What was Missing in our Discussion about the Film ‘Measures of Men’
Critical remarks from a group of students from the Department of Anthropology and African Studies of the University of Mainz on the second session of the lecture series
German version below
To the organisers of the lecture series ‘Decolonizing Anthropology’,
in a tutorial accompanying the lecture series ‘Decolonising Anthropology’ at the Institute of Anthropology and African Studies in Mainz, some points of criticism were expressed regarding the planning and implementation of the panel discussion about the film Measures of Men on 09.11.2023. Since we consider it relevant to the classification of the event, it is important to us that these criticisms are documented. We also hope that they will inform the planning of future events in this series.
We welcome the fact that the film provides an important contemporary account of current debates on German colonial history. However, we found some aspects of the way in which this contemporary document was treated in the panel discussion very problematic. After its release, the film Measures of Men was publicly criticized for its narrative style, visual language, and moments of its production process. Two important examples of this criticism were mentioned several times by participants in the simultaneous chat function: the Statement by Black filmmakers on the anti-Black films The Measured Man, Seneca and Helt Super!, and a conversation between Natasha A. Kelly and Achan Malonda. We are sure that the organisers of the event were aware of these criticisms in advance. Nevertheless, no open reference was made to these Black voices about the film in the discussion, and their arguments were only included in a very weakened form at best. Comments in the chat that referred to these voices were also not included in the discussion.
We are of the opinion that the Black critique of the film must not be made invisible, especially not in a space that sees itself as part of a decolonisation process in ethnology/social and cultural anthropology. Especially in its second half, the film turns dehumanising depictions of violence against Black people into a mere backdrop for the emotional world of a German ethnologist. The fact that these images reproduce colonial dynamics and can have a deeply hurtful effect was highlighted months ago. The marginal attention given to this issue during the discussion (possibly influenced by a desire for harmony in the presence of director Lars Kraume) means that it aligns with a long line of discourses that ignore the hurtful experiences of Black people in order not to hurt the feelings of white people.
We find this unacceptable. The publicly expressed criticism should have been explicitly included in the panel discussion. It should not have been the task of participants in the chat (or ours) to point this out. If such a film is shown in the context of an event that claims to be decolonial, then there must at least be an idea of what a decolonial approach to the film would be. Such an idea was not really discernable for us on Thursday.
We believe that The Measures of Men can provide important impulses for a more productive discussion about (de)colonial processes in ethnology/social and cultural anthropology. The prerequisite for this, however, would be a more courageous approach to the many ambivalences of the film, especially if the director responsible is himself invited. This would require thorough preparation on the part of the organisers, and honest listening to input from participants. However, if the film is included in the narrative of an ongoing decolonisation with only very cautious reservations and by ignoring critical Black voices, ethnology/social and cultural anthropology is setting for itself a very low bar.
The topics set for the coming weeks make us confident that we can expect a few more lectures with more constructive approaches to the decolonisation of ethnology/social and cultural anthropology. However, we hope that the title ‘Decolonising Anthropology’ will be taken seriously in the selection and preparation of topics, especially when continuing the lecture series next semester.
This criticism is certainly not exhaustive. We are grateful for any additions and answers in the comments.
Was in unserer Diskussion über den Film Der vermessene Mensch gefehlt hat: Kritische Anmerkungen von Studierenden des Instituts für Ethnologie und Afrikastudien der Universität Mainz zur zweiten Sitzung der Vorlesungsreihe
An die Organisator*innen der Vorlesungsreihe Decolonizing Anthropology,
in einem Tutorium begleitend zur Vorlesung Decolonizing Anthropology am Institut für Ethnologie und Afrikastudien in Mainz wurden einige Kritikpunkte an der Planung und Durchführung der Panel-Diskussion zum Film Der vermessene Mensch am 09.11.2023 geäußert. Es ist uns wichtig, dass diese Kritik dokumentiert wird, da wir sie als relevant zur Einordnung der Veranstaltung erachten und hoffen, dass sie auch die Planung zukünftiger Veranstaltungen informieren kann.
Wir begrüßen es, dass uns mit dem Film ein wichtiges Zeitdokument der aktuellen Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte zugänglich gemacht wurde. Die Art und Weise, wie dieses Zeitdokument in der Diskussionsveranstaltung behandelt wurde, haben wir jedoch in einigen Aspekten als sehr problematisch wahrgenommen.
Der Film Der vermessene Mensch wurde nach seinem Erscheinen öffentlich für seine Erzählweise, Bildsprache und Momente seines Entstehungsprozesses kritisiert. Zwei wichtige Beispiele für diese Kritik wurden mehrmals im simultanen Chat zur Vorlesung von Teilnehmer*innen benannt: die Stellungnahme Schwarze Filmschaffende zu den Anti-Schwarzen Filmen Der vermessene Mensch, Seneca und Helt Super! und ein Gespräch zwischen Natasha A. Kelly und Achan Malonda. Wir sind uns sicher, dass diese Kritik den Organisator*innen der Veranstaltung im Vorfeld bekannt war. Dennoch wurde in der Diskussion nicht offen auf diese Schwarzen Stimmen zum Film Bezug genommen, auch wurden deren Argumente höchstens in sehr abgeschwächter Form einbezogen. Kommentare im Chat, die auf diese Stimmen verwiesen haben, wurden ebenfalls nicht in die Diskussion aufgenommen.
Wir sind der Meinung, dass die Schwarze Kritik am Film nicht unsichtbar gemacht werden darf, erst recht nicht in einem Raum, der sich als Teil eines Dekolonisierungsprozesses in der Ethnologie/Sozial- und Kulturanthropologie versteht. Besonders in seiner zweiten Hälfte macht der Film dehumanisierende Darstellungen der Gewalt an Schwarzen Menschen zur reinen Kulisse für die Gefühlswelt eines deutschen Ethnologen. Dass diese Bilder koloniale Dynamiken reproduzieren und zutiefst verletzend wirken können, wurde schon vor Monaten angesprochen. Indem dies (in Präsenz des Regisseurs Lars Kraume vielleicht aus einem Harmoniebedürfnis heraus) nur am Rande thematisiert wurde, reiht sich die Diskussion von letztem Donnerstag in eine lange Reihe von Diskursen ein, die verletzende Erfahrungen von Schwarzen Menschen ignorieren, um die Gefühle von weißen Menschen nicht zu verletzen.
Dies halten wir für inakzeptabel. Die öffentlich bekannte Kritik hätte explizit in die Vorbereitung der Veranstaltung einbezogen werden müssen. Es hätte nicht die Aufgabe von Teilnehmer*innen im Chat (oder unsere) sein sollen, darauf hinzuweisen. Denn wenn ein solcher Film im Kontext einer Veranstaltung gezeigt wird, die sich selbst den Anspruch stellt, dekolonial zu sein, dann muss es auch zumindest eine Idee davon geben, was ein dekolonialer Zugang zum Film wäre. Eine solche Idee war für uns am Donnerstag nicht wirklich erkennbar.
Wir glauben, dass Der vermessene Mensch durchaus wichtige Anstöße für eine produktivere Diskussion über (de-)koloniale Prozesse in der Ethnologie/Sozial- und Kulturanthropologie bieten kann. Die Voraussetzung dafür wäre aber ein mutigerer Umgang mit den vielen Ambivalenzen des Films, ganz besonders wenn der verantwortliche Regisseur selbst eingeladen wird. Und das verlangt nach gründlicher Vorbereitung und nach einem ehrlichen Zuhören. Wenn der Film aber mit nur sehr vorsichtigem Vorbehalt und unter Ausblendung kritischer Schwarzer Stimmen in das Narrativ einer gerade stattfindenden Dekolonisierung aufgenommen wird, setzt sich die Ethnologie/Sozial- und Kulturanthropologie eine sehr niedrige Messlatte.
Die Themensetzungen für die nächsten Wochen stimmen uns zuversichtlich, dass uns noch einige Vorlesungen mit konstruktiveren Ansätzen zur Dekolonisierung der Ethnologie/Sozial- und Kulturanthropologie erwarten. Wir wünschen uns aber, dass in der Auswahl und Vorbereitung der Themen, besonders auch bei einer Fortsetzung der Vorlesungsreihe im nächsten Semester, der im Titel gesetzte Anspruch Decolonizing Anthropology ernst genommen wird.
Diese Kritik ist sicherlich noch nicht erschöpfend. Wir sind dankbar für alle Ergänzungen und Antworten in den Kommentaren.