshalb war es mir aber zusätzlich unangenehm, weil ich davon ausgehe, dass sie sehr vielen Menschen so nahe kommt. Also prägte ich mir einfach ein, dass ich jetzt auf keinen Fall das Händewaschen vergessen darf, sobald wir zu Hause ankommen.
Dienstag, 2. Juni 2020
Heute machten ich, meine Mutter und ihre Freundin uns auf den Weg nach Meiringen. Ein sonst eher touristischer Ort, unter anderem deshalb, weil sich dort die Wasserfälle befinden, in welche Sherlock Holms mit seinem Gegner im letzten Buch stürzte. Unsere Nachbarn hatten uns gestern beim Apéro erzählt, das Dorf sei momentan wie ausgestorben. Also sicher kein Gedränge. Im Bus trugen wir drei wieder Masken. Meine Mutter brachte ihrer Freundin eine weitere genähte Maske mit. Dieses Mal eine mit einem etwas neutraleren Muster, die sich auch super zu einem Arbeitsoutfit kombinieren lässt. Wie erwartet, waren wir fast die einzigen, die Masken trugen. Die beiden Frauen sprachen darüber, dass sie durchaus auch andere Leute zum Maskentragen auffordern würden, wenn die zu nahe kommen würden. Kurz darauf setzte sich eine Seniorin zu uns ins Abteil und ihre Begleiterin im ähnlichen Alter ins Abteil gegenüber des Ganges. Sie setzte sich neben mich, was ich aufgrund meines Röhrenblicks nicht einmal bemerkte. Die Freundin meiner Mutter bat sie freundlich, doch bitte eine Maske aufzusetzen. Auf die Frage, ob sie denn eine dabei habe, bejahte die Seniorin und kramte ihre Maske aus der Tasche. Die Freundin sagte ihr noch, das blaue müsse außen sein. Am Ende landete die Maske dann aber mit dem Draht nach unten im Gesicht der Frau. Ihre Freundin auf der anderen Seite des Ganges zog wohl aus Solidarität zu ihrer Bekannten ebenfalls ihre Maske aus der Tasche und zog sie an. Wir beobachteten dann, wie die beiden Frauen ihre Masken aufbehielten, als sie den Bus verließen. Ganz so schlimm war das Tragen wohl doch nicht. Als wir danach darüber sprachen, stellten wir etwas verständnislos fest, dass diese Frau bei uns im Abteil ihre Maske eindeutig noch nie getragen hatte und keine Ahnung hatte, wie man sie richtig trug. Ich erinnerte mich an eine Frage in einem Gruppenchat, bei welcher gefragte wurde, wer denn Maske trage und die meisten antworteten, sie würden keine tragen, hätten aber eine dabei, falls sie die Distanz nicht einhalten können. Ob sie das dann tun, wage ich zu bezweifeln, denn dies hätte vielleicht auch unsere Mitfahrerin gesagt. Gut möglich, dass man dann in einem Viererabteil spontan denkt, so nah sei es nun auch wieder nicht oder man sei nur kurz im Bus. Für mich persönlich war zudem lehrreich, dass ich die Frau gar nicht bemerkt hatte. Das heißt es ist für mich umso wichtiger, mich selbst so gut wie möglich zu schützen, denn ich merke nicht, wenn jemand die Distanz zu mir unterschreitet und da ich keine Seniorin bin, werden wohl viele sich auch nichts dabei denken, wenn sie mir nahe kommen. In Gedanken überlege ich mir ebenfalls, ob ich wenigstens bei längeren Fahrten oder bei meinen kommenden Pendlerfahrten im Zug Menschen auch auffordern soll eine Maske zu tragen, wenn sie sich zu mir ins Abteil setzen. Unter Umständen auch mit der Offenlegung, dass ich Risikopatientin bin und selbst den Abstand aufgrund der Sehbehinderung schlecht kontrollieren kann.
Der Zug war gut besetzt. Die meisten Abteile waren mit Seniorenpärchen besetzt, von welchen praktisch niemand eine Maske trug. Wir zogen unsere nur aus, um unser Imbiss zu essen. Die Ticketkontrolleurin demonstrierte den Unmaskierten gegenüber deutliches Misstrauen. Während sie sich bei uns normal verhielt, näherte sie sich den Unmaskierten nur auf die absolut nötige Armlänge, so dass sie und der Fahrgast ihre Arme ausstrecken mussten, um einen Fahrschein vorzuzeigen. Wir mussten dabei etwas schmunzeln. Ich glaube, dass dieses Verhalten “Ich will dir nicht zu nahe kommen” bei den Gästen auch als “Sie sind mir unangenehm” ankommt und somit vielleicht mehr Eindruck hinterlässt als die Maske an sich selbst.
Unser Zielort war tatsächlich ziemlich ausgestorben und wir machten uns auf den geplanten Spaziergang, der uns nach 90 Minuten wieder ins Dorf zurückführte. Es ging zeitweise steil den Wald hinauf. Und grinsend stellten wir fest, dass wir uns beim Aufstieg unterhalten konnten. Wir hatten das Gefühl, während dem Lockdown tatsächlich fitter geworden zu sein. Wir suchten uns ein Restaurant für das Mittagessen. Es war ein eher besseres Restaurant, dafür fühlten wir uns sehr wohl. Die Tische waren riesig und standen im Garten weit auseinander. Das Personal hielt großen Abstand und desinfizierte jedes Mal die Hände, wenn sie ins Haus gingen oder herauskamen. Die Menükarten waren aus Papier, welches nachher weggeworfen wurde und nicht die Lederbücher, wie es sonst häufig üblich ist. Auch hier war das Personal wieder sehr locker und gut gelaunt, was uns schon des Öfteren in den letzten Wochen positiv aufgefallen ist. Viele sind wohl froh, wieder arbeiten zu können und der gemeinsam durchgestandene Lockdown löste etwas die Hemmungen bei manchen. Nach einem kurzen Abstecher in die Metzgerei und Molkerei, um Lokalitäten zu kaufen, machten wir uns auf den Heimweg.
Mittwoch, 3. Juni 2020
Heute war ich das erste Mal nach dem Lockdown wieder auf dem Pferderücken. Ich gehe nicht regelmäßig reiten, seit ich nach Basel gezogen bin. Aber wenn ich im Dorf bin und meine Nachbarin Zeit hat, gehen wir Ausreiten. Viele gingen auch während des Lockdowns reiten, mir war das aber zu heikel. Der Stall und die Putzplätze sind eng und Putzzeug und Sattelzeug wird von vielen Menschen angefasst. Zudem waren die Kinder nicht in der Schule und so manche Eltern kamen spontan auf die Idee, an einem schönen Tag ein Pony zu mieten. Nun sind die Kinder aber wieder in der Schule und die Fallzahlen tief. Meine Nachbarin hatte ich bisher auch noch nie getroffen nach dem Lockdown.
Es waren tatsächlich einige andere Reiterinnen dort, doch wir unterhielten uns mit Abstand. Um die Pferde herum kommt man sich sowieso nicht so nahe wie sonst, da meist irgendwelches Gerät oder ein Tier dazwischen steht. Eine Reiterin, die wir noch nicht kannten, war dann gleichzeitig aufbruchbereit wie wir und wir boten ihr kurzerhand an, mit uns auszureiten. Zu Pferd fiel mir im Wald auf, dass immer noch deutlich mehr Menschen unterwegs sind und spazieren als vor dem Lockdown. Mit Pferd fällt das auf, weil andere Menschen oder anderes Unbekanntes im Wald ein Pferd möglicherweise erschrecken lassen. Wir trafen auf deutlich mehr Gruppen und mussten uns des Öfteren mit Spazierenden absprechen, wer wo lang wolle oder ob wir überholen dürften. Dass viele Menschen unterwegs waren, die zuvor seltener im Wald waren, merkten wir auch daran, dass wir mehrmals Komplimente für unsere hübschen Haflingerpferde erhielten. Für die meisten Menschen, die im Dorf wohnen und öfter hier unterwegs sind, ist der Anblick von Haflingern hier bereits normal und sie wissen oft auch zu welchem Hof diese gehören. Abends kamen mein Bruder und seine Frau zu Besuch. Sie sind noch auf der Suche nach neuen Möbeln und können heute eine Ausstattung besichtigen von jemandem, die ihren Haushalt auflösen wird.
Samstag, 7. Juni 2020
Wie sich herausstellt, werden auch meine Tagebucheinträge langsam etwas unregelmäßig. Ich stelle fest, dass erstens Corona nicht mehr so präsent ist im Alltag. Zumindest bei mir nicht. Ich höre von anderen aber immer wieder, dass es durchaus noch Menschen gibt, welche immer noch sehr vorsichtig sind und das Thema sehr zentral ist. Beispielsweise Ehepaare, welche immer noch nicht mit einer guten Freundin Kaffee trinken gehen oder sie überhaupt sehen möchten. Oder auch Menschen, die sehr dünnhäutig sind und sofort die Stimme erheben, wenn sie sich bedrängt fühlen. Zweitens hat sich der Alltag eingespielt. Da ich momentan weder Vorlesungen habe noch mit meinem Praktikum begonnen habe, bin ich sowieso viel Zuhause am Computer. Der Unterschied zurzeit vor Corona besteht darin, dass ich hier keinen Haushalt machen und nicht einkaufen muss. Den Haushalt führen meine Eltern und ich biete meine Hilfe immer wieder an, aber das ist trotzdem nicht dasselbe. Einkaufen gehen ist nicht sehr sinnvoll hier, da meine Mutter das sonst auch tut und zudem nicht zur Risikogruppe gehört. Bei mir in Basel würde ich zudem auch öfter allein spazieren, ins Fitness oder Freunde besuchen gehen. Viel los ist hier also tatsächlich immer noch nicht.
Am Donnerstag zoomte ich mit einer guten Freundin. Sie lebt in einer Wohnung angegliedert an ein Blinden- und Seniorenheim und nervte sich ziemlich darüber, dass sie immer noch keinen Besuch empfangen darf, weil die Institution ein Altersheim ist. Sie darf nun wenigstens Freunde im Park gegenüber des Hauses treffen. Besonders stört sie aber, dass viele der Risikogruppe, welche ebenfalls in diesem Haus wohnen, sich überhaupt nicht an die Anweisungen halten und rege Besuch bekommen. Meine Freundin sagt aber, sie schaffe es trotzdem nicht, die Regeln ebenfalls zu brechen, denn es gibt in dieser Institution auch eine Abteilung für stark pflegebedürftige Menschen und sie sagt, sie könnte nicht damit umgehen, wenn sie jetzt diejenige wäre, welche das Virus einschleppen würde. Ich von meiner Seite erzählte ihr, dass ich plane nächste Woche definitiv nach Basel zurückzukehren. Nun da ich einige Male wieder Tagesausflüge gemacht habe, kann ich auch selbst wieder einkaufen gehen. Auch auf das Fitnesscenter freue ich mich sehr. Meine Mutter wird mich begleiten, damit wir zwei Koffer mitnehmen können. Zudem kann sie mich bei meinem ersten Einkauf begleiten. Allein wäre es für mich mit der Sehbehinderung schwierig auf Anhieb alle Anweisungen im Supermarkt richtig zu erkennen und zu befolgen. Bald kehrt dann also die “neue Normalität” ein. Diesen Ausdruck hört man momentan fast in jeder Stellungnahme des Bundesrates. Lustigerweise wird von der “Rückkehr zur neuen Normalität” gesprochen. Wie kehrt man denn zu etwas neuem zurück? Ich finde, dieses Schlagwort wieder einmal sehr symbolisch für die ganze Coronastrategie des Bundes. Fast alle Anweisungen des Bundes warfen Fragen auf und enthielten Widersprüche, was oft zu Diskussionen führte und je länger je mehr Kritik an der Strategie und der Kommunikation zu Tage förderte. Auch die Rückkehr zur neuen Normalität ist wieder der Versuch eines Spagates, ein Kompromiss, um irgendwie alle zufrieden zu stellen. Die Menschen beruhigen und gleichzeitig ermahnen. Die Menschen sollen optimistisch sein und ruhig bleiben, also verspricht man die Rückkehr zur Normalität. Allerdings sollen sich die Menschen weiterhin an die zusätzlichen Maßnahmen halten. Diese könnten unter Umständen gelten, bis ein Impfstoff vorhanden ist. Dies wiederrum möchte man den Menschen nicht gerade so direkt sagen, sonst kehrt die versprochene Normalität noch lange nicht zurück. Als Folge entsteht eine Mischform, die einen Zustand suggeriert, der eigentlich der Normalität plus ein paar Sonderregeln entspricht. Freitagabend haben mein Bruder und seine Frau bei uns übernachtet, denn heute stand der Umzug auf dem Programm. Mit drei Autos und sechs Menschen war die Truppe den ganzen Tag dabei Material zu transportieren und Möbel aufzubauen. Bezüglich Corona reiste eine große Flasche Desinfektionsmittel mit. Ansonsten wurden keine Maßnahmen getroffen. Bei den meisten Helfenden handelt es sich sowieso um Freunde, die regelmässig getroffen werden und bei einem Umzug ist es grundsätzlich sehr schwierig irgendwelche Abstände einzuhalten. Die Flasche kam genauso voll wieder nach Hause, niemand hatte daran gedacht, diese irgendwo aufzustellen und anscheinend hatte auch niemand von sich aus das Bedürfnis geäußert, die Hände zu desinfizieren.
Donnerstag, 11. Juni 2020
Die letzten Tage verliefen wieder ruhig. Am Dienstagabend hatte ich das erste Mal wieder eine Vorstandssitzung vor Ort. Diese fand jedoch in einem anderen Büro statt als üblich, da dieses zu klein für acht Personen gewesen wäre. Darum dürfen wir ein anderes Büro benutzen, dass extra umgestellt wurde. Normalerweise waren die Tische in der Mitte zu einem großen Sitzungstisch zusammengeschoben. Nun standen sie alle mit zwei Meter Abstand im Raum. Es sah etwas aus wie Prüfungsbestuhlung damals am Gymnasium. Bereits vor Corona arbeiteten manche Mitarbeiter der Fachstelle, die von diesem Verein betrieben wird, im Home Office. Der Plan war sowieso dies auszubauen. Als der Lockdown kam war die Umstellung auf das komplette Home Office also nicht sehr aufwändig. Ein Mitarbeiter, der oft in Kontakt steht mit Architekten aus anderen Regionen der Schweiz meinte, man habe sich untereinander schnell mit Videocalls arrangiert. Viele Büros würden sogar sagen, sie würden zukünftig nicht mehr für eine Besprechung nach Luzern fahren, sondern man könne viel Zeit und Stress sparen, wenn man die Besprechung online abhält. Rein geschäftlich ist unsere Fachstelle noch nicht groß von der Krise betroffen, da es sich vor allem um Bauberatungen und Planprüfugen handelt. Zukünftig hängt dies aber von der Entwicklung der Bautätigkeiten ab. Der Einfluss der Corona-Krise könnte sich also verspätet noch auswirken. Am Mittwoch wollte ich eigentlich wieder mit meiner Nachbarin reiten gehen, das Wetter war aber so schlecht, dass wir zu Hause blieben.
Heute war es dann endlich so weit und ich beendete meinen persönlichen Lockdown. Gemeinsam mit meiner Mutter und zwei großen Koffern ging es für mich zurück in meine Wohnung nach Basel. Wenn ich wieder verschiedene Menschen treffen kann, kann ich schließlich auch wieder selbst für mich sorgen. Wir gingen zuerst in meine Wohnung und deponierten die Koffer. Danach gingen wir Sushi essen. Leider gibt es bis auf Weiteres nur Tischservice und kein Band, da für Buffets immer noch strenge Schutzkonzepte aufgestellt werden müssten. Im Anschluss gingen wir einkaufen. Ich wollte, dass meine Mutter beim ersten Einkauf dabei ist und mir so bei der Orientierung helfen kann. In der großen Migros war ich prompt froh darum. Dort war mit Sperrband ein Einbahnsystem eingerichtet und eine Ampel aufgestellt. Allein wäre ich sehr wahrscheinlich falsch gelaufen oder hätte die Ampel übersehen. Die Selfcheckout-Automaten sind durch Plexiglaswände getrennt, welche ich bestimmt übersehen hätte. Wenn ich aber einmal gelernt habe, wo sich die Dinge befinden, stellt das kein Problem mehr dar. Bei meinem Stamm-Supermarkt hingegen gibt es so gut wie keine Maßnahmen. Beim Eingang steht ein Tisch mit Desinfektionsmittel, ansonsten wurde aber nichts umgestellt, es gibt keine Kundenführung und die Selfcheckout-Automaten sind auch alle normal benutzbar. Generell ist dieses Geschäft sehr eng und der Abstand ließe sich wohl beim besten Willen nicht einhalten. Allerdings vor allem beim Bezahlen. Das Geschäft selbst ist selten sehr voll und man kann sich eigentlich meist gut aus dem Weg gehen. Deshalb beschloss ich, beim Einkaufen auf eine Maske zu verzichten. Mir und meiner Mutter fiel jedoch auf, dass man in Basel viel mehr Menschen mit Masken sieht als in Luzern. Besonders im ÖV, aber auch in den Supermärkten. Meistens sind es Senioren, aber man sieht auch junge Menschen. Es gibt auch eine junge Frau in meinem Wohnhaus, welche auf der Straße immer eine Maske trägt. Danach gehen wir wieder zu mir nach Hause und meine Mutter nimmt einen der Koffer gleich wieder mit.
Dienstag, 23. Juni 2020
Die erste Woche in Basel war sehr ruhig und ich war viel Zuhause. Tatsächlich merkte ich, dass ich etwas Zeit benötigte, um wieder in meinem Alltag anzukommen. Bei meinen Eltern musste ich so gut wie nichts im Haushalt mithelfen. Ich hatte zwar meine Hilfe immer wieder angeboten, doch meine Eltern fühlten sich meist so gut organisiert, dass sie mein Angebot ablehnten und ich eher das Gefühl hatte, sie besser machen zu lassen. Nun musste ich mich wieder selbst organisieren und merke, dass das tatsächlich eine gewisse Zeit benötigt. Ich bin irgendwie weniger effizient. Oder jedenfalls ist mein Tag mit den üblichen Haushaltsaktivitäten, Einkaufen, ins Fitness gehen usw. viel voller als sonst. Für mein Studium hätte ich noch Arbeiten, die irgendwann geschrieben werden sollten, aber keine Deadline haben und im Moment ist der Tag immer schon rum, bevor ich überhaupt damit angefangen habe. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die aufgezwungene Entschleunigung noch ihre Nachwirkungen hat und ich tatsächlich langsamer geworden bin. Zudem hatte ich drei Monate Zeit, mir zu überlegen, mit welchen Dingen ich denn meinen Alltag noch füllen könnte und habe Projekte wie die Jugendgruppe gestartet. Diese neuen gefundenen Aktivitäten sind nun nicht einfach weg und fordern weiterhin ihre Zeit ein.
Am vorletzten Freitag (12. Juni 2020) war ich mit meiner Freundin von der Uni und einigen anderen Bekannten spazieren. Meine Freundin muss eine Maske tragen im Kontakt mit anderen Menschen, da sie eine Wohnung in einem Heim bewohnt, welches noch immer sehr strikte Regeln befolgt. Also habe ich beschlossen, ebenfalls eine zu tragen, der Fairness halber und damit wir nicht ständig auf den Abstand achten müssen, was für Menschen mit Sehbehinderung sowieso schwierig ist. Es waren auch ein paar ältere Personen auf dem Spaziergang dabei, von denen trug niemand eine Maske. Wieder einmal hatte ich etwas das Gefühl, die älteren würden die Maske gerne verdrängen, da sie an eine Bedrohung erinnert. Die Art wie ich angesehen wurde und die Art der Bemerkung “aha du trägst auch eine Maske…” gab mir das Gefühl, als würde ich hier gewisse Personen mit einem Tabuthema konfrontieren. Danach wurde jedenfalls schnell das Thema gewechselt. Wir kamen auf unserem Spaziergang wie immer auch bei einem Hofladen vorbei. Ich wollte die Verkäuferinnen und ihren Laden testen und sehen, ob man auch hier bargeldlos bezahlen kann. Das wäre auch möglich gewesen mit TWINT, doch leider musste ich feststellen, dass der Hof so nahe an der Landesgrenze liegt, dass mein Handy bereits kein Netz mehr hat und damit auch die App nicht funktioniert. Danach gingen die meisten noch in ein Café. Meine Freundin darf aufgrund der Heimregeln immer noch nicht und da ich das wusste, hatte ich mir einen Kaffee in einem Thermobecher für unterwegs mitgenommen. Den Becher hatte ich mir extra am Tag zuvor gekauft. Ich wollte schon lange so einen, nun da man vielleicht zwischendurch einmal mehr ein Café meidet, entpuppt sich das als eine super Anschaffung.
Dass meine Freundin die Regeln so akribisch verfolgt, finde ich langsam doch auch etwas übertrieben und wir haben auch darüber gesprochen. Sie lässt sich wirklich immer noch sehr stark einschränken, den Bewohnern des Altersheims, insbesondere den der Pflegestation zuliebe. Sie will um jeden Preis verhindern, das Virus einzuschleppen. Ich bewundere sie für dieses selbstbewusste einstehen, für das was sie richtig findet. Ich merke ja selbst, wie es doch Überwindung braucht, als Einzige in einem Zug nur schon eine Maske zu tragen. Sie schränkt sich aber noch viel mehr ein und das obwohl viele der anderen Bewohnenden die Regeln überhaupt nicht mehr befolgen. Außerdem ist es für mich als Risikopatientin etwas seltsam neben ihr. Ich bin gefährdeter, gönne mir selbst aber viel mehr Freiheiten und habe trotzdem neben ihr das Gefühl, ich könnte eine Gefahr für sie, bzw. indirekt die anderen Heimbewohner sein und nicht umgekehrt, da ich mir ihretwegen auch strengere Regeln auferlege. Letzte Woche wollten wir auch einmal gemeinsam einen Kaffee trinken. Sie darf ihre Freunde in einem nahen Park treffen. Allerdings regnete es und weil ich sagte, ich setze mich sicher nicht vor der Haustür unters Vordach auf den Boden, konnten wir uns dann nicht sehen. Auf eine nahegelegene Bank bei schönem Wetter ist total okay, aber mich da auf den Boden setzten, wo alle paar Minuten Menschen hinein und hinaus gehen und frieren, obwohl ich Nichtraucherin bin, ging nun doch über meine Komfortzone hinaus.
Ich war am vorletzten Wochenende nochmals bei meinen Eltern für eine Nacht. Am Sonntag kamen mein Bruder und meine Schwägerin zu Besuch, da er unbedingt wieder eine Runde Pandemic spielen wollte. Am Montag gingen meine Mutter und ich shoppen. Endlich konnte man sich um Sommerbekleidung kümmern, da der Sommer ja nun doch stattfindet. Wir benutzten zudem das touristenfreie Luzern und gingen im Café Bachmann etwas trinken. Ein Café am Touristenhotspot der Stadt, welches normalerweise komplett von asiatischen Touristen in Anspruch genommen wird. Jetzt stehen nur sehr wenige Tische zur Verfügung und trotzdem findet man problemlos einen Platz. Über das vergangene Wochenende war ich mit meiner Mutter im Lötschental unterwegs. Wir reisten am Samstag an und wanderten am Sonntag und Montag das Tal hinauf. Wir trugen unser Gepäck im Rucksack mit und übernachteten jede Nacht in einem anderen Hotel weiter oben im Tal. Wandern ist im Moment echt eine super Sache. Etwas weiter weg von den Naherholungsgebieten der Städte oder den bekannten Touristenhotspots verteilen sich die Menschen stark, obwohl momentan alle wandern gehen, da viele ihre Ferien hier verbringen. Zudem ist man viel in der Natur und danach ist das Bedürfnis momentan auch sehr groß, nachdem man monatelang seine vier Wände häufiger als sonst betrachtet hat. Die Hotels waren sehr gut belegt. Am Dienstag fuhren wir mit einer Seilbahn auf eine Alp oberhalb eines Dorfes. Im Winter war dies ein großes Skigebiet. Wir staunten nicht schlecht, als wir die riesige Sonnen- und Aussichtsterrasse ganz für uns allein hatten. Wir überlegten lange, ob hier um diese Zeit des Jahres immer so wenig los war oder ob dies auch eine Auswirkung der Pandemie ist und sich die Menschen weniger hierhin getrauen. An der Seilbahn konnte es jedenfalls nicht liegen, denn die war sehr geräumig und ebenfalls nur schwach besetzt. Bezüglich Corona stellten wir nach diesen Tagen generell fest, dass man im Lötschental merkt, dass das Wallis stärker vom Virus betroffen war. Der Kanton teilt die Landesgrenze mit Italien und grenzt sowohl an das Tessin und an die Westschweiz, welche ebenfalls viel mehr Fälle hatten als die übrige Deutschschweiz. Die Tische in den Restaurants waren sehr weit auseinander gestellt, teilweise drei Meter und mehr. Bei den Frühstückbuffets mussten Handschuhe getragen werden und an einem Ort sogar eine Maske. Ein Hotel hatte eine ganz komplizierte Personenführung, sodass überall Einbahnverkehr herrschte im Restaurant. Daran hielten wir uns meistens nicht, da wir es schlicht vergassen oder auch nicht verstanden, welche Tür wir jetzt in welche Richtung benutzen durften. Uns fiel auch auf, dass es hier viele Touristen aus der Westschweiz gibt, was vielleicht ebenfalls zu mehr Sensibilität führen könnte, da diese das Virus eher mitbringen könnten.
Mittwoch, 1. Juli 2020
Die Tage nach der Wanderung waren wieder ruhig. Ich ging regelmässig ins Fitnesscenter. Die Einschränkungen dort halten sich in Grenzen. Dort wo Geräte zu eng stehen, sind gewisse gesperrt. Einzig der Zirkel, bei welchem mehrere Geräte hintereinander absolviert werden sollen, ist etwas umständlicher. Will man jedes Gerät nach dem Gebrauch desinfizieren, unterbricht man ständig das Training und der Rundgang verzögert sich, da alle Geräte des Zirkels zentral aufeinander abgestimmt und getaktet sind. Ich habe mir deshalb vorgenommen, solange ich allein den Zirkel absolviere, nur alle paar Geräte inne zu halten, um die letzten Geräte zu desinfizieren. Wenn noch andere Menschen den Zirkel benutzen, desinfiziere ich nach zwei Geräten, bevor die anderen Menschen zu diesem Gerät kommen. Im Verlauf der Woche erfuhr ich zudem, dass ich am 13. Juli nun endlich mit meinem Praktikum beginnen darf. Die Angestellten werden nun Ende Juni wieder aus dem Home Office zurückkehren und mich ab dem 13. einarbeiten können. Ich freue mich wirklich sehr endlich dort beginnen zu können. Endlich einmal das Studium gegen Arbeit auszutauschen, freute mich vor Corona schon. Doch nun kommt noch die Tatsache hinzu, dass ich die letzten Monate besonders viel herumgesessen habe und nun gerne wieder etwas mehr Tempo zulegen werde. Zudem scheint mein Chef sehr verständnisvoll und fragt auch jetzt noch bei jedem Telefonat, ob ich mich wirklich sicher genug fühlen würde, als Risikopatientin wieder arbeiten zu gehen.
In den letzten Tagen haben die Fälle in der Schweiz wieder zugenommen. Oft infizieren sich die Menschen im Ausgang. Vermehrt hört man Geschichten, wonach Partygänger in den Clubs falsche Kontaktangaben hinterließen und so das Tracking erschwerten. Dass die Fallzahlen wieder zunehmen würden, hatte ich erwartet und es wurde von den Experten auch prognostiziert. Allerdings bringt dies mich doch wieder ins Grübeln. Für unsere Jugendgruppe bin ich nun gerade dabei, ein Treffen zu organisieren. Wir wären wohl so um die zehn Personen aus den unterschiedlichsten Regionen des Landes. Gefühlt finde ich ein solches Treffen in Ordnung und ich muss auch zugeben, dass mir Corona im Alltag nicht mehr immer präsent ist. Ich ziehe konsequent im ÖV die Maske an, aber bei Gesprächen vergesse ich doch immer öfter den Mindestabstand. Nun hinterfrage ich bereits wieder, ob ein solches Treffen wirklich schon okay ist. Einerseits ob man als Organisation dies verantworten kann und andererseits persönlich, ob ich mich wieder mit so vielen unbekannten Menschen gleichzeitig treffen sollte. Momentan plane ich noch weiter, aber ich bin gespannt, wie die Sache sich weiterentwickeln wird. Gestern bin ich wieder zu meinen Eltern gefahren, da ich heute mit meiner Nachbarin reiten ging. Wieder fiel mir auf der Reise auf, dass die Anzahl der Maskentragenden abnahm, je mehr es in die Zentralschweiz und aufs Land hinaus ging. Als ich den Bus nach Hause betrat, war nur noch ein Viererabteil frei. Das dämpfte mein Stimmung bereits, denn ich hatte mir fest vorgenommen, Menschen, die sich zu mir setzen zu bitten, auch eine Maske anzuziehen. Nun hatte ich drei Plätze zu “bewachen” und zudem war klar, dass der Bus voll werden würde, da es schon Rush Hour war. Hinter mir saßen zwei ältere Damen, die ebenfalls beide Masken trugen. Das gab mir wortwörtlich etwas das Gefühl von Rückendeckung, denn so fühlte ich mich weniger als Exotin. Dann setzte sich ein Bekannter des Busfahrers neben mich und unterhielt sich laut quer durch den Bus mit dem Fahrer. Ich bat ihn freundlich eine Maske anzuziehen. Er reagierte sehr ungläubig und setzte sich auf den Platz diagonal von mir. Ich meinte, ich wäre trotzdem froh, er würde eine anziehen, da ich zur Risikogruppe gehöre. Er grinste ungläubig und setzte sich woanders hin. Der Busfahrer lachte spöttisch und sein Bekannter meinte kopfschüttelnd: “Gar nicht diskutieren.” Da musste ich mich sehr beherrschen, still sitzen zu bleiben. Dass der Busfahrer für mein Verhalten anscheinend auch keinerlei Verständnis hatte und es lächerlich fand, wie sein Lachen zeigte, fand ich schlimm. Die Verkehrsbetriebe empfehlen offiziell generell Masken zu tragen und er steht nicht einmal hinter den Empfehlungen seines Betriebs, wenn es einen zusätzlichen Grund gäbe, eine Maske zu tragen (eine Person in der Nähe, die zur Risikogruppe gehört). Zudem fand ich es verletzend, dass ich quasi als Spinnerin betrachtet wurde, die unbegründete Ängste hat oder übertreibt. Wenn ich mit meinem Alter sage, ich sei Risikoperson, gebe ich preis, dass ich chronisch krank bin. Eine Idee, dass diese Zeit für mich vielleicht nicht ganz so einfach sein könnte und dass ich es vielleicht auch nicht lustig finde, immunsuppressiert in einem überfüllten Bus zu sitzen, neben Menschen, die sich sorglos überall herumtreiben, dieser Gedanke war wohl sehr weit weg. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte den Bekannten damit konfrontiert, dass ich das Ganze nicht so amüsant finde. Später stieg eine Frau ein uns setzte sich zu mir. Ich äußerte wieder meine Bitte. Sie fragte etwas spöttisch: “Warum? Haben sie Angst?” Ich erklärte ihr, ich sei Risikoperson, worauf sie lange in ihrer Tasche kramte, dann aufstand und einen anderen Platz suchte. Ich vermute, sie suchte ihre Maske und stellte fest, dass sie keine dabei hatte. Der dritte Fahrgast war der absolute Hammer. Er setzte sich zu mir, ich äußerte meine Bitte und er meinte, nein, er würde nie eine Maske tragen und ich bräuchte ihm jetzt gar kein schlechtes Gewissen zu machen. Er rechtfertigte sich weiter, er würde unter der Maske keine Luft bekommen und trage deshalb nie eine. Schlussendlich behauptete er noch, er sei selbst Risikopatient. Ich wollte ihm das nicht glauben und er meinte bloß, ich könne sagen, was ich wolle, er würde keine Maske anziehen. Er murmelte noch weiter, was mir nur zeigte, wie unangenehm ihm die Situation war. Er war bestimmt kein Risikopatient, denn erstens hätte er dann kein schlechtes Gewissen haben müssen und zweitens hätte er auf eine Risikopatientin verständnisvoller reagiert und seine Situation erklären können. Als ich Zuhause ankam, war ich sehr frustriert über unsere unsolidarische Gesellschaft. Meine Mutter hatte mir erzählt, die Menschen im Bus würden widerwillig, aber ohne Klagen eine Maske anziehen, wenn man sie bat. 3/3 Personen auf einer Fahrt waren bei mir nicht dazu bereit und zudem gaben mir alle drei das Gefühl mich absurd zu verhalten. Ich habe mir auch überlegt, ob es am Alter liegen könnte. Ich fragte mich, ob Menschen vielleicht mit mehr Verständnis reagieren würden, wenn eine ältere Person, sie bittet, eine Maske zu tragen und ob meine Mutter vielleicht deshalb andere Erfahrungen gemacht hat. Bei mir hatte ich jedoch das Gefühl, dass ich Risikopatientin bin, hatte kein Gewicht. Vielleicht weil ich weniger zerbrechlich wirke oder sich einfach der Gedanke so stark verinnerlicht hat, dass junge Menschen nicht so stark von Covid-19 betroffen sind. Das war für mich wirklich sehr emotional und sorgte für viel Frust und Wut, wie ich es sonst nur kenne, wenn ich ganz klar aufgrund meiner Sehbehinderung irgendwo diskriminiert werde, was glücklicherweise selten vorkommt. Die Menschen finden nur die Maske übertrieben, aber für mich gehört der Hintergrund mit meiner Krankheit auch dazu, somit hatte ich ein Stück weit auch das Gefühl, als sei ich mit meiner Aussage, ich sei Risikopatientin irgendwie lächerlich. Diese Busfahrt war einer der Gründe warum ich beschlossen habe, heute nochmals einen Eintrag zu schreiben. Der andere Grund hing mit dem gestrigen Erlebnis zusammen. Heute verkündete der Bundesrat, dass ab Montag, 6. Juli 2020 eine Maskenpflicht im ÖV gelten wird. Kontrollpersonal hat die Kompetenz Bußen auszustellen und Personen, die sich weigern, eine Maske aufzusetzen, aus dem Fahrzeug zu begleiten. Ich und meine Mutter saßen gerade im Auto auf dem Weg an den See, um das erste Mal schwimmen zu gehen nach Corona, als die Meldung im Radio kam. Wir jubelten beide triumphierend. Für uns, die immer der maskenlosen Masse getrotzt haben, ist es eine große Genugtuung, dass nun alle, die uns belächelt haben, auch eine tragen müssen. Insbesondere wenn ich an meine drei Bekanntschaften von gestern denke, fühle ich ziemlich viel Schadenfreude. Genau wegen Menschen wie diesen wurde diese Vorschrift nun notwendig. Ich bin auch für Eigenverantwortung, aber hier scheiterte sie leider. Ich freue mich zudem auch für all die anderen “Exoten und Exotinnen” mit Maske, die ich in den letzten Wochen gesehen habe. Oft habe ich mir überlegt, was sie wohl dazu bewogen hatte, eine zu tragen. Von allen diesen Menschen fällt nun der Druck der letzten Wochen ab, die Blicke der anderen aushalten zu müssen. Morgen werde ich nach Hause fahren mit Maske und mein Auftritt wird wahrscheinlich selbstbewusster sein. Für mich wird die neue Vorschrift keine Umstellung sein. Ich finde die Maske nicht mehr so furchtbar, weil ich mich bereits daran gewöhnt habe und ich hatte Recht, es war richtig eine anzuziehen. Es fühlt sich an wie ein kleiner Sieg und ich bin gespannt wie die Menschen mit der neuen Vorschrift umgehen werden…